Wolfgang Zoubek, Gastautor / 11.07.2022 / 14:00 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Nach dem Mord an Shinzō Abe – Das Wahlergebnis in Japan

Die Wahl am 10. Juli war überschattet vom Mord an Shinzō Abe zwei Tage zuvor. Die Regierungspartei LDP, Liberaldemokratische Partei, gewann erneut. Ein Bericht über die politische Gemengelage in Japan, die auch für Deutschland interessant ist. 

Die Wahl am 10. Juli war überschattet vom Mord an Shinzō Abe zwei Tage zuvor. Die Regierungspartei LDP, Liberaldemokratische Partei, hat, was so nicht erwartbar war, die Wahl gewonnen und gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner die absolute Mehrheit unter den neu gewählten Sitzen erreicht. Mit der Unterstützung von zwei kleineren konservativen Parteien wäre auch eine Zweidrittel-Mehrheit möglich für das umstrittene Unterfangen, den Artikel 9 der Verfassung, der militärische Einsätze im Ausland verbietet, zu ändern. In der Bevölkerung findet dieser Plan allerdings nur bei einer relativen Mehrheit von 45 Prozent Zustimmung.

Das Hauptthema des Wahlkampfs war zweifellos die wirtschaftliche Situation Japans, die alles andere als rosig ist. Die Oppositionsparteien übten heftige Kritik an der unzureichenden Bekämpfung der Inflation, und nach starken Preisanstiegen waren bei Meinungsumfragen die Beliebtheitswerte für den Premierminister Kishida signifikant gesunken. Doch diejenigen, die zur Wahl gingen, scheinen weiterhin der wirtschaftlichen Kompetenz der Regierung zu vertrauen.

Kishida hat die Bürger aufgefordert, nach dem Mord an Abe mit ihrer Wahl ein Zeichen für die Demokratie zu setzen, und offenbar stimmte ein Teil der Wähler aus Solidarität, die es ohne den Anschlag vielleicht nicht gegeben hätte, für die LDP. Angeblich zeigte eine Umfrage, dass die Unterstützung für die LDP in den letzten zwei Tagen vor Wahl wieder angestiegen war.  Andererseits lag die Wahlbeteiligung nur bei 27,4 Prozent, dies spielte angesichts der Zersplitterung der Opposition in viele Klein- und Kleinstparteien der LDP in die Karten. 

Da nach der Unterhauswahl 2021 und der diesjährigen Oberhauswahl, sich die Regierung für die nächsten drei Jahre keiner Wahl mehr stellen muss, bedeutet das für Kishida freie Hand als Regierungschef, doch ein überzeugendes Zeichen für die Demokratie war die geringe Wahlbeteiligung nicht. 

Rätselraten über den Attentäter

Kurzer Exkurs zum Mordanschlag auf Abe: Über den Attentäter gibt es in der Zwischenzeit mehr Informationen, die aber immer noch kein schlüssiges Bild ergeben. Er lebte bisher als unauffälliger Bürger, nach seinem Schulabschluss gehörte er drei Jahre den japanischen Selbstverteidigungskräften an, doch wovon er in den Jahren danach seinen Lebensunterhalt bestritt, ist nicht bekannt. Man weiß nur, dass er bis April dieses Jahres einige Monate für eine Firma gearbeitet, dann aber aus freien Stücken gekündigt hatte. Nachbarn berichteten, dass in den letzten Wochen wiederholt Arbeitsgeräusche aus seinem Appartement drangen, da er wohl mit der Herstellung seiner Mordwaffe beschäftigt war.

Zu seinem Motiv verlautet nichts Neues, dafür gibt es immer mehr Gerüchte. Sein Vater soll bereits verstorben sein, und seine Mutter sich einer Sekte angeschlossen haben, der sie Geld spendete. Dies hätte ihn verbittert, und da er der Sekte die Schuld an der Zerrüttung des Familienlebens gab, hätte er sich mit dem Gedanken getragen, den Sektenführer zu ermorden. Irgendwann soll er den Plan aufgegeben und sich stattdessen entschlossen haben, auf Shinzō Abe, den er in irgendeiner Weise für mitverantwortlich hielt, einen Anschlag zu verüben. 

