Von Hans Scheuerlein.
Als ein absoluter Klassiker der Rockmusik kann das im Januar 1971 erschienene zweite Solo-Album der legendären Blues-Röhre Janis Joplin bezeichnet werden (vorher war sie bereits auf den beiden Alben der Band Big Brother & The Holding Company zu hören). „Pearl“ sollte ihr letztes Album bleiben und musste zudem posthum veröffentlicht werden. Denn das Stimmwunder aus Texas war drei Monate zuvor für immer verstummt. Joplin wurde am 4. Oktober 1970 tot in ihrem Hotelzimmer in Los Angeles aufgefunden. Todesursache: Überdosis Heroin. Erst gut zwei Wochen vorher war Gitarrengott Jimi Hendrix an seinem Erbrochenen erstickt. Und wiederum nur etwa zwei Wochen davor hatte Alan Wilson, Gitarrist und Sänger der Blues-Rockband Canned Heat, das Zeitliche gesegnet. Von den beiden Lead-Sängern war er der mit der hohen Stimme, dessen „Going Up The Country“ noch immer täglich aus irgendeinem Radio oder Fernseher schallt (Gott nehme ihn zu seiner Rechten!). Im Jahr zuvor war schon der Gitarrist und Mitbegründer der Rolling Stones, Brian Jones, in seinem Swimmingpool ertrunken. Ihnen allen sollte Anfang Juli des Jahres 1971 noch Doors-Sänger Jim Morrison in den Tod folgen, der sich nach Paris abgesetzt hatte, um sich von den Strapazen seines Rockstar-Daseins zu erholen.
Soweit zur Statistik des Musikantensterbens um das Jahr 1970 herum. Sie alle verbindet jedoch ein merkwürdiger Umstand. Nämlich, dass sie allesamt zum Zeitpunkt ihres Ablebens 27 Jahre alt waren. Tatsächlich lässt sich die Liste der mit 27 Jahren gestorbenen Musiker und Künstler noch weiterführen – und zwar in beide Richtungen des Zeitstrahls. So sind etwa der Ragtime-Pianist Louis Chauvin († 1908), der Dichter Georg Trakl († 1914), Blues-Legende Robert Johnson († 1938), der Swing-Musiker Nat Jaffe († 1945), Drifters-Sänger Rudy Lewis († 1964), Schlagersängerin Alexandra († 1969), Grateful Dead-Keyboarder Ron „Pigpen“ McKernan († 1973), Uriah Heep-Bassist Gary Thain († 1975), Big Star-Sänger und Gitarrist Chris Bell († 1978), Inner Circle-Sänger Jacob Miller († 1980), der Graffiti-Künstler Jean-Michel Basquiat († 1988) sowie Nirvana-Sänger und Gitarrist Kurt Cobain († 1994) – man könnte noch eine ganze Weile weitermachen – allesamt im Alter von 27 Jahren ums Leben gekommen. Der prominenteste Fall in jüngerer Zeit ist sicherlich die britische Sängerin Amy Winehouse, die im Sommer 2011 einer Alkoholvergiftung unterlag. Der frühe Tod mit 27 wurde zum Mysterium, welches Musikjournalisten auf den zweifelhaft-ehrwürdigen Namen „Klub 27“ (a.k.a. „27 Club“) tauften. Inwiefern sich etwa Kurt Cobain, der über die Bedeutung des „Klub 27“ als Olymp der unsterblichen Rockgötter Bescheid gewusst haben dürfte, vorsätzlich mit 27 ins Jenseits beförderte, wird für immer sein Geheimnis bleiben.
