Vera Lengsfeld / 05.04.2020 / 11:00 / 13 / Seite ausdrucken

Trotzki-Film-Tipp: „The Chosen”

Ein Freund empfahl mir kürzlich den Film „Stalins Tod“. Auf der Suche danach bin ich bei Netflix erst zu „Er ist wieder da“ geleitet worden, was ich mir aber nicht antun wollte, dann über „Roman Empire“ zu „The Chosen“, wo ich hängengeblieben bin. Es ist nicht die Serie über Jesus Christus, sondern ein Film über den Mörder von Stalins Konkurrenten Leo Trotzki, leider nur in Spanisch, mit englischen Untertiteln. Das Werk beginnt mit Originalaufnahmen von Lenin, Trotzki und Stalin, bis hin zu einer Erschießung.

Die eigentliche Story nimmt ihren Ausgang im spanischen Bürgerkrieg. Eine kommunistische Funktionärin fährt an die Front, um ihrem Sohn mitzuteilen, dass er für eine besondere Mission ausgewählt wurde. Der will eigentlich nicht, beugt sich aber dem Diktum, dass die Partei bestimmt, wohin er gestellt wird. In der Sowjetunion wird er in einer ablegenen Hütte, wo ihm als einziger Gefährte ein Hund beigegeben wird, für seinen Auftrag trainiert. Er muss vergessen, je Spanier gewesen zu sein, sondern er ist der belgische Staatsbürger Jacques. Am Ende des Trainings wird seine Härte gestetet, indem ihm sein Ausbilder befiehlt, den geliebten Hund zu erschießen, was er tut.

Der Auserwählte wird zuerst nach Paris geschickt, wo er der Sekretärin von Trotzki zugeführt wird. Er spielt ihr vor, sich in sie verliebt zu haben, so erfolgreich, dass sie ihm glaubt, dass er ihretwegen nach Mexiko kommen wird, wohin sie zurück muss. Der Film gibt interessante Einblicke, wie stark die GPU in Mexiko vertreten war und wie rücksichtslos sie Genossen aus dem Weg räumte.

Die Sache der Partei erfordert eben manchmal Opfer

Der Auserwählte wird in Mexiko Stadt auf der Straße von seinem verehrten ehemaligen Kommandeur aus dem Bürgerkrieg erkannt. Er versucht ihn loszuwerden, wird aber von seinen ewigen Begleitern aufgefordert, ihn zurückzurufen und abzulenken, bis er von den GPUlern abgeholt werden kann. Auch das tut er und stellt sich taub, als der Freund ihn um Hilfe ruft, weil er ahnt, was es bedeutet, in ein Auto gezerrt zu werden. Am Tag darauf findet man den Kommandeur ertrunken in einem Parkteich.

Auch als ein Anschlag auf Trotzki schiefgeht, weil es diesem gelingt, sich und seine Frau Natalia rechtzeitig aus dem Bett zu retten, das von verkleideten Polizisten unter Beschuss genommen wird, wird der vermeintliche Verräter, der gänzlich unschuldig, aber frisch aus New York eingetroffen war, sofort beseitigt. Der Auserwählte fragt zwar, ob es nötig gewesen sei, zwei treue Genossen hinzurichten, gibt sich aber mit der Antwort seiner Mutter, die neben dem GPU-Ausbilder die Operation Trotzki leitet, dass die Sache der Partei eben manchmal Opfer erfordere, zufrieden.

Nun muss der Auserwählte selbst Hand an Trotzki legen. Ihm war es inzwischen gelungen, mittels seiner Geliebten, die bei seinen heimlichen Treffen mit der GPU nur „die Sekretärin“ genannt wird, Zugang zu Trotzkis Haus zu erhalten. Zwar misstraut der deutsche Sicherheitschef Trotzkis dem Auserwählten zutiefst, auch Trotzkis Frau Natalia hat Vorbehalte gegen ihn, aber Trotzki ließ ihn weiterhin zu sich. Am Tag des Mordes wunderte man sich, warum der Auserwählte einen Regenmantel über dem Arm trug, gab sich aber mit der Antwort, er wolle auf plötzliche Regengüsse vorbereitet sein, zufrieden.

