Von Wolfgang Zoubek
ウォルフガング ツオウベク
Zum Amtsantritt des neuen Kaisers – in Japan Tennō genannt – gab es zehn Tage frei für alle. Die Inthronisierung fand in der sogenannten „Goldenen Woche“ statt. Zwischen 29. April und 5. Mai fallen einige Feiertage hintereinander. Wenn es sich günstig ausgeht, kommt man in der Woche mit ein bis zwei Fülltagen auf acht freie Tage. Da geht sich schon eine Reise aus, deshalb sind in dieser Zeit Autobahnen, Züge und Flughäfen regelmäßig überfüllt. Dieses Jahr gab es aber noch drei Feiertage extra. Gelegenheit ohne zusätzlichen Urlaub zehn freie Tage am Stück abzufeiern. Kaufhäuser, Supermärkte und dergleichen sperren an Sonn- und Feiertagen in Japan allerdings nicht zu. Manche Laden-, Hotel- oder Restaurantbesitzer witterten aber für dieses Jahr ein gutes Geschäft und stellten sogar zusätzliche Aushilfskräfte ein.
Leider gab es kein Kaiserwetter, weder zur Abdankung noch zur Thronbesteigung. Beide Feierlichkeiten fanden mit geladenen Gästen im Kaiserpalast in Tokyo unter Ausschluss der Bevölkerung statt. Das Fernsehen war dabei und zeigte einige Reden, aber alles wirkte steif und zeremoniell. Die Thronbesteigung verlief fast spiegelgleich wie die Abdankung. Das Kaiserpaar präsentierte sich nicht in historischen Gewändern wie noch beim letzten Thronwechsel. Der neue Tennō trug einen schwarzen Frack wie sein Vater. Und die Leute auf der Straße hatten nur bei einem kurzen Autokorso Gelegenheit, die kaiserliche Familie zu bewundern.
Der Thronwechsel bedeutete im wahrsten Sinne des Wortes eine Zäsur. Es begann damit eine neue Zeitrechnung. In Japan ist neben dem gregorianischen Kalender auch eine japanische Jahreszählung gebräuchlich. Mit der Inthronisierung am 1. Mai sprang das Jahr Heisei 31 auf das Jahr Reiwa 1, und damit waren ebenfalls einige Feierlichkeiten verbunden. Heisei hieß ‚Frieden überall‘ und war die Devise der endenden Amtszeit, die neue bedeutet ‚beginnender Frühling‘. Die Devise durfte der Tennō aber nicht selbst auswählen, soviel Entscheidungsgewalt hat er nicht. Laut Verfassung gilt er nicht als Oberhaupt, nur als Symbol des Staates, nimmt in dieser Funktion aber respräsentative Aufgaben wahr. Zum Beispiel die offizielle Ernennung des Premierministers, die Entgegennahme der Akkreditierungsschreiben der Botschafter, er empängt Staatsbesuche und absolviert auch selbst welche.
Es war ein Novum, dass der Tennō zu Lebzeiten den Thron seinem Sohn überließ.In früheren Jahrhunderten war das nicht ungewöhnlich, doch für die japanische Neuzeit wurde damit ein Präzendenzfall geschaffen. Den alten Tennō dürften gesundheitliche Probleme zu seinem Entschluss bewogen haben, zuletzt wirkte er aber wieder erholt. In den letzten Monaten gab er in Begleitung seiner Frau quasi eine Abschiedstournee durch verschiedene Präfekturen, und immer wurden Bilder gezeigt, wie am Straßenrand die Leute jubelten.
Überzeugender als der penetrante deutsche Schuldkult
Es lag auch an seiner langen Amtszeit, dass viele seinen Abgang nostalgisch sahen. Im Fernsehen liefen zuletzt einige Retrospektiven über die Heisei-Zeit. In Deutschland entspräche das den Jahren vom Fall der Mauer bis heute. Der Tennō wirkte in dieser Zeit als Identifikationsfigur, weil er sich von der Tagespolitik fern hielt und nie polarisierend äußerte. Er hätte sich nie angemaßt wie ein deutscher Bundespräsident, seine Landsleute in Hell- und Dunkeljapaner einzuteilen.
