Marilyn Monroe soll einst zu Albert Einstein gesagt haben: Wäre es nicht wunderbar, wenn wir Kinder hätten?! Denken Sie nur: Ihre Intelligenz und meine Schönheit!? Darauf soll Einstein geantwortet haben: Und wenn es umgekehrt kommt?
Bei solchen Anekdoten ist Vorsicht geboten. Doch selbst wenn sie nicht verbürgt ist und nicht stimmen sollte, so ist sie doch schön und gut und in gewisser Weise wahr. Zumindest lehrreich. So kann’s gehen. Etwas Wunderbares soll entstehen – und herauskommt: das Gegenteil.
Musikeranekdoten sind vergleichsweise langweilig. Doch sie können ebenfalls eine Wahrheit offenbaren: Alban Berg soll seinem verehrten Meister Arnold Schönberg – dem Begründer der Zwölftonmusik – eines Tages ein Geständnis gemacht haben: Er hat ihm offenbart, dass er ihn verehre und bewundere, dass er jedoch seine Musik – Achtung, jetzt kommt‘s! – nicht „lieben könne“. Daraufhin soll Schönberg zutiefst gekränkt gewesen sein.
Wieso? Das hätte er sich doch denken können. Niemand liebt diese 12-Ton-Musik. Er wusste, was er tut. Er wollte es so. Er hat selber von der Kälte als Ideal seiner Kunst gesprochen. So etwas liebt niemand. Es gibt kritische Stimmen, die der Meinung sind, dass es diese Musik sowieso nur geben konnte, weil sie gefördert wurde. Ihr war auch nur eine kurzfristige Nischenexistenz vergönnt. Ich frage mich auch, was mit den Komponisten los war. Sie haben etwas betrieben – und konnten es selbst nicht lieben!
Ein Null ouvert auf hohem intellektuellem Niveau
Sie haben es bitterernst gemeint. Es war E-Musik, d.h.: ernste Musik. Da durfte nicht gelacht und nicht gelächelt werden. Alban Berg gehörte selber zu den besonders Ernsthaften. Seine Oper ‚Lulu‘, die auf einer Zwölftonreihe beruht, weist bekanntlich einen Wendepunkt auf. Zum Glück hatte mir mein Sitznachbar an der entsprechenden Stelle einen dezenten Stups verpasst, ich hätte es sonst nicht bemerkt. Mir war jedoch aufgefallen, dass die Sopranistin, als „Urgestalt des Weibes“, oben ohne aufgetreten ist. Ich habe also schon etwas verstanden, wenn auch nicht alles.
Es war eine spezielle Show. Beim Publikum wurde nicht nur ein Mindestalter, sondern auch eine Mindestbildung vorausgesetzt. Vor allem die Bereitschaft, sich auf anspruchsvolle, komplexe und anspielungsreiche Kunst einzulassen. Das kann nicht jeder. Das will nicht jeder.
Es war nie einfach. Schon die Entwicklung der Zwölftonmusik war eine schwere Geburt gewesen. Thomas Mann lässt in seinem „Doktor Faustus“ neun verschiedene Inkarnationen des Teufels auftreten, bis endlich der Durchbruch zur Zwölftonmusik möglich wird. Das ist Hochliteratur. Hier waren großartige Theoretiker und großartige Künstler am Werk, denen man einen gewissen Snobismus nicht abstreiten kann. Sie konnten auch anders. Die Werke von Arnold Schönberg oder Alban Berg, die sich einer gewissen Beliebtheit beim Publikum erfreut haben, waren welche, die nicht dem Regelwerk der 12-Ton-Musik folgten. Wer hätte das gedacht?
Die Endstation der Musikentwicklung
Warum ist die Zwölftonmusik so hoffnungslos unbeliebt? Warum gefällt sie niemandem? Weil es Quoten-Musik ist. Weil sie nicht schön, sondern gerecht sein will. Weil es politisch korrekte Musik ist, bei der stets das Gebot der Vielfalt – diversity – beachtet werden muss: alle Töne der Reihe müssen gleichermaßen repräsentiert, keiner darf überrepräsentiert sein. Ein Ton darf erst dann ein zweites Mal zum Einsatz kommen, wenn auch die anderen alle an der Reihe waren.
