„Guaidó ist eine Marionette von Donald Trump. Maduro ist der legitime Präsident.“ Eines muss man dem 85-jährigen Jean Ziegler, dem Schweizer Bestsellerautor, lassen: Er bleibt standhaft. Oder ist altersstarrsinnig geworden. Das kann man Heike Hänsel, Vizevorsitzende der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag, nicht vorwerfen, sie spricht von „einem orchestrierten Staatsstreich“ und wollte nicht, dass die Bundesrepublik Juan Guaidó anerkennt.
Man muss schon in entlegenen Ecken oder in der Vergangenheit suchen, um unverbrüchliche Unterstützung für das Regime von Maduro zu finden. „Cuba Sí Deutschland“ fordert „Solidarität mit der Bolivarischen Republik“ und ruft zu Demonstrationen in Berlin auf, unter dem ewigen Motto „Hände weg von...“. Das forderte auch Sarah Wagenknecht 2005: „Hände weg von Venezuela“. Und ihr späterer Gatte Oscar Lafontaine äußerte 2006 in einer gemeinsamen Erklärung mit Gregor Gysi, dass in Venezuela die „wirtschaftliche Entwicklung der eigenen Bevölkerung zugute“ käme, und anlässlich der Abstimmung über die neue „bolivarische Verfassung“ im Jahre 2007 schwärmte Lafontaine noch von der „fortschrittlichen linken Regierung in Venezuela“. Und ab 2006 machte sich die „Brigade Camilo Cienfuegos“ von Deutschland jährlich auf nach Venezuela, um sich dort am Aufbau des Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu beteiligen. Diese Bemühungen stellten die „Interbrigadas“ allerdings 2014 ein.
Auf ihrem Parteitag in Hannover im Jahre 2017 rief „Die Linke“ weiterhin zu „Solidarität mit Venezuela!“ auf und diagnostizierte, dass die „Ursachen“ für das ganze Elend „nicht vorrangig in Fehlern der Regierung Maduro liegen“. Ach nein? Noch niemals in der Geschichte des degenerierenden Sozialismus hat sich die Führungsschicht dermaßen schamlos und skrupellos bereichert wie in Venezuela. Wir sprechen hier von Multimilliarden, von der Beteiligung am Drogenhandel, von Korruption, Unfähigkeit und Amoral im Quadrat. Allein bei einem einzigen Raubzug unter Beteiligung eines Schweizer Bankers und der Stiefsöhne von Maduro wurde dem Staat der nette Betrag von 1,2 Milliarden Dollar gestohlen. Dennoch trompetet „Die Linke“: „Dass sich Deutschland wieder einmal in das Fahrwasser der Vereinigten Staaten begibt, ist ein politisches Trauerspiel.“
Kuba, Chile, Nicaragua, Venezuela: Wo immer in Lateinamerika jemand das Wort Sozialismus in den Mund nimmt, bekommt die Linke, nicht nur in Deutschland, feuchte Augen. Ruft zu Unterstützung und Solidarität auf, pilgert hin, schwärmt vom Aufbau einer neuen und gerechten Gesellschaft. Um sich dann bitterlich enttäuscht abzuwenden. Wie im Fall von Kuba oder Nicaragua. In Venezuela befindet man sich noch im ungeordneten Rückzug. Die Linke ist sich nicht mehr sicher, ob sie alles Elend im Land tatsächlich dem fiesen Imperialismus der USA in die Schuhe schieben kann. Elend? Ein einziger Vergleich soll genügen. Die wichtigsten Universitäten des Landes führen jährliche Studien über Armut durch. Als arm gilt ein Haushalt, wenn sein Einkommen nicht ausreicht, um die Lebenshaltungskosten zu decken. 1998, im Jahr vor der Machtergreifung durch Hugo Chávez, galten 45 Prozent der Venezolaner als arm. 2017 waren es 87 Prozent. Sonst noch Fragen?
Dröhnendes Schweigen
Inzwischen herrscht nicht zuletzt wegen der desaströsen Lage zunehmend etwas, was für linke Intellektuelle sehr befremdlich ist: dröhnendes Schweigen. Nicht einmal die Klassiker linker Rabulistik werden wiederholt. Darunter: „Wirtschaftskrieg der USA.“ Das geht im Fall Venezuelas schlecht, da die USA viele Jahre der wichtigste Abnehmer (und treueste Zahler) von venezolanischem Erdöl waren. Oder „Vorgehen wie in Chile.“ Das geht auch schlecht, weil es sich dort um einen von der CIA unterstützten Militärputsch gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten handelte. Und schließlich das legalistische Argument: „Maduro ist legal gewählt, Guaidó hat sich illegal selbst ernannt.“ Solche Petitessen sind den Linken bei der Machtübernahme eines revolutionären Regimes normalerweise eher egal.
