Von Jakob Mendel.
Ein neueres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schließt nicht per se aus, Bigamisten einzubürgern. Das eröffnet polizeibekannten Großfamilien zumindest perspektivisch ganz neue Möglichkeiten. An dieser Stelle schrieb kürzlich Rainer Grell über die tiefschürfenden Betrachtungen, die das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines wegen seiner Ehe mit einer Deutschen ein- und wegen einer verschwiegenen weiteren Ehe mit einer Syrerin wieder ausgebürgerten Syrers anstellte. Einer der Leitsätze des Urteils war sinngemäß, dass eine rechtswirksam im Ausland geschlossene weitere Ehe – keinesfalls also „nur“ eine Zweitehe – einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht entgegenstehe. Polygynie – vulgo: Vielweiberei – und die Gleichberechtigung der Frau (Art. 3 Abs. 1 GG) schließen einander nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts also nicht aus. Das klingt interessant.
Ich wage daher einen Blick in die Zukunft und stelle mir vor, dass der Syrer erfolgreich gegen seine Wiederausbürgerung klagt. Für die weitere Betrachtung spielt es keine Rolle, ob genau dieser Kläger Erfolg hat. Da das Bundesverwaltungsgericht den sprichwörtlichen Einzelfall berücksichtigt sehen möchte, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Kläger in einer vergleichbaren Situation obsiegt. Ebenso spielt keine entscheidende Rolle, ob im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „eine weitere Ehe“ oder „eine weitere Ehe“ zu betonen ist; beschränken wir uns zunächst auf eine weitere, also die Zweitehe.
Was wird passieren? Als erstes werden die üblichen Verdächtigen begeistert sein: Weltoffenheit, Toleranz, Kultursensibilität, Einfühlung und gelungene Integration sind die Stichwörter, mit denen sie bei ihrem Eigenlob auf Kosten Dritter nicht sparen werden. Als nächstes (die genaue Reihenfolge spielt keine besondere Rolle) wird ein Deutscher mit entsprechendem Migrations-, Religions- und kulturellem Hintergrund prozessieren, ebenfalls zwei Frauen haben zu dürfen. Auch er wird erfolgreich sein: Was man dem Zuwanderer zugesteht, wird man dem schon länger hier Lebenden kaum verweigern können. Ebenso wird es eine Klage mit feministischem Hintergrund geben, dass eine Frau gleichzeitig zwei Ehemänner haben darf. Auch diese Klage wird erfolgreich sein: Art. 3 Abs. 1 GG, sie erinnern sich.
Damit wäre aus der Sicht polizeibekannter Großfamilien schon viel erreicht: Wer miteinander verheiratet ist, kann vom Ehegattensplitting Gebrauch machen, wird bei einem Ehepartner mit deutschem Pass leichter eingebürgert und besitzt im Zivil- wie Strafprozess ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 f. ZPO, § 52 StPO). In welchem Umfang diese Rechte auch für „den Zweitmann meiner Ehefrau“ und so weiter gelten, werden die Gerichte in langwierigen Prozessen klären. Sie haben ja sonst nichts zu tun.
Perfekt wäre die Legalisierung der Zweitehen jedoch noch nicht, da sie zwar unendlich lange Ehe-Ketten, aber noch keine Vernetzung erlaubt. Also wird es weitere Klagen – diesmal auf Polygamie statt Bigamie – geben, und auch diese Klagen werden über kurz oder lang erfolgreich sein. Dann ist es geschafft: Polizeibekannte Großfamilien werden nicht nur ethnisch homogen und ihre Mitglieder eng miteinander verwandt sein (letzteres sind sie nach ihren Maßstäben schon heute) – sie werden auch durch vielfältige Heiraten untereinander Zeugenaussagen vor Gericht verweigern dürfen, den Finanzbeamten viel Freude bereiten und sich gegenseitig die Einbürgerung ermöglichen. Die Folgen kann sich jeder ausrechnen.
Gesetzesänderung? Wo, wenn nicht hier!
Da sich das Bundesverwaltungsgericht nicht zu einem klaren Votum durchringen konnte oder wollte, schlage ich vor, in Artikel 6 des Grundgesetzes nach Absatz 1 Präzisierungen einzufügen:
(1a) Eine Ehe kann nur von zwei volljährigen Partnern eingegangen werden. Jeder Ehepartner kann nur einmal Ehepartner sein.
(1b) Eine im Ausland geschlossene Ehe wird auf Antrag anerkannt, wenn sie am Tag der Antragstellung ebenso in Deutschland geschlossen werden könnte.
Dazu folgende Anmerkungen: Abs. 1a schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zunächst werden Homosexuelle in vollem Umfang gleichgestellt, sodass die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ wieder gestrichen und das Familienrecht entsprechend vereinfacht werden kann. Außerdem wird das letztens in Mode gekommene „Sich-selbst-Heiraten“ ebenso ausgeschlossen wie die amtliche Anerkennung einer ménage à trois. Schließlich entfällt die Ausnahmeregelung, minderjährige Mädchen mit Erlaubnis der Eltern heiraten zu lassen; außereheliche Geburten sind heute keine Schande mehr. Satz 2 ("Jeder Ehepartner kann nur einmal Ehepartner sein") ist keinesfalls erzkatholisch: Wer geschieden oder verwitwet ist, ist eben nicht mehr Ehepartner und kann daher selbstverständlich wieder heiraten. Wer dagegen Ehepartner und somit verheiratet ist, kann nicht ein weiteres Mal heiraten.
Bei der Formulierung von Abs. 1b bin ich mir zugegebenermaßen nicht sicher. Herauskommen soll, dass im Ausland geschlossene Ehen von Ausländern selbstverständlich respektiert werden (Diplomaten und ihre Familien bleiben sowieso außen vor), Kinder„ehen“ und Polygamie aber genau die Grenzen gesetzt werden, die unserer Kultur entsprechen. Mit dem „Tag der Antragstellung“ hat es folgendes auf sich: Man wird im Heimatland geschlossene Ehen irakischer Flüchtlinge (er war bei der Hochzeit 17, sie 15) nicht sprengen, aber auch nicht fördern wollen. Bis zum 18. Geburtstag der jungen Frau ist das Jugendamt gefragt, dann können die beiden ihre Ehe – wenn sie denn so lange gehalten hat – durch einen gemeinsamen Antrag anerkennen lassen. Polygamie bleibt ausgeschlossen.
Den folgenden Einwänden gegen diesen Vorschlag trete ich von vornherein entgegen: Erstens ist das Grundgesetz schon aus viel geringerem Anlass geändert worden. Zweitens spricht die Tatsache, dass ich kein Jurist bin, weder gegen mich noch gegen meinen Vorschlag. Die Richter am Bundesverwaltungsgericht wussten es auch nicht genauer. In diesem Sinne: Die Debatte sei eröffnet!
Jakob Mendel, geb. 1968, hat Chemie studiert und in diesem Fach auch promoviert. Derzeit arbeitet er als Lektor.