Das traditionelle harmonische System war damit überwunden. Es gab keine Tongeschlechter mehr, kein Dur, kein Moll, nur noch geschlechterneutrale Musik. Tongeschlechterneutrale. Sie gestattete keinen individuellen Ausdruck mehr, alles wurde dem Kollektiv der Reihe untergeordnet.
Es war das Ende von Leichtigkeit und Schönheit. Es gab keine Übertreibung und kein Understatement. Keine Improvisation, keine innere Spannung, keine Leidenschaft. Keine Kreativität. Es wurden keine Gefühle ausgelotet, keine inneren Landschaften erschlossen, keine Fantasien freigesetzt.
Eine musikalische Plattenbau-Siedlung
Die Parallele zum Kommunismus und seiner allgegenwärtigen Tristesse ist nicht nur Bodo Wartke aufgefallen. Er sieht es so: interessante Idee, funktioniert aber in der Praxis nicht. Es ist gut gemeint: Alle sollen drankommen und können zufrieden sein, aber es klingt scheiße.
Nun haben wir den Salat ohne Dressing, der nach nichts schmeckt, und dennoch als Sättigungsbeilage herhalten muss. Wir kriegen eine Musik, die sich so anhört, wie ein Plattenbau mit 12 Stockwerken aussieht. Ohne Balkonpflanzen und ohne Graffiti. Diese Art von kultureller Errungenschaft kommt einem wie eine Strafe vor, ohne dass man weiß, weshalb man eigentlich bestraft werden soll. Vermutlich für die Sünden der Vergangenheit, auch wenn man nichts damit zu tun hat. Es herrscht ein miefiger Verzicht auf alle nur möglichen Extras. Auf alles, was einem gefallen könnte. Auf alles, was nicht auf ein Minimum zurechtgestutzt ist. Auf alles, was Lebendigkeit enthält.
Hanns Eisler, der eine Musik erschaffen wollte, „die dem Sozialismus nützt“, schuf letztlich eine, die den Menschen im Sozialismus nicht gefallen hat. Es war Bürokratenmusik in selbst gesteckten Grenzen, durch die jede Vorliebe kaputtgemacht wurde – und damit auch jede Liebe. Wer will so etwas? Warum erwähne ich das alles überhaupt?
Die Apostel der Lieblosigkeit sind wieder da
Die lieben Leserinnen und Leser ahnten es schon – besser gesagt: die Lesenden aller möglichen Geschlechter, die aufmerksamen Blockwarte der „Sternchen-Innen-verdammt-noch-mal-Fraktion“, die den Braten längst gerochen und gemerkt haben, dass er nicht ohne Fleisch ist.
Jawohl, ich richte mich an die Befürworter der „gerechten Sprache“, wie sie hochtrabend genannt wird. An die stolzen Vorreiterinnen auf den hohen moralischen Rössern, die unermüdlich für „inklusive“, für „faire“, für „geschlechtersensible“ und „politisch korrekte“ Sprache streiten. An alle, die „gendern“.
Es reicht euch nicht, eine neue Grundlage zu schaffen und damit das alte System zu dekonstruieren, wie es die Neutöner getan haben, es müssen obendrein noch jede Menge Verbote her.
Zunächst das Diskriminierungsverbot, das auch für die Zwölftonmusik galt: Kein Ton aus der Reihe durfte übergangen werden, alle wurden mitgenommen, keiner wurde zurückgelassen. Doch das reichte nicht. Es kommen noch Verbote hinzu, die jeden Wohlklang untersagen, und Rückfälle in überkommene harmonische Muster und Stereotype verhindern.
