Thüringens politische Schlafwandler

Ob man einem Drehbuchautor abgenommen hätte, was die Politik-Darsteller in Thüringen derzeit aufführen? Vielleicht, denn obwohl es reichlich grotesk ist, so würde man in einer gar nicht fernen Vergangenheit darin ein warnendes Lehrstück gesehen haben, wie schnell ein überparteilicher Reigen politischer Schlafwandler ein demokratisches Gemeinwesen demontieren kann. Außerdem ist es äußerst spannend und nichts ist vorhersehbar. 

Am späten Montagabend hatte Bodo Ramelow alle überrascht, als er die Ex-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht als Übergangs-Landes-Chefin vorschlug. Gestern raufte sich die überrumpelte Landes-CDU zusammen und formulierte – bei Zustimmung zur Personalie Lieberknecht – ihrerseits Forderungen zur Ausgestaltung einer überparteilichen Übergangsregierung. Beide Seiten hatten sich zuvor Lieberknechts Bereitschaft versichert und heute Morgen nun wirft sie plötzlich hin und kündigt ihre Kurzzeit-Bereitschaft zur Amtsübernahme wieder auf.

„Ich hatte mich gegenüber Bodo Ramelow und dann auch gegenüber meiner Partei als Übergangsministerpräsidentin bereit erklärt, um den gordischen Knoten zu lösen. Es zeigt sich aber, dass dies nicht funktioniert, weil die Interessen diametral gegeneinander stehen“, begründet sie ihren Rückzug. Das klingt zunächst einigermaßen kurios. Denn es war abzusehen, wie groß die Interessenunterschiede sind, als sie zugesagt hat. Zudem gab es einen gangbaren Weg für Verhandlungen.

Nach dem überraschenden Ramelow-Coup hatte die Thüringer CDU-Fraktion gestern über eine angemessene Reaktion nachgedacht und ist auf eine eigentlich recht kluge Antwort-Variante gekommen. Für langjährige Beobachter der Landespolitik war es ohnehin schon erstaunlich, dass sich die recht zerstrittene CDU-Fraktion relativ schnell auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnte. 

Frühstücksdirektorin eines rotrotgrünen Kleinkabinetts

Was viele Journalisten als Ablehnung des Ramelow-Vorschlags interpretierten, war schlicht die Formulierung einer Verhandlungsposition. Offenbar hatten Ramelow und seine publizistischen Anhänger aber nicht an Verhandlungen gedacht, sondern nur an die bedingungslose Annahme des Vorschlags, nach dem Lieberknecht als kurzzeitige Frühstücksdirektorin eines rotrotgrünen Kleinkabinetts fungiert hätte. Doch die CDU-Fraktion hatte ihrerseits Verhandlungspositionen formuliert. Oder kann man aus dem folgenden Wortlaut wirklich eine Ablehnung herauslesen?  

„Die CDU-Fraktion hat den Vorschlag Bodo Ramelows, Ministerpräsidentin a.D. Christine Lieberknecht als Übergangsministerpräsidentin zu wählen, geprüft. Er weist in die richtige Richtung, greift jedoch zu kurz, da er nicht die notwendige Stabilität schafft, die Thüringen angesichts einer polarisierten Situation jetzt dringend braucht. Darüber haben der Vorsitzende der CDU Thüringen und Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Mike Mohring, und der stellvertretende Vorsitzende der CDU Thüringen, Prof. Dr. Mario Voigt, heute in einem Sechsaugengespräch ausführlich mit Christine Lieberknecht beraten.

Im Ergebnis dieses Gesprächs schlägt die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag vor, Christine Lieberknecht zur Ministerpräsidentin zu wählen und sie mit der Bildung einer voll arbeitsfähigen technischen Regierung des Übergangs zu betrauen. Sie soll aus von LINKE, CDU, SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP parteiübergreifend berufenen Experten bestehen und die volle Handlungsfähigkeit hinsichtlich der entscheidenden Herausforderungen des Landes herstellen. Hauptaufgabe dieser technischen Regierung wird es sein, einen Haushalt für 2021 vorzulegen. Nachdem der Landtag diesen Haushalt verabschiedet hat, kann es Neuwahlen geben.