Diese Erklärung enthält aber eine doppelte Unlogik. Erstens ist über diese Sekte nichts bekannt, sie wirkt wie ein Phantom. Sie hat keinen Namen und kein Vertreter dieser Sekte hat sich bisher geäußert. Und was Abe mit dieser Sekte zu tun haben sollte, ist noch unklarer. Zweitens wäre es wohl einfacher gewesen, den Sektenführer zu ermorden, als einen bekannten Politiker bei einer öffentlichen Wahlveranstaltung. 

Ursprünglich soll der Attentäter einen Bombenanschlag geplant, den Gedanken aber wieder verworfen haben. Wenn er nicht geistig verwirrt war, sondern wirklich ein Anliegen hatte, auf das er aufmerksam machen wollte, dann hätte ein Anschlag auf einen prominenten Politiker in der Öffentlichkeit eine viel größere Resonanz gefunden. Zumindest würde dies seine Tat nachvollziehbar machen, doch in dieser Hinsicht gibt es keine Anhaltspunkte, denn ein politisches Motiv soll er nicht gehabt haben.

Das komplette Versagen der Sicherheitspolizei

Dass sein Mordanschlag erfolgreich war, verdankte er jedoch nur der Nachlässigkeit des Sicherheitspersonals. Hätte die Security Police ihren Job gemacht, wäre das Attentat nicht gelungen. Das komplette Versagen der Sicherheitspolizei war von Anfang an offensichtlich, wurde aber erst am nächsten Tag von den Medien thematisiert. Wie auf mehreren Bildern dokumentiert, hielt sich der Attentäter seit 10 Uhr an dem Veranstaltungsort auf und war von Beginn an dabei. Er wechselte mehrmals seinen Standplatz, um die aussichtsreichste Stelle für seinen Anschlag auszukundschaften. 

Kurz nachdem Abe das Mikrofon ergriff und mit seiner Rede begann, näherte sich der Attentäter von hinten, nahm seine Waffe aus einer Umhängetasche, und machte, ehe er schoss, mit der Waffe im Anschlag einige Schritte über ein freies Straßenstück auf Abe zu. Dies war offenbar keinem der Sicherheitsbeamten aufgefallen, denn als es zum ersten Mal knallte, zogen alle Umstehenden nur die Köpfe ein.

Normalerweise sind Angehörige der Security Police dazu da, ständig das Publikum zu beobachten, ob sich jemand verdächtig verhält. Dies war ganz offensichtlich nicht der Fall. Zwischen dem ersten und zweiten Schuss lagen zwar nur drei Sekunden, aber auch da war keine Reaktion zu bemerken, weder bewegte sich jemand auf den Attentäter zu, noch wurden Anstalten gemacht, Abe von seiner exponierten Position auf dem erhöhten Podest herunter zu ziehen. Die Polizei von Nara versuchte, dies mit Personalmangel zu begründen.

Zwischen den Wahlen ein einschneidender weltpolitischer Wandel

Zurück zur Wahl: Wie erwähnt, hatte Ende Oktober 2021 in Japan eine Parlamentswahl stattgefunden, bei der es für die regierende LDP um viel ging, denn der neue Premierminister Kishida war erst kurz zuvor ins Amt gekommen und sollte nun durch die Wahl bestätigt werden. Im Vergleich dazu war die Oberhauswahl 2022 weniger bedeutend. In Japan wird alle drei Jahre nur die Hälfte der Oberhaussitze neu gewählt, ein abrupter Mehrheitswechsel soll damit ausgeschlossen werden. Doch fand zwischen den beiden Wahlen ein einschneidender weltpolitischer Wandel statt.

Ende 2021 waren die Nachwirkungen der Corona-Pandemie das Hauptthema. Es hatte das ganze Jahr über ein Auf und Ab bei den Infektionszahlen gegeben, doch im Wahlkampf für die Parlamentswahl spielten nur die Folgen der Corona-Krise für die Wirtschaft eine Rolle. Der neue Premierminister Kishida propagierte einen „neuen Kapitalismus“, mit dem er die wirtschaftliche Krise meistern wollte. Er wollte Start-ups unterstützen, aber auch den Familien mehr soziale Wohltaten zukommen lassen.

