Gastautor / 02.05.2023 / 16:00 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

Droht in Japan eine Ernährungskrise?

Von Wolfgang Zoubek.

Japan kann sich nur noch zu 38 Prozent selbst versorgen, und das mit sinkender Tendenz. Die internationale Konkurrenz und Landflucht dezimieren die Zahl bäuerlicher Betriebe bedenklich. Sollte ein militärischer Konflikt zwischen China und Taiwan ausbrechen, könnte Japan aufgrund seiner Insellage auch heute wieder von Importen abgeschnitten sein.

Schon seit längerem dachte ich daran, einmal etwas über die japanische Küche zu schreiben, wollte jedoch vermeiden, Herrn Etscheit in die Quere zu kommen. Kürzlich stieß ich aber auf ein Interview mit einem japanischen Agrarwirtschafter, der die Ernährungssicherheit bedroht sieht, denn der Krieg in der Ukraine hat auch Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung in Japan. Und so nahm ich dies zum Anlass, weniger auf das Thema Essen und mehr auf die Situation der Nahrungsmittelproduzenten in Japan einzugehen.

Zuvor reizt es mich aber doch, Herrn Etscheit in einem Punkt zu widersprechen, denn in seiner Kolumne „Cancel Cuisine“ hat er sich abfällig über Gerichte geäußert, die am Tisch zubereitet werden. Solche Hotpots sind weder Kochshow noch bloß ein Gaumenkitzel für eine Gourmet-Schickeria, sondern gesellige Erlebnisse. Denn wenn auch Rindfleisch erst seit 150 Jahren Teil des japanischen Speiseplans ist, gehört Sukiyaki heute in Japan zur Lebenskultur wie das Käsefondue in der Schweiz.

Man braucht dazu kein teures Wagyu, weder Kobe beef noch Matsusaka-Rind, auch wenn Fleisch von sehr guter Qualität erforderlich ist. Es darf nicht zu mager, muss zart marmoriert und hauchdünn geschnitten sein, um nach kurzer Garzeit im Mund wie Butter zu zergehen. Leider wissen außerhalb Japans nur wenige, welches Fleisch dafür geeignet ist und wie es geschnitten werden muss.

Sukiyaki oder Shabu shabu wird in Japan bevorzugt im Winter gegessen. Es gibt ähnliche Gerichte mit billigeren Zutaten, und auch die sind, wenn sie auf den Tisch kommen, immer ein besonderes Familienessen, aber kein Luxus. Zur Lebenskultur gehören diese Topfgerichte, weil sich japanische Häuser mit ihren dünnen Wänden in der Regel nur schlecht heizen lassen. Meist ist es nur in dem Raum warm, in dem sich abends die ganze Familie aufhält. Das ist der Grund, warum das Essen aus einem Topf, der über einer Flamme am Tisch steht und aus dem sich jeder bedienen kann, in der kalten Jahreszeit so beliebt ist. Es wärmt nicht nur den Magen, sondern macht auch das Zimmer warm.

Alles schlagartig teurer  

Sukiyaki ist damit auch ein Beispiel dafür, dass die japanische Küche sich immer noch sehr an den Jahreszeiten orientiert. Japaner essen gern Bambussprossen im Frühjahr und Kürbis im Herbst. Sushi kann man zwar immer essen, doch auch Meeresfrüchte, bestimmte Fischarten, Muscheln und Tintenfische haben ihre Fangsaison. Gebratener Aal wird in den heißen, schwülen Sommermonaten im Juli und August bevorzugt. Die besten Krabben gibt es dagegen von Oktober bis Januar. Und auch die Sakeproduktion fand früher nur in der kühlen Jahreszeit statt, weil der Reis nach dem Dämpfen rasch auf tiefere Temperaturen herabgekühlt werden musste.

Heute wird in den Supermärkten fast alles das ganze Jahr über angeboten. Man bekommt Obst und Gemüse auch außerhalb der Saison, und viele Sorten, die es im alten Japan nicht gab, zum Beispiel verschiedene Salate, Avocados, Spargel, Weintrauben und so weiter. Das Angebot wurde von Jahr zu Jahr reichhaltiger, bis die Störung der Lieferketten wieder zu Einschränkungen führte.

