Der Adler fliegt allein, der Rabe scharenweise; Gesellschaft braucht der Tor, und Einsamkeit der Weise. Liebe Frau Baumstark, fröhliche Weihnachten und allen Achse -Lesern auch.
Karl Kraus wußte: Der Begriff „Familienbande“ hat einen Beigeschmack von Wahrheit. Aus Geschichten, wie innerfamiliärer Druck Menschen kaputtgemacht hat, kann ich Ihnen ein abendfüllendes Programm zusammenstellen.
“Zivilisation ist der Fortschritt hin zu einer Gesellschaft der Zurückgezogenheit. Des Wilden gesamte Existenz ist öffentlich, geregelt durch seine Stammesgesetze. Zivilisation ist die Entwicklung hin zur Befreiung des Menschen von seinen Mitmenschen”, Ayn Rand. Cum grano salis, aber heutzutage ist es wirklich nicht einfach, mal in Ruhe gelassen zu werden. Der Herdentrieb scheint durch mißverstandene Demokratie, totale Öffentlichkeit, “Coolness” und social media, Gleichheits- und Nettseingebot geradezu befeuert zu werden.
Wenn Sie Weihnachten alleine genießen, nehmen Sie Marian McPartland ! mit. Sie werden sich freuen, daß es solche Menschen tatsächlich gegeben hat.
Da bin ich aber froh, als Atheist und Heide Weihnachten ganz nach meinem Gusto und einfach unseren kulturellen Traditionen entsprechend zu feiern und zum Glück nicht allein. Ich greife da sogar zum Äußersten, lege den iPad zur Seite und unterhalte mich mit meiner Frau ! Aber jeder, wie er will. „...und hasst nicht Vater, Mutter ... und sein eigen Leben ...“ könnte auch von einem zeitgenössischen Sektenführer stammen. Wie gut, dass die Bibel im Gegensatz zu anderen alten Büchern nicht mehr als täglicher Befehl des Handelns im persönlichen Leben aufgefasst werden muss und halt für viele nur ein Stück Folklore darstellt. Was mich nicht davon abhält, mich trotzdem von Händels Halleluja oder dem Weihnachtsoratorium begeistern zu lassen. Dies den Leuten ins Stammbuch geschrieben, die außer der Sprache keine eigenständige deutsche Kultur zu erkennen vermögen. Und ja, jeder sollte Weihnachten nach seinem Gusto begehen und nicht „wejen de Leut‘“. Frohe Feiertage!
Der Evangelist Matthäus schildert im 26. Kapitel seiner Botschaft eine Szene kurz vor der Verhaftung von Jesus, die bei Verszählung 36 beginnt. Es ist schon Nacht und der jüdische Sektenführer kommt mit seiner Truppe am Fuße des Ölberges bei Jerusalem an, wo Jesus in einem Olivenbaumareal die Anweisung zum Lagern gibt. Er selbst hat das Bedürfnis, etwas entfernt von seinen Leuten in Ruhe zu seinem jüdischen Gott zu beten und fordert dazu den Petrus und die beiden Brüder Jakobus und Johannes auf, mitzukommen. Als sie alleine sind, gesteht ihnen Jesus: “Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet mit mir!” Dann geht er allein ein Stück in die Dunkelheit hinein, bricht zusammen und beginnt zu beten: “Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!” Nach einiger Zeit rafft er sich wieder auf und kommt zu den dreien zurück, von denen er in seiner ungeheueren Anspannung am meisten Empathie erwartet hatte. Doch diese hatten es sich einfach gemütlich gemacht und waren eingepennt. Jesus wirft daraufhin Petrus vor: “Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?” Für mich liegt in dieser Szene der Kern der christlichen Botschaft! Jesus ist sich vollkommen bewusst, dass er aufgrund der Äußerungen seiner gesellschaftlichen und theologischen Ansichten in wenigen Stunden aus den eigenen Reihen heraus verraten und von den Autoritäten verhaftet werden wird. Er weiß, dass man ihn foltern und in einer öffentlichen Prozessfarce aburteilen und dann an einem Balken angenagelt grausam verrecken lassen wird. Kurz später wird das alles wirklich passieren. “Eli, Eli, lama asabthani?” Verraten. Verlassen. Verdammt. Der Heiland-Moment. Das Lamm wird zum Licht der Welt. Es ist vollbracht. “Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.” Hier schließt sich der Kreis zur Ankunft, zur Weihnachtsgeschichte. Glaube sie oder nicht, sie wird für dich da sein, sobald du sie brauchst. amazing grace
Den Beitrag von Frau Baumstark finde ich gut und belebend. Lediglich zu der Stelle im Beitrag, wonach Jesus laut 1. Korinther 7, 17 noch ein anderes besonderes Augenmerk hatte („Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich….”), möchte ich darauf hinweisen, dass diese Aussagen von Paulus und nicht von Jesus stammen. Paulus, also der Gründer des Christentums, hatte Jesus, abgesehen von dem berichteten Damaskuserlebnis (Art Vision, “Saul, Saul, warum verfolgst Du mich?”) nie selbst erlebt. Als der Korintherbrief verfasst wurde, war Jesus schon lange Zeit tot. Jesus (bzw. Rabbi Jeschua) hätte womöglich auch nicht in dieser Weise (unverheiratet sein sollen) gesprochen. Ob Jesus eine Frau hatte, ist ungeklärt. Einige Ausleger meinen: er hatte, den seinerzeitigen jüdischen Sitten folgend, selbstverständlich eine Frau. Andere weisen darauf hin, dass auch eine ganze Reihe bedeutender / charismatischer Rabbiner ohne Frau lebten. - Grundsätzlich lässt sich der Abend eines 24.12. auch allein begehen. Niemand braucht, sofern er diesen Abend allein zubringt, unglücklich zu sein.
Wer nicht allein ist, wünscht sich manchmal das Alleinsein. Umgekehrt, wer allein ist und damit glücklich, möchte manchmal vielleicht nicht allein sein. Biblische Exegese hilft da nur begrenzt. Jesus ist, falls er wirklich ohne eigene Familie war, als junger Single (nach heutigen Begriffen) gestorben. Einsamkeit im mittleren und höheren Alter kam selten vor, schon weil diese Alter selten erreicht wurden, und wenn dann im Schutz der Sippe. Weihnachten in Gemeinschaft feiern zu wollen, ist kein Zeichen innerer Schwäche, da hätte vielleicht sogar Schopenhauer zugestimmt, wobei umgekehrt das Alleinsein keiner Rechtfertigung bedarf.
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