Nach der Wahl von 2021 kehrte Corona mit der Omikron-Variante mit Macht zurück, und auch derzeit sind die Infektionszahlen mit der BA.5 Variante wieder im Ansteigen begriffen, doch nur noch für 10 Prozent der Japaner war die Angst vor Corona ein wahlentscheidendes Thema. Inzwischen ist man in Japan bei der siebten Welle angelangt, und es wird eine vierte Impfung für Senioren empfohlen, doch die Infektionszahlen, die vor zwei Jahren noch Katastrophenalarm ausgelöst hätten, sind nun nur noch business as usual. 

Sorge um die militärische Sicherheit Japans.

Die Sorgen um die Wirtschaft sind aber geblieben und haben sich durch den Krieg in der Ukraine weiter erhöht. Aus japanischer Sicht ist die Ukraine zwar weit weg, der russische Angriff bestimmt dennoch seit Monaten die Schlagzeilen. Japan nahm eine dreistellige Zahl von ukrainischen Flüchtlingen auf und leistete auch finanzielle Unterstützung für die Ukraine. Der Krieg und seine Opfer wurde anfangs medial sehr breit getreten, inzwischen ist das aber wieder etwas in den Hintergrund gerückt. Dafür stieg die Sorge um die militärische Sicherheit Japans. Die Regierung kündigte eine Erhöhung des Militär-Etats an und bemühte sich verstärkt um eine Zusammenarbeit mit der NATO. Wobei allerdings weniger Russland als Bedrohung empfunden wird, sondern in erster Linie Nordkorea mit seinen provokativen Raketentests, und in zweiter Linie China, das seine Stützpunkte im südchinesischen Meer immer weiter ausbaut.

Das dominierende Wahlkampfthema im Juli 2022 war aber die zunehmende Inflation. Bereits kurz nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine waren die Preise an den Tankstellen gestiegen und hatten Rekordhöhen erreicht. Der Anstieg schien anfangs nicht zu bremsen, doch inzwischen haben sich die Preise, wenn auch auf hohem Niveau, stabilisiert. Die Tarife für Strom und Gas wurden ebenfalls spürbar teuer, und auch die Preise im Supermarkt stiegen. Dies betrifft vor allem Importprodukte, denn der Yen verlor zuletzt gegenüber Dollar und Euro stark an Wert.

Dem Premierminister Kishida trieb das aber keine Sorgenfalten auf die Stirn. Er versprach, alles zu unternehmen, damit die Preise für Energie- und Lebensmittel nicht weiter steigen, konkrete Maßnahmen gegen die Teuerung blieb er aber schuldig. Stattdessen versuchte er mit Außenpolitik zu punkten. Er war im Juni in Elmau beim G 7 Treffen und auch beim NATO-Gipfel in Madrid. 

Für die LDP, die sich immer ihrer wirtschaftlichen Kompetenz rühmt, bildete die Inflation und die Schwäche des Yen im Wahlkampf eine offene Flanke, alle anderen Parteien schossen sich deswegen auf die Regierung ein. Kishida begnügte sich, darauf hinzuweisen, dass die Inflation in Japan im Vergleich zu Europa oder Amerika gering sei, doch viele Leute spürten die Teuerung dennoch im Geldbeutel. 

Von Russland als unfreundlicher Staat eingestuft

Von den Oppositionsparteien wurde eine Aussetzung oder zumindest temporäre Senkung der Mehrwertsteuer verlangt, und diese Forderung wurde laut Umfragen von drei Viertel der Japaner geteilt. Doch Kishida lehnte ein Nachgeben in diese Richtung ab. Es hatte für die LDP, damals noch mit Premierminister Abe, zähe Kämpfe bedeutet, die Mehrwertsteuer in kleinen Schritten bis auf 10 Prozent zu erhöhen, Kishida wollte es sich offenbar nicht antun, diese Kämpfe zu wiederholen.