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema, nämlich der Frage, ob man sich über die Ernährungssicherheit in Japan Sorgen machen muss. Es war im Zuge der Coronakrise zwar zu keiner spürbaren Verknappung an Lebensmitteln gekommen, doch fiel auf, dass manche ausländische Waren über längere Zeit fehlten. 

Japan ist kein armes Land, niemand muss Hunger leiden. Es gab auch keine leeren Regale in den Supermärkten, und wenn ein bestimmtes Produkt nicht zu haben war, konnte man auf ein anderes ausweichen. Auffallend war allerdings, dass alles schlagartig teurer wurde, sowohl einheimische als auch importierte Waren. Wenn die Handelspolitik bleibt, wie sie ist, könnte sich die Situation in der nächsten Krise noch zuspitzen. 

Lange Zeit hatte die japanische Regierung den heimischen Lebensmittelmarkt durch eine rigide Zollpolitik vom globalen Markt abzuschotten versucht. Die Preise für ausländische Agrarproduke waren künstlich hochgehalten worden, um den japanischen Bauern, die im internationalen Vergleich mit zu hohen Kosten produzieren, auch ohne Subventionen zu einem guten Einkommen zu verhelfen. 

Japanische Bauern zählen zu den Verlierern der Freihandelspolitik

Doch auf Drängen der USA gab Japan diese Politik auf. Da es für seine Exporte auch auf niedrige Zölle pochte, musste es fairen Handelsbedingungen zustimmen. Ohne die hohen Importzölle konnte jedoch die heimische Landwirtschaft nicht mehr so wie früher geschützt werden. Darum zählen die japanischen Bauern zu den Verlierern der Freihandelspolitik der letzten Jahre. Die billigen Agrarimporte aus dem Ausland machen ihnen wirtschaftlich sehr zu schaffen. 

Zum Beispiel setzen günstige Fleischimporte den japanischen Viehzüchtern massiv zu. Viele Jahre hindurch hatte man noch versucht, die BSE-Krise zum Vorwand zu nehmen, um die Einfuhr von Rindfleisch aus bestimmten Ländern zu verbieten, doch inzwischen funktioniert das nicht mehr. Japanisches Rindfleisch ist von sehr guter Qualität und hat daher seinen Preis. Rindfleisch aus Übersee kostet dagegen oft nur die Hälfte. 

Noch größer sind die Preisunterschiede beim Reis, der wird in den USA zu einem Drittel der japanischen Kosten produziert. Bei Reis greifen die japanischen Konsumenten trotzdem aus Lokalpatriotismus weiterhin zu den einheimischen Marken, weil sie überzeugt sind, dass die bessere Qualität den höheren Preis wert ist. An der Fleischtheke setzen sich aber immer öfter die importierten Fleischwaren durch.

Paradoxerweise ist die Situation beim Obstanbau völlig konträr. Da werden für einheimische Produkte zum Teil Mondpreise verlangt und bezahlt, denn Obst gehört in Japan nicht zur Grundversorgung, sondern gilt als Luxusgut. Deshalb verdienen japanische Obstbauern gut und brauchen keine Konkurrenz aus dem Ausland zu fürchten.

Es hatte nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen, dass man in verschiedenen Regionen anfing, heimischen Obstbau mit importierten Sorten zu fördern. Es sollte damit für die damals noch weit verbreitete Seidenraupenzucht, die sich aber als Nebenerwerb für die Bauern kaum noch lohnte, eine Alternative geschaffen werden. Durch geschicktes Marketing gelang es einigen Regionen, ihr Obst zu exklusiven Markenprodukten zu machen. Äpfel aus Aomori, Pfirsiche aus Yamanashi oder Kirschen aus Yamagata genießen in Japan einen hervorragenden Ruf und lassen sich entsprechend teuer verkaufen. – Dazu eine kurze Anmerkung: Die seit Jahrhunderten in Japan beliebten Kirschbäume mit ihrer üppigen Blütenpracht im Frühjahr sind nur Zierkirschen und tragen keine Früchte. 