Das ist unser Verhandlungsangebot. Die Einzelheiten müssen in vertraulichen Gesprächen geklärt werden.“

Im Klartext: Lieberknecht hätte eine überparteiliche Experten-Regierung führen sollen, die vor Neuwahlen dafür sorgt, dass das Land politisch wieder ruhigere Fahrwasser erreicht. Natürlich hat die CDU wegen ihrer derzeitigen dramatischen Schwäche kein Interesse an schnellen Neuwahlen, von denen nach Lage der Dinge wohl nur Linkspartei und AfD profitieren dürften. Aber eine Expertenregierung – quasi nach Wiener Vorbild – ist ein vernünftiger Vorschlag. Ramelow hätte nun zeigen müssen, ob er tatsächlich zu dem staatsmännischen Rückzug bereit war, oder nur Zugriff auf die Regierung unter dem schönen Schein einer CDU-Übergangsregentin haben wollte.

Wieder Öl ins politische Feuer gegossen

Vielleicht wäre nun Ramelow ein wenig in die Bredouille geraten, doch Lieberknechts Rückzug hat ihn davon erlöst. Mehr noch: Seine Amtsvorgängerin quält ihre Parteifreunde noch mit der Empfehlung, eine Koalition mit der Linken einzugehen: „Wer jetzt keine Neuwahlen will, muss Bodo Ramelow mit verlässlicher Mehrheit zurück ins Ministerpräsidentenamt verhelfen und dann am besten mit ihm in eine Regierung gehen, ob das nun Projektregierung oder anders heißt“, wird Lieberknecht von der „Thüringer Allgemeinen“ zitiert.

Dass sie Angst bekommen haben mag, von den verschiedenen Interessengruppen in der eigenen Partei und in der Thüringer Landespolitik zerrieben zu werden, kann man zwar verstehen, doch warum ist solch eine Empfehlung zum Abschied nötig? 

Damit wird – wie so oft derzeit in Erfurt – wieder Öl ins politische Feuer gegossen. Denn in der Thüringer CDU gibt es durchaus etliche Funktionäre, die die Brandmauer nach links gern niederreißen würden. Einig möchten aber dann gern die Brandmauern nach beiden Seiten einreißen, um sich nicht in die Lage der Alternativlosigkeit von Linksregierungen zu manövrieren. 

Immerhin gibt es einen Thüringer Politiker, der viel dafür tut, dass die CDU-Brandmauer nach rechts gehalten wird: Björn Höcke. Der demonstrative Auftritt des Thüringer AfD-Chefs bei Pegida in Dresden, mit dem er seinem Image als irrlichternder Rechtsaußen seiner Partei gerecht wurde, ermutigt kontaktwillige CDUler nicht gerade zu entsprechenden Vorstößen.

Mal sehen, was die nächste Folge der spannenden Thüringer Polit-Groteske bringt. Und wie geht sie aus? Wie wäre ein Finale mit einer Koalition der Wahlsieger Linke und AfD? Einem Lehrstück in Sachen Demokratie-Demontage wäre das doch angemessen.

Foto: Goldwyn Distributing Company /Heritage Art Gallery via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Oliver Groh / 19.02.2020

Als thüringer Wähler ( und damit Auftraggeber des politischen Personals ) erlebt man zur Zeit ein sehr offenes und ehrliches Vorstellungsgespräch. Die persönlichen Eigenschaften und die berufsspezifischen Fachkentnisse werden eindrucksvoll seit Oktober 2019 !!! in der Probearbeit “Wie organisiere ich einen Landtag nach erfolgter Wahl ” demonstriert. Ich finde 76 Prozent der Bewerber sind durchgefallen.

Heiko Stadler / 19.02.2020

“Eine überparteiliche Regierung aus LINKE, CDU, SPD, Grünen und FDP …”. Wie bitte? Ach ja, ich habe vergessen, dass ich kein Mensch bin, sondern nur “Pack”, also einer der die Klappe halten und Steuern zahlen muss.