Als der Ukraine-Krieg ausbrach, hatte sich Kishida sofort auf die amerikanische Seite gestellt. Das öffentlich rechtliche Fernsehen NHK brachte statt eigener Korrespondentenberichte Ausschnitte aus amerikanischen Fernsehnachrichten. Weiters liefen die täglichen Videos von Selenskyj mit japanischen Untertiteln. Russische Medien kamen nur zu Wort, wenn es um innerrussische Proteste gegen den Krieg ging, oder Verluste an Menschenleben und Material eingeräumt wurden. 

Die prompte russische Reaktion darauf war, dass Japan als unfreundlicher Staat eingestuft und Kishida in Russland zur unerwünschten Person erklärt wurde. Als ehemaliger japanischer Außenminister war Kishida auf seine guten internationalen Beziehungen stolz, doch diese Politik endete in einem Scherbenhaufen. Putin brach einseitig die bereits seit Jahrzehnten laufenden Friedensverhandlungen über die Rückgabe der Kurileninseln ab. Erste Gespräche hatten schon im Kalten Krieg begonnen, unter Boris Jelzin waren sie intensiviert worden und auch Putin hatte sie fortgesetzt. Für den ehemaligen Premierminister Abe waren die Verhandlungen Chefsache, und er hatte bei den 1945 von den Inseln vertriebenen Menschen Hoffnungen geschürt, dass sie eines Tages in ihre ehemalige Heimat zurückkehren könnten. Daraus wird nun in absehbarer Zeit nichts mehr.

Und Putin holte zu einem weiteren Schlag aus. Japan hatte sich an den Sanktionsmaßnahmen gegen Russland beteiligt, davon jedoch eine Kooperation von japanischen Firmen mit Gazprom zur Ausbeutung von Gas- und Ölvorkommen auf Sachalin ausdrücklich ausgenommen. Ende Juni verkündete Putin jedoch dieses – Sachalin 2 genannte – Projekt in eine neue Gesellschaftsform überführen zu wollen. Dies könnte für die beiden daran beteiligten japanischen Firmen Mitsui und Mitsubishi bedeuten, dass sie damit aus dem Geschäft gedrängt und um ihre Milliardeninvestitionen gebracht werden.

Putin an allen Fronten auf der Siegerstraße

Auch dieses Projekt war bereits in der Jelzin-Ära beschlossen worden. Es waren damals große Öl- und Gasfelder nördlich von Sachalin entdeckt worden, und ein internationales Konsortium sollte die Förderung finanzieren. Gazprom war ursprünglich kein Teilhaber an dem Projekt, stieg jedoch 2006 unter Mithilfe Putins ein. Gazprom bot im Gegenzug den Tausch von Beteiligungen an anderen Gasfeldern an. Als Ergebnis übernahm Gazprom 50 Prozent, Shell hielt 27,5 Prozent, Mitsui 12,5 Prozent und Mitsubishi 10 Prozent. Im Jahr 2009 nahm dann die Flüssiggasanlage Sachalin 2 ihren Betrieb auf.

In dem internationalen Wirtschaftskrieg der derzeit parallel zum Ukrainekrieg stattfindet, scheint Putin an allen Fronten auf der Siegerstraße zu sein, denn die Staaten, die sich an den Sanktionen beteiligten, schaden sich damit nur selbst. Kishida hatte einen Spagat versucht, wurde aber trotzdem auf dem falschen Fuß erwischt. Denn obwohl Japan nicht so stark abhängig von russischen Energieimporten wie Europa ist – nur 4 Prozent der Ölimporte und 8 Prozent der Gasimporte kommen aus Russland – lag der Vorteil für Japan darin, dass für Sachalin 2 langfristige Lieferverträge bestanden, sodass die Lieferungen von keinerlei Preiserhöhungen betroffen waren. Wenn sich Japan auf dem internationalen Markt nach anderen Gasimporten umsehen muss, wird das teuer. 