Seinem Vater hing noch nach, dass er für den Eintritt Japans in den Zweiten Weltkrieg verantwortlich war. Doch dem zurückgetretenen Tennō, der 1933 geboren noch den Krieg als Kind miterlebt hatte, glaubte man sein vorbehaltloses Eintreten für den Frieden. Er besuchte in den letzten Jahren mehrere ehemalige Kriegsschauplätze, verbeugte sich vor den Opfern und betonte, dass er für den Frieden und die Seelen der Gefallenen beten wolle. Japan wird oft vorgeworfen, dass es Kriegsgreuel seiner Soldaten gern unter den Teppich kehrt, und sich lieber als Opfer der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki darstellt. Die schlichten Gesten des Tennōs konnten auch nichts ungeschehen machen, wirkten aber überzeugender als der penetrante Schuldkult deutscher Provenienz.
Um die besondere Stellung des Tennōs zu verstehen, muss man bedenken, dass es in der japanischen Geschichte nie zu einem Dynastiewechsel kam. Den alten Mythen nach wird der Tennō als direkter Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami angesehen, und er ist damit auch das spirituelle Oberhaupt des Shintō. Japan ist zwar ein säkularer Staat und Shintō keine Staatsreligion. Doch es ist ein Volksglaube, und zieht man in Betracht, wie viele Shintō-Schreine es landauf landab gibt – von kleinen unscheinbaren in der Natur bis hin zu großen Kulturdenkmälern in den Städten – dann lässt sich ermessen, dass der Tennō seine integrierende Kraft auch daraus bezieht.
Er spendet zwar keinen Segen urbi et orbi wie der Papst in Rom, tritt aber immer wieder als Seelenhirte auf. Etwa wenn er Taifun- oder Erdbebenopfer, die ihre Häuser und/oder Angehörigen verloren haben, besucht und tröstende Worte für sie findet. Nach der Katastrophe in Fukushima sprach er in einem Fernsehauftritt seinen Landsleuten Mut zu. Aber auch in Neujahrsansprachen verkündet er immer wieder, dass er für den Frieden auf der Welt und für das Wohlergehen Japans bete.
Einen zusätzlichen Feiertag an Kaisers Geburtstag
Daneben nimmt der Tennō zeremonielle Aufgaben wahr, die mit den ihm von Amaterasu übertragenen Pflichten zusammenhängen. Eine davon ist das Erntedankfest am 23. November. Der Tennō dankt an dem Tagden japanischen Göttern für die diesjährige Reisernte und opfert ihnen zu dem Anlass. Der Tradition gemäß soll die Zeremonie im ersten Amtsjahr eines Tennōsgrößer ausfallen als sonst, deshalb wurde schon im Vorfeld die Frage gestellt: Wer soll das bezahlen? Der Premierminister beeilte sich zu versichern, der Staat hat dafür das Geld.
Mit der Frage, was der Spaß die Japaner kostet, wird aber ein heikler Punkt berührt, und es darf nicht verschwiegen werden, dass die Apanage der kaiserlichen Familie fürstlich ist. Dem kaiserlichen Haushalt stehen im Jahr 324 Millionen Yen (das sind rund 3 Millionen Euro) zur Verfügung. Doch eine weitaus größere Summe, 8 Millionen Euro, fällt für die Repräsentationsaufgaben des Tennōs an.
Da kann man schon mal ins Grübeln kommen und nachrechnen, ob man mit einem Bundespräsidenten nicht besser wegkommt. Es wäre eine Frage der Abwägung, ob man auf den luxuriösen Wilhelm verzichtet, und dafür lieber den wohlfeilen Frank-Walter in Kauf nimmt. Wählen kann man letzteren auch nicht, aber er macht es billiger, und nach ein paar Jahren ist man ihn wieder los. Nachteil ist nur der, dass wegen der begrenzten Amtszeiten noch Ruhegehälter für ein paar Expräsidenten auflaufen können.
Das besondere Zuckerl zum Schluss. Die zehn freien Tage zum Amtsantritt gab es nur einmal, aber dafür gibt es von nun an jedes Jahr einen zusätzlichen Feiertag an Kaisers Geburtstag.
Nachtrag: Wenige Tage vor dem Thronwechsel ereignete sich ein Vorfall an der Schule, die der Neffe des neuen Tennōs besucht. Ein Mann hatte sich in das leere Klassenzimmer geschlichen und ein Messer an dessen Schulbank deponiert. Der Eindringling konnte verhaftet werden, sein Motiv blieb jedoch unbekannt. Der Fall wurde von den Medien nicht dramatisiert, ist aber insofern brisant, als der Neffe die neue Nr. 2 der Thronfolge ist. Das Ereignis könnte darauf hindeuten, dass gewisse Kreise der Kaiserfamilie gegenüber nach wie vor negativ eingestellt sind.