Gerd Buurmann / 17.06.2023 / 11:00 / Foto: achgut.com / 12 / Seite ausdrucken

Vorschau indubio: Das Internet – Fluch und Segen

Was in den sozialen Netzwerken abgeht, ist alles andere als sozial. Im Internet ist der Ton rau, die Umgangsformen sind miserabel, und überall wimmelt es von heftigsten Beleidigungen. Über den Fluch und Segen des Internets spreche ich am Sonntag mit Anabel Schunke, Roger Letsch und Gunter Frank.

Wir alle haben ihn, diesen Onkel, mit dem wir uns im Wohnzimmer streiten, weil er eine Partei gewählt hat, die so gar nicht geht; oder die Tante, die auf homöopathische Mittel schwört und sich auf keinen Fall impfen lassen möchte; oder den Neffen, der nun unsere Nichte sein will und sich darüber beschwert, dass die Geburtstagseinladungen nicht genderneutral verfasst werden; oder den Arbeitskollegen, der Erdoğan gewählt hat; oder die Nachbarin, die auf die Häuserwand „Wir sind die Letzte Generation“ gesprüht hat; oder die Stammtischschwester, die Donald Trump gut findet, obwohl sie eine PoC ist; oder der Freund, der Veganer ist und es dich wissen lässt, während du eine Bratwurst isst.

Ob zu Hause oder im Büro, in der Kneipe oder auf Familienfestlichkeiten, überall treffen wir auf Menschen, deren Meinungen wir nicht teilten. Manchmal gibt es Streit, und Türen werden geknallt. Aber am Ende sind wir doch immer gütig und vertragen uns wieder. Es sind ja schließlich unsere Onkel, Tanten, Nichten, Neffen, Arbeitskollegen, Nachbarinnen und Vereinsmitglieder, Menschen, die wir persönlich treffen, in deren Augen wir sehen.

Durch das Internet aber treffen wir immer häufiger auf Menschen, in deren Augen wir nicht blicken und deren Körperlichkeit wir nicht spüren. Wir streiten uns mit ihnen im Internet. Dadurch hat sich einiges verändert. Die Menschen, die manchmal unser Blut zum Kochen bringen, werden uns durch das Internet zunehmend physisch fremd.

Was in den sozialen Netzwerken abgeht, ist alles andere als sozial. Im Internet ist der Ton rau, die Umgangsformen sind miserabel, und überall wimmelt es von heftigsten Beleidigungen.

Das Internet ist so brutal, weil wir uns dort nicht ins Antlitz schauen. In der digitalen Realität rückt die Welt zusammen und entfernt sich dabei. Wir sind gespalten und stehen uns nicht in unserer körperlichen Sterblichkeit atmend gegenüber. Wir spüren nur unseren eigenen Atem und fühlen nur unsere eigenen Gefühle und unsere eigenen Ängste.

Der Andere ist im Netz ein körperloses Wesen und kann daher leicht entmenschlicht werden. Schnell wird in so einer Situation der Andere zum Unmenschen erklärt, zum Tyrannen, Extremisten, Volksschädling, Verfassungsfeind, Querdenker, Längsdenker, Nazi, Schlafschaf, Schwurbler, Faschist, Covidiot oder Sarsloch.

Über diese Veränderung durch das Internet spreche ich mit meinen drei Gästen am kommenden Sonntag. Zugeschaltet sind die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Anabel Schunke, der Webdesigner und Blogger des Blogs unbesorgt.de, Roger Letsch, und der Arzt und Autor Gunter Frank, Autor des Buchs „Das Staatsverbrechen. Warum die Corona-Krise erst dann endet, wenn die Verantwortlichen vor Gericht stehen“.

 

Gerd Buurmann spielt als Theatermensch, schreibt und inszeniert in diversen freien Theatern von Köln bis Berlin. Er ist Schauspieler, Stand-Up Comedian und Kabarettist. Seit April 2022 moderiert er den Podcast „Indubio“ der Achse des Guten.

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Jürgen Fischer / 17.06.2023

Eines fällt mir noch ein: ohne Internet würden wir wahrscheinlich nichtmal wissen, wer (oder was) das Chebli ist, oder gar das Helgibärchen.

Dr. Thomas Dörfler / 17.06.2023

Eines der größten Probleme der Diskussion, des Disput im Internet ist das geschriebe Wort. Kommunikation ist viel mehr als Worte, es sind Gesichtsausdruck, Mimik, Klangfarbe die den Inhalt kanonieren. Sarkasmus, ein Augenzwinkern, Ironie werden hierdurch erst sichtbar. Im Schriftlichen (ob Email, WhatsApp oder sonst wo) wird man deshalb oft missverstanden. Das ist meines Erachtens der größte Schwachpunkt von Foren.

