Henryk M. Broder / 20.11.2014 / 04:44 / 8 / Seite ausdrucken

Wir sind Steinzeit

Die „Enthauptung“ bzw. „Hinrichtung“ – allein diese Bezeichnungen zeugen von einer völligen Ratlosigkeit im Umgang mit einer Bande von Lustmördern – des Amerikaners Peter Kassig ist in Deutschland mehr oder weniger achselzuckend hingenommen worden.

Etwa so wie der Beginn eines Streiks, den die Gewerkschaft Wochen im Voraus angekündigt hatte. Man hat es ja kommen sehen. Etwas gegen ein Unheil zu unterneh-men, das vorprogrammiert ist, scheint so unmöglich, wie ein heraufkommendes Gewitter abzusagen.

Hatten die beiden ersten „Enthauptungen“ noch für ein maßloses Entsetzen gesorgt, ließ die Intensität der Reaktionen ab der dritten Hinrichtung merklich nach.
In den Kommentaren war immerhin noch von „Steinzeitislamisten“ die Rede, die sich „menschenverachtender“ Mittel bei der Durchsetzung ihrer Ziele bedienen würden.  Wobei man immerhin feststellen konnte, dass die Zahl derjenigen, die noch immer darauf bestehen, dass dieser „Steinzeitislamismus“ nichts mit dem wahren Islam zu tun habe, allmählich zurückgeht. Wenigstens insofern findet eine Annäherung an die Wirklichkeit statt.

Wieso aber „Steinzeitislamismus“? Was will uns der Begriff suggerieren? Dass der Islamische Staat ein Relikt ist aus jenen Tagen, als das Rad noch nicht erfunden war? Das Gegenteil ist der Fall. Der IS ist das modernste islamische Konstrukt seit der Belagerung von Wien durch die Osmanen im Jahre 1683.

Da sind die Uniformen, die von Designen entworfen und die Aufmärsche, die von Profis choreographiert wurden. Die Videos wirken nicht wie Amateuraufnahmen aus einem Ferienclub, sie lassen die Handschrift von Cineasten erkennen, die bei Leni Riefenstahl und Sergej Eisenstein in die Schule gegangen sind.

Auch die Staatsidee des IS ist modern und zukunftsweisend: Ein Staat, der sich nicht über Grenzen, sondern über Macht definiert. Das genaue Gegenteil zu „failed states“ wie Nigeria, Somalia, Sudan, Belgien oder Kosovo. Und die Idee, eine eigene goldbasierte Währung einzuführen, ist in Zeiten virtuellen Geldes ein Beweis für ökonomische Vernunft. Das ist nicht Steinzeit. Wir sind Steinzeit, weil wir nicht begreifen können oder wollen, mit wem wir es zu tun haben.

Erschienen in der Weltwoche vom 20.11.14

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Leserpost

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Peter Luetgendorf / 20.11.2014

Sehr geehrter Herr Broder, wieder auf den Punkt formuliert. Die Uniformen könnten auch von der Firma stammen, die damals die SS ausgestattet hat. Aber auch bei der Belagerung von Wien waren die Kanonen eher low-tech. Gruß peter luetgendorf

Heinrich Steyer / 20.11.2014

Leider hat der Broder wieder mal wie so oft recht und den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich frage mich nur, wann diese Einsichten endlich bei den “Eliten” und dem Staatsfernsehen ankommen…. Typisch auch, daß solche Kommentare in einer Schweizer Zeitung erscheinen müssen und nicht in der Deutschen “Qualitätspresse”.

Waldemar Undig / 20.11.2014

Früher waren wir Deutschland, nun sind wir Steinzeit. Wie die Moden sich ändern ...

