Felix Perrefort / 29.04.2022 / 14:00 / Foto: achgut.com / 28 / Seite ausdrucken

Wir brauchen Warmdusch-Inzidenzen!

Ein deutscher Putinkritiker – und darum Kaltduscher – ist ernüchtert: Die Deutschen sind Warmduscher. Obwohl doch Krieg ist, und wir alle verzichten müssen. 

In einem Artikel mit der Überschrift „Die Angst der Deutschen vor der kalten Dusche“ erhebt ein Benjamin Bidder bittere Anklage. Dabei beweist das Volk im Allgemeinen doch Solidarität und Verantwortungsgefühl. Hunderttausende Leben haben die Deutschen gerettet, indem sie brav in der Stube hockten, anstatt mordend ins Restaurant zu gehen – über Monate hinweg. Und selbst jetzt, nachdem die Maskenpflicht im Supermarkt aufgehoben wurde, werden sie nicht müde, vor dem Joghurt-Regal und bei der Entscheidung zwischen Dany Sahne und Monte anderswo Erstickungstode zu verhindern. Denn bei den meisten bleibt auch nach Wegfall der Vorschriften die Maske auf. Warum also so wenig Disziplin in Kriegszeiten?

Individuelle Verhaltensänderungen für die Lösung der großen Probleme gehören also inzwischen zum Stammrepertoire des ideellen Gesamtanständigen. Und dennoch:

„Nur knapp die Hälfte der Bürger wäre bereit, persönliche Einbußen hinzunehmen, um ein Energieembargo gegen Russland zu ermöglichen.“

Zu diesem Ergebnis kam eine repräsentative Umfrage im Auftrag des „Spiegel“, für die etwa 5.000 Bürger befragt wurden. „Für Befürworter eines Energieembargos sind die Ergebnisse ernüchternd.“ Der Artikel enthält über die Zusammenfassung der Umfrage-Ergebnisse hinaus zwar keine Argumente, doch Journalismus mit Haltung wäre eben keiner, wenn er die Deutung der Fakten einfach so dem dusseligen Leser überlassen würde. Denn der könnte ja noch auf den ukraineverräterischen Gedanken kommen, dass nicht „nur“, sondern „sogar“ zehn Prozent der Ansicht sind, sich bei winterlichen Minusgraden morgendliche Kälteschocks zu verpassen, könnte anderswo das Kriegsblatt wenden. 

Französische Dusche

Doch wie sieht’s im Lager der Anständigen aus?

„Unter den Befürwortern eines Lieferstopps für Öl und Gas aus Russland besonders populär: mehr Disziplin auf Deutschlands Autobahnen. 70 Prozent der Embargo-Befürworter würden nach eigenen Angaben ein Tempo 100 unterstützen. 68 Prozent würden weniger baden und mehr duschen, 76 Prozent deutlich weniger heizen. 42 Prozent würden das Auto öfter stehen lassen und dafür das Fahrrad benutzen.“ Und: „Immerhin 17 Prozent würden erwägen, auf ein kleineres Auto umzusteigen.“ 

Immerhin. Aber geht das weit genug? Schließlich behauptet der Artikel mit seinem Titelbild, dass in der Ukraine derzeit kein brutaler Krieg, sondern ein Genozid stattfindet. Also könnte man doch nicht nur das Baden einstellen, sondern gleich zur Französischen Dusche übergehen. Soweit ich weiß, verdient Russland nicht an Axe-Deodorants… 

Aber halt! Verträgt sich das überhaupt mit den Hygieneregeln zur Überwindung der Corona-Pandemie? Konfligieren die noch allenthalben hängenden Anweisungen zum mindestens 20-sekundenlangen Händewaschen womöglich mit den Kriegszielen der Bundesregierung? Würde es nicht reichen, sich die Hände vor und nach dem Schlafengehen zu waschen? Das Händeschütteln ist ja eh schon halbwegs überwunden, und wenn man die Maske einfach den ganzen Tag auflässt, macht man sie mit den verkeimten Fingerchen auch nicht mehr schmutzig.

Ich jedenfalls bin dank „Spiegel“ nun für die Etablierung von Warmdusch-Inzidenzen, anhand derer man die Temperaturen dann bundesweit regulieren könnte – freiwillig verzichten wollen ja zu wenige. Bestimmt könnten wir mit denen auch den Kriegsverlauf modellieren. Wissenschaftsleugner und Querputinist, wer dagegen ist. 