Überall Verbotsschilder und Fallgruben
Es darf keine Zitate mehr geben, keine Variationen. Denn die würden gegen das Gleichheitsgebot verstoßen und man würde damit unterstellen, dass es doch noch so etwas wie geschichtliche Anbindungen, Schattierungen und Weiterentwicklungen zum Besseren geben könnte. Das darf nicht sein. Es darf keine Hierarchie geben, auch keine flache, einfach keine. Alles muss gleich sein.
Es darf nichts Vertrautes und Anheimelndes geben. Wir dürfen keine Ausnahme machen. Wir dürfen keinesfalls ein Auge zudrücken und etwas durchgehen lassen, das nicht den Normvorschriften entspricht. Jede Abweichung wäre nicht nur falsch, sondern bösartig. Sie kann nicht korrigiert werden, wir müssen sie gleich mit der Wurzel ausmerzen. Alle treuherzigen Vorstellungen von einem versöhnlichen Zusammenklang müssen überwunden werden.
I’m only dreaming…
Ja, ich gebe offen zu, dass ich einen Groll gegen die aggressiven Kulturabschaffenden hege, gegen die Bilderstürmenden, gegen die Zensurausübenden und Quotenbefürwortenden. Gegen die humorlosen Freudeunterdrückenden, Spaßbremsenden, Denkmalumstürzenden und Straßenumbenennenden. Gegen die Cancel-Culture-Befürwortenden, die Kinderbuchneuschreibenden, die Knack- und Schnalzlautwürgenden, und auch gegen all die Wörterbuchausmistenden, die jede Kommunikation und jedwede Kreativität im Keim ersticken und eine vollendete Gleichheit im Negativen herstellen wollen. Worauf soll das denn sonst hinauslaufen?
Manchmal habe ich Fantasien, die Außenstehenden als Rache-Fantasien erscheinen mögen. Ganz so weit würde ich nicht gehen. Ich möchte den Kulturkämpfern lediglich etwas deutlich machen und ihnen damit drohen, dass man bei einer fortgesetzten Raserei auch ihrer Lieblingsmusik (die sie bestimmt noch im stillen Winkel ihres Gemüts haben) genau das antun könnte, was sie meinem Sprachgefühl und meinen Vorlieben für die Kunst antun wollen.
Wenn sie also kommen und mir vorschreiben wollen, dass ich gewisse Worte nicht mehr benutzen dürfe, dass ich Stereotype vermeiden und inklusiv sprechen müsse, um bisher vernachlässigte Minderheiten einzubeziehen; wenn sie absichtlich den Rhythmus der Sprache verstolpern; wenn sie mir Sternchen, Doppelpunkte und andere Sonderzeichen aufdrängen wollen; wenn sie die deutliche Aussprache und Klarheit der Aussagen verderben – also: wenn sie mir auf diese krumme Tour kommen, dann komme ich mit der Frage: Was ist eure Lieblingsmusik?
Nur ein paar kleine Kompromisse
Egal was es ist – es geht ab sofort nicht mehr. Weg damit! Die Melodien müssen ab sofort in Zwölftonreihen umgewandelt werden. Was es auch sei: ob „Happy Birthday“, die Europahymne, der neue Klingelton oder „A Whiter Shade Of Pale“ – die Nummer Eins einer all time chart von Lieblingsliedern. Es geht. Es müssen nur die bisher fehlenden Töne aus der vollständigen Reihe implantiert und mit kleinen Zugeständnissen, die hier und da nötig sind, vollständig integriert werden, damit Inklusion, Diversität und Gleichheit nachhaltig gewährleistet sind.
Wir schaffen das. Das wurde bereits eindrucksvoll bewiesen. Ich erinnere an die Möglichkeiten der Zwölftonmusik. Wenn man Kinderbücher umschreiben und normale Sprache mit Geschlechtergerechtigkeit aufblasen kann, dann geht das auch mit Musik.
