Wolfram Weimer / 19.02.2019 / 12:00 / Foto: Reto Klar / 18 / Seite ausdrucken

„Unwort des Jahres“: Eine organisierte Fake News

Das "Unwort des Jahres“ ist ein nachrichtlicher Selbstläufer. Tagesschaufähig, titelseitenträchtig, eine Mega-Nachricht alle Jahre wieder zum Jahresauftakt. Medien und Agenturen übernehmen die Wahl unkritisch, als habe das Nobelpreiskomitee mit dem Papst und der UNO gemeinsam eine unfehlbare Entscheidung getroffen. Tatsächlich aber haben fünf politische Sektierer aus Hessen eine Entscheidung getroffen. Früher einmal wurde das Unwort in der ehrwürdigen „Gesellschaft für deutsche Sprache“ (GfdS) offiziell gewählt. Initiator der Initiative war der angesehene Frankfurter Sprachwissenschaftler Professor Horst Dieter Schlosser.

Doch einer Gruppe von linken Aktivisten war der Rahmen offenbar zu institutionell. Nach einem Konflikt mit dem Vorstand der GfdS machte sich eine selbst ernannte Mini-Jury als „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ institutionell unabhängig. Sie besteht seit 2011 aus fünf Mitgliedern, die das Unwort des Jahres unter sich auskungeln. Das ist natürlich ein ziemlich freches Blendwerk, denn es könnten auch fünf andere Sprachwissenschaftler oder Journalisten ein anderes Unwort auswählen. Die Nachrichtenagenturen haben daher das Problem, bei der Weiterverbreitung der Unwort-Findung eine seriöse Quelle zu nennen. Sie umschreiben den verblüffenden Hintergrund daher in aller Regel mit „Eine sprachkritische Jury aus Sprachwissenschaftlern hat…“

Nun führt der kleine Jury-Kaffeekreis seine Entscheidungen immer häufiger nach rein politischen Erwägungen, in der Regel aus einer ziemlich linken Perspektive. Mit der “Anti-Abschiebeindustrie” (Unwort des Jahres 2018) will man den CSU-Politiker Alexander Dobrindt abwatschen. Mit „alterntive Fakten“ (2017) wollte man Donald Trump attackieren. Die Unworte des Jahres 2014 (Lügenpresse) und 2016 (Volksverräter) sollten die AfD diffamieren.

Mich stört der Etikettenschwindel der Quelle

Auch wenn sich rechte Politiker darüber aufregen, ist eigentlich nichts dagegen zu sagen, wenn sich linke Germanisten engagieren. Es gehört zu einer offenen, liberalen Gesellschaft, wenn alternde Linksintellektuelle ihre schwindende Deutungshoheit verteidigen. Umgekehrt könnten auch bürgerliche Germanisten die Verhunzung der deutschen Sprache durch “genderneutrale” Sprachregelungen wie etwa das “Gendersternchen” kritisieren und ihr Unwort ausrufen.

Mich stört etwas anderes dabei. Mich stört der Etikettenschwindel der Quelle. Die einst so ehrwürdige und überparteiliche Gesellschaft für deutsche Sprache wird hier medial gekapert, obwohl sie mit der Sache nichts mehr zu tun hat. Das wäre so, als würde der AfD-Ortsverband Berlin plötzlich Bundesverdienstkreuze verteilen und alle Medien würden melden, es sei in Berlin ein Bundesverdienstkreuz verliehen worden.

Das uns allen medial geläufige „Unwort des Jahres“ ist kein Unwort des Jahres, es ist ein Unwort von fünf links Engagierten. Das ist eigentlich eine organisierte Fake News. Mich ärgert das auch deswegen, weil ich selbst in Frankfurt bei Professor Schlosser studiert und die anfangs hohen moralischen wie wissenschaftlichen Maßstäbe der Unwort-Initiative erlebt habe. Wenn daraus heute eine billige politische Effekthascherei einer linken Sprachpolizei wird, die Andersdenkende einfach lächerlich machen und diffamieren will, dann stimmt mich das traurig.

