Stefan Frank / 30.06.2020 / 16:00 / Foto: Dersaadet / 15 / Seite ausdrucken

Türkei: Empörung über ägyptische Äußerung zur Eroberung Konstantinopels

Das ägyptische Fatwa-Amt Dar al-Ifta al-Misriya hat einen „Aufruhr“ unter Muslimen verursacht und die türkische Regierung verärgert. Stein des Anstoßes: Es hatte die islamische Eroberung Konstantinopels – historisch zweifellos korrekt – als „Besatzung durch die Osmanen“ bezeichnet.

Das 1895 gegründete Dar al-Ifta ist ein Zentrum für islamische Rechtsfragen (Fatwas). Das Rechtsgutachtergremium, das vom Großmufti von Ägypten geleitet wird, ist neben der al-Azhar-Universität die wichtigste islamische Institution in Ägypten.

Der vermeintliche Skandal, über den der katarische Medienkonzern Al-Jazeera und die Nachrichtenseite Middle East Monitor berichtet haben, steht in einem Zusammenhang mit dem Plan des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die weltberühmte Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umzuwandeln.

Diesen Plan hatte die Dar al-Ifta kritisch kommentiert und dabei den Begriff „Besatzung“ verwendet. Wegen der empörten Reaktionen darauf habe das Fatwa-Amt die entsprechende Äußerung von seiner Website entfernt und durch eine andere Formulierung ersetzt, heißt es. Laut Al-Jazeera lautete der ursprüngliche Text, der auf der Website der Dar al-Ifta veröffentlicht wurde, so:

„Die Hagia Sophia wurde während der byzantinischen Zeit im Jahr 537 als Kirche erbaut und blieb 916 Jahre lang bestehen, bis die Osmanen 1453 Istanbul [Konstantinopel] besetzten und das Gebäude in eine Moschee verwandelten.“

„Eine große islamische Eroberung“

Als Reaktion auf die Welle der Entrüstung veröffentlichte die Dar al-Ifta später einen Text, in dem sie klarstellt, dass sie die islamische Eroberung keinesfalls missbillige:

„Die Eroberung von Konstantinopel ist eine große islamische Eroberung, die vom Propheten – mögen Gottes Gebete und Friede auf ihm sein – gepredigt wurde, und sie wurde vom großen osmanischen Sufi-Sultan Mohammed al-Fateh durchgeführt.“

Sie bezieht sich auf Sultan Mehmet II., unter dessen Herrschaft die Stadt erobert wurde. Weiter heißt es:

„Aber Erdogan ist nicht Mohammed al-Fateh und hat auch keine Verbindung zu ihm.“

Die Dar al-Ifta habe

„wiederholt mit Dokumenten und Beweisen bestätigt, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Fatwas als Waffe einsetzt, um im Namen der Religion zu Hause eine Tyrannei zu installieren und seine Ambitionen im Ausland im Namen eines beanspruchten Kalifats zu rechtfertigen.“

Höhere Moscheenrate als im Iran

Konstantinopel wurde am 29. Mai 1453 vom osmanischen Heer erobert. Laut dem Augenzeugen Niccolò Barbaro schlachteten die Türken nach der Eroberung „den ganzen Tag über Christen“. Der britische Historiker Philip Mansel schreibt von tausenden von Morden und Vergewaltigungen und der Versklavung von 30.000 Zivilisten.

Die Hagia Sophia in ihrer jetzigen Form wurde zwischen 532 und 537 unter der persönlichen Aufsicht von Kaiser Justinian I. errichtet. Sie ist eines der größten erhaltenen Beispiele byzantinischer Architektur, reich an Mosaiken und Marmorsäulen und -verkleidungen.

Nach der Eroberung Konstantinopels durch das osmanische Heer wurde die Hagia Sophia wie andere christliche Kirchen zu einer Moschee umgewidmet. Nachdem die türkische Republik das Osmanische Reich beerbt hatte, wurde sie 1934 zu einem Museum. Seit Jahren fordern Islamisten, aus ihr wieder eine Moschee zu machen.

Dabei mangelt es in der Türkei nicht an Moscheen, schrieb der türkische Kolumnist Burak Bekdil vor einigen Jahren.

„Im Gegenteil, fromme Türken genießen den Komfort von mehr Moscheen pro tausend Einwohner als der iranische Scharia-Staat.“

Die Kampagnen für die „Hagia-Sophia-Moschee“ habe nichts mit einem etwaigen Mangel an muslimischen Gebetshäusern in der bevölkerungsreichsten Stadt der Türkei zu tun, so Bekdil weiter.

„Sie spiegeln lediglich eine islamische Kreuzfahrer-Denkweise wider.“

Fromme Türken glaubten anscheinend, dass die Eroberung der Stadt unvollständig sei:

„Wenn die Eroberung abgeschlossen sein soll, müssen alle Spuren des christlichen Erbes beseitigt werden. Es ist dieselbe Denkweise, die die Türken davon überzeugt, dass Jerusalem, das etwa 10 Jahrhunderte vor der Geburt des Islam erbaut wurde, eine heilige islamische Stadt sei.“

„Einen Einflussbereich im Nahen Osten schaffen“

Präsident Erdogan feiert jedes Jahr den Jahrestag der blutigen Eroberung Konstantinopels. Laut Al-Jazeera nannte der Vorsitzende der türkischen Religionsbehörde die Äußerung der Dar al-Ifta, wonach Konstantinopel von den Osmanen besetzt wurde, „unglücklich und hässlich“.

Erst im Februar dieses Jahres hatte es einen Konflikt zwischen dem ägyptischen Fatwa-Amt und der türkischen Regierung gegeben, nachdem das Fatwa-Amt die Türkei beschuldigt hatte, in ihren Fernsehserien Geschichtsklitterung zu betreiben: Die türkischen Fernsehserien verzerrten historische Fakten und verbreiteten „Fehlinformationen“.

Die Türkei sei eindeutig voreingenommen zugunsten der Muslimbruderschaft und schütze ihre eigenen Interessen. In einer am 3. Februar veröffentlichten Erklärung nannte das Fatwaamt die beliebten türkischen Fernsehserien „Dirilis Ertugrul“ („Wiederauferstehung Ertugrul“) und „Tal der Wölfe“ als Beispiele für die Versuche der Türkei, ihre soft power zu nutzen, „um einen Einflussbereich im Nahen Osten zu schaffen.“

Es bezichtigte zudem den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, zu versuchen, das Osmanische Reich wiederzubeleben und den arabischen Ländern, die früher von der Türkei regiert wurden, eine türkische Hegemonie auferlegen zu wollen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 30.06.2020

@ Ralf Pöling - Für derartige Nebenschauplätze der Politik im Grenzbereich zu Europa haben die Merkelokratie und ihr Maasmännchen keine Zeit. Die müssen die Welt retten, das Geld des deutschen Steuerzahlers in der EU verteilen und vor allem Trump beleidigen, letzteres mindestens 1 x täglich. Daß da ein von Merkel und der EU gesponserter Sultan von Groß-Osmanien mit genau diesem Geld und Rüstungsgütern Made in Germany vor den Toren Europas munter zündelt, können die nicht kapieren, denn dann müßten sie ihr Handeln überdenken. Und das ist bekanntlich alternativlos, bis es mal wieder brennt. Dann hats keiner wissen können.

Wilfried Cremer / 30.06.2020

Die Seelenverwandtschaft zwischen Linken (incl. Nazis) und Islam beruht auf der gemeinsamen Ablehnung des Juden- wie des Christentums. Das ist seit Merkel quasi dt. Staatsdoktrin.

Christian Feider / 30.06.2020

Kleine Korrektur: Al Ahzar und die dortige Fatwa Behörde sind die oberste islamische Authorität für ALLE Sunniten. Nur hört die Ditib nicht auf diese,eben,weil die Türkei den Muslimbrüdern in die Haende gefallen sind.

Heiko Engel / 30.06.2020

Der Islam ist nicht demokratie - und säkularisationsfähig. Und seit dem Deutschen Kaiserreich besteht zwischen Deutschland und dieser verqueren Religionsvariante ( Religion bedeutet ja nun nur Rückbindungslehre ) eine beachtliche Resonanzebene. Das ist weit problematischer, als vordergründig erkennbar. Es bestehen inhaltliche Übereinstimmung in der Unterentwicklung. Berlin und das aktive Regierungsviertel inklusive Personal mögen da als Abgleich genügen. Eine totalitär - faschistoide Ausrichtung mit angestrebter unbewusster Nichtentwicklung der Menschheit. Sozialismus als Pathologie. Nicht umsonst wartet die Weltgemeinschaft seit der Rückeroberung Europas auf einen substantiierten und nachvollziehbaren Entwicklungsschritt der Araber als Beitrag zur Menschheitsentwicklung. Fehlanzeige. Nobelpreisträger ? Fehlanzeige. Nicht umsonst gelten viele arabische Staaten als failed - states. Ähnlich Berlin. Was zu beweisen war.

alma Ruth / 30.06.2020

Wenn die Armee eines Landes oder Reiches ungebeten in ein anderes Land einmarschiert, dort bleibt und allerlei Gräueltaten verübt. wie kann man das anders nennen als Besatzung? Alles andere wäre ein Lüge. Aber eine Lüge, die besser wäre als die Wahrheit. Sie ist ja “unglücklich und häßlich.” Ja, die Wahrheit ist oft schwer zu ertragen. Es wäre aber Zeit, daß die Türkei (und manch anderes muslimisches Land) lernt, die Wahrheit auszuhalten und mit der Zeit auch zu akzeptieren. Das wäre ein Stück Weiterentwicklung, die der Türkei keinesfalls schaden würde. lg alma Ruth  

Karsten Dörre / 30.06.2020

Zum britischen Historiker Philip Mansel: Konstantinopel hatte bei der Eroberung durch die Osmanen noch 40000 Einwohner. Das Byzantinische Reich gab es 1453 faktisch nicht mehr, außer der Stadt Konstantinopel und ein wenig Umland, welches bereits vom Osmanischen Reich umgeben war. Mehrere Stadtteile, die sich ergaben, wurden verschont. Dass es Abschlachtungen gab, ist zweifellos. Versklavung war zu dieser Zeit bei allen Anrainerstaaten des Mittelmeeres Tagesgeschäft (auch die Stadtstaaten Italiens). Die Quelle Niccolò Barbaro darf man mit Vorsicht geniessen. Er war in Konstantinopel während der osmanischen Eroberung als Schiffsarzt in der venezianischen Marine, die von Byzanz um militärische Hilfe gebeten wurde und hat sein Tagebuch aus christlicher Brille verfasst (den Eroberern also nicht gewogen und nicht unabhängig). Der Untergang des christlich-byzantinischen Konstantinopels ist aus damaliger Sicht vergleichbar mit den Untergängen der christlichen Königreiche in Nahost zu den Zeiten der Kreuzzüge. Das Byzantinische Reich erlitt bereits im 4.Kreuzzug 1204 eine katastrophale Zäsur. Eine dreitägige Plünderung, Vergewaltigung und Ermordung der Zivilisten erfolgte durch christliche Venezianer und christliche Kreuzzügler aus West- und Mitteleuropa. Geschichte taugt nicht als tagespolitisches Argument.

Ralf Pöhling / 30.06.2020

Eine hochinteressante Meldung, die maximale Beachtung verdient. In Ägypten hat man offenkundig begriffen, was seit geraumer Zeit passiert und wo das hinführen soll. In Deutschland begreift man es eher nicht. Oder man versucht mal wieder sich heraus zu halten. Was auf lange Sicht nicht funktionieren wird, denn wir sind mittendrin.

Jürgen Kunze / 30.06.2020

Die Christenheit ist eigentlich selber schuld, dass ihr Konstantinopel verloren ging. Die katholische Welt wollte ihren Glaubensvettern einfach nicht helfen. Und dann ging eben alles seinen Eroberungsgang. Dafür ging die Iberische Halbinsel wieder an die Christen. Später aber waren die Türken gemäßigter. Sie nahmen auch Juden auf, als die Deutschen diese verjagten. Ein sehr bekannter Deutscher, Ernst Reuter, fand dort auch Unterschlupf vor Hitler. Wenn die Kreuzzüge nicht stattgefunden hätten, wäre vieles anders gekommen. Die europäischen Herrenmenschen haben im Nahen und Mittleren Osten alles durcheinander gebracht. Durch die Eingriffe des Westens, zuletzt von den angelsächsischen Mächten, wurde ein Jahrtausend währendes Zusammenleben von unterschiedlichsten Religionen zunichte gemacht. Die Christen sind fast ganz dort verschwunden.

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