Thomas Rietzschel / 01.01.2015 / 11:31 / 29 / Seite ausdrucken

Wow, die Kanzlerin hat gesprochen

Wie aus dem Ei gepellt wirkte Angela Merkel gestern, hübsch zurecht gemacht in ihrem roten Steif-Jäckchen, das Haar sauber gestriegelt von Udo Walz, die Wangen rosé. Vielleicht, dachte man, hat die Kanzlerin ein bisschen zu heiß gebadet, was immerhin manches erklären würde. Denn so etwas wie die Neujahrsansprache 2014 wurde uns bisher noch nicht geboten,  von keinem Kanzler zu keiner Zeit.

Zwar ist es schon mal vorgekommen, dass eine Rede Helmut Kohls ausgestrahlt wurde, die aus dem Vorjahr stammte. Doch eine Neujahrsansprache, in der es die Regierungschefin aller Deutschen darauf anlegt, das Volk zu spalten, indem sie die Bürger warnt, von ihrem grundgesetzlich verbrieften Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen, das gab es noch nicht, nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Erstmals haben wir jetzt - zu erahnen war es schon länger - eine Kanzlerin, die das Volk in dem Bewusstsein führt, die Lufthoheit über die Herzen ihrer Untertan zu besitzen.

Mit mütterlicher Autorität hat sie uns zum Ausklang des alten Jahres vor dem schlechten Umgang mit den unverbesserlichen Demokraten gewarnt. Bürgern, die auf die Straße gehen, weil sie glauben, sich anders kein Gehör verschaffen zu können, sollen wir nicht „folgen“. Denn es „sind Vorurteile, ist Kälte, ja, sogar Hass in deren Herzen“. 

Weiß der Teufel, woher die Warmherzige das alles weiß. Kann die kommunistisch erzogenen Pfarrerstochter - ihr Vater war eine bekennender DDR-Bürger, dem Lumpenstaat bis in den Untergang verbunden - den Menschen von oben herab in die Seele schauen? So muss es wohl sein, weshalb man denn in ihrer Partei, der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, auch gleich übereinkommen ist, dass es die Ehre eines Christenmenschen verletzen würde, wenn man sich auf einen Gespräch mit denen einließe, die seit Wochen zu Tausenden auf die Straße gehen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Der brave Mann hält die Klappe; so soll gefälligst auch 2015 bleiben. Wow, die Kanzlerin hat gesprochen.

Praktizierte deutsche Demokratie im 21. Jahrhundert, überwacht von einer, die das Geschäft gelernt hat, damals in der DDR, wo Angela Merkel „gesellschaftliche Arbeit“ in der FDJ-Leitung ihrer Schule versah. Als „Sekretärin für Agitprop und Propaganda“ stand sie an vorderster Front, da, wo der Klassenkampf schnelles Handeln erforderte. Schon damals haben die Genossen gewusst, dass man das Volk emotional aufbringen muss, damit es kein langes Palaver gibt. Die Aufmüpfigen, das waren die Bösen schlechthin, diejenigen, denen man aus dem Weg zu gehen hat, die es auszugrenzen galt.

In dieser Hinsicht, wissen wir seit gestern, hat Frau Merkel nichts dazu lernen müssen. Sie ist die Politkommissarin geblieben, zu der sie erzogen wurde, vormundschaftlich anmaßend. Sie merkt einfach nicht, wie sie sich im Ton vergreift, wenn sie uns etwa als „Mitbürger und Mitbürgerinnen” anspricht, so als müssten wir glücklich sein, irgendwie zu ihrem Unternehmen gehören zu dürfen. Wir sind aber die Bürger und Bürgerinnen, die Frau Merkel die Chance geben, in unseren Auftrag arbeiten zu können. Dafür wird sie ordentlich bezahlt und kostenfrei chauffiert. Eine Angestellte mit Zeitvertrag bleibt sie allemal.

Wir reden nicht von gleich zu gleich; und schon gar nicht kommt es Frau Merkel zu, uns von oben herab zu maßregeln, uns zu „sagen“, wer welchen Hass im Herzen trägt. Im Gegenteil, wäre es an der Zeit, dass die Regierungschefin begreift, wem sie ihrerseits den gehörigen Respekt zu erweisen hat. Gerade deshalb, weil sie das zunehmend vermissen, gehen ja immer mehr Bürger auf die Straße.

Wer ihnen von vornherein die politische Reife abspricht, ist selbst ein oder eine… Nein, wir werden jetzt nicht in den Ton der Merkel-Gang verfallen. Es genügt schon festzustellen, dass eine Kanzlerin, die sich zum Vormund des Volkes aufschwingt, der Demokratie nicht eben zur Ehre gereicht. Gottlob, fällt das immer mehr Bürgern auf, keineswegs nur in Dresden. Wir werden es sehen 2015. Prosit Neujahr!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Frank Jankalert / 01.01.2015

Auch wenn man hinter Pediga andere Motive vermutet als die proklamierten, darf man den Demonstranten nicht einfach Hass unterstellen, denn man entmenschlicht sie damit. Darin liegt der kaum verzeihliche Fehler von Merkel. Hier ging sie zu weit. Natürlich spaltet sie damit die deutsche Gesellschaft und sie treibt den Keil, den die Einwanderung sowieso schon darstellt, immer fester hinein. Für sich selbst nimmt sie das recht heraus, auf das gescheiterte Multi-Kulti hinzuweisen, wenn ihr das opportun erschent.

Walter Schmidt / 01.01.2015

Sehr geehrter Herr Miersch, gegen welche Grundwerte verstoßen denn die dort (bei Pegida) artikulierten Forderungen? Ist etwa die Forderung, daß die Gesetze eingehalten werden müssen und für alle gleich gelten müssen, ein Verstoß? Oder wissen sie mehr als in dem Grundsatzpapier der Pegida steht?

