Vera Lengsfeld / 06.02.2024 / 12:00 / Foto: Imago / 38 / Seite ausdrucken

Wie man Desinformation umstrickt – und noch schlimmer macht

Wenn man gewisse „Qualitätsmedien" der Fehlberichterstattung und Manipulation überführt, werden die inkriminierten Texte oft heimlich, still und leise umgeschrieben. Hier ein aktuelles Beispiel. 

Auf diesem Blog habe ich eine Analyse über ein mediales Machwerk von praxistipps.focus.de Kategorie Politik, verantwortet von Dagmar Sieberichs, veröffentlicht: Wie man eine Desinformation strickt.

Mittlerweile wurde der Artikel, ganz sicherlich in Reaktion auf meinen Beitrag, abgeändert – es wird aber nach meinem Eindruck nirgendwo deutlich erwähnt. Der Artikel trägt weiterhin das ursprüngliche Veröffentlichungsdatum. Ohne einen Hinweis aus meiner Leserschaft (danke dafür!) hätte ich die Veränderung sicher nicht so schnell bemerkt. Bei mir hat sich auch niemand von praxistipps.focus gemeldet. Gerne liefere ich Ihnen die neu gestrickte Version von Dagmar Sieberichs – ich nehme mir die Freiheit, die geänderten Sätze fett hervorzuheben.

Dagmar Sieberichs:

Seit dem 28. Januar 2023 ist Hans-Georg Maaßen Vorsitzender der Werteunion e.V. Er stand in der Zeit von August 2012 bis November 2018 dem Bundesamt für Verfassungsschutz als Präsident vor. Im November 2018 wurde er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Grund dafür war sein uneindeutiges Verhalten zu Ausschreitungen in Chemnitz im Jahr 2018. Gewalttätige Ausschreitungen entstanden am 26. und 27. August sowie am 1. September 2018 nach einer Auseinandersetzung am Rande des Chemnitzer Stadtfestes, bei der durch Messerstiche ein Mann tödlich und zwei weitere schwer verletzt wurden. Ein Video wurde wenige Stunden nach den Angriffen veröffentlicht. Maaßen bezeichnete die gefilmte Jagd von Rechten auf Migranten als Fake und Desinformation.

Ich persönlich finde die neu gestrickte Version fast noch perfider als den Ursprungstext: Zwar suggeriert praxistipps.focus/Sieberichs nicht mehr, dass der Tote von Chemnitz – das gewaltsames Lebensende am Rande des Stadtfests durch Messerstecher war ja der Auslöser alle folgenden Ereignisse – irgendwas mit den folgenden angeblichen „Hetzjagden“ oder gar mit dem damaligen Verfassungschef Hans-Georg Maaßen zu tun hat. 

Aber praxistipps.focus-Autorin Sieberichs versucht weiter, das von ihr gegen den damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ins Feld geführte Videoschnipselchen von Antifa Zeckenbiss mit der ursprünglichen Bluttat zu verknüpfen: Im Satz nach der jetzt wenigstens nicht als komplette Lüge dargestellten Gewalttat (für die ein Iraker wegen Totschlags zu hoher Haftstrafte verurteilt wurde und ein weiterer Asylmigrant international flüchtig ist), aber was macht Sieberichs stattdessen mit dem „Hase, du bleibst hier“-Handy-Kurzvideo?

Dagmar Sieberichs: „Ein Video wurde wenige Stunden nach den Angriffen veröffentlicht.“ 

Wie schafft man es nur in einen Satz so viele Strickfehler zu bauen? Das in Rede stehende Filmchen wurde nicht wenige Stunden, sondern einige Zeit nach einer großen Demonstration über einen anonymen Linksaktivistenkanal „Antifa Zeckenbiss“ medial gestreut und mit dem Aufreger-Frame „Hetzjagden“ versehen, nachdem das Video in einer Chatgruppe geteilt wurde, von wo es rechtbrechend weitergeben und dann von Antifa Zeckenbiss vermarktet wurde. Für alle, die es nicht gesehen haben: Auf dem Videoschnipsel sieht man die Auseinandersetzung zweier Männer, die damit endet, dass der Demonstrant dem Zuschauer, der zuvor den Trauerzug für Daniel H. beleidigt hat, etwa zehn Meter hinterherrennt und stoppt, ohne ihn berührt zu haben. Die kompletten Hintergründe können Sie in meiner ersten Analyse und den darin enthaltenen Quellen nachlesen.

Die neue Abschlussmasche unserer Desinformationsstrickerin Sieberichs lautet: „Maaßen bezeichnete die gefilmte Jagd von Rechten auf Migranten als Fake und Desinformation.“

Für mich ist das eine infame, groteske Denunziation. Sieberichs postuliert eine „gefilmte Jagd“ – vielleicht sollte auch eine Frau, die für praxistipps.focus schreibt, mal gelegentlich eine Originalquelle ansehen: Keine Ahnung, ob Dagmar Sieberichs in ihrem Leben schon mal auf einer Demonstration oder bei einem Fußballspiel war – die „Hase, du bleibst hier“-Rangelei als „Jagd“ zu bezeichnen, ist infam und ein absolutes Armutszeugnis für die aktuelle Qualität deutschen Journalismus’, wo man offenbar in kollektiv gefühlter Wirklichkeit lebt, die von „Antifa-Zeckenbiss“ Spins gesteuert wird.