Wir müssen auch in die Melodien aus vergangenen Tagen all die Töne, die bisher vernachlässig worden sind, solidarisch mit einbeziehen und gleichberechtigt zur Geltung bringen, damit sie nicht nur irgendwie mitgemeint und an den Rand gedrängt sind. Sie müssen deutlich hörbar werden. Zwar wird man die ursprünglichen Melodien kaum noch wiedererkennen, aber sie werden diskriminierungsfrei und gerecht sein – und vor allem fair. Seid allzeit bereit! Wir müssen uns bei jeder Gelegenheit zur Vielfalt bekennen, 7 Tage die Woche, 24 Stunden lang.
Damit sich nicht die gekränkt fühlen, die nicht so schön sind
Wir müssen uns auch von Passagen trennen, die Schönheit und Liebenswürdigkeit ausstrahlen, weil dadurch andere Passagen, die weniger schön und weniger liebenswürdig sind, diskriminiert und marginalisiert werden können. Wir müssen stets bedenken, dass alles, was uns harmonisch und verträglich erscheinen mag und vermeintlich Natürlichkeit ausstrahlt, von rechtsradikalen Kräften missbraucht werden kann.
Doch solche Globalisierungs-Verlierer, die aus der Zeit gefallen sind und sowieso zu den vier Alten gehören, müssen unnachgiebig bekämpft und ausgestoßen werden. Sie sind unfähig, Veränderungen zu akzeptieren. Doch nur mit uns (wer auch immer das sein mag) zieht die neue Zeit, because it is the year 2015 – jederzeit.
Die Zwölftonmusik hatte – wie gesagt – eine Nischenexistenz und ein hohes künstlerisches Niveau. Als Kunst war sie im Reich der Freiheit zuhause. Niemand musste sich Platten von Eisler kaufen oder sich die Oper „Lulu“ ansehen. Ich habe es freiwillig getan. Es war eine bewundernswerte Leistung, die mir sogar gefallen hat, ich aber nicht geliebt habe.
Die Sprache der Eroberer
Doch die Gendersprache stammt nicht aus dem Reich der Freiheit, sie kommt direkt aus der Diktatur. Sie blüht nicht als Mauerblümchen im Schatten eines Wachturms, sie spreizt sich aufdringlich im Flutlicht und verbreitet sich wie nichts Gutes. Sie ist keinesfalls etwas Harmloses wie die konkrete Poesie, die von einigen wenigen Schriftstellern als liebenswerte Spezialität gepflegt wird – auch wenn es manchmal so aussieht. Sie erhebt einen Alleinvertretungsanspruch.
Die Genderisten sind Eroberer, Unterdrücker und Inquisitoren. Sie wollen Priester und Vollstrecker zugleich sein. Sie glauben, dass endlich ihre Zeit gekommen ist. Sie lassen niemanden mehr in Ruhe. Unerbittlich drängen sie darauf, ihre stets aktualisierten Verbote überall anzuwenden und aus jedem Philosophenspaziergang einen verkrampften Slalom zwischen Tretminen zu machen.
Sie sind selbst keine Künstler. Was man über Alban Berg und Arnold Schönberg sagen kann, könnte man über sie nicht sagen. Ein berühmter, inzwischen verstorbener Literaturkritiker würde sie vermutlich als „nicht intelligent“ bezeichnen. Hier darf man kein theoretisches Niveau erwarten.
Es werden immer nur Klagen erhoben über Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen können und über Frauen, die es nicht in den Vorstand eines erfolgreichen Unternehmens geschafft haben, ohne dass jemals erklärt wird, warum das heute jeder, der den Mund aufmachen will, bei jeder Gelegenheit berücksichtigen muss.
Und wenn es umgekehrt kommt?
Sie geben vor, eine schöne neue Welt der Gerechtigkeit, Gleichheit und empathischen Inklusion zu schaffen. Aber was, wenn es umgekehrt kommt? Wenn stattdessen ein totalitäres waste land entsteht, ein kultureller Kahlschlag, the worst of both worlds? Wenn also am Ende etwas herauskommt, das weder schön ist, noch intelligent?
Etwas, das niemand liebt. Eine Welt ohne einen Albert Einstein und ohne eine Marilyn Monroe.
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