Rainer Niersberger / 17.06.2023

Zur Abrundung : Das Netz an sich ist zunaechst ein Neutrum. Das asoziale Verhalten, das aber wie gesagt zu definieren waere, findet im Straßenverkehr und in Wohngebäuden, bei Sportveranstaltungen und ueberall da statt, wo Menschen zusammenkommen.  Dass alle Gelegenheiten genutzt oder besser gesagt missbraucht werden ( koennen), Frust, Ärger oder Wut ueber tatsaechliche oder gefühlte Zustaende, ueber die Taten des Regimes, ueber den Verlust von Identität, Sicherheit und Gemeinschaft, ueber Verelendung, “Spaltungen” und Ungerechtigkeiten loszuwerden, fuer die es keine politischen Adressaten gibt, der eine ist ja tabu, ist verstaendlich. Die ohnmaechtigen Reaktionen auf die nicht zuletzt auch hier beschriebene Entwicklung, die Transformation der Elite, fuehrt unter anderem zu verbalen Entlastungen im Netz, aber auch je nach Typ und Kultur auch zu anderen Taten. Das Netz zeigt ebenso wie andere soziale Bereiche den inneren Zustand einer Gesellschaft, auch natuerlich, wie sie es mit den Sekundaertugenden haelt und nicht zuletzt, ob Eigenkontrollen und Begrenzungen jeder Art erfolgreich abgeschafft wurden. Die Aufforderung, sich jeder Grenze bei seinen Stimmungen und Handlungen zu entledigen, geht in alle Richtungen los. Der von rot(gruen) ” befreite “Geist, Herr Wiesengrund laesst gruessen, ist draußen.  Er entwickelt nun erwartungsgemaess seine eigene Dynamik.

Michael Müller / 17.06.2023

Merkwürdig: Hier wird im Prinzip genau das angesprochen, was ich vorhin in einem Kommentar zu einem anderen Artikel geschrieben habe, der aber nicht abgedruckt wurde. Die Quintessenz: Aufgrund der gesellschaftspolitischen Entwicklung gibt es “heftige” Gegenreaktionen. Das wird heutzutage im Netz ausgelebt, in der Weimarer Republik stärker auf der Straße oder in der Kneipe. Das Ganze beinhaltet auch böse Aktionen. Es handelt sich hierbei um einen ganz natürlichen Prozess. Zur Erinnerung: Die 68er erklärten der Gesellschaft den Krieg. Diesen haben sie bis zum heutigen Tag erfolgreich mit den Waffen List, Hass und Hetze geführt.  Die Klimakleber arbeiten auch so. Die Nazis arbeiteten so. Die Kommunisten damals auch. Mit anderen Worten: Jeder vernünftige Mensch arbeitet so, um politische Veränderungen herbeizuführen. Es ist das Natürlichste der Welt. Im Rahmen der Theodizee läßt sich gar sagen: Es ist ein gottgewollter Vorgang. Nur so kommen “politische” Veränderungen in die Welt. Irgendwas anderes anzunehmen, ist völlig naiv, also bürgerlich. Bürgerlischkeit ist bekanntlich Witzischkeit. Und die ist nicht eigentlich politisch. Gott schickte im Paradies die Schlange, um das Weib aufzuhetzen. Auch der “Winnerprice” (der Baum der Erkenntnis) wurde von Gott ins Paradies gesetzt, um diesen ganzen Prozess von Verrat, Betrug, Hetze und Hass in Gang zu bringen. Der Mythos Paradiesgeschichte wird in der modernen Theologie mittlerweile auch mal so oder ähnlich interpretiert. Das, was wir im Internet erleben, ist politisch links wie rechts ein sich aufheizender Prozess. Natürlich entstehen daraus nicht ausschließlich Bewegungen, es wird auch oft einfach nur gelabert, aber Fridays for Future, Letzte Generation usw. verdanken ihre Existenz dem Internet. Es werden andere Bewegungen entstehen, die den gesellschaftlichen Umsturz wollen, natürlich auch rechtsradikale. Freilich gibt es im Internet auch harmlose Dinge, wie etwa aktuell Wissenswertes über Daniela Katzenberger.