Das bewußte Missverstehenwollen

Wie verblendet die Jury arbeitet, konnte ich wiederum selbst erleben, als ich vor drei Jahren plötzlich in einer Presse-Erklärung der Jury zur Begründung des Unwortes „Gutmensch“ auftauchte. Die Jury begründete ihre Wahl auch mit einem Verweis auf einen meiner Artikel (erschienen im Handelsblatt), in dem ich eine ZDF-Boulevardgala zur Flüchtlingshilfe als ungeeignetes, unjournalistisches Instrument kritisierte, die Migrationspolitik der Bundesregierung zu verteidigen.

Die Art der Presse-Erklärung diffamierte mich daraufhin mit just der Mechanik, die den Verwendern des Gutmenschen-Begriffes unterstellt wurde. Denn in meinem Handelsblatt-Beitrag ging es mitnichten um eine Kritik an Flüchtlingshelfern oder vermeintlichen Gutmenschen, sondern um eine – auch vom Spiegel und anderen Kollegen – geteilten Medienkritik an einer Boulevard-Gala des ZDF.

Ich schrieb damals der Jury-Vorsitzenden (Frau Professor Janich) eine Mail und beschwerte mich über das bewusste Missverstehenwollen und die gezielte Denunziation. Ich klagte wörtlich: „Der Umgang mit der Sprache wurde also in Ihrer Pressemitteilung bewusst dazu missbraucht, einen Kollegen zu Unrecht zu diskreditieren.“ Die Jury-Vorsitzende erkannte das Fehlverhalten, hatte ein Einsehen und entschuldigte sich offiziell bei mir: „Wir möchten uns hiermit bei Ihnen entschuldigen, dass wir Sie namentlich zitiert und offensichtlich auch missverstanden haben…Ich habe den gesamten Verweis daher aus der Pressemitteilung entfernt.“ Dummerweise war die Pressemitteilung mit der ungerechtfertigten Diffamierung aber schon verbreitet. Ich habe die Entschuldigung der Jury trotzdem akzeptiert, denn Frau Janich mühte sich immerhin um Integrität.

Aber ich schaue seither noch kritischer hin, wer sich dort wie zur offiziellen deutschen Sprachpolizei erklärt, ohne dass es dafür ein seriöses Mandat gibt. Vielleicht sollten unsere großen Presseverbände eine eigene, fachlich qualifizierte, politisch ausgewogen besetzte Jury ernennen und selber das Unwort des Jahres küren. Mit journalistische Unabhängigkeit und Selbstkritik käme man im Dienste der politischen Kultur weiter als mit ideologischer Verbissenheit.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

Foto: Reto Klar/FOCUS CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Gert Köppe / 19.02.2019

Diese “Linksverblendeten” können nur mit ideologischer Verbissenheit reagieren. Sachdienliche Argumente sind fast nie vorhanden, weil ja auch der nötige Sachverstand meist nicht vorhanden ist. Ideologie braucht keinen Sachverstand. Ein hohes Maß an Borniertheit und notfalls ein guter “Schreihals” reichen doch, um wenn es sein muss, alles “nieder zu blöken” was anderer Meinung ist. Das ist halt “Demokratieverständnis” nach “Links-Grünen Strickmuster”.

Udo Kemmerling / 19.02.2019

“...als habe das Nobelpreiskomitee mit dem Papst und der UNO…” Dieses Triptychon der Fehlentscheidungen ist als Gegenbeispiel denkbar ungeeignet.