So viel zum Thema „Jagd“, aber was ist mit der Denunziationsvokabel „von Rechten“?Welche Belege hat Sieberichs für diese Charakterhinrichtung? Mir fällt nichts ein, auf dem Videoschnipsel gibt es auch keinerlei Belege für die politischen Überzeugungen der Involvierten. (Kleiner Einschub: Die beiden Jungs, die angeblich „gejagt“ werden, zeichnen sich auch nicht durch irgendwelche politischen Auffälligkeiten aus. Warum Dagmar Sieberichs aus dem nicht biodeutschen Äußeren darauf schließt, dass es sich um „Migranten“ handelt, bleibt auch ihr Geheimnis – man erkennt aber eine latent rassistische Denke – biodeutsch aussehende Männer sind „Rechte“, junge Männer, die eher nach Neuköllner oder Bochumer Community aussehen sind für sie natürlich „Migranten“).

Was kann es also sein? Was ist der Beweis für „Jagd von Rechten auf Migranten“? Ist „Hase“ etwa ein rechtsradikales Codewort? „H“ ist natürlich ein sehr verdächtiger Buchstabe! Und Hase enthält zwar nur ein „s“ und nicht zwei, aber das ist sicherlich ein Trick. 

„Hase, du bleibst hier“ ist wahrscheinlich eine rechte Jagdparole, ein rechter Geheimcode, vermutlich das Geheimkommando für die Eröffnung von Hetzjagden von Rechten auf Migranten. Wahrscheinlich eine der brutalstmöglichen rechten Hetzparolen (zumindest seit es den Focus gibt). Bitte verzeihen Sie mir die Ironie. Ich wiederhole hier meinen Appell vom letzten Artikel noch mal.

„Ich fordere focus-Praxistipps-Politik und die Autorin Dagmar Sieberichs auf, den Text „Werteunion Mitglied werden: Was bedeutet das?“ in der bestehenden Form umgehend zu entfernen. Das oben zitierte Umschreiben hat gezeigt, dass Siebenrichs nicht gewillt oder in der Lage ist, die Chemnitzer Ereignisse in gebotener journalistischer Sachlichkeit und Neutralität zu beschreiben.

Frau Sieberichs, ziehen Sie Ihr Machwerk zurück!

Sachsens Generalstaatsanwaltschaft widerspricht Merkel (01.09.2018)

Tichys Einblick fand die Herkunft des Chemnitz-Videos heraus (16.11.2018)

 

Vera Lengsfeldgeboren 1952 in Thüringen ist eine Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Seitdem betätigt sie sich als freischaffende Autorin. 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.

Foto: Imago

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Jörg Müller / 06.02.2024

Die Demokratie ist in der Faust derjenigen gefangen, die die Wahrheit verdrehen und kneten können, wie sie wollen. Die Presse, die Massenmedien herrschen über Deutschland. Oder eher diejenigen, die die Massenmedien beherrschen.

finn waidjuk / 06.02.2024

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, ich fürchte, es wird noch übel mit Ihnen enden. Sie wollen es einfach nicht verstehen. Fakt ist, es GAB eine Hetzjagd in Chemnitz, Corona WAR eine tödliche Pandemie an der Millionen und Abermillionen verstarben, wir WERDEN alle in einer großen Klimakatastrophe verbrennen und bei einer öffentlichen Geheimkonferenz in Potsdam brüllten Nazis immer wieder im Chor “Deportation, Deportation, Deportation”. So werden Sie nie die richtige Antwort auf die alles entscheidende Frage “Wie viele Finger siehst Du, Vera” herausfinden.

Burkhard Mundt / 06.02.2024

Unglaublich. “Gefilmte Jagd auf Migranten”: Behauptung, dass dieses Filmchen eine “Jagd” dokumentieren würde, deren damit (Achtung Suggestion) bewiesene Existenz Maaßen dennoch als “Fake und Desinformation bezeichne” ... und sich damit als Lügner oute (wiederum Suggestion). Wo hat Sieberich diese Manipulationstechnik gelernt? Gibt es dafür bereits einen Studiengang?

Stefan Ahrens / 06.02.2024

„Hase, du bleibst hier“ ist inzwischen ein fast ebenso beliebtes Internet-Meme wie „Go, Brandon“. Hat „Potsdam“ auch schon eins? Solche Sätze stehen für den immer weiter aufreißenden Graben zwischen Realität und offiziellem „Narrativ“ (wie passend dieser Modebegriff doch tatsächlich ist)! Wie breit kann dieser Graben noch werden, ohne die ganzen Polit-Halb- und Viertelwahrheiten hinab in die Tiefe zu reißen? Ab welchem Punkt hat es die DDR ruiniert?

Karl Emagne / 06.02.2024

Die einzig vernünftige Reaktion ist, den focus nicht mehr zu lesen. Wenn die Ordnung der alten Bundesrepublik zu Grabe getragen werden muss, dann bitte auch die Institute der Systempresse.

Elizabeth Bennett / 06.02.2024

“The past was erased, the erasure had been forgotten, the lie became the truth.” (Orwell)

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