Rainer Niersberger / 17.06.2023

Zunaechst bezweifel ich, dass sich soziales Verhalten nur im Netz ausbreitet. Mit Kausalitaeten sollte man wie immer vorsichtig sein. Dass die Möglichkeiten im Netz mehr zulassen heisst nicht, dass sie die Ursache sind.  Eine tiefere und differenzierte Analyse wird ueber die Umgangsformen im Netz hinausgehen muessen und bei den Ursachen des sozialen Verhaltens etwas frueher ansetzen muessen. Es gibt ja immer noch Menschen, die sich sowohl im Netz wie auch ausserhalb gesittet verhalten. Zum sozialen Verhalten, das wiederum etwas konkreter werden sollte,  gehoeren nicht nur verbale Umgangsformen im Netz. Und nicht zuletzt waeren die eigentlichen Ursachen dieses Verhaltens einer Pruefung wert, denn natuerlich koennten dies Aktionen auch Reaktionen bzw Kompensationen sein.  Die “Getretenen” treten auf ihre Art und Weise zurueck, in der Regel den “Falschen”, weil sie die Richtigen nicht kennen oder nicht treffen, ohnmächtig wie sie sich fuehlen, wenn die Elite sich so verhält wie es aktuell der Fall ist. Man koennte es auch als Abreaktion oder Hilfeschreie werten, eine Art Entlastung, die nicht selten ebenso untauglich ist wie den Falschen trifft. Wer es verschlimmbessern will, sollte genau das tun, was die Totalitaeren machen, naemlich zensieren. Wer es tatsaechlich verbessern will, sollte die Ursachen, zu denen auch die ” Erziehungsberechtigten” und das (Bildungs) System und gesellschaftliche Entwicklungen massiv beitragen, angehen. Davon ist allerdings wie immer in Buntland nicht auszugehen.  Ob wir mit dem Netz vor etwa 50 bis 60 Jahren die gleichen Phaenomene gehabt haetten wissen wir nicht. Zweifel sind aber erlaubt.  Dekadenz, Regression und Verwahrlosung , sprich der kulturelle Einfluss, woher auch kommend, sind nicht die besten Voraussetzungen fuer den Gebrauch des Netzes.

Gerhard Schweickhardt / 17.06.2023

Wenn das Publikum mit Dauer Alarm und seiner Schuld an Mittelwert täglich vollgeballert wird..da gibt’s dann ein paar Selbstdenker die vom Geballer nichts halten auch mal selber rechnen oder recherchieren. Und schwubst, ist die Gesellschaft,wie motiviert, gespalten. Auf der einen Seite die Obrigkeits gläubigen Untertanenen und dort die Anderen…Sie wissen schon.

Jürgen Fischer / 17.06.2023

Wäre das Internet tatsächlich „nur“ eine Möglichkeit zur allgemeinen besseren Informationsbeschaffung, wäre es vom US-Militär nie für die generelle Nutzung freigegeben worden (das Arpanet, der Vorläufer des Internet, war bekanntlich vom MIT und dem US-Verteidigungsministerium im Auftrag der US Air Force entwickelt worden). In der Tat sind nicht wenige darauf reingefallen, dass alles „demokratischer“ und „wissensbasierter“ wird – dass die Propagandaverbreitung und Überwachung nicht ein Neben-, sondern der Haupteffekt dieser Technologie ist, haben die wenigsten gemerkt. Ebenso wie die Segnungen des Smartphones. Ohne Internet wäre Corona nicht möglich gewesen, ebenso wenig wie Klima. Und die Zeitungsredaktionen und Ladengeschäfte müssten nicht plärren, dass keiner mehr sie mag. Man muss sich halt im klaren sein, dass das Internet den Machthabern mehr Nutzen bringt als dem gemeinen Volk. Gewaltig mehr. Dass es dem Pöbel zugänglich gemacht wurde, liegt nur daran, dass er mitspielen muss. Und das tut er, mit Begeisterung. Quandoquidem populus vult decipi ... heute wie früher auch schon.

Marc Jenal / 17.06.2023

Im Internet kommen bekanntermassen Menschen aus unterschiedlichen, sozialen Schichten mit unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten und Bildungsstand miteinander in Kontakt, die im sonstigen Leben offensichtlich zu Recht keine Sekunde miteinander kommunizieren würden. Ich erlebe schon nur in meinen Schulklassen, die fast gesamte Bandbreite von extrem (a)sozialen Verhaltensweisen, extrem tiefen/höheren kognitiven Fähigkeiten, (Un-)Kenntnis von einfachsten Benimmregeln und Umgangsformen sowie (Un-)Fähigkeiten sich mit Worten auszudrücken. Deren private Chats werden regelmässig von den primitivsten Schülern dominiert, da die chatbetreibenden Schüler entweder nicht bereit sind, dieselben auszuschliessen oder selbst zu dieser Sorte gehören. Das Resultat: Die Normalen und Anständigen ziehen sich von dort zurück. Übrig bleiben direkt gesagt die primitivsten Idioten und Halbschlauen. Während man im sonstigen Leben nach Möglichkeit diesen keine Sekunde seiner Zeit schenken würde, erhalten diese im Internet und seinen vielfältigen Nutzungsformen vielerorts völlig unangemessen Zeit/Beachtung/Raum. Als Zweites sehe ich es als Zeitgeist-Phänomen,, dass man den Dümmsten huldigt und ihre Elaborate feiert.

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