Im Fall von Janis Joplin sieht es jedenfalls eher nach einem Unfall aus. Aufgrund der unterschiedlichen Reinheitsgrade des mehr oder weniger mit anderen Substanzen gepanschten Opioides Heroin wäre sie nicht die Einzige geblieben, die sich unbeabsichtigt den Goldenen Schuss gesetzt hätte. Außerdem spricht für die Unfall-Hypothese, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes gerade an ihrem neuen Album arbeitete. Aus diesem Grund fehlt bei dem Song „Buried Alive In The Blues“ (ausgerechnet!) die Gesangsspur, da Joplin kurz vor der Fertigstellung starb (klingt aber auch als Instrumentalstück recht gut - sorry, Janis). Ansonsten befinden sich auf dem „Pearl“-Album mit „Mercedes Benz“ und „Me And Bobby McGee“ ihre zwei wohl bekanntesten Lieder. Letzteres ist eine Coverversion eines Songs von Kris Kristofferson, dem Joplin durch ihre markante, raue Stimme, die immer wieder in einen kreischigen Sopran ausbricht, ganz neues Leben einzuhauchen vermochte. Der Rest des Albums ist sehr amtlicher Blues- und Soul-Rock, der immer wieder durch Joplins Gesangskünste wie auch durch das hervorragende und mitreißende Zusammenspiel ihrer neuen Full Tilt Boogie Band glänzt. Bestes Beispiel dafür - und mein persönlicher Favorit - ist das regelrecht funk-rockige „Half Moon“. Daneben mag ich auch die drei Soul-Balladen „Cry Baby“, „A Woman Left Lonely“ und „Get It While You Can“ besonders gern.
Tod auf dem Höhepunkt ihres Erfolges
Allerdings gibt es auch Anhaltspunkte, die gegen die Unfall-Theorie sprechen. Nämlich, dass Joplin erst wenige Tage vor ihrem Tod ein Testament anfertigte und unterschrieb. Darin hatte sie unter anderem verfügt, dass nach ihrem Ableben eine Party für zweihundert Freunde stattfinden solle, für die sie Bargeld in Höhe von 1500 Dollar hinterließ. Ob sie sich durch einen geplanten Freitod in der Riege der 27-jährigen Rocklegenden unsterblich machen wollte, darf aber trotzdem bezweifelt werden, da sie als dessen quasi unbewusstes Gründungsmitglied noch gar nichts von einem „Klub 27“ ahnen konnte. Wie auch immer. Auf jeden Fall ereilte ihr Tod sie auf der höchsten Höhe ihres Erfolges. Nicht zuletzt durch ihre aufsehenerregenden Auftritte auf den Mega-Festivals in Monterey (1967) und in Woodstock (1969) war sie zu einer der populärsten und schillerndsten Ikonen der Hippie-Kultur aufgestiegen. Und mehr denn je gilt sie jungen Menschen heute wieder als Anschauungsobjekt und Role-Model allererster Wahl, wenn es um die Kostümierung und den Look der Blumenkinder von anno dazumal geht.
Das Album „Pearl“ wurde zum vielgepriesenen Vermächtnis dieser Ausnahmesängerin, die so „schwarz“ singen konnte, wie keine andere Weiße. Nach seinem Erscheinen belegte es neun Wochen lang den ersten Platz der Billboard-Charts und verkaufte sich allein in den USA über vier Millionen Mal. Auch in vielen anderen Ländern der Welt landete es auf Spitzenplätzen. Janis Joplin hinterließ zwar keinen Mercedes Benz, dafür aber einen - ebenfalls besungenen - Porsche; ein bunt bemaltes Modell 356 SC Cabriolet, das zwanzig Jahre lang in der Rock and Roll Hall of Fame ausgestellt war und erst im Jahr 2015 bei Sotheby's für sage und schreibe 1,76 Millionen Dollar den Besitzer wechselte. Also, liebe Kinder, lasst schön eure Finger von den Drogen und investiert das Geld lieber in ein tolles Auto! Wer weiß, wozu es einmal gut ist.
YouTube-Link zu einer Live-Performance von „Half Moon“ in der Dick Cavett Show vom August 1970, nur 2 Monate vor Joplins Tod:
HALF MOON by Janis Joplin – YouTube
YouTube-Link zu Joplins Lobgesang auf deutsche Edel-Karossen:
Janis Joplin-Mercedes Benz (original) – YouTube
YouTube-Link zu „A Woman Left Lonely“ als Paradebeispiel für Joplins Stimmakrobatik und die tolle Band:
A WOMAN LEFT LONELY – JANIS JOPLIN – YouTube
Youtube-Link zu Joplins größtem Hit, ihrer Version von Kris Kristoffersons „Me and Bobby McGee“
https://www.youtube.com/watch?v=WXV_QjenbDw