Seine Mutter hat den realen Sozialismus nicht ertragen

Trotzki nahm ihn trotz aller Warnungen wegen eines nächsten Anschlags mit in sein Büro, ließ es sogar zu, dass der Mörder hinter seinen Schreibtischstuhl trat und gab ihm damit die Gelegenheit, den im Mantel versteckten Eispickel hervorzuholen und ihn zu erschlagen. Das gelingt nicht sofort, denn trotz intensiven Trainings erwischte er Trotzkis Kopf nur seitlich. Trotzki konnte ihm noch den Eispickel entwinden und um Hilfe rufen. Der schwerst verwundete Trotzki befahl noch seinen Leuten, den Attentäter am Leben zu lassen, damit er seine Geschichte offenbaren könne. Das gelang aber nicht. Trotz erdrückender Gegenbeweise bestand der Auserwählte unter Folter, vor Gericht und während seiner zwanzigjährigen Haft darauf, der belgische Staatsbürger Jaques zu sein.

Nach seiner Entlassung ging er in die Sowjetunion, wo er mit dem höchsten Titel „Held der Sowjetunion“ geehrt wurde. Seine Mutter war schon vor ihm da gewesen, hatte die Härten des realsozialistischen Lebens aber nicht ausgehalten und es vorgezogen, nach Spanien zurückzukehren und ihr Leben als kleine Versicherungsangestellte zu beenden. Den Auserwählten hielt es auch nicht im Vaterland aller aufrechten Kommunisten, er ging nach Kuba, wo er hochbetagt starb.

Das Interessante an dem Film ist, zu sehen, wie tief alle Akteure ihr Marionettendasein verinnerlicht hatten. Sie taten, was die Partei ihn befahl und waren sich möglicher Konsequenzen durchaus bewusst. Der Trainer des Auserwählten sagte, jeder würde beobachtet, alle könnten vor dem Erschießungskommando enden. Wichtig wäre allein die Partei. Jeder, dem nicht klar ist, wie gefährlich eine Einheitsmeinung ist, sollte sich diesen Film ansehen. Der aktuelle Bezug ist, dass wieder massiv eine Einheitsmeinung gefordert wird. Wir sollten uns der Gefahr, die das bedeutet, bewusst sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Vera Lengsfelds Blog.

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Leserpost

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Dr. Robert Lederer / 05.04.2020

V. Lengsfeld empfiehlt einen Film über Trotzki mit der Bemerkung: “Jeder, dem nicht klar ist, wie gefährlich eine Einheitsmeinung ist, sollte sich diesen Film ansehen.” Ich möchte der scharfsinnigen Frau Lengsfeld einen Tip replizieren: Jedem, dem nicht klar ist, wie gefährlich eine Einheitsmeinung ist, sollte sich ihren Artikel bei Tichy gestern, das Plädoyer für eine Spaltung der AfD, ein vorrangiges Ziel des BRD-Verfassungsschutzes, ansehen. Sie schrieb über die Beobachtung eines Teils der AfD durch den Verfassungsschutz: “Letzterer wird neuerdings vom Verfassungsschutz beobachtet, was der Gesamtpartei schweren Schaden zufügt. In dieser Situation bringt es nichts, zu untersuchen, wie gerechtfertigt die Beobachtung durch die Schlapphüte ist.” Das nenne ich Rechtsnihilismus und Eingliederung in die Einheitsmeinung gegen die AfD.

Karl Niemeyer / 05.04.2020

So sind sie eben die Fanatiker, sie räumen sich selbst gegenseitig und gnadenlos aus dem Weg. So war es bei den Nationalsozialisten, so war es bei den Kommunisten, so ist es bei den Moslems und so wird es bei den Linksgrünen sein. Trotzki, ein felsenfest überzeugter Bolschewist, hätte und hat genauso gehandelt wie sein Widersacher Stalin, letzterer war schlicht gewiefter bzw. bauernschlauer.