Und außerdem trifft auch das nicht auf Venezuela zu. Wie es der Völkerrechtler Héctor Faúndes Ledesma in einem Interview auf den Punkt bringt: „Das Konzept der Legitimität ist politisch, nicht juristisch.“ Wenn es um die völkerrechtliche Anerkennung einer Regierung geht, dann gelte: „Wer übt effektiv die Kontrolle im Land aus? Dafür gibt es wiederum drei Kriterien: Wem folgt die Bevölkerung? Wem gehorchen die staatlichen Institutionen? Und wer hat die Ressourcen, um die Macht auszuüben, also Geld?“
Noch folgen die staatlichen Institutionen – natürlich am wichtigsten das Militär – Maduro. Seine Ressourcen, also Geld, sind aber am Versiegen, und den Rückhalt in der Bevölkerung hat er auch verloren. Somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis sein Regime zusammenbricht. Das ist die gute Nachricht für die Venezolaner. Dass das ohne weiteres in einen Bürgerkrieg ausarten kann, die schlechte. Außer, was eher zu erwarten ist, Maduro macht sich nach einem letzten Griff in die Staatskaste aus dem Staub.
Aber dass weite Teile der Linken, wie auch im Fall Kubas, sich mit dem bedingten Reflex, dass alles, was „antiimperalistisch“ sagt, dass alles, was „revolutionär“ sagt, dass alles, was „Gerechtigkeit und Solidarität“ sagt, unbezweifelbar gut ist, das Denkvermögen ausgeknipst haben, ist eins ums andere Mal ein Trauerspiel. Dass es Verteidiger des Stalinismus gab, mag noch verständlich sein, da schließlich die UdSSR unter seiner Führung mit den größten Opfern den Hitler-Faschismus niederkämpfte.
Aber dann die Mao-Anhänger, die Che-Guevera-Fans, die Freunde der Roten Khmer? Auch die Unterstützer eines brasilianischen Präsidenten wie Lula, der nichts als eine ungeheuerliche Korruption, eine wirtschaftliche Katastrophe und eine verlogene Verminderung der Armut hinterließ, die nur durch den Taschenspielertrick zustande kam, das Mindesteinkommen soweit abzusenken, dass es viele in die Mittelschicht schafften, aber immer noch arm waren? Selbst seiner unfähigen Nachfolgerin Dilma Rousseff wurde Solidarität und Unterstützung zuteil, welche Beratungsresistenz zeigen da vor allem die Salonlinken in Europa, in Deutschland?
Wer pilgerte nicht nach Nicaragua...
Oder, Kopf an Kopf mit den ehemaligen Freiheitskämpfern Mugabe oder dos Santos, der Allerschlimmste: Daniel Ortega. Wer war, auch in Deutschland, nicht Sandalista, wer pilgerte nicht nach Nicaragua, um dem Dani mal bei der Kaffeeernte zu helfen, wer war sich nicht völlig sicher, dass Dani die Wahlen im Jahre 1990 gar nicht verlieren könne? Und wer möchte heute noch an seine damaligen „Analysen“ und Solidaritätsadressen erinnert werden, wenn er Ortega sieht? Korrupt, fett, in Mystizismus abgeglitten, Arm in Arm mit der katholischen Kirche, die er früher als Helfershelfer der Oligarchie bekämpfte? In seiner vierten Präsidentschaft, die er sich herbeibetrogen hatte, verteilt er nun die Pfründen an seine Familienmitglieder und hofft, dass seine Frau seine Nachfolge antreten wird.
Damit erweist sich die Restlinke immer mehr als wahrhaft antipopulistisch, wenn man das Wort so versteht, dass Populisten sich für die Interessen des Volkes einsetzen. Denn immer, ausnahmslos, musste und muss das Volk leiden, wie in Venezuela, wenn mal wieder der Weg zur gerechten, solidarischen, humanen und sozialistischen Gesellschaft angetreten werden soll. Immer kommt es dabei zu Kollateralschäden, müssen zunächst Opfer gebracht werden, funkt leider der bösartige Imperialismus dazwischen, verlangsamt das Erreichen der paradiesischen Zustände in dieser Welt. Man muss da von einem Grundlagenirrtum sprechen, einem fundamentalen Denkfehler. Und ein System, eine Ideologie, die auf einem Grundlagenirrtum aufgebaut ist, ist zum Untergang verurteilt. Früher oder später.
Widerlich bei all diesen Entwicklungen ist, dass die europäischen Salonlinken bis heute nicht müde werden, vor Ort oder aus der Ferne gute Ratschläge zu geben. Kollektive, Räte, Selbstbestimmung, Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Antiimperialismus, Kommunismus. Die einheimische Bevölkerung lauscht meistens mit undurchdringlicher Miene und versteht kein Wort. Ganz fatal wirkt hier ein in Europa kaum bekannter Ideologe. Der deutsche Heinz Dieterich lehrt an der Universität von Mexico Stadt und kann wohl als Erfinder des Begriffs „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ gelten. In diesem Werk schwafelt er von „Äquivalenzökonomie“, „direkter Demokratie“ dank einem „rational-ästhetischen Subjekt“ und einer „partizipativen Institutionalität“.
In einer absurden „Weiterführung“ des Marxismus will Dieterich einzig die erbrachte Arbeitszeit, unabhängig von der Qualifikation, als Maßstab für Bezahlung gelten lassen. Dieterich gehörte zu den Beratern von Chávez, bis man sich dann verständlicherweise im Streit trennte. Heute sieht Dieterich die Überlebenschancen des Maduro-Regimes als sehr klein an. Wie all diese Besserwisser und Ideologen wurden Dieterich die Auswirkungen seiner absurden Theorien nicht in den Leib gemartert. So wie der venezolanischen Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren.