Von einem Flüchtling, der schon länger hier lebt

Kürzlich habe ich mich hier auf der Achse als vaterloses Kriegskind geoutet. Aber das ist noch nicht alles. Ich bin auch ein Flüchtling. Ein unfreiwilliger allerdings; denn unsere Flucht im März 1945 aus dem 1.500-Seelen-Dorf Treblin in Pommern (heute Trzebielino/Polen) blieb leider erfolglos. Im August 1947 wurden wir dann vertrieben und landete nach einigen Zwischenstationen zwangsweise auf einem Bauernhof in Westfalen. Noch heute besitze ich den grünen „Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge A“ mit der Nummer 5532/1/3074.

Wir, das waren meine Mutter und ich, ihr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Bruder mit seiner Frau und deren Mutter sowie ihren drei Kindern – zusammen also acht Personen. Drei Generationen, von 75 (die Oma) bis sechs (ich), lebten zusammen in einem Raum. Ich schlief mit meiner Cousine und meinem Cousin, einem vier Jahre älteren Zwillingspärchen, in einem Bett – quer übrigens. Die übrigen betteten sich, wie es gerade ging.

Auf der anderen Seite des Flures wohnte die Magd des Hauses allein in einem, wenn auch wesentlich kleineren Zimmer. Ein Waschbecken auf dem Flur für alle mit fließendem kalten Wasser war vorhanden. Einmal in der Woche konnten wir warm baden. 

Obwohl ich schon schulpflichtig war, musste ich sehnsüchtig zurückbleiben, wenn die Zwillinge sich auf den einen Kilometer langen Fußweg zur Zwergschule machten (ein einziger Raum für acht Klassen mit 60 Kindern und einem einzigen Lehrer), weil ich nach dem Befund des Gesundheitsamts einfach zu mickerig war.

Von „Willkommenskultur“ war übrigens seinerzeit nichts zu spüren. Die Einheimischen versuchten erst gar nicht so zu tun, als seien ihnen die Flüchtlinge willkommen. Sie wurden geduldet, nicht mehr und nicht weniger. Einige machten auch aus ihrer Abneigung gegen die „Mischpoke“ aus der „kalten Heimat“ keinen Hehl. 

Warum nehmen die Frustrierten kein Buch in die Hand?

Natürlich verbesserte sich unsere Lage im Laufe der Zeit. Doch bis zum Abitur lebten meine Mutter und ich in zwei Räumen einer Vierzimmerwohnung, deren beiden anderen Räume von einem uns fremden Ehepaar genutzt wurden. Bad mit Toilette stand uns gemeinsam zur Verfügung. Erst als Zwanzigjähriger hatte ich mit meiner Studentenbude mein erstes Zimmer ganz für mich (direkt neben dem Schlafzimmer des Vermieterehepaares). Der Vertriebenenausweis war für mich übrigens nicht bloß ein Stück Papier, sondern ermöglichte mir ein Stipendium nach dem BVFG, für das ich bis heute dankbar bin. 

Meine Erinnerungen an die Nachkriegsjahre sind mittlerweile natürlich stark verblasst und hier und da vielleicht auch leicht verklärt. Lange habe ich überhaupt nicht mehr an diese Zeit gedacht. Erst seitdem so viel von Flüchtlingen die Rede ist, ist sie wieder stärker in mein Bewusstsein gerückt. Und so oder ähnlich dürfte es vielen Inhabern des Ausweises für Vertriebene und Flüchtlinge gehen, der heute wohl nur noch für Spätaussiedler von Bedeutung ist.

Ja, und dann sehe ich heute Morgen dieses Bild in der Zeitung. Bildunterschrift: „Tag für Tag Langeweile: Ein Asylbewerber sitzt auf dem Fensterbrett und raucht“, dazu die Schlagzeile „Die Furcht vor den Frustrierten“. Als erstes geht mir der naive Gedanke durch den Kopf, warum nehmen die Frustrierten nicht ein Buch in die Hand und versuchen, sich selbst Deutsch beizubringen? Gewiss ist das mühselig. Aber wenn man so viel Zeit hat. Oder lesen etwas anderes Sinnvolles, um sich weiter zu bilden? Auch wenn man keine Bleibeperspektive hat: Bildung ist doch immer nützlich oder?

Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“, skandierten vor fast zehn Jahren zehntausende Schüler in mehreren deutschen Großstädten. Flüchtlinge brechen dagegen Sprachkurse häufig ab, wenn man entsprechenden Meldungen glauben darf. Angeblich schließt nicht einmal jeder zweiter Ausländer den Sprachkurs ab. Offensichtlich hoffen sie alle auf den Nürnberger Trichter

In Wahrheit verschließen Politik und Medien und viele andere ganz einfach die Augen vor der unbestreitbaren Tatsache, dass die zahlreichen Menschen, die uns da geschenkt wurden, nichts weiter als ein Danaergeschenk sind. Ein Trojanisches Pferd eben, aus dessen Inneren nach und nach das herausquillt, was wir partout nicht wahrhaben wollen: „Das Proletariat von morgen“ (Henryk M. Broder), dessen mangelnde Qualifikation umso deutlicher werden wird, je schneller wir uns auf die Informationsgesellschaft zu bewegen. 

Foto: Rolf Unterberg/Bundesarchiv CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Uwe Samsel / 12.05.2018

Unsere Politiker, und hier, so unterstelle ich es mal,  insbesondere die Grünen, unterliegen dem Irrglauben, dass man eine Sprache im Handumdrehen lernt. Warum die Frustrierten kein Buch zur Hand nehmen? Vielleicht können viele von denen überhaupt gar nicht lesen? Oder nur rudimentär? Und dann auch nur arabische Schriftzeichen. Und wie sollen die eigentlich eine Sprache lernen, die so ganz anders ist als die ihrige?  Und in 100 Stunden (so lange geht ein Integrationssprachkurs) lernt man keine Fremdsprache. Manche behaupten sogar, dass es Flüchtlinge gibt, die gar nicht fähig sind, eine Fremdsprache zu erlernen.  Und warum sollten sie auch? Wenn man erst einmal im Ausländer-Ghetto deutscher Städte lebt, dann ist das Erlernen des Deutschen eh obsolet.

Stefan Bley / 12.05.2018

Mit der Willkommenskultur ist es wie im Privaten. Wenn ich dauerhaft Besuch bekomme und dieser immer nur fordert und nicht im Haushalt mit zur Hand geht, dann ist dieser eben nicht willkommen. So simpel ist das manchmal.

Uta Buhr / 12.05.2018

Lieber Herr Grell,  ich erinnere mich genau an die wenig freundliche Aufnahme der “echten” Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die unfreiwillig zu uns in den Westen kamen, weil sie vertrieben wurden. Auch wir mussten in unserem Haus eine Familie aufnehmen, die allerdings von vornherein integriert war, weil alle vier Personen Deutsch sprachen und zu unserem Kulturkreis gehörten. Die Eltern der beiden Kinder gingen sehr schnell einer geregelten Arbeit nach und suchten sich ein eigenes Zuhause, als wieder mehr Wohnraum zur Verfügung stand. Unsere beiden Familien blieben immer Freunde. Ich bin jedesmal empört, wenn die heutigen “Flüchtlinge”, die zum überwiegenden Teil aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, mit jenen in einen Topf geworfen werden, die ihre Heimat auf Gedeih und Verderb verlassen mussten. Nicht wenige von ihnen kamen hier im Westen schnell auf die Beine und machten erstaunliche Karrieren. Vielleicht geht Frau Göring-Eckart in ihrer unendlichen Naivität davon aus, dass ein Großteil der uns geschenkten Menschen in Kürze ähnliche Erfolge vorzuweisen haben wird (Ironie aus).

Ulrich Zumbrock / 12.05.2018

Guter Mann, alles richtig. Wenn man ihre letzten Gedanken weiter ausbreitet. Es werden also in den nächsten Jahren mindestens 1 - 2 Millionen in den Niedriglohnsektor einsickern und Längerhierschonlebende vielleicht verdrängen. Wenn dann fleißig systemerhaltend gearbeitet wird bis zum Renteneintrittsalter von 67 Jahren, was für einen Rentenanspruch ergibt sich dann aus einem Bruttostundenlohn von circa 10 Euro?. Also das Ergebnis: nach 45 Jahren ab in die Grundsicherung. Für mich ist unser Staatsschiff im Augenblick ein Narrenschiff. Wer bringt mich an das rettende Ufer?

Fanny Brömmer / 12.05.2018

“Als erstes geht mir der naive Gedanke durch den Kopf, warum nehmen die Frustrierten nicht ein Buch in die Hand und versuchen, sich selbst Deutsch beizubringen? Gewiss ist das mühselig. Aber wenn man so viel Zeit hat. Oder lesen etwas anderes Sinnvolles, um sich weiter zu bilden?” Je nachdem, welche Quelle man nimmt, so schwankt der Anteil der Analphabeten unter den unserem Sozialsystem geschenkten menschlichen Goldstücken zwischen 50 und 90 (!!!) Prozent. In Worten: NEUNZIG PROZENT!  Die sind nur hergekommen, um die ihnen ihrer rein persönlichen Meinung nach zustehenden Gelder, Häuser und Autos einzufordern und uns als Gegenleistung ihre steinzeitlich - faschistoide, als Religion getarnte (Taqqiya) Ideologie aufzuzwingen.

Sabine Heinrich / 12.05.2018

Warum sollen sich die Flüchtlinge anstrengen, bekommen sie doch auch so jegliche Unterstützung. Wenn ich an meine Eltern (Flüchtlinge aus Schlesien) denke, die hier nicht willkommen geheißen wurden und zunächst unter unsäglichen, erbärmlichen Bedingungen hausen mussten - von der Ablehnung ganz zu schweigen -  kommt mir die Galle hoch, wenn ich tagtäglich lesen und erfahren muss, wie sich hier Leute, denen alles ohne jegliche Gegenleistung angedient wird, aufführen. Meine Eltern haben nur durch Fleiß und unbeugsamen Willen geschafft, sich hier wieder eine Existenz aufzubauen. Gut, dass sie nicht mehr zu erleben brauchen, wie heute sogar Kriminelle aus kulturfernen Ländern, die sich “Flüchtlinge ” nennen, hier gehätschelt und rundumversorgt werden, andererseits aber gut integrierte Menschen, die zu bescheiden sind und keinen Draht zu raffgierigen Rechtsanwälten haben, abgeschoben werden. Ich könnte nur noch speien!

Horst Jungsbluth / 12.05.2018

Flüchtlinge oder Heimatvertriebene waren in der Nachkriegszeit weder wollkommen, wenn sie nur von einer Seite der Neiße auf die andere wechselten, und schon gar nicht sie aus dem protestantischen Ostpreußen in das katholische Bayern verschlagen wurden. Die Not war riesengroß, aber der Zusammenhalt in den Familien, oft aus drei Generationen bestehend, war es auch, obwohl häufig der Vater der minderjährigen Kinder fehlte, da er im Krieg “gefallen” war oder sich in Gefangenschaft befand. Wie sich aus diesem zerbombten Deutschland mit den Millionen an Flüchtlingen und Heimatvertriebenen eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt und für lange Zeit eine stabile Demokratie bilden konnte, das grenzt an ein Wunder, es war aber keines. Denn der andere Teil Deutschland, die DDR endete 44 Jahre nach Kriegsende fast da, wo er begonnen hatte. “Ruinen schaffen ohne Waffen” war an schrecklichen Fassaden in Leipzig zu lesen, als ich die Messe besuchte und die Bewohner waren aufgebracht über die schier unglaublichen Verhältnisse. Wenn man das alles Revue passieren lässt, dann kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass unsere “ewig” Unverantwortlichen” , ob nun Politiker, Juristen, Journalisten oder Interessenvertreter nichts, aber auch gar nichts begriffen haben.  Sie sind dabei, abermals unser Land zu zerstören.

Werner Arning / 12.05.2018

Eventuell handelt es sich ja auch um ein großes Missverständnis. Nicht zum Arbeiten sind viele der Schutzsuchenden möglicherweise gekommen, sondern um das zu genießen, was ihnen von Schleppern versprochen worden war : ein angenehmes Leben ohne Arbeit. Außerdem fehlt vielen wohl auch die Grundvoraussetzung, um etwa eine fremde Sprache zu erlernen. Denn wer seine eigene Sprache in Schriftform nicht beherrscht, tut sich schwer, eine neue zu erlernen. Versprochen war ihnen Haus, Auto und möglichst eine Frau. Und darauf warten sie nun möglicherweise. Von Arbeit war nicht unbedingt die Rede.

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