Seit etlichen Jahren wird die Bevölkerung über das öffentlich-rechtliche Fernsehen und diverse Medienerzeugnisse mit dem Begriff „Hass“ bombardiert. Es vergeht kaum ein Tag, an dem dieses hässliche Wort nicht irgendwo skandiert wird. Manche mögen sich noch an Zeiten erinnern, als das als unanständig galt. „Bitte sprechen Sie nicht von Hass“, war vielfach gängige Haltung. Merkwürdig, dass die Bevölkerung die 180-Grad-Drehung in diesem Kontext nie hinterfragt. Die Mehrheit springt halt auf den Zug auf, mit dem Politiker und Medien in Zielrichtung emotionale Tieffliegerei durch die Gegend rasen. Es ist nämlich keineswegs so, wie unredlich vorausgesetzt, dass jeder Mensch hasst; das Phänomen ist mindestens jenen fremd, die etwa anstatt in Wut vielmehr in die Traurigkeit gehen und zwar nicht aus unterdrückter Aggression heraus, sondern weil es nicht zum authentischen Verhaltensrepertoire passt.
„Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass“, war auch die Erfahrung des friedfertigen Menschenrechtlers Liu Xiaobo. Bemerkenswert, dass gerade Menschen, die mit Hass nichts anfangen können, von autoritären Machthabern besonders gehasst werden. Die chinesische Partei verfolgte Xiaobo gnadenlos bis in den Tod hinein. Was an ihm hat die Machthaber so verärgert? Seine sympathische, weil hassbefreite Persönlichkeit, derer sie selbst entbehren? Ist es das, was Jakob Wassermann (1873 – 1934) zu seinem „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ aufschrieb?
„Die Idee des ‚Caspar Hauser‘ war, zu zeigen, wie Menschen aller Grade der Entwicklung des Gemüts und des Geistes, vom rohesten bis zum verfeinertsten Typus, der zwecksüchtige Streber wie der philosophische Kopf, der servile Augendiener wie der Apostel der Humanität, der bezahlte Scherge wie der besserungssüchtige Pädagoge, das sinnlich erglühte Weib wie der edle Repräsentant der irdischen Gerechtigkeit, wie sie alle vollkommen stumpf und vollkommen hilflos dem Phänomen der Unschuld gegenüberstehen, wie sie nicht zu fassen vermögen, dass etwas dergleichen überhaupt auf Erden wandelt, wie sie ihm ihre unreinen oder durch den Willen getrübten Absichten unterschieben, es zum Werkzeug ihrer Ränke und Prinzipien machen, dieses oder jenes Gesetz mit ihm erhärten, dies oder jenes Geschehnis an ihm darlegen wollen, aber nie es selbst gewahren, das einzige, einmalige, herrliche Bild der Gottheit, sondern das Holde, Zarte, Traumhafte seines Wesens besudeln, sich vordringlich und schänderisch an ihm vergreifen und schließlich morden.“
Wie dem auch sei: Die Farbpalette menschlicher Reaktionsmuster ist jedenfalls wesentlich bunter und vielseitiger, als es die platte Hasspropaganda vermuten lässt. Von analytischer Treffsicherheit ist man sowieso weit entfernt, wo unter Hass auch das subsumiert wird, was sich bei differenzierter, empathischer Betrachtung eher als Hochmut oder überzogene Kritik entpuppt. Aber man beliebt ja Ungenauigkeit zu pflegen; damit die Leute nicht auf die Idee kommen nachzufragen.
„Der Impfstoff ist Vertrauen“
Zum Beispiel nach der Sinnhaftigkeit gemeinnütziger Initiativen wie die „Hate Aid“, die sich, da teilfinanziert durch öffentliche Förderung, schon wieder etliche Stellenbesetzungen leisten kann. Bei solchen Projekten sind Menschen, die tatsächlich hassen, regelmäßig ausgeschlossen; obwohl man gerade mit ihnen ins Gespräch kommen müsste. Stattdessen geht es immer nur um Wiederholungen der ewig selben Phrasen innerhalb von Filterblasen. Trotz der Millionen von Euro, die für diese Selbstbeschäftigungszeremonien verschleudert werden, fragt nie jemand nach konkreten Erfolgsbilanzen – die ja offenbar ausbleiben, sonst gäbe es schließlich keinen Anlass, fortlaufend nach Handlungsbedarf zu rufen. Weitere kontextbezogene Aktionen: Die Grünen wollen wieder einen Maßnahmenkatalog gegen „Hass und Hetze“, „Facebook verschärft Kampf gegen Corona-Fake-News“ und im Bundestag ist ein „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ in Arbeit:
„Im Internet und insbesondere in den sogenannten sozialen Medien sei eine zunehmende Verrohung der Kommunikation zu beobachten. Dies gefährde letztendlich die Meinungsfreiheit, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen habe.“ (Bundestagsnachrichten)
So kann man die Sache auch hindrehen; es hinterfragt sowieso niemand, ebenso wenig, ob die Ergänzung der rechtswidrigen Inhalte „um das Delikt der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ ohne jede Einschränkung gilt, auch für Diktatoren? Da hätte die Justiz richtig viel zu tun.
An der Spitze der psychologischen Fehlsteuerung steht die Mitteilung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres: „Eine gefährliche Epidemie der Fehlinformationen“ grassiere neben jener des Corona-Virus – von denen, wohlgemerkt, die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung gar nichts mitbekäme, wenn nicht ständig darauf hingewiesen würde. Guterres weiter: „Lügen füllen den Äther“, „wilde Verschwörungstheorien infizieren das Internet“, „Hass breitet sich aus“. Dies müsse aber eine Zeit der „Solidarität“ sein und die Welt sich deshalb „auch gegen diese Krankheit vereinen“. Erstens gelte: „Der Impfstoff ist Vertrauen.“ Der Generalsekretär zollt Journalisten seinen Respekt, „die den Berg von irreführenden Geschichten und Beiträgen in den sozialen Medien auf Fakten überprüfen“.
Keinerlei Rede ist in seiner Mitteilung von den widersprüchlichen Ansichten von Virologen und Ärzten, deren Einschätzungen, sofern man sie in der Breite ernst nimmt und zur Diskussion stellt, einen Kampf gegen „irreführende“ Beiträge ad absurdum führen. Denn wer genau der tatsächlichen Faktenlage am nächsten liegt, bleibt erst noch zu eruieren. Guterres aber kündigt „eine neue Kommunikations-Initiative der UN an, um das Internet mit Fakten und Wissenschaft zu füllen und gleichzeitig der wachsenden Geißel der Fehlinformation entgegenzuwirken“. Solche Auftritte mit dem verbal-pädagogischen Gestus der Einschüchterung werden natürlich keinerlei vertrauensfördernde Effekte erzielen. Die herausgeschälte Aussage ist ganz im Gegenteil: Wenn ihr uns nicht gehorcht, dann bekämpfen wir euch. Gerade so, wie es die kommunistische Partei mit ihren Dissidenten zu tun pflegt. Die Peitsche steckt stets in der Hosentasche.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.