Ein Kilo Kirschen kann schon mal 100 Euro kosten

Japanische Konsumenten legen bei Obst nicht nur auf den Geschmack, sondern ebenso auf makelloses Aussehen Wert. Die Früchte müssen immer absolut perfekt sein, schon kleinste Unregelmäßigkeiten in Form oder Farbe machen das Obst unverkäuflich. Dazu wird die Verpackung aufwendig gestaltet, jedes Obststück einzeln verpackt, und so kann ein Kilo Kirschen dann schon mal 100 Euro kosten. In einer weniger schönen Verpackung nicht zum Verschenken, sondern für den Eigenverzehr kostet das Kilo immer noch 50 Euro. 

Die Obstkulturen werden in Japan intensiv gepflegt und händisch geerntet. Oft sind es relativ kleine Familienbetriebe, die sich große Mühe mit ihrem Obst machen. Abgesehen von allen notwendigen Arbeitsschritten im Laufe des Jahres werden zusätzlich bei Äpfeln oder Birnen die Früchte, wenn sie noch klein sind, am Baum in Papierhüllen gesteckt, um sie vor Schädlingen zu schützen. All dieser Aufwand schlägt sich natürlich auf die Preise nieder, und so kostet japanisches Obst oft das Doppelte oder Dreifache einer Importware. 

Doch gibt es immer mehr Konsumenten, die da finanziell nicht mehr mithalten können. Dies wurde vor allem seit dem russischen Angriff auf die Ukraine spürbar, denn seitdem setzte eine deutliche Teuerungswelle in Japan ein. Zuletzt waren die Löhne seit zwanzig Jahren nicht mehr gestiegen, gleichwohl gab es in dieser Zeit mehrere Erhöhungen der Mehrwertsteuer. Nun soll es in diesem Jahr als Antwort auf die Inflation höhere Löhne geben, doch zu einem wirklichen Ausgleich der Teuerungen wird es nicht kommen. Im früheren Hochlohn- und Hochpreisland Japan blieben nur die Preise hoch und steigen weiter, die Löhne dagegen sinken gemessen an der Kaufkraft. Das bedeutet, dass breiten Bevölkerungsschichten ein finanzieller Abstieg droht. 

Ein Warnzeichen gab es, als im letzten Jahr manche Lokale zur Anpassung an die Inflation ihre Preise anheben mussten, wodurch sich einfache Mittagsmenüs, die bisher um die 800 Yen kosteten, plötzlich auf über 1000 Yen verteuerten. Anspruchsvollere Restaurants und auch Hotels setzten die Preise noch stärker hinauf, um sowohl die Inflationskosten als auch die Einbußen während der Coronazeit wieder hereinzuholen. Daraufhin blieben aber immer mehr Gäste aus, denn viele konnten sich das nicht mehr leisten.

In einem Interview machte der Professor für Agrarwirtschaft, Nobuhiro Suzuki, auf mehrere Fehlentwicklungen aufmerksam. Wie erwähnt hatte Japan in den letzten Jahren seinen Markt geöffnet, das sah auf den ersten Blick aus wie eine Win-win-Situation. Es half den japanischen Exporten, und für die heimischen Konsumenten gab es ein immer größeres Angebot billiger Importwaren. Doch durch die Unterbrechung der Lieferketten in den Coronajahren und dann durch die Handelseinschränkungen seit dem Ukrainekrieg geriet das System in Schieflage und vor allem der Lebensmittelsektor litt darunter. Zuerst kam es nur zu Lieferengpässen und Verteuerungen bei Importen, mit dem Einsetzen der Inflation kam es dann aber auch zu starken Preiserhöhungen bei einheimischen Produkten. 

Japan kann sich nur noch zu 38 Prozent selbst versorgen

Begonnen hatte es bei den Kosten für Energie. Im Frühjahr 2022 wurden Benzin, Gas, Strom innerhalb kürzester Zeit spürbar teurer und zwar in mehreren Schritten. Und das obwohl Japan seine Bezugsquellen klüger diversifiziert hatte als Deutschland und nicht auf russisches Erdöl und Erdgas angewiesen war. In punkto Nahrungsmittelversorgung ließ man aber diese Klugheit vermissen, bei bestimmten Lieferungen ist Japan sehr stark von einzelnen Staaten abhängig.