Foto: achgut.com

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Leserpost

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M. Haumann / 29.04.2022

Warum Putin sich nicht nur in Tschetschenien, sondern auch in der Ukraine durchaus an den Genozid macht, hat der geschätzte Gunnar Heinsohn heute in einem Gastbeitrag für Welt Online nachvollziehbar dargestellt (“Putins zweiter Völkermord”). Und der ist sicher alles andere als bei dem Thema unbedarft.

Frank Rotschedl / 29.04.2022

Schöne Satire… Ich glaube aber dennoch angsam, dass für dieses Land keine Hoffnung mehr besteht… Die durchaus schlimmen Ereignisse in der Ukraine als Genozid hinzustellen, mag ja zum Zeitgeist der als Monstranz getragenen Bildungsdefizite und der gelebten Übertreibung passen, aber Blödsinn bleibt es dennoch… und es ist eine Frechheit mit Blick auf echte Genozide… Es ist wirklich beunruhigend, wieviele Menschen anscheinend bereit sind, unser Land noch mehr zu ruinieren, weil russische Oligarchen in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg die ukrainischen Oligarchen angreifen… Was Selenskij seine Zivilbevölkerung bedeutet ist, konnte man ja schon schön an der Ausgabe von Militärwaffen auch an ältere Damen oder Teenies sehen. Die Wahrscheinlichkeit durch einen anderen verängstigten Zivilisten abgeknallt zu werden dürfte mit der Aktion um Einiges gestiegen sein und das Schönste dabei: Die Wahrscheinlichkeit, dass russische Soldaten solche bewaffneten “Zivilisten” erschießen, dürfte sich vervielfacht haben - Futter für die social media warriors… Was mich ja wundert ist, warum Putin das Asow-Stahl-Gelände in Mariupol nur belagern lässt… es gibt ja nicht nur zwei Alternativen - mit großen Verlusten rein zu gehen oder Belagern… Das Gelände lässt sich sicher prima mit den TOS-Systemen beschießen und dann vielleicht dazu noch ein paar “Vater aller Bomben” und ein paar bunkerbrechende schwere Bomben für den unterirdischen Teil abwerfen und in dem Gelände dürfte ziemliche Ruhe herrschen…

Arne Ausländer / 29.04.2022

Auf die Energiekrise wurde ja schon länger eifrig hingearbeitet. Und nicht nur in Deutschland: auch in den USA versucht man - wenn auch teils auf anderen Wegen - dieses Ziel zu errreichen. Die jahrelang geschaffene einseitige Abhängigkeit von russischem Öl und Gas ist nun willkommen: Wir würden ja gern konsequent sein, aber es geht einfach nicht. Was nicht mal falsch ist, schließlich hat man ja dafür gesorgt. Wissentlich natürlich. Genauso wie das Klischee der “bösen russischen Hacker” nur eine Karte im Propagandaspiel ist: alle gehören doch zur Famile. Wie man an Cyber-Polygon sieht. Versteht man im Westen überhaupt, daß im russischen Fachjargon Polygon nicht Vieleck sondern Truppenübungsplatz heißt? Wie aber käme eine zentrale weltweite Übung zur IT-Sicherheit, gerade auch unter militär-strategischen Aspekten, zu einem solchen ziemlich russischen Namen, wenn die Russen nicht Teil des Spiels wären? Was auch zur Sponsornlisten paßt. “The event is hosted by BI.ZONE (Sber Ecosystem) with the support of the World Economic Forum’s Centre for Cybersecurity”, heißt es aktuell auf cyberpolygon .com. Oder auch: “Cyber Polygon is organized by BI.ZONE, an expert in digital risks management (Sber Ecosystem), with the support of the World Economic Forum’s Centre for Cybersecurity and INTERPOL. The training is conducted on an annual basis and will take place for the fourth time in 2022. The central theme this year is Digital Resilience in the Cloud Age.” Die Sber-Bank ist eine der größte in Rußland, “sper” dürfte vom deuteschen “spar” entlehnt sein. - Immer noch Zweifel, daß Putin im Auftrag des Westen diesen Krieg führt? Daß dem WEF egal ist, wer gewinnt, Hauptsache nützliches Chaos? - Man kann es mit der Glaubensfreiheit auch übertreiben, darf das auch. Sollte es aber lieber nicht. Ist gefährlich.

Klaus Keller / 29.04.2022

Ich wasche meine Hände in Unschuld und habe den offenen Brief an den Bundeskanzler unterzeichnet, der bei EMMA veröffentlicht wurde. Davon abgesehen kann man ja russisches Erdgas nutzen das durch Pipelines der Ukraine gepumpt wurde, so das alle profitieren können.

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