Ein deutsch-östereichisches Phänomen. In der Republik Schweiz wurden 1848 ja nicht nur Orden gemäss Verfassung verboten, sondern akademische Titel gehörten nie zum Namensrecht. Deshalb ist bspw der Doktortitel in der Schweiz eher ein Ausdruck von Understatement, man hat ihn, zeigt ihn aber selten. Wie mit dem Reichtum.
Werter Herr Zydatiss, Ihre Schlussfolgerung: “Die Politiker hoffen, sich durch eine Promotion von letzten abzusetzen und ihre Autorität zu untermauern.” finde ich nicht zutreffend. Vielmehr zieht der aktuelle Politikbetrieb gerade die Menschen an, die es schon immer toll fanden, sich mit einem Dr.-Titel schmücken zu müssen. Die Eitelkeit ist dabei die Eigenschaft, die bei solchen Menschen dermaßen stark ausgeprägt ist, daß sie geradezu danach verlangt. Aber auch die enorme Fähigkeit (und Wunsch) zu blenden. Also, nix mit daran denken, wie man den Wähler beeindruckt. Sich selbst wohl fühlen in der Gewissheit, alles hinbekommen zu können. Sowohl einen Dr.-Titel als auch einen wichtigen politischen Posten.
In der Tat sind unsere osteuropäischen Nachbarn da weiter. Mit dem erfolgreichen Staatsexamen wird den Ärzten/Zahnärzten der Titel MUDr. (Doktor einer Medizinischen Universität) zuerkannt. In der DDR hatte ich neben dem Staatsexamen eine Diplomarbeit als integralen Bestandteil des Medizinstudiums zu verfassen. Am Ende stand der Dipl.-Med., bei Zahnärzten Dipl.-Stom. Da wusste jeder, hier kommt kein neuer Sauerbruch oder Watson & Crick. Es war ein „Berufsdoktor“. Vielfach war es dennoch üblich, möglichst zu 100% während der Weiterbildung zum Facharzt auch noch eine Promotionsarbeit zu verfassen, an „großen Häusern“, wie Universitätskliniken oder Bezirkskrankenhäusern fast zwingend erwünscht, wollte man die Facharztprüfung bestehen. Eine Dissertation sollte eigentlich von mehr Leuten, als nur den Gutachtern gelesen werden wollen bzw. eine Universitätskarriere mit dem „täglich Brot der wissenschaftlichen Publikation“ begründen. Schon Ende des 19., Anfang des 20. Jh. beklagten führende Mediziner, dass um der Karriere willen „viel zu viel geschrieben“ würde. Wäre die ersehnte Position erreicht, höre man deutlich „den Seufzer der Erleichterung, mit dem die Feder aus der Hand gelegt wird“.
Ein Unterschied zum Feudalismus gibt es ja schon. Man wird nicht durch Geburt sondern durch erwiesene Leistung bevorzugt. Andererseits ist es hier üblich, die “fehlende Qualifikation” als Argument gegen Politiker zu benutzen. Ein Beispiel ist etwa Martin Schulz, dem manchmal vorgeworfen wird, kein Abitur zu haben. Über die Häme gegen ausländische Politiker (Reagan, Trump) ganz abgesehen.
In Zeiten einer herbeifabulierten Gleichheit ist ein Dr.-Titel eine Feder, die man sich gerne an den Hut steckt. Es ist es der Nachweis, dass man auf einem wissenschaftlichen Gebiet einen eigenen, STRUKTURIERTEN Forschungsbeitrag geleistet hat und sich in ein komplexes Thema einarbeiten kann. Das dauert Jahre. Fehlerhafte Dissertationen schreiben sich aber, als Grundlage weiterer Forschungsarbeiten, fort und untergraben damit Forschung. Die dünne Suppe, die Dr.-Politiker da kochen, kann auch gekauft sein. Geben Sie nur “Dissertation” bei Google ein, dann gibt’s für 5-stellig Hilfe. Insofern ist es Betrug und Urkundenfälschung, was da von Leuten wie Giffey fabriziert wird.
Ich würde Frau Giffey einfach als Betrügerin bezeichnen. Wer will von so etwas regiert werden? Ich nicht. Von daher: Nein, kein Mitleid.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.