Japan kann sich nur noch zu 38 Prozent selbst versorgen, und das mit sinkender Tendenz. Weit ist man damit von der Situation im letzten Kriegsjahr 1945, als die Selbstversorgung auf 26 Prozent gesunken war, nicht mehr entfernt. Das japanische Kernland war damals von allen Seiten eingeschlossen und der ausbrechenden Hungersnot fiel eine große Zahl von Menschen zum Opfer. Sollte ein militärischer Konflikt zwischen China und Taiwan ausbrechen, könnte Japan aufgrund seiner Insellage auch heute wieder von Importen abgeschnitten sein. 

Vor dem Einsetzen der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Japan ein Agrarstaat. Die autarke Versorgung mit Lebensmitteln konnte auch danach bis in die letzten Kriegsjahre aufrechterhalten werden. Allerdings gehörten damals auch Taiwan und Korea zu Japan und japanische Bauern waren mit dem Versprechen, eigenen Grund und Boden zu bekommen, zur Ansiedlung in die Mandschurei gelockt worden. 

Ab 1940 mussten dann die Lebensmittel rationiert werden, doch erst mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg brach die Versorgung endgültig zusammen. Dies wirkte sich vor allem in den ausgebombten Großstädten verheerend aus. Dort fehlte es der Zivilbevölkerung an allem, weil in der letzten Kriegsphase das Militär absolute Priorität hatte. Die Hungersnot konnte in der Besatzungszeit durch Lebensmittellieferungen aus Amerika kaum gelindert werden, da immer mehr Heimkehrer zurückkamen, die auch versorgt werden mussten. 

Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung sind bis heute die Achillesfersen Japans. Bei Energie und Rohstoffen ist Japan fast vollständig auf Importe angewiesen, und da es ein sehr gebirgiges Land ist, sind nur 15 Prozent der Fläche landwirtschaftlich nutzbar. Noch dazu ist die Produktion mancher Lebensmittel so teuer, dass es als günstiger angesehen wird, sie aus dem Ausland zu beziehen. Das betrifft zum Beispiel Weizen, erstaunlicherweise aber auch Soja, das zu mehr als 90 Prozent aus dem Ausland eingeführt wird. Japan ist der zweitgrößte Sojabohnenimporteur der Welt, und davon kommt neben den USA und Brasilien ein großer Anteil aus China. 

Unkalkulierbare Umstände, die den Handel beeinträchtigen 

Beim Stellenwert von Soja in der japanischen Küche lässt sich ermessen, wie groß in dieser Hinsicht die Abhängigkeit ist. Tofu und Miso sind in Japan keine Lifestyle-Produkte, auf die man verzichten könnte, wenn sie einmal nicht zur Verfügung stehen. 2021 brachen wegen der aberwitzigen chinesischen Coronapolitik die Importe aus China nach Japan ein, und die verminderte Einfuhrmenge ließ die Preise steigen. 

Wäre Japan bei einem ausbrechenden Krieg auf Geheiß der USA gezwungen, sich einer ähnlich suizidalen Sanktionspolitik gegen China anzuschließen wie die Staaten Europas gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine, würden lebenswichtige Importgüter wegfallen, weil dann nur noch moralisch argumentiert und die Devise ausgegeben wird, bei „feindlichen Staaten“ kauft man nicht. Was bedeutet, dass man sich seine Handelspartner nicht mehr aussuchen kann, sondern Höchstpreise bei den „befreundeten Staaten“ akzeptieren muss, um zu beweisen, dass man zu den Guten gehört.

Bisher hat die japanische Regierung immer auf die Chancen verwiesen, die der internationale Freihandel bietet, und die Entwicklung der ersten Jahre schien ihr recht zu geben. Japan konnte sich auf dem Weltmarkt mit allen benötigten Produkten zu vernünftigen Preisen versorgen. Doch Coronakrise und Ukrainekrieg schütteten Sand ins Getriebe, seitdem traten unkalkulierbare Umstände ein, die den internationalen Handel beeinträchtigen. 

Dabei hatten japanische Politiker lange gezögert, ehe sie ihr Land dem Freihandel öffneten. Erst spät ließ man sich von Obama ins Boot holen, als der für das Freihandelsabkommen TPP (Trans-Pacific Partnership) warb. Noch während der Verhandlungen waren viele in Japan skeptisch, ob die Vorteile die Nachteile überwiegen würden, doch vor allem die Autoindustrie setzte sich für einen Beitritt ein.