Die Haltung Kishidas gegenüber Russland hat ihm bei den Wählern nicht geschadet. Sollte Japan jedoch vom Sachalin 2 Projekt ausgeschlossen werden, bedeutet das nicht nur für die beteiligten japanischen Firmen Verluste, sondern die Energiepreise würden weiter ansteigen. Für kleine und mittlere Unternehmen haben die Preissteigerungen heute schon negative Auswirkungen. Landwirtschaftliche Betriebe klagen seit Monaten darüber, dass Diesel und Gas zu teuer sind, und sich dies auch auf die Lebensmittelpreise auswirkt. 

Der Chef der Japanischen Zentralbank, Kuroda, setzte seit seinem Amtsantritt im Jahr 2013 im Einverständnis mit der LDP auf einen schwachen Yen und propagierte ein Inflationsziel von zwei Prozent. Inzwischen sind die zwei Prozent schon überschritten, doch er äußerte in sehr herablassendem Ton, dass die Japaner dies hinzunehmen hätten. Erst nach einer Protestwelle ruderte er zurück, bezeichnete die Schwäche des Yen als „nicht wünschenswert“, unternahm aber nichts, um den Yen zu stärken.

Inflation und schwacher Yen

Kuroda hat Interesse an einer stärkeren Inflation, denn Japan ist inzwischen mit 270 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet und damit der Staat mit den höchsten Schulden weltweit. Das ging bisher gut, weil Japan nur in Yen verschuldet ist. Inzwischen hält die Zentralbank bereits einen Anteil von 50 Prozent der Staatsschulden, denn sie kauft seit 2002 japanische Staatsanleihen vom Markt und wurde damit zum Vorbild für die Europäische Zentralbank. Um die starke Verschuldung zu dämpfen, hatte die japanische Regierung in mehreren Schritten die Mehrwertsteuer erhöht. Mit derzeit 10 Prozent liegt sie aber immer noch niedriger als in europäischen Ländern. Alle Versuche, sie weiter zu erhöhen, stießen sowohl in der Bevölkerung als auch bei der Opposition auf starken Widerstand. 

Inflation und schwacher Yen scheinen in Kurodas Interesse zu sein, denn während es in den USA aufgrund von Inflationssorgen zu Zinserhöhungen kam und auch Europa dieser Politik zögerlich folgt, lehnte Kuroda dies mit dem Argument ab, dass höhere Zinsen der japanischen Wirtschaft schaden würden und hoch verschuldete Firmen in den Ruin treiben könnten. 

Um die Corona-Krise abzufedern, waren 2020 vielen Unternehmen zinslose Kredite gewährt worden. Das hatte dazu geführt, dass in den Jahren 2020/21 die Insolvenzen abnahmen und auf einen historisch niedrigen Stand fielen. Doch seit 2022 steigt die Zahl insolventer Unternehmen wieder an, denn viele Firmen sind mit der Rückzahlung der Kredite überfordert. 80 000 Betriebe sollen von finanziellen Problemen betroffen sein. Das bedeutet, dass 2020 durch die Coronahilfen auch eine große Zahl von Firmen gerettet wurden, die schon damals nicht mehr überlebensfähig waren. Die Zombifizierung der Wirtschaft schreitet daher auch in Japan immer weiter voran.

Statt jedoch auf die systemimmanenten Schwächen der japanischen Wirtschaft einzugehen, wurden kurz vor der Wahl Corona-Betrugsfälle groß thematisiert. Kriminelle, die in großem Maßstab illegal Corona-Hilfen eingestrichen hatten, wurden zum Teil in demütigender Weise vor Kameras vorgeführt, um den Publikum zu beweisen, dass die Politik das Steuergeld nicht leichtfertig verschwendet hat. In einem Fall waren es allerdings die Behörden selbst, die irrtümlich einen großen Betrag auf ein Privatkonto überwiesen hatten, und die Schuld des Kontoinhaber bestand nur darin, das Geld nicht sofort retourniert zu haben. Die Botschaft sollte sein, dass kein Betrüger davonkommt, weil sich der Staat alle erschlichenen Gelder wieder zurückholt.