Matthias Fischer / 19.02.2020

Dass Björn Höcke die 200. Demo von PEGIDA besucht hat, halte ich auf der Grundlage meines Kenntnisstandes für keinen disqualifizierenden Makel, sondern allenfalls taktisch für unklug. PEGIDA steht nach meiner Kenntnis für eine kritische Haltung zur Ausbreitung des Islam in Deutschland. Das ist zulässig und aufgrund der kulturellen Differenzen unserer Lebensweise zu dieser Religion nicht verfassungswidrig. Das zeigen sich mehrende Berichte in den üblicherweise linkskonformen Standardmedien, in denen es zu Frankreich heißt, dass es dort erhebliche Probleme mit dem sich ausbreitenden Islam gebe, gegen die Macron jetzt (erst?) vorzugehen versuche. - Dass PEGIDA vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist ohne jede Aussagekraft, weil diese Institution mittlerweile zum rechtsgrundlosen, beliebigen Schnüffeln gegen Konservative verheizt wird, ohne ernsthaft gegen offensichtlich verfassungswidrig auftretende linke Organisationen vorzugehen. Im Bundestag kann man sich immerhin ungestört zur Antifa bekennen! - Als antismitisch ist mir PEGIDA noch nicht aufgefallen. Dies wird ihr zwar, wie auch der AFD, unterstellt. Konkrete Aussagen oder Handlungen, die diesen Vorwurf rechtfertigen, werden jedoch nicht gebracht. Was soll also gegen die Beteiligung der AFD an der Lösung der von CDUFDPSPDLINKEGRÜNE verursachten Regierungskrise in Thüriungen sprechen, außer, dass diese Partei(en) sich selbst tagtäglich dem Vorwurf, verfassungsfeindlich zu handeln, aussetzen?

Karsten Kaden / 19.02.2020

Was Höckes Rede bei Pegida betrifft, schauen sie sich auf Youtube die Aufzeichnung des Livestreams an. Er hat nichts von sich gegeben, was die CDU nicht vor der Merkel-Ära ebenfalls vertreten hätte. Er verzichtet lediglich auf den Blumenfilter und spricht glasklare Worte. Die permanente Rotlichtbestrahlung durch die Medien verzerrt die Wahrnehmung und läßt die Urteilsfähigkeit nach links abdriften.

Michael Hoffmann / 19.02.2020

Man möge mich korrigieren, wenn ich den Sachverhalt falsch darstelle. Herr Ramelow hat für alle überraschend (auch für die CDU) den Vorschlag gemacht, Frau Lieberknecht als Ministerpräsidentin zu wählen. Frau Lieberknecht müßte also vorher ein Gespräch (ohne Abstimmung mit der CDU) mit Herrn Ramelow geführt haben, in dem sich beide offensichtlich einig waren. Anders ist kaum denkbar, daß Herr Ramelow Frau Lieberknecht ins Spiel gebracht hat. Ein deutliches Dementi war von Frau Lieberknecht jedenfalls nicht zu hören. Nachdem nun offensichtlich nicht so verfahren wird, wie es beide vereinbart haben, zieht Frau Lieberknecht ihre Zusage zurück. Es ist an der Zeit, daß mal intensiver nachgefragt wird, welche Rolle Frau Lieberknecht in dieser Posse spielt.

Albert Pflüger / 19.02.2020

Es wirkt auf mich so, als würde sich Frau Lieberknecht in die Blockflötenrolle zurücksehnen. Nomen est omen- lieber Knecht!

Martin Landvoigt / 19.02.2020

Demokratie-Demontage, wenn sich eine Koalition der Wahlsieger Linke und AfD finden würde? Abgesehen davon, dass das beide Seiten wohl mit Abscheu von sich weisen, so wäre die Vorstellung doch nicht undemokratisch. Denn wenn es eine Vereinbarung der Mehrheit der Delegierten des Volkes gibt, kann das aus Sicht einiger wohl unerwünscht sein, aber genau das ist Demokratie! Mehrheiten müssen sich arrangieren. Der Unsinn, zugelassene Parteien als Demokratiefeinde zu bezeichnen, erfordert einen sofortiges Verfahren: Entweder des Verfassungsschutzes auf Verbot der Verdächtigten Partei, oder einen wegen Verleumdung der falschen Ankläger.

Paul Mittelsdorf / 19.02.2020

Warum ist der Auftritt von Höcke bei Pegida Beweis, daß er ein “irrlichternder Rechtsaußen” ist? Kann mir das jemand (vielleicht der Autor?) erklären? Oder benötigt man bei gewissen Reizwörtern (Höcke, Sellner, Pegida, AFD) nicht mehr die lästige Pflicht, Argumente zu nennen, wenn man die Träger dieser Namen verunglimpft? Pegida ist islamkritisch. Die AFD ist islamkritisch. Achgut ist islamkritisch. Wäre auch ein Artikel von Höcke auf Achgut Grund genug, ihn in eine radikale politische Richtung zu fabulieren? Ich muß ehrlich sagen, Achgut wird mir von Artikel (Broder: AFD Gurkentruppe) zu Artikel (Grimm: Höcke irrlichternder Rechtsaußen), also fast von Tag zu Tag, unsympathischer.

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