Nachdem Trump bei seinem Regierungsantritt den Rückzug der USA von TTIP verkündet hatte, schien das Abkommen vor dem Aus zu stehen, doch die japanische Regierung unter Shinzō Abe hielt trotz Protesten im Land daran fest. TTIP wurde von allen übrigen Teilnehmerstaaten außer den USA weiter verhandelt und 2018 beschlossen. Es gab darin viele Detailregeln, aber das für Japan wesentlichste Kapitel sah den Abbau von Zöllen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Kraftfahrzeuge und Textilien vor. 

Seit 2019 ist auch JEFTA – das Freihandelsabkommen mit der EU – in Kraft und so fanden immer mehr Güter aus dem Ausland zu recht günstigen Preisen ihren Weg nach Japan. Die Preisvorteile, die sich den japanischen Konsumenten boten, wurden immer als das große Plus der Handelsverträge angepriesen. Die Kehrseite betraf die japanischen Produzenten, die mit diesen Preisen nicht konkurrieren konnten. Japan hatte die Zollsenkungen für Agrarprodukte in Kauf genommen, um seiner Autoindustrie größere Exportchancen zu eröffnen.

Bei Saatgut bis 90 und bei Dünger bis zu 100 Prozent vom Ausland abhängig

Doch als in der Coronakrise die Lieferketten einbrachen, zeigte sich, dass die enge globale Vernetzung Nachteile brachte, die man nicht erwartet hatte. Es offenbarte sich, wie verletzlich Japan durch seine Randlage ist. Importe trafen Wochen, andere Monate verspätet ein, und es handelte sich nicht nur um Konsumgüter ,sondern auch um Dinge, die zur Weiterverarbeitung benötigt wurden. 

In der Landwirtschaft ist Japan bei Saatgut zu 80 bis 90 Prozent und bei Dünger bis zu 100 Prozent vom Ausland abhängig geworden. Besonders seit dem Ukraine-Krieg wurden diese Produkte weltweit Mangelware, und Japan war nicht in der Lage die gewünschten Mengen zu bekommen. Die Konkurrenz auf dem Weltmarkt und der schwache Yen trieben die Preise so stark in die Höhe, dass japanische Importeure in Schwierigkeiten gerieten.

Bei Stoffen wie Kalium, Phosphor und Ammoniak, die für die Düngemittelherstellung nötig sind, ist Japan zu 100 Prozent auf Einfuhren angewiesen. Und was Saatgut und Futtermittel betrifft, konnten Global Player wie Monsanto (jetzt Bayer AG) und Cargill auch in Japan eine marktbeherrschende Stellung erringen. Solange der Import klaglos funktionierte, war das alles kein Thema. Inzwischen zeigt sich, dass die Abhängigkeit der Lebensmittelproduktion von importiertem Saatgut problematisch wird, wenn der Nachschub ausbleibt. 

Das war im Jahr 2022 aber nicht das einzige Problem, auch die stark steigenden Preise für Treibstoff und Energie brachte viele landwirtschaftliche Betriebe in die Bredouille. In Japan wird viel Obst und Gemüse in Gewächshäusern gezüchtet, weil man damit den Markt auch außerhalb der Saison bedienen kann. Einheimische Erdbeeren werden zum Beispiel schon ab Weihnachten angeboten. Die gestiegenen Kosten für die Beheizung dieser Gewächshäuser konnten jedoch nicht eins zu eins an die Kunden weitergegeben werden, weil sonst der Absatz der verderblichen Ware zurückginge. Und am schwersten traf es Viehzüchter, weil auch die Preise für Tierfutter stark anzogen. Vor allem Rinderzüchter brachte dies in Existenznot, oder zwang sie gar zum Aufgeben.

In Japan sind milchviehhaltende Höfe auf die Milchproduktion und Mastbetriebe auf die Fleischproduktion spezialisiert. Bisher war es üblich, dass Milchfarmen überzählige Kälbchen an Mastbetriebe weiterverkauften. Dort wurden sie aufgezogen, bis sie reif zur Schlachtung waren. Da die Futterpreise aber so stark anstiegen, rentierte sich die Aufzucht nicht mehr, die Preise für neugeborene Kälber verfielen innerhalb kürzester Zeit. 