Werner Arning / 05.04.2020

Wie schnell Menschen bereit sind, bestimmte menschliche Standards bedenkenlos über Bord zu werfen, solange dieses einer vorgeblich „guten Sache“ dient, erlebt man derzeit, wenn man all die kursierenden, hasserfüllten Kommentare und „Witze“ über Trump, Johnson oder die AfD analysiert. Hier wird unverhohlen diffamiert, unverhohlen gehasst, unverhohlen der Tod gewünscht. Und dieses mit einer Selbstverständlichkeit, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es ist wohl leicht, Menschen davon zu überzeugen, dass bestimmtes Leben unwert oder schädlich ist. Man muss dieses nur häufig genug insinuieren. Und wenn etwa Medien (oder Politik) diese Aufgabe übernehmen, dann ist es mitunter nicht mehr weit bis zum nächsten Schritt. Der entmenschlichende Witz bildet dabei nur den Anfang. Vielen Dank für die Filmempfehlung, Frau Lengsfeld. Den werde ich mir ansehen.

Frances Johnson / 05.04.2020

So was Düsteres kann ich mir schon in normalen Zeiten nicht reinziehen. Tut mir sehr leid, Frau Lengsfeld, aber ich habe die von Ihnen empfohlene Hölderlin-Biographie gekauft. Nous sommes tous Hölderlin en ce moment-là. Ich kann durchaus das Düstere im Film ertragen, wenn es aufgehellt ist. Musterbeispiel ist für mich “Der Pate”. Die Aufhellung entsteht durch den Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen New York und Sizilien. Es macht viel aus, dass die Schauspieler grandios sind und man ihre Gesichter gern ansieht. Die Musik trägt sehr stark bei. Das gilt auch für Bertoluccis Novecento, in dem niemand wirklich gehorcht, oder für “Kill Bill”. Ich mag auch diese düsteren skandinavischen Krimis nicht. Letztlich kam ich zu dem Schluss, dass meine Vorfahren Römer waren.

Johannes Schuster / 05.04.2020

Danke für diesen Trigger nun mein Hirn mit Leselust zum Mord an Leo Trotzki zu füllen nur nicht mit Netflix, ich kann das Format nicht leiden. Bronstein war irgendwo naiv und ihm nehme ich die Idee irgendwie ab, obwohl mich dieser verklärte programmatische Idealismus persönlich nervt. Bronnstein gehört zu der Sorte, die von ihrem selbst gebauten Monster gefressen wurde. Sinnig ist es, daß er den Weg des Zaren nahm, es ist im Grunde das frühe Ende der Sowjetunion gewesen, die sich seit Trotzkis Tod nur noch durch die Wirklichkeit ohne Ideen schleppte. Sie war eigentlich schon mit Lenin tot und war mumifiziert, wie ihr gegangener Geist. Tschernobyl war dann das augenfällige - transzendentale Ende und seither herrscht die Sinnkrise als Dauerzustand zwischen dem Zar in bürgerlicher Pracht und jenem, der mit 50 Megatonnen berühmt wurde. Daß man in Deutschland Traumsozialisten in der Regierung duldet ist nicht so sehr eine Frage von Ideologie, sondern historischer Dummheit. Wer in Warschau die Kohle auf der Straße liegen sah und sich seine Wurst auf einem Plumpsklo drücken mußte, weil der Plan die Rohre nicht hergab, wird unser big “M” mit anderen Augen sehen, als diejenigen, die es nicht besser wissen. Wobei Polen den Weg in die Marktwirtschaft wesentlich schneller geschafft hat, als Ostdeutschland. Der Pole trägt alles mit Faulheit, der Deutsche mit Inbrunst, das muß es sein. Also danke nochmal für diesen thematischen Köder.

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