Heinrich Kanther / 01.01.2015

Oh, Herr Miersch, da gehen Sie aber ein bisschen weit. Herr Rietzschel hat ja nicht verlangt, dass sich die Regierung dem Druck der Straße beugt (obwohl Frau Merkel das doch gerne tut, wenn es ihr in den Kram passt, z.B. beim Atomausstieg). Ob die Forderungen tatsächlich gegen Grundwerte verstoßen, wäre zu diskutieren. So pauschal würde ich das jedenfalls nicht sehen. Dass ein Kanzler jedoch davon abrät, vom Grundrecht der Demonstrationsfreiheit Gebrauch zu machen, das scheint mir schon eher ein Verstoß gegen Grundwerte zu sein. Wohlgemerkt nicht von einer einfachen Bürgerin, sondern für jemanden, der einen Amtseid geleistet hat. Wer die antisemitischen Demos vor Kurzem völlig ignorierte, sollte doch diese Demos unabhängig von ihrem Inhalt ertragen können. Dass Merkel zu diesem Mittel greift, lässt aufhorchen. Wann wurde je eine Demo von gerade einmal 17.000 Menschen zum Inhalt einer Neujahrsansprache?

Mathias Adler / 01.01.2015

Zu meinen schlimmsten Erfahrungen in der DDR gehörte die selbstauferlegte Doppelzüngigkeit. “Das kannst Du aber in der Schule so nicht sagen”, war ein prägender und oft geäußerter Hinweis meiner Eltern. Im Jahr 89’ bin ich selbst, für die Zukunft meiner Kinder, auf die Straße gegangen um ihnen diese “Selbstverleugnung” zu ersparen. Der Hinweis des sächsischen Gleichstellungsbeauftragten Martin Gillo,  dass sich in 20 Jahren die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten der “Zukunftsdeutschen” ändern werden, bereitet mir Sorgen. Ich lebe gern in unserem aufgeklärten, freiheitlichen und in jeder Hinsicht fortschrittlichen Deutschland. Ich möchte mir nicht vorstellen, dass unsere Errungenschaften bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau in 20 Jahren durch demokratische Wahlen zunichte gemacht werden. Bisher hatte ich nur Sympathie für den Forderungskatalog der PEGIDA-Bewegung. Seit der Ansprache von unser Bundeskanzlerin bin ich entschlossen meine Sorgen unmissverständlich und offen zu äußern. Deshalb werde ich am Montag zum ersten Mal mit spazieren. Das bin ich meinen drei Mädchen als Vater schuldig. Danke Frau Merkel, Sie haben mir die Augen geöffnet.

Michael Miersch / 01.01.2015

Welch ein seltsames Demokratieverständnis, von einer Regierungschefin zu erwarten, dass sie sich sich „der Stimme des Volkes“ anpasst, die von ein paar Tausend Rietzschels auf der Straße verkündet wird. Es liegt im Gegenteil im Wesen einer parlamentarischen Demokratie, dass eine Regierung sich nicht der Straße beugt, wenn die dort artikulierten Forderungen gegen Grundwerte verstoßen. Pseudolegitimität durch einen angeblichen Volkswillen, der sich per Akklamation auf Massenveranstaltungen ausdrückte, war ein Merkmal der sozialistischen Volksdemokratien. Wenn man so gehässig wie Rietzschel wäre, könnte man jetzt spekulieren ob seine Herkunft aus so einer Volksdemokratie ihn fürs Leben prägte. Dieses hämetriefende Elaborat zeigt, dass der Autor genau zu jenen sich bürgerlich gebenden Hasskappen gehört, die er in Dissidenten-Pose verteidigt.

Kai Schirmer / 01.01.2015

Herr Rietzschel, woher wussten Sie eigentlich, was ich bei der Neujahrsansprache der Kanzlerin gedacht habe? Antworten Sie! :-) Im Ernst, vielen Dank für diese pointierte Reaktion auf diese unsägliche Zumutung von Frau Merkel!

Claus Brandstetter / 01.01.2015

Sehr geehrter Herr Rietzschel, vielleicht wäre es besser, wenn Sie nochmals eine Nacht drüber schlafen würden, bevor Sie solche emotionale Artikel veröffentlichen. Sippenhaftung gilt selbst für die Kanzlerin nicht und laut der Selbstauskunft von Frau Merkel   war sie in der FDJ Kulturbeauftragte. Als Politik-Propagandistin ist sie auch nur schwer vorstellbar. Frau Merkel als “Politkommissarin” hinzustellen, ist jetzt auch nicht gerade die feine Art. Ganz unrecht haben Sie mit Ihrer Kritik nicht, dass Recht zu demonstrieren muss für alle gelten. Aber hat sie was gesagt, dass die Rechte von PEGIDA einschränkt? Die Kanzlerin bat darum, Leuten wie ” Lutz Bachmann” nicht zu folgen und das darf sie als Kanzlerin auch tun. Möglicherweise muss sie es sogar tun. Ich jedenfalls will in keinem Land leben, in der Leute wie ” Lutz Bachmann” anerkannte Politiker sind oder werden können.  

Christoph Behrends / 01.01.2015

Hervorragender Artikel! Sie schreiben, was immer mehr von uns (manchmal nicht einmal zu) denken (wagen)! Vielen Dank und ein gutes Jahr 2015!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 25.09.2022 / 13:00 / 35

Vom heißen Herbst kalt erwischt

Die Angst geht um in den deutschen Regierungsbezirken, die Angst vor einem „heißen Herbst“. „Natürlich“, so tönt aus allen Amtsstuben, aus dem Kanzleramt sowie aus…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com