Auslands-Reisen derzeit unerschwinglich

Im Wahlkampf begnügte man sich mit Schwarz-Weiß-Argumenten. Komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge wurden nicht angesprochen, nur die Auswirkung der Teuerung auf den privaten Konsum war das große Thema. Nicht thematisiert wurde, dass nicht nur die Inflation, sondern auch der schwache Wechselkurs des Yen vor allem gegenüber dem Dollar die Kaufkraft der Japaner schmälert. Im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten stiegen die Kosten für Reisen ins Ausland stark an, für viele Japaner sind sie derzeit unerschwinglich. Flugtickets kosten um 50 bis 100 Prozent mehr, und beim Geldwechsel bekommt man 15 bis 20 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Das scheint aber politisch gewollt zu sein, denn nach zwei Jahren Stillstand in der Tourismusbranche sollen die Japaner ihr Geld, sofern sie noch welches haben, gefälligst im Land lassen und nicht im Ausland ausgeben. 

Dazu kommt, dass es in Japan schon seit Jahren keine nennenswerten Lohnerhöhungen mehr gab. Zählt man zwei und zwei zusammen, sieht es so aus, als würden Kishida und Kuroda unter dem Deckmantel der Krise einen Wohlstandsverlust breiter Schichten der Bevölkerung nicht nur in Kauf nehmen, sondern geradezu intendieren.

Stattdessen wird behauptet, die Teuerung wäre nur vorübergehend. Man wusste aber schon seit Monaten, dass die Energie knapp zu werden droht. Schon vor Beginn des Ukrainekriegs, als die USA noch vor einem russischen Angriff auf die Ukraine warnten, hatte Kishida grünes Licht gegeben, für Japan bestimmte Flüssiggastransporte nach Europa umzuleiten, falls dort die Versorgung knapp werden würde. Dafür wurde in Japan für den Sommer Energiesparen propagiert. Gas wird in Japan nicht nur zum Kochen und Heizen verwendet, sondern dient auch zur Stromerzeugung, denn Gaskraftwerke müssen einen Teil der ausgefallenen Atomkraftwerke ersetzen. 

Die Forderung nach Stromsparen wurde jedoch dadurch konterkartiert, dass in diesem Jahr die Regenzeit ausfiel, was zu Rekordtemperaturen von teilweise 40 Grad bereits Ende Juni führte. Deswegen wurde empfohlen, die Klimaanlagen auch in der Nacht laufen zu lassen, sonst droht Hyperthermia. Bevor die Covid 19 Panik losging, war in Japan jeden Sommer Hyperthermia das tägliche Schreckgespenst, und wurden die Zahlen angegeben, wieviel Leute deswegen hospitalisiert werden mussten oder daran starben. Meist erwischte es Leute, die sich beim Sport oder bei der Arbeit in der prallen Sonne überanstrengt hatten. Ältere Menschen können jedoch auch während des Schlafs im warmen Zimmer davon betroffen sein. Tag und Nacht laufende Klimaanlagen verursachen in Japan aber einen enormen Stromverbrauch, der mit Einsparungen in anderen Bereichen kaum zu kompensieren ist.

Ein Verbot von Verbrennerautos verlangt in Japan niemand 

Japanische Politiker sind große Phrasendrescher, sie glauben, es ihrem Beruf schuldig zu sein, komplizierte Sachverhalte simplifiziert darzustellen. Es gab Politiker, die nicht nur forderten, die Mehrwertsteuer abzuschaffen, sondern die auch Helikopter-Geld verteilen wollten, um die Teuerung zu bekämpfen. Den Vogel schoss aber die Spitzenkanditatin der Sozialisten ab, die den Satz abließ, Politik wäre dazu da, die Menschen glücklich zu machen. Wer das glaubt, wählt in Japan sozialistisch, und diese Partei wurde immerhin mit einem Sitz, von 125 zu vergebenden, im Oberhaus belohnt.

