Kolja Zydatiss / 07.05.2019 / 06:25 / Foto: Martin Kraft / 78 / Seite ausdrucken

Wofür braucht Franziska Giffey einen Doktortitel?

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) steht am Pranger. Im Februar 2019 wurde bekannt, dass ihre Dissertation von der Freien Universität Berlin (FU) aufgrund eines Plagiatsverdachts überprüft wird. Giffey hatte die Untersuchung selbst beantragt, nachdem die kollaborative Plattform VroniPlag ungekennzeichnete Stellen in ihrer Doktorarbeit beanstandet hatte.

Nun hat VroniPlag die Prüfung der Dissertation abgeschlossen und das Ausmaß der Mängel bekanntgegeben. Auf rund 37 Prozent der gut 200 Seiten der Arbeit seien Verstöße gefunden worden, elf Seiten davon mit 50 bis 75 Prozent Plagiatstext. Laut dem Juristen und VroniPlag-Aktivisten Gerhard Dannemann handelt es sich um einen „eher mittelschweren“ Fall des Plagiats.

Die FU prüft noch, ob sie Giffey den Doktortitel aberkennen will, doch schon jetzt ist die Aufregung groß. „Wer sich mit wissenschaftlichen Weihen schmückt, dabei aber die guten Sitten seriöser Forschung übergeht, ist an der Spitze eines Bundesministeriums fehl am Platz“, meint der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Thomas Sattelberger. Im Falle einer Aberkennung müsse Giffey „sofort“ aus dem Bundeskabinett zurücktreten.

Schummeln geht nicht, das ist klar. Doch in gewisser Weise muss einem Franziska Giffey leidtun. In einer Zeit, in der Politik zunehmend als ungeheuer komplexe Sache betrachtet wird, die nur von „Experten“ durchschaut werden kann, ist die Entscheidung, um jeden Preis zu promovieren, durchaus nachvollziehbar, erwirbt man sich dadurch doch den Ausweis des Expertentums schlechthin.

Dasselbe technokratische Politikverständnis

Das Schema ist bekannt: Spitzenpolitiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Annette Schavan (CDU) und Silvana Koch-Mehrin (FDP) reichen minderwertige Copy-Paste-Dissertationen ein. Plattformen wie VroniPlag und GuttenPlag schlagen Alarm. Sie erscheinen wie Kontrahenten, doch letztlich eint die Schummler und die Plagiatsjäger dasselbe technokratische Politikverständnis: In einer Welt, die aufgrund internationaler Waren- und Kapitalströme, Migrationsbewegungen und globaler Klimaveränderungen immer komplexer werde, sei Politik einfach nichts für „Normalsterbliche“. Die Politiker hoffen, sich durch eine Promotion von letzten abzusetzen und ihre Autorität zu untermauern. Die Plagiatsjäger sorgen dafür, dass das Expertentum nicht vorgetäuscht wird.

Ironischerweise „erforschte“ Giffey in ihrer Doktorarbeit ausgerechnet PR-Maßnahmen der ungewählten, expertokratischen EU-Kommission. „Europas Weg zum Bürger. Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft“, so der Titel der Dissertation. Politik erscheint hier nicht als etwas, das vom Bürger als demokratischem Souverän ausgeht, sondern als etwas, das in „Europa“ passiert und dem Bürger durch eine handverlesene „Zivilgesellschaft“ vermittelt werden muss (konkret waren damit offenbar Stadtteilmütter und Quartiersmanager in Berlin-Neukölln gemeint, wo Giffey bis März 2018 Bezirksbürgermeisterin war).

Eine Zeit, in der Politik als hohe Kunst betrachtet wurde, die nur von den gehobenen Ständen ausgeübt werden konnte, gab es schon einmal. Sie nannte sich Feudalismus. Radikale wetterten damals gegen die dünkelhafte „Staatskunst“ und forderten eine Demokratisierung. Regieren, so der Aufklärungsdenker Thomas Paine, sei keine mysteriöse Wissenschaft. Tatsächlich gehöre das Regieren zu den Dingen, die am leichtesten zu verstehen sind. Was Thomas Paine wohl von der Doktortitel-Obsession mancher zeitgenössischer deutscher Politiker halten würde?

