2020 war ein Jahr voller Schroffheit und Hochmut, voller Verunsicherung und Panikmache, voller Sinnsuche und Enttäuschung. Zwölf Monate haben ausgereicht, um das Vertrauen in den Staat, seine Regierung, deren Kompetenzen, in die Wissenschaft und Medien, aber vor allem in die Information an sich zu ruinieren. Den größten Vertrauensverlust haben jene zu verantworten, die Fakten täglich professionell unterschlagen und wissentlich mit Lücken versehen. Ihr elitäres Abbild einer informellen Wirklichkeit widerspricht zu oft unserer eigenen Erfahrungswelt und treibt manchen Unbedarften in verstiegene Vorstellungen von Verschwörung. Deshalb musste daran manipuliert werden: Das Konstrukt einer grassierenden tödlichen Pandemie unvergleichlichen Ausmaßes war und ist das abstruse Wunschbild einer im Panikmodus agierenden Politik. Aber weshalb? Es hat uns monatelang ratlos gemacht.
Den Protagonisten einer neu entflammten, nervigen Gesinnungsethik möchten wir hier zweifelhaften Dank sagen für die Offenbarung ihrer Untauglichkeit. Sie haben eine postdemokratische Ära eingeläutet, die uns in die Klassengesellschaft des anmaßend autoritären Ständestaates zurückkatapultiert, während das Bild einer aktiven, um das bessere Wirklichkeitskonzept ringenden Demokratie jäh verblasst. Wollen wir in Zukunft wirklich in einer Nation von Angst- und Machtbesessenen leben, wo sich notorische Besserwisser und Opportunisten über die Zurückhaltenden und Differenzierten erheben dürfen und mit repressiver Geste Erlass-Politik betreiben – im Namen der „Volksgesundheit“ oder irgendeiner anderer Moralblase? Das wäre dann nicht mehr unser Land.
Was uns schon heute belastet, ist ein schaler Geschmack gescheiterter Demokratie und sinnlos zerstörter Gemeinwerte. Es fühlt sich an, als würde jemand den teuren Sportwagen auf freier Bahn mit einer Vollbremsung zum Stehen bringen, obwohl im Rückspiegel der Schwerlaster schon gefährlich nah ist. Der Aufprall wird eine lange Spur von Trümmern nach sich ziehen. Die Gegenwart wirft schon jetzt lange Schatten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Deformation auf die kommenden 20er Jahre.
Man fragt sich, ob die Krisenmanager dieser Tage für die Zerstörung unserer Werte irgendwann zur Verantwortung gezogen werden oder ob sie – und das ist zu vermuten – halsstarrig im Glauben an ihre angeblichen Großtaten und unfähig, die katastrophalen Ergebnisse ihres Handelns als schuldhaftes Scheitern anzunehmen, im sonnigen Exil ihre Pensionen durchbringen dürfen.
Empathielos regiert – Fesseln der Unterklasse
Wenn die Politik und die Medien ihren Kurs der Ausgrenzung von Lockdown-Opfern, Kritikern und Unwilligen fortsetzen, wird das Ergebnis ein Gesellschaftsgebilde sein, das die Spreizung von Klassenunterschieden weiter steil begünstigt. Die Spaltung der Gesellschaft nach Kriterien der Gesinnung wird formal in „korrekt“ und „nicht korrekt“ betrieben, meint damit aber oft genug eine bewusst diffamierende Einteilung in politische Lager. Im Ergebnis betreibt man damit aber die vertikale Einteilung in ein Oben und Unten.
Die politische Klasse hat sich in ihren geistigen „Gated Communities“ fest eingerichtet, aus denen heraus sie das Untertanenvolk empathielos regiert und haltungsmoralisch auf Kurs hält. Privilegien und Zugang zur herrschenden Klasse haben jene aus der Peripherie, die sich um die Erklärmodelle, Exekutivaufgaben und Versorgung der Abgeschirmten verdient machen: Journalisten-Aktivisten, „Kulturschaffende“, Unternehmer der „Großen Transformation“ und Digitalexperten. In Zukunft wird das Digitale immer stärker zur trennenden Membran zwischen oben und unten. Wer keine ausreichende Kompetenz in diesem Sektor hat, muss draußen bleiben.
Die Untertanen werden aus aseptischer Ferne geführt, erzogen und beäugt, sie haben wenig Freiheiten, leiden unter Existenznöten und -ängsten und mangelnder Teilhabe. Die herrschende Klasse geht mit ihnen so gut wie gar nicht mehr auf Tuchfühlung, Hände werden nicht mehr geschüttelt, das Bad in der Menge ist ein befremdliches Bild aus Helmut Kohls Zeiten. Armut ist ansteckend, könnte man meinen. Man distanziert sich zunehmend physisch und ideell. Die Untertanen werden zu Objekten der Entfremdung.