40 Prozent der bäuerlichen Betriebe zur Aufgabe gezwungen?

Die negativen Folgen betrafen beide Formen viehwirtschaftlicher Betriebe, sowohl die Milchfarmen, weil sie die Kälber nicht mehr zu einem adäquaten Preis verkaufen konnten, als auch die Viehzüchter. Selbst wenn letztere die Tiere gratis genommen hätten, wäre die Aufzucht für sie zu einem Verlustgeschäft geworden. Denn hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Tiere werden nämlich nicht mit Gras gefüttert, sondern mit einem Kraftfutter, das aus Weizen, Mais und Soja besteht. Und in der Hinsicht ist Japan wieder auf verteuerte Importprodukte angewiesen.

Als Folge davon werden neugeborene Kälbchen getötet, bevor sie groß genug sind, dass man ihr Fleisch verkaufen kann. Es gibt in Japan keine grüne Partei, aber zumindest deutsche Klimaschützer könnten nun wegen des eingesparten Methans frohlocken, würde die Tötung der überzähligen Kälbchen – und zumeist handelt es sich hierbei um männliche Tiere – nicht an das verpönte Kükenschreddern erinnern.

Laut Prognose von Nobuhiro Suzuki könnten 40 Prozent der bäuerlichen Betriebe in den nächsten Jahren zur Aufgabe gezwungen sein, dann sänke die Selbstversorgungsrate weiter. Jahrelang war in Japan vor Überproduktion in der Landwirtschaft gewarnt worden, jetzt droht die umgekehrte Situation. Nun rächt es sich, dass viele Gesetze zum Schutz der heimischen Landwirtschaft aufgeweicht oder ganz abgeschafft worden waren. Doch obwohl sich zeigt, dass jene, die davor warnten, recht hatten, steuert die japanische Regierung nicht um. Man versucht stattdessen die einbrechende einheimische Produktion durch stetig teurer werdende Importe aus dem Ausland auszugleichen. 

Vor rund zwanzig Jahren gab es eine ähnlichen Situation. Damals verursachte ein schlechtes Erntejahr Reismangel, und es mussten größere Mengen aus dem Ausland zugekauft werden. Infolgedessen kam es zu einer Diskussion, ob Japan nicht versuchen sollte, zumindest bei Grundnahrungsmitteln autark zu bleiben. Inzwischen hört man nichts mehr davon, kaum jemand warnt noch davor, dass die Versorgung der Bevölkerung bedroht sein könnte, obwohl von Jahr zu Jahr immer mehr landwirtschaftliche Flächen stillgelegt werden. 

Die Bevölkerung in Japan schrumpft, doch die Städte wachsen weiter, denn die schon seit Jahrzehnten anhaltende Landflucht ist ungebrochen. Viele Bauern finden keine Nachfolger mehr, und bei Landwirten, die viele Jahre Geld und Arbeit in ihren Betrieb gesteckt haben und nun nicht weiter wissen, häufen sich die Selbstmorde. 

Immer mehr Agrarland wird in Bauland umgewandelt

Entlegene Landstriche, in denen es außer Landwirtschaft nichts gibt, werden nur noch von hochbetagten Leuten bevölkert. Bald wird in den Dörfern gar keiner mehr wohnen, denn die jungen sind in die Städte abgewandert und werden nicht wiederkommen. Deshalb wird in städtischen Randlagen immer mehr Agrarland in Bauland umgewandelt. Sah man vor einem Jahr noch einen alten Bauern auf seinem Gemüse- oder Reisfeld arbeiten, sind im nächsten Jahr dort schon Bauarbeiter beschäftigt, ein Haus zu errichten. Für Landwirte, die sich zur Ruhe setzen wollen, ist der Verkauf ihrer Felder kein schlechtes Geschäft.