Foto: Martin Kraft CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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H. Schmidt / 07.05.2019

Friedrich der Große hatte mal gesagt: „Eine Regierung muss sparsam sein, weil das Geld, das sie erhält, aus dem Blut und Schweiß ihres Volkes stammt. Es ist gerecht, dass jeder einzelne dazu beiträgt, die Ausgaben des Staates tragen zu helfen. Aber es ist nicht gerecht, dass er die Hälfte seines jährlichen Einkommens mit dem Staate teilen muss.“ Vielleicht sollte mal irgend wann ein Politiker eine Doktorarbeit darüber nachweisen über das Thema: Wie kann es sein das ein Staat der jedes Jahr neue Steuerrekordeinnahmen hat immer noch weitere Steuern erfindet? Da kann der Doktorand sogar von mir aus kopieren soviel er will. Hauptsache das Ergebnis spiegelt die blanke Wahrheit wieder.

Florian Bode / 07.05.2019

Eine Promotion oder Habilitation bringt die Welt nur in seltenen Fällen weiter und weist ihren Träger dann als brillianten Wissenschaftler aus („Experte“ ist doch heutzutage ohnehin ein Schimpfwort). Es zeigt vielmehr, dass jemand die Regeln des wissenschaftlichen Betriebes durchschaut hat und ein durchaus bürokratisches und mühevolles Verfahren durchgestanden hat. Sie ist im Regelfall der Beweis von Zähigkeit und Lauterkeit. Daher geht die Bescheisserei der Politiker und Politeusen eben nicht.

Bernd Ackermann / 07.05.2019

Nun hat es also auch die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (also die Ministerin für alle, mit Ausnahme von Single-Männern mittleren Alters) erwischt. Es ist erstaunlich - nein, ist es überhaupt nicht! -  dass sich dieses “mehr Schein als Sein” durch alle etablierten Parteien zieht. Das Parteiensystem spült Blender, Rosstäuscher und Luftnummern nach oben, die man besser von jedem politischen Amt fernhalten sollte. Nur die Grünen sind mal wieder moralisch überlegen. Ohne irgendeine abgeschlossene Ausbildung gibt’s halt auch keine gefakten Titel. Lediglich Taxifahrer Fischer hat es zum doppelten Ehrendoktor geschafft, ganz offiziell. Ob die Israelis wussten, was sie da getan haben?

Matthias Braun / 07.05.2019

” Titel geben den Menschen keinen Glanz, sondern die Menschen den Titeln.” ( Niccoló Machiavelli )

K. Reinhold / 07.05.2019

Wer uns tagtäglich etwas von „Demokratie leben“, Gerechtigkeit und Gewissenhaftigkeit erzählt, wer praktisch mit erhobenem Zeigefinger den Moralapostel vorgibt und uns Bürger belehrt, der sollte auch eine Doktorarbeit „sauber“ abliefern können. Das ist so etwas wie eine Grundvoraussetzung. Ansonsten, bei erwiesenem Betrugsversuch, und etwas anderes ist das nicht, RÜCKTRITT vom Amt und Streichung aller Pensionsansprüche.

Stefan Zorn / 07.05.2019

Ich sehe diesen Fall ganz simpel: Wenn man einen Guttenberg dafür zum Teufel gejagt hat, dann gilt diese Vorgehensweise für eine “Gutmenschin” erst recht!!!

Manfred Lang / 07.05.2019

Eines scheint Franziska Giffey, die Ministerin mit oder ohne Doktortitel, aus ihrer Promotionsarbeit, die, wie hier zu lesen ist, sich mit PR-Maßnahmen der EU “auf dem Weg zum Bürger ” befasste, begriffen zu haben. Sie beherrscht das Framing der unter ihr entstandenen Gesetze. Das klingt doch, wenn man liest und hört vom “Gute- Kita-Gesetz” oder vom “Starke-Familien-Gesetz”. Da hat sich doch die Doktorarbeit schon gelohnt, auch wenn der Titel flöten gehen sollte.

Michel Behringer / 07.05.2019

man sollte sich mal eher über die deutschen universitäten gedanken machen. ich bin mir zb sehr sicher, dass ich der einzige bin, der meine doktorarbeit gelesen hat. wie bei der sog. verteidigung schnell offensichtlich wurde. von betreuung konnte keine rede sein. ich war die umsonst kraft (stichwort drittmittel) für lästige tätigkeiten um die habilitation eines karrieregeilen typen ein bisschen voranzubringen. meinen mitstreitern ging es ganz genau so.

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