Es sind die Neu-Ausgebeuteten, die die Pakete des Onlinehandels zustellen, Kranke und Alte pflegen, nachts Büroflure putzen und im Streifendienst Überstunden anhäufen. Sie leiden wie das Heer der Soloselbstständigen unter einem eklatanten Rückgang der Wertschöpfung aus menschlicher Arbeitskraft, dem geringen Ansehen körperlich anstrengender Jobs, niedrigen Löhnen und der steigenden Bedrohung durch Arbeitslosigkeit. Aber sie bekommen auch schmerzlich die Folgen gesinnungsethischer Politikziele zu spüren, die ihr Leben stetig komplizierter und unerschwinglicher machen (Klima, Energie, Migration). Das macht sie nicht nur zu Opfern wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen, sondern zusätzlich noch zu Zielscheiben von gesinnungspolitischem Mobbing und sozialer Ausgrenzung.
Wer wichtig ist, darf fliegen
Bald kann die breite Masse nicht mehr selbstbestimmt leben, reisen oder konsumieren. Der einfache Mann, seine Frau und Kinder haben in der digitalen Hochfrequenz-Gesellschaft einfach keinen vorderen Platz mehr, keine Aufstiegschancen, aber genügend Bandbreite für Tele-Shop und Spielkonsole. Damit werden sie auf „mute“ gestellt und müssen klimaneutral zuhause bleiben. Sie können auch nicht anders, selbst wenn sie wollten.
Die Klassenunterschiede zeigen sich bald deutlich an der ungleichen Verteilung von Privilegien. Wer „wichtig“ ist, darf fliegen, Auto fahren, artgerecht erzeugtes Fleisch essen, weil er sich den Preis und den klima-bürokratischen Ablasshandel leisten kann, der direkt vom Girokonto abgebucht wird.
Als ruhig gestellte Konsum- und Entertainment-Empfänger müssen die Untertanen erst aus dem Wachschlaf der Genötigten geweckt werden und ihr Verhältnis zum Staat und zur Gesellschaft erkennen, denn ohne das daraus erwachsende Klassenbewusstsein gibt es keine Auflehnung. Irgendwann kommt die Frage auf, was ihnen genau vorenthalten wird, und wofür sie eintreten sollen.
Bleiernes Schweigen über dem Land
Der Blick in den Rückspiegel offenbart, dass für die Genese des demokratischen Desasters und der Fehlentscheidungen der Regierung nicht nur die falschen Einflüsterungen der Beraterstäbe, der Haltungs-Konformismus der Medien oder die Inkompetenz der Politiker anzuführen sind, sondern auch echter menschlicher Makel. Es herrscht ein Drang zur Eitelkeit, Selbstüberschätzung, zu Lügen und Ignoranz, aber auch echter Mangel an Demut gegenüber den Bürgern und der Demokratie. Der Kanzlerin und ihrer Gefolgschaft gehört diese Demokratie nicht. Und doch maßen sie sich ihren Besitz mit aufgeblasener Wichtigtuerei einfach an. Deshalb agieren sie so schlafwandlerisch, realitätsfern und überzogen.
So schlingernd ungewiss das Jahr 2020 begonnen hatte, so autoritär endete es in einem zweiten noch härteren Lockdown, der die Interaktion zwischen Politik und Gesellschaft Monat um Monat in ein sich immer absurder steigerndes Sado-Maso-Verhältnis verwandelt. Das unterwürfig Devote trifft das willkürlich Dominante. Je härter, desto unbegründeter, könnte man sagen. Denn die Ausflüge der Herrschenden in Gefilde plumper Macho-Posen sind augenscheinlich verzweifelte Versuche, das immer offener zutage tretende Unvermögen zu einer Politik der Abwägung und Kommunikation zu bemänteln. Die scheinheilige Salami-Taktik ist eingeübt und verfängt: angebliche Kausalitäten, aus der Luft gegriffene Inzidenzen und wechselnde Evidenzen werden vom Fußvolk und den Medien hingenommen, als ginge es nur um den Empfang der dünnen Hostie beim Abendmahl.
Es liegt ein bleiernes Schweigen über dem Land. Das Mantra der regungslosen Kanzlerin wird ad infinitum verlängert und der Deutsche senkt ergeben das Haupt, die Verfassungsgerichte schweigen und das Virus will trotz des Isolations-Regimes nicht weichen. Das Ganze ist eine tragische Farce, die alles, was wir Nachkriegskinder bisher in diesem Land erlebt haben, in den Schatten stellt.
Teil 1 des dreiteiligen Essays finden Sie hier.
Teil 3 des dreiteiligen Essays erscheint morgen.