Bisher blieben in Japan große Proteste aus, denn vielen Bauern geht es noch halbwegs gut. Und dort, wo vereinzelt demonstriert wird, werden die Klagen im fernen Tokyo überhört. Nur in einigen wenigen Präfekturen gibt es einerseits Bestrebungen, die Energiepreiserhöhung durch Ausgleichszahlungen abzufedern und andererseits die regionalen Produkte besser zu vermarkten. Dazu zählt auch, dass man jungen Menschen unter die Arme greift und jedem, der neu in den Beruf als Landwirt einsteigen will, entsprechendes Knowhow und finanzielle Starthilfe anbietet. Um den Absatzmarkt zu sichern, gibt es in einer Präfektur sogar die Vorgabe, dass das Schulessen nur aus Bioprodukten aus der Region bestehen soll. 

Eine Entspannung der Situation ist dennoch nicht in Sicht. Derzeit wird von amerikanischer Seite Druck ausgeübt, mehr gentechnisch veränderte Lebensmittel in Japan zuzulassen. Diese sollen in Zukunft auch offen beworben und nicht wie bisher, zum Beispiel bei Tomaten oder Soja, den Konsumenten heimlich verabreicht werden. Von einer Propagierung von Insekten im Essen ist in Japan bisher zwar noch keine Rede, aber in Nagano sollen Heuschrecken als Spezialität gelten, was ein guter Anknüpfungspunkt wäre.

Die Landwirtschaft unterliegt einem Zwang zur Technisierung und Digitalisierung, um wettbewerbsfähig zu bleiben, doch Nobuhiro Suzuki meint, dass dies noch nicht garantiert, mit der ausländischen Konkurrenz mithalten zu können. Würde nichts gegen die anhaltend hohen Energiepreise und die steigende Abhängigkeit von Importen unternommen, könnte die Versorgungssicherheit in Japan auf der Kippe stehen. Er wirkt damit wie ein einsamer Rufer in der Wüste, denn im Alltag ist davon noch nichts zu spüren. 

In einem Punkt hat Suzuki aber recht. Momentan geht es vorrangig um die Frage einer verlässlichen und bezahlbaren Energieversorgung, doch die Probleme mit der Weizenausfuhr aus der Ukraine zeigen, dass auch die Lebensmittelversorgung betroffen ist. Nationale Egoismen gepaart mit der aus dem Ruder laufenden Sanktionspolitik führen keineswegs dazu, die Welt friedlicher zu machen, sondern leisten im Gegenteil einer Politik Vorschub, in der auch Hunger als Waffe eingesetzt werden kann.

 

Wolfgang Zoubek lebt seit fast zwanzig Jahren in Japan und arbeitet an einer Universität. Ihn beschäftigt seit langem der Vergleich zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen in Japan und in Deutschland.

Foto: Pixabay

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Wolfgang Richter / 02.05.2023

Falls es “die Japaner” gibt, täten diese vielleicht gut daran, ihre “Karten” noch mal neu zu sortieren und zu überlegen, ob die Zukunft ggf. doch “Asien” gehört und nicht den “US amerikanischen” Hegemonie-Bestrebungen. Am Ende könnten die asiatischen direkten Nachbarn (anders als die 100 000e Kilometer entfernten) ggf. etwas nachtragend sein, so daß Japan ziemlich isoliert da steht, was zum “echten” Pech wird, wenn man auf seinen Inseln kaum Bodenschätzen hat und auch sonstige Möglichkeiten ziemlich begrenzt sind. Nur Sushi ist auf die Dauer weder Geschmacksvielfalt noch Vollwert.

Lutz Liebezeit / 02.05.2023

In Japan gab es bis in die 80er Jahre Papierfenster und die Häuser wurden traditionell ohne Heizung gebaut. In Japan galt der Grundsatz, frieren ist eine Charakterschwäche. Ich meine, eine zeitlang kann man sich mental drauf einschwingen, daß man bei beschlagenen Fenstern nicht friert. Aber im Zimmer sitzen und gemützlich lesen, das geht dann nicht mehr. / Das Wetter in Japan ist ähnlich dem in Europa. / Ich glaube, daß der Hunger sowieso kommen wird, nicht nur in Japan.

Rudhart M.H. / 02.05.2023

12 Punkte von 10 möglichen @u.Hering ! Besser kann man’s nicht beschreiben!

Gus Schiller / 02.05.2023

Ja und? Sollen sie doch hier Asyl beantragen. Wir haben Platz und Geld, für alle auf dieser Welt. Und schlimmer als Südwestasiaten können sie auch nicht sein.