Frauenpolitik spielte im Wahlkampf nur insofern eine Rolle, als betont wurde, dass eine Erhöhung der Zahl weiblicher Abgeordneter wünschenswert wäre, aber eine Frauenquote stand nicht zur Debatte. Und zur abschließenden Ergänzung sei gesagt, was für Themen bei dieser Wahl keine Rolle spielten. Das waren Klimawandel, Gender-, Trans- und LGBTQ-Politik. Für die Steckenpferde der deutschen Grünen interessiert sich in Japan keiner, daher gibt es auch keine grüne Partei. Es betonen zwar alle, dass sie für Umweltschutz sind, und Maßnahmen gegen den Klimawandel werden gerne gefordert, doch bleibt es meist bei Lippenbekenntnissen. Ein Verbot von fossiler Energie oder ein Verbot von Verbrennerautos verlangt in Japan niemand. 

LGBTQ-Themen werden zwar vereinzelt auch in Mainstream-Medien aufs Tapet gebracht, aber die Mehrheit der Japaner will davon nichts wissen, denn die meisten empfinden das Zurschaustellen sexueller Präferenzen abstoßend. Mit einem androgynen Image zu spielen, ist in Mangas und in anderen Formen der populären Kultur zwar gang und gäbe, doch der Hype, sich im falschen Körper gefangen zu fühlen, ist in Japan noch nicht angekommen. Es gab im Vorfeld der Wahl zwar Forderungen zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Lesbische Paare hatten die Genehmigung zur Heirat vor regionalen Gerichten durchsetzen wollen. Doch den Anträgen wurde nicht statt gegeben, und das Japanische Verfassungsgericht hat sich mit dieser Frage überhaupt noch nicht beschäftigt. 

Man kann angesichts dessen die japanische Gesellschaft für rückständig erklären, und sicherlich spielen der Anpassungsdruck und der Zwang zum Normverhalten dabei eine große Rolle. Wer gegen Normen verstößt, macht sich in Japan keine Freunde. Man kann es aber auch als Zeichen dafür sehen, dass der Hausverstand noch nicht über Bord geworfen wurde. Denn so wie in Deutschland biologische Fakten mit juristischen Mitteln außer Kraft setzen zu wollen, setzt schon ein großes Maß an Realitätsverweigerung voraus.

Foto: Pixabay

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Ralf.Michael / 11.07.2022

Der grosse Unterschied zu Deutschland : Es sind keine Grün-Roten N**is in der Regierung. FFF und Strassen-Aufkleber sind hier undenkbar (da werden höfliche Japaner ganz schnell zu unhöflichen Japanern). Antifa gibt es hier. Gender und Klimaspinner sind nur minimal vorhanden und der Strom kommt (via Steckdose) überwiegend vom AKW.  Ich bin hier ganz zufrieden, auch mit der Regierung.

Dr Stefan Lehnhoff / 11.07.2022

Die speziellen Umstände erlauben Japan seit 35 Jahren die finanzielle Repression. Aber auch das wird in eine Katstrophe wie bei uns oder in den USA führen, die auch nach außen spektakulär ist. Eigentlich ist es ja schon die ganze Zeit eine Zeitlupenkatastrophe. Da bin ich eigentlich ganz froh, dass die notwendigen Bürgerkriege in Europa schneller entstehen. Persönlich gebe ich zu: Let‘s be out of the room, before the shit hits the fan.

Ralf Pöhling / 11.07.2022

Wenn man die typisch deutschen Ablenkungsthemen wie Gender & co. mal außen vor lässt und auf die Basis schaut, erkennt man die Parallelen zwischen Deutschland und Japan: Beide haben tendenziell eine sehr hohe Arbeitsmoral und eine Wirtschaft, deren Output die im eigenen Land zur Verfügung stehenden Ressourcen bei weitem übersteigt. Man ist auf die Zufuhr von Rohstoffen und den Außenhandel stärker angewiesen, als Nationen, bei denen geografische Ausdehnung und Wirtschaftsleistung in einem gesünderen Verhältnis stehen. Man schaue zum Vergleich auf die USA und Russland: Beides Nationen, die zumindest theoretisch im eigenen, vergleichsweise großen Territorium mit ihren Ressourcen klar kommen. Zumindest was die Rohstoffversorgung mit den gängigen Rohstoffen betrifft. Die Lösung für Deutschland und Japan gleichermaßen heißt deshalb, die eigenen Ressourcen maximal und intelligent zu erschließen und sich derweil nicht zu sehr an die Russen oder die Amerikaner anlehnen oder sich dagegen auflehnen. Was wiederum bedeutet, dass man seinen eigenen Weg gehen muss, um erfolgreich zu sein. Die Amerikaner sind gegenüber den Interessen ihrer Verbündeten oftmals zu sorglos und regeln zudem vieles mit der Keule. Die Russen haben sich davon anstecken lassen. Und die Chinesen sind so schnell gewachsen, dass sie in eine ähnliche Rolle rutschen werden, damit aber bisher noch nicht wirklich klar kommen. Das bringt alle kleineren Nationen, die entweder auf der einen oder der anderen Seite einer Allianz stehen, derzeit in Bedrängnis. Ganz besonders die, die eine derart hohe Wirtschaftsleistung wie Deutschland oder Japan haben. In Europa gibt es die EU, die das Problem etwas abfedern kann, die Japaner stehen eher allein da. Es wäre zielführend, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Japan auszubauen. Und die militärische Zusammenarbeit. Man muss seine “Aktien” möglichst weit streuen, um maximale Resilienz zu bekommen.

Gerhard Schmidt / 11.07.2022

Hier sind sich wohl alle Verständigen (also die druchblickenden NGO-, NATO- und WEF-Kritiker,) einig: Hunter Biden war´s natürlich wieder, der Schlingel!

Ludwig Luhmann / 11.07.2022

“Wenn er nicht geistig verwirrt war, sondern wirklich ein Anliegen hatte, auf das er aufmerksam machen wollte, dann hätte ein Anschlag auf einen prominenten Politiker in der Öffentlichkeit eine viel größere Resonanz gefunden.”—- Abe ist einer der prominentesten japanischen Politiker überhaupt. Oder habe ich etwas verpasst?

Ludwig Luhmann / 11.07.2022

So sieht Klaus Schwabs erfolgreiche Penetration des Parlamentes Japans aus: Fumio Kishida, Shinzo Abe, Haruhiko Kuroda, (Suga Yoshihide), Kan Naoto, (Hatoyama Yukio), Koizumi Shinjiro und Koichi Hamada sind entweder aktive Mitglieder im WEF oder - in Klammern - mit dem WEF kooperierende. Diese wenigen aber gewichtigen Namen habe ich in 10 Minuten beim WEF herausgefunden. Vermutlich ist das nur die mächtige Spitze des Eisberges. Irgendjemand sollte den Japanern erzählen, wer wirklich über sie herrscht! —- “Der neue Premierminister Kishida propagierte einen „neuen Kapitalismus“, mit dem er die wirtschaftliche Krise meistern wollte. Er wollte Start-ups unterstützen, aber auch den Familien mehr soziale Wohltaten zukommen lassen.” - “Der Chef der Japanischen Zentralbank, Kuroda, setzte seit seinem Amtsantritt im Jahr 2013 im Einverständnis mit der LDP auf einen schwachen Yen und propagierte ein Inflationsziel von zwei Prozent. Inzwischen sind die zwei Prozent schon überschritten, doch er äußerte in sehr herablassendem Ton, dass die Japaner dies hinzunehmen hätten.”

A. Ostrovsky / 11.07.2022

Ich bin jetzt auf dem Eis, aber ich habe die Laufschuhe mit den Spikes an. Ausrutschen kann ich also nicht, höchstens einbrechen, wenn das Eis nicht tragfähig ist. Aber darunter sind nur 50cm Wassertiefe: Also: Ich denke, die Kultur in Japan ist so, dass man bis zum letzten Blutstropfen kämpft und wenn es knapp wird, hilft nur ein Wunder oder Harakiri. Ob es immer nur aktives Harakiri ist, oder ob es auch eine Form des passiven Harakiri gibt, kann ich mangels genauer Verbundenheit mit der Kultur der Samurai nicht entscheiden. Mir fällt auf, dass der Täter sofort isoliert wird und von den “Sicherheitskräften” befragt wird, vermutlich nicht ohne Nachdruck. Dann kommt heraus, dass es kein wirkliches Motiv gibt, also außer Unsinn kein Ergebnis. Hmm. Woher kenne ich das?

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