Hans Wulsten / 19.02.2019

Ist ja alles interessant zu lesen und auch nachvollziehbar. Andererseits bleibt die Frage: Brauchen wir überhaupt ein “Unwort des Jahres”? Und wenn ja warum, wozu und was soll es bewirken? Das ich das Wort in diesem Jahr oder generell in Zukunft nicht mehr verwenden darf? Das meinen Ausdrucksmöglichkeiten oder meinem Formulierungswollen ein Korsett angelegt wird? Und was ist, wenn ich es doch tue. Wenn mir das alles am Derrière vorbei geht. So wie auch das Insekt des Jahres, oder die Blume, der Singvogel oder die Eisspezialität. Nicht weil ich borniert bin. Sondern weil ich selbst entscheiden möchte für wen oder was ich mich interessiere und welches Wort ich verwende. Wenn das “Unwort des Jahres” dazu dienen soll die politische Position des Verwenders zu verorten, dann kann ich mir vorstellen es gerade zu verwenden. Nichts verwirrt doch den Gegner mehr als eine bewußte Sprachverschleierung. Und darin waren wir Deutschen schon immer Meister. Der Spaß im Nachhinein solche Verbalakrobatik zur Veräppelung zur verwenden ist ungeheurer. Es muß ja nicht “Endlösung” sein, schon “Werktätiger”, “Herrenbinder”, “Birkenstockgrufti” oder Ökotussi” erfüllen voll ihren Zweck.

Hartmut Laun / 19.02.2019

++ Umgekehrt KÖNNTEN auch bürgerliche Germanisten die Verhunzung der deutschen Sprache durch “genderneutrale” Sprachregelungen wie etwa das “Gendersternchen” kritisieren und ihr Unwort ausrufen. ++ “Könnten, ja aber, nein aber, eigentlich, wollen, sollen u.s.w.”, es bleibt am Ende das Könnte. Die Bürgerlichen melden sich nicht lautstark für ihr Unwort des Jahres, die Bürgerlichen.  So wie die Bürgerlichen auch ängstlich und geduckt der Machtübernahme mit allen ihren Folgen der Merkel-Junta beigewohnt haben. Warum sind die Bürgerlichen nicht gleich oder stärker so kämpferisch wie die Linkspopulisten? Weil sie Angst davor haben als Nazis ihr bürgerliches Ansehen zu verlieren. Und vor der einzig verbliebenen Partei in Deutschland in der Bürgerliche aller Schattierungen versuchen den Zug wieder auf das richtige Gleis zu stellen, ein Abkömmling der CDU vor Merkel, genau von dieser Partei distanzieren sich die Bürgerliche vorauseilend, um sich einen Notausgang frei zu halten. Die AfD vergleichbar mit der Alt-CDU, von Alfred Dregger bis zum Öko- Sozialisten Heiner Geißler, genau solche unterschiedliche Personen sind in der AfD vertreten. Somit, wenn die Linken zu stark sind, dann seid ihr Bürgerlichen zu schwach.

Dionys Rummelsberger / 19.02.2019

...es wird doch alles benamst. Natürlich muss irgendjemand die Benamsungen bewerten und wenn möglich im Zuge der Bewertung eine Person die nicht ins linke Weltbild passt, zu diffamieren. Dazu eignet sich die “scheinheilige” links-grün-rote-Merkel Inquisition am besten. Hier ein paar Vorschläge von mir, für das “Unwort des Jahres”. KLIMAWANDEL, HALTUNG, KANTE ZEIGEN, PARITÄTSGESETZ

Sebastian Bremer / 19.02.2019

Mein Vorschlag für das “Unwort des Jahres” 2019 lautet “Framing Manual”. Aber man wird mich nicht erhören, denn leider bin ich kein Sprachwissenschaftler, medial unbedeutend und nicht so wirklich links.

Herbert Frankel / 19.02.2019

Schade, Stefan Riedel hat es fast schon vorweggenommen: Es gibt keine Unwörter, es gibt nur Wörter. Auch “Unwort” ist nur ein Wort. Ein “Unwort” (weder des Jahres noch sonst irgendeines) kann es schon logisch nicht geben. Aber das ist so eine Sache: Logik ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Das war nun das Wort zum Sonntag, und aus!

Klaus Maschinger / 19.02.2019

Lieber Herr Weimer, vielen Dank für Ihren sehr aufschlussreichen Beitrag. Erschreckend ist es vor allem, wie weit offenkundig der durch die unsägliche linksalternative Szene einst anstelle des gewaltsamen Umschwungs propagierte “Gang durch die Institutionen” inzwischen gediehen ist und vielfach sogar schon durch neue, selbst geschaffene und besetzte Institutionen, wie die vorliegend betrachtete Sprachpolizei-Gruppe, ergänzt wird.

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