Thomas Szabó / 02.05.2023

Lieber Herr Zoubek. Sie könnten unseren hoch geschätzten Herrn Etscheit vortrefflich ergänzen. Er schreibt primär über die europäische Küche. Ich würde gerne mehr über die japanische Küche erfahren. Faszinierend finde ich auch die Sitten & Gebote beim Speisen. Sie sind sehr unterhaltsam, sollten aber sorgsam beachtet werden. Man steckt seine Essstäbchen falsch herum ins Reis und schon muss sich das Diplomatische Corps um eine seelische Deeskalation bemühen. Ich sah mal eine Werbung betreffend interkultureller Kommunikation, wo ein geehrter europäischer Gast seinen Teller leer aß, was die asiatischen Gastgeber sichtlich schockierte und sie bestellten sofort einen noch größeren Aal. Der Gast mochte gar keinen Aal, aber er aß seinen Teller leer, um zu zeigen wie gut ihm das Essen schmeckt. Die Gastgeber wiederum brachten bereits einen lebenden Aal in kleiner Haifischgröße, was wiederum den Gast, dem es schon sichtlich übel war, sichtlich schockierte. Den Teller leer zu essen heißt in Asien nämlich, dass das Essen zu wenig ist und dadurch verliert der Gastgeber sein Gesicht. Der Gast aß das glitschige Vieh aus Höflichkeit, die Gastgeber brachten noch größere glitschige Viecher, aus Höflichkeit.

U.Hering / 02.05.2023

Nun, das, was Herr Zoubek hier schildert, ist einerseits zwar die Gegenwart in Japan, andererseits aber allem Anschein nach wohl die Zukunft für die EU und Deutschland, wo auch woke Halbdackel und Salonumweltschützer aus den Städten den Leuten auf dem Land erzählen wollen, was sie zu tun hätten: Flächenstillegungen, Tierwohllabel, Düngung, Ausgleichsflächen, Holzeinschlag, Windräder, Sonnenkollektoren, E-Traktoren, etc. Als ob auf dem Land nur Halbidioten leben, die man an der Hand nehmen muß, damit sie endlich erfahren, wie die Welt funktioniert. Momentan haben wir ein Überangebot an Buchenholz - auch zur Verbrennung, weil die trockenen Sommer der letzten Jahre den Buchen schwer zugesetzt haben. Niemand - auch wir auf dem Lande nicht - käme auf die Idee, 70ig-jährige Buchen ohne Not einzuschlagen; aber, wenn sie an Sterben sind, schlägt man sie halt ein, bevor sie das Zeitliche gesegnet haben. Niemand käme auf die Idee, teuren Dünger im Übermaß zu verwenden, denn auch auf dem Land weiß man, daß “Viel” nicht unbedingt “viel hilft”. Wir lassen uns von Dumpfbratzen wie dem Märchenerzähler, der Völkerballexpertin oder dem vegantürkischen Sozialpädagogen erzählen, wie das Leben ist? Meine Güte, ich wußte gar nicht, daß man eine so große Menge an Exkrementen im supracervikalen Hohlraum endlagern kann ...

Gerd Maar / 02.05.2023

Danke Herr Zoubek für den sehr informativen Artikel. Japanische Lebensmittel und Küche sind einzigartig, es ist sehr schade dass dieses Weltkulturerbe bedroht ist. Übrigens: Schreiben Sie doch bitte mehr Kolumnen über japanisches Essen, Herr Etscheid würde sich sicher auch freuen. Mein persönlicher Favorit für “Tischküche” ist Yakiniku, am liebsten mit Horumon. Ein Genuss den man authentisch nur in Japan erleben kann.

Karl Wenz / 02.05.2023

Ärgerlich, dass ich Zeit damit vertan habe diesen Artikel zu lesen. Japan ist ein Industrieland, das die Agrarinteressen der USA zu berücksichtigen hat, wenn es weiter dorthin exportieren will. Wer könnte im Krisenfall die Agrarimporte über den Pazifik stoppen? Die chinesische Hochseeflotte? Lächerlich.

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