Werner Pfetzing / 20.11.2014

Hallo, sehr geehrter Herr Broder ! Vielleicht sind Sie noch ein wenig zu optimistisch, wenn Sie annehmen,  dass die Zahl derjenigen, die annehmen, dass der Steinzeitislamismus der IS mit dem wahren Islam nichts zu tun hat, allmählich zurückgeht.  In der neuen SPIEGEL-Ausgabe jedenfalls (Titel-Story “Der Dschihad-Kult”)  beschwören die verantwortlichen Redakteure immer noch emsig,  dass die Gräueltaten, die von den IS-Killern im Irak und Syrien begangen werden, nichts mit der “Religion des Friedens” zu tun haben. Dies sind nach Spiegel-Lesart alles nur psychisch gestörte Loser-Typen, die den Koran garnicht kennenoder komplett falsch verstehen.  Da ist noch viel Aufklärung und vor allen Dingen Mut nötig ! Mit freundlichen Grüssen Werner Pfetzing

Joerg Giessler / 20.11.2014

.....ist schon was wahres dran…..nur die Enthauptungen und der Nicht-Respekt anderen gegenüber geht gar nicht!

Johann Prossliner / 20.11.2014

Die IS-Krieger “modern” zu nennen, ist eine für Henryk M. Broder nicht untypische provokative Paradoxie. Dazu eine Anmerkung: Die Gesetze des Hammurapi und die Lehren des Echnaton sind drei- bis viertausend Jahre alt, und sie sind in Relation zur Steinzeit so “modern” wie die Antike von den Vorsokratikern bis Kaiser Julian. Im engeren Sinne “modern” ist die europäiche Gedankenwelt seit etwa 1600 (Columbus, Shakespeare, Galilei). Kern dieser Gedankenwelt ist die meist mehr implizite als explizite Vorstellung, dass der Mensch Gott “gemacht” hat “nach seinem Bilde”, nicht umgekehrt. Wie die Erde sich um die Sonne dreht, nicht umgekehrt, so wird Mensch weniger zu Gehorsam und mehr zu Eigentätigkeit, zum Individualismus aufgefordert. Insofern sind die IS-Krieger ganz und gar nicht “modern”, sondern wie der Faschismus eine Reaktion und Regression (was technische Modernität ja damals wie heute keineswegs ausschließt), und Leon de Winter hat völlig recht, wenn er den Islamismus als den “Faschismus des 21. Jahrhunderts” bezeichnet. Dagegen wird auch Broder nichts einzuwenden haben.

Matthias Strickling / 20.11.2014

Ich denke die wahre Gefahr von IS ist hierzulande und in der westlichen Welt noch gar nicht erkannt worden. Der IS möchte ein Weltkalifat und bedient sich modernster Methoden. Dazu gehört insbesondere der Verzicht auf jegliche moralische Werte . Durchzusetzen versucht der IS das in der westlichen Welt mit radikalislamistischen Inseln, welche fließend in den Terror hinübergleiten. Genug Muslime, welche sich radikalisieren lassen, hat die westliche Welt sich ja freiwillig, angefeuert von der Gutmenschpresse ins Land geholt. In Deutschland betrögt der Anteil mittlerweile Über 16 % der Bevölkerung-Tendenz rapide steigend durch weiteren Flüchtlingsstrom, insbesondere aus Islamischen Ländern, aber durch die starke Geburtenrate islamischer Frauen. Den Islam als verfassungsfeindlich einzustufen dürfte illusionär sein. Dies ist ja schon bei den Scientologen extrem schwierig. Man muss sich nur als Religion bezeichnen und hat damit automatisch Verfassungsschutz und Narrenfreiheit. Daher sind wir der IS hoffnungslos unterlegen. Offensichtlich hat niemand in der westlichen Welt etwas gegen die Handlungsweise der IS einzuwenden- denn bekämpfen könnte man sie leicht: Schon lange sind die lukrativen Geldquellen der IS bekannt. Aber solange niemand die Geldquellen trockenlegt, gibt es genug Kapital für die IS sich zu refinanzieren.

Martin Krieger / 20.11.2014

Hallo Herr Broder, das war auf den Punkt! Den letzten Absatz sollte man ganz groß an jeden Wand pinnen.

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