Kaum ist die FDP in einer Koalition, reicht sie ihren Koalitionspartnern die Waffe des Staates, statt den Liberalismus zu verteidigen. Warum bloß vergisst die FDP ihre eigenen Werte immer, sobald sie an der Macht ist?
Ich bin Mitglied der FDP. Vor zehn Jahren habe ich bereits einmal erlebt, was mit der FDP passiert, wenn den Bundestagsabgeordneten der Partei die Posten in der Regierung lieber sind als der liberale Geist. Dann fliegt die FDP komplett aus dem Bundestag. Heute erlebe ich diesen Verrat am Liberalismus erneut.
Ich bin ein Anhänger der Philosophie der Freiheit. Ich verstehe den Liberalismus als eine Bewegung, die für die größtmögliche Freiheit des Individuums streitet. Ich bin fest davon überzeugt, dass die individuelle Freiheit eng verbunden ist mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Individuelle Freiheit und Verantwortung sind sogar untrennbar. Liberalismus ist Freiheit aus Verantwortung, anstatt Freiheit von Verantwortung. Freiheit ist nicht Egoismus. Freiheit ist Verantwortung.
Diese Philosophie sehe ich im Jahr 2022 von der FDP verraten. Ich zitiere daher einfach mal vier wesentliche Grundsätze des Liberalismus, die von der regierenden FDP gerade bitter vernachlässigt werden. Die folgenden Zitate stehen in den Wiesbadener Grundsätzen. Sie sind das eigentliche Programm der Freien Demokratischen Partei und wurden auf dem 48. Ordentlichen Bundesparteitag der FDP in Wiesbaden am 24. Mai 1997 beschlossen.
„Solidarität ist zur staatlichen Dienstleistung verkommen“
„Für Liberale verläuft die politische Grenze nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen freiheitlich und autoritär.“
„Nicht der Staat gewährt den Bürgern Freiheit, sondern die Bürger gewähren dem Staat Einschränkungen ihrer Freiheit.“
„Liberale treten für mehr Freiheit für mehr Menschen ein und wissen, dass sie damit mehr Verantwortungsbereitschaft verlangen. Liberalismus vertraut auf den Willen und die Fähigkeit des Menschen, in eigener Verantwortung zu entscheiden und zu handeln. Für jeden Einzelnen gibt es Situationen, in denen er auf Hilfe angewiesen ist. Die Hilfe zur Selbsthilfe greift in die eigene Freiheit und Verantwortung am wenigsten ein. Sie ist daher die menschlichste und menschenwürdigste Form der Hilfe. Liberale setzen auf den mündigen Bürger, nicht auf den Vormundschaftsstaat mit Rundumbetreuung. Liberale muten den Bürgern mehr zu, weil sie ihnen mehr zutrauen.“
„In Deutschland hat sich die Politik immer mehr daran orientiert, was bei den Betroffenen gut ankommt, was gefällt. Sie hat sich zur Gefälligkeitspolitik entwickelt, bei der es nicht mehr darauf ankommt, ob eine Entscheidung gut oder schlecht ist, sondern nur noch darauf, ob sie ankommt oder nicht. Die Gefälligkeitspolitik, die allen alles verspricht, ist unfinanzierbar und kann daher nicht halten, was sie verspricht. Mittlerweile hat sich in Deutschland die Illusion verbreitet, der Einzelne besitze die persönliche Freiheit, und der Staat trage die Verantwortung und könne Freiheit und Sicherheit in allen Lebenslagen garantieren, ohne dass die Menschen dafür selbst Verantwortung übernehmen müssen. Verantwortung wurde verstaatlicht. Solidarität ist zur staatlichen Dienstleistung verkommen.“
Das letzte Mittel jeder staatlichen Forderung ist die Gewalt
Kann man von der momentanen FDP wirklich sagen, dass sie sich daran hält?
Als liberaler Mensch bin ich mir der Waffe des Staates bewusst. Wenn ich ein freies Unternehmen nicht mag, muss ich dort nicht einsteigen. Wenn ich ein Produkt nicht mag, muss ich es nicht kaufen. An die Gesetze des Staates jedoch muss ich mich halten. Am logischen Ende jeder staatlichen Forderung befindet sich die Waffe.
Das letzte Mittel jeder staatlichen Forderung ist die Gewalt. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Dieses Bewusstsein macht es nötig, die Waffe des Staates immer wieder zu hinterfragen, besonders in Zeiten, wo der Staat zur (vermeintlichen) Garantie der Sicherheit immer mehr Freiheitsrechte einschränkt.
Ich verstehe nicht, warum mir mit Waffengewalt vorgeschrieben wird, wann ich meinen Laden zu schließen habe, an welchen Tagen ich zu ruhen habe, welche religiöse Steuer ich zu entrichten habe, welchen Preis ich für meine Ware zu nehmen habe, was ich sagen darf und welche Fernsehsender ich zu finanzieren habe. Ich verstehe auch nicht, warum mir mit der Waffengewalt des Staates eingetrichtert werden muss, wie gefährlich der Coronavirus sein soll, wann und wo ich eine Maske zu tragen habe und ich mich impfen lassen soll. In all diesen Fällen plädiere ich für deutlich mehr staatlichen Pazifismus. Wir können in viel mehr Angelegenheiten auf die Gewalt des Staates verzichten.
Deutlich öfter auf die Freiheit des einzelnen Menschen vertrauen
Der Staat, das sind wir. Wir müssen uns jedoch nicht ständig von der Regierung mit Gewalt dazu zwingen lassen, gut zusammenzuleben. Wir können viel öfter darauf vertrauen, uns zu befähigen, miteinander bestmöglich auszukommen. Wir können deutlich öfter auf die Freiheit des einzelnen Menschen vertrauen als auf die Gewalt des Regierung. Wir können mehr Freiheit wagen.
Ja, liebe Grüne, wir müssen die Umwelt schützen, ja, liebe SPD, wir müssen dafür sorgen, dass mehr Wohnraum entsteht, ja, liebe Linke, wir müssen was gegen die Armut tun, ja, liebe AfD, es gibt zu allen Plänen auch immer eine Alternative, und ja, liebe CDU, wir müssen das alles schaffen, aber müssen wir wirklich immer gleich die Waffe des Staates ziehen?
Kaum ist die FDP in einer Koalition, reicht sie ihren Koalitionspartnern die Waffe des Staates, statt den Liberalismus zu verteidigen. Wir brauchen aber nicht noch mehr Verbote, und vor allem brauchen wir deutlich weniger staatliche Gewalt.
Wir brauchen mehr Vertrauen in den einzelnen Menschen, in seine Kreativität, seinen Erfindergeist und in die Freiheit. Die meisten Verbote werden durch gute Erfindungen überflüssig. Der Mensch ist deutlich besser als sein Ruf. Warum bloß vergisst die FDP das immer, sobald sie an der Macht ist?