Erik Lommatzsch, Gastautor / 04.10.2018 / 17:11 / 13 / Seite ausdrucken

Stinkefinger und Staatsversagen

Einer relativ bekannten, einflussreichen, wenn auch momentan ein wenig angeschlagenen Frau ist soeben aufgefallen, dass das „Thema Flüchtlinge“ dieses Land „ein Stück weit“ spaltet. Dennoch: Die „völlige Enthemmung der Sprache“ könne nicht toleriert werden, unterschiedliche Positionen rechtfertigten nicht „diese Art von Hass“.

Enthemmte Sprache? Wen meint sie? Den christsozialen Herrn Dobrindt, der sagt, wer mit der AfD zusammenarbeiten wolle, habe „nicht alle Latten am Zaun“? Oder ist es eine versteckte Kritik am Herrn Bundespräsidenten, der Konzerte empfiehlt, auf denen eine volkszornige Truppe auftritt, die gern mal skandiert: „Die Bullenhelme – sie sollen fliegen/Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein!“ oder „Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck“? Apropos „Fresse“: Hier handelt es sich um einen Begriff, der auf den oberen Etagen der nicht mehr so guten, aber immer noch alten Sozialdemokratie gern genutzt wird. Zurück zum Herrn Bundespräsidenten, der noch weitere textstarke Musikunterhalter kennt und durch Werbung den Besuch von entsprechenden Veranstaltungen unterstützt, etwa eine Band, die da fröhlich singt: „Ich ramm die Messerklinge in die Journalistenfresse“ und „Eva Hermann sieht mich und denkt sich ‚Was’n Deutscher!‘/Und ich gebe ihr von hinten, wie ein Staffelläufer/Ich fick sie grün und blau…“ Der subtile Geschmack des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2018. Ein Irrtum ist übrigens auszuschließen. Beanstandungen dieser Empfehlungen konterte der Herr Bundespräsident mit dem Hinweis, dass „Grundsätzliches“ in Frage stehe, wenn in Deutschland „Hakenkreuzfahnen“ getragen werden.

Fahnen, die nur der Präsident sah

Helmut Schmidt, einst Bundeskanzler und Mitglied der Partei, welcher der Herr Bundespräsident auch angehört, äußerte bekanntlich, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Was Angelegenheiten wie die Sache mit den Hakenkreuzfahnen betrifft (die außer dem Herrn Bundespräsidenten niemand gesehen hat) – da hat der Herr Schmidt wohl recht gehabt. Für Nazi-Visionen muss man allerdings kein Bundespräsident sein. Auch die hinteren Ränge der Sozialdemokratie sind da anfällig: Der AfD-Fackelzug zum „Reichstag“ nach der letzten Bundestagswahl beispielsweise wurde ausschließlich von Frau Engelmeier, immerhin einst Bundestagsabgeordnete, wahrgenommen. Wenigstens unter Tränen.

Ein stinkefingernder Minister und ein Bundestagsabgeordneter, der eine Schülerin auch schon mal als „Schlampe“ bezeichnet, sind inzwischen eher normal. Und beide gehören der SPD an. Verflixt aber auch. Durch wen verrohen Sprache und politische Umgangsformen gleich nochmal?

Erziehungs- und Wahrnehmungsdefizite einzelner Politiker – warum sind eigentlich so viele Sozialdemokraten dabei? – mögen das eine sein. Die Bevölkerung (früher: das Volk) ist allerdings vor letzterem auch nicht gefeit. Der Herr Bundestagspräsident (der ist nun aber bei den Christdemokraten) gestand vor einer Woche das Staatsversagen ein, was der Fall ist, wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, den eigenen Gesetzen Geltung zu verschaffen. Das scheint niemandem aufgefallen zu sein. Dabei geht es kaum gravierender, denn bei einer solchen Kapitulation – da kann man selbigen Bundestagspräsidenten mit einem in seiner sympathischen Mundart in anderem Zusammenhang gefallenen Ausspruch zitieren: „isch over“.

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Thorsten Helbing / 04.10.2018

Um 18.01 Uhr letztes Jahr nach der Bundestagswahl: Man wolle die AfD inhaltlich stellen, sie als lärmende pöbelnde und ausländerfeindliche Nazis entlarven. Geblieben sind bis heute teilweise hochbrilliante Reden von AfD-Bundestagsabgeordneten mit Hintergrundwissen von Dem was sie im Bundestag vorbringen und dagegen sehen und hören wir lärmende pöbelnde und deutschfeindliche Nazis im Bundestag, auch Altparteienkartell genannt.

Werner Arning / 04.10.2018

Ja, aber es macht einfach Spaß, den politischen Gegner immer genau der Untaten zu bezichtigen, die man selber begeht. Also immer schön verunglimpfen und dann dem Gegner vorwerfen, dieser würde verunglimpfen. Immer schön Hass schüren und dann dem Gegner vorwerfen, dieser würde Hass schüren. Immer schön hetzen und dann dem Gegner vorwerfen, dieser würde hetzen. Und das alles mit Unterstützung der Medien. Und am besten jeden Tag. Und zur besten Sendezeit. Doch, das macht Spaß. Das zeigt Wirkung. Das zeugt von wahrhaft demokratischer Gesinnung. Und ist absolut Grundgesetz-kompatibel. Kann man sich durchaus dran gewöhnen.

Sabine Schönfelder / 04.10.2018

Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht.(Matthäus 7) Als Pfarrerstochter müßte Merkel diese Bibelstelle geläufig sein. Selbst die personifizierte Spaltung Deutschlands und eine der meistgehaßten Frauen dieses Landes, sucht sie mit ihren linken Kumpanen nach Splittern in den Augen der AFD, schamlos, heuchlerisch und verlogen. Gerade wurde man wieder fündig und konnte im letzten Moment Deutschlands rechtsradikalen Umsturz durch sieben Männer und einem Luftgewehr verhindern! Erdogan ein weiterer Balken im Auge Merkels, der bei der Splittersuche in Richtumg Trump völlig ignoriert wird. Nicht zu vergessen den Balken der Antifa, der sich in Hamburg und Hambacher Forst gewalttätig austobt, zusätzlich Videomaterial produziert, um die rechte Szene mit Splittern der Verleugnung zu kriminalisieren. Ein Balken, der noch mit Steuergelder unterstützt wird und einen Preis von Ramelow für Demokratie erhält. Viele Balken, keinen Durchblick, verlorene Wählerstimmen.

Herbert Müller / 04.10.2018

Die Bürger haben die Nase voll von der extremen Dummschwätzerei der Politiker, von dem Gequatsche vom Fachkräftemangel bei einem Millionenheer an Arbeitslosen und prekär Beschäftigten, von dem Gerede, dass es uns allen noch nie so gut ging wie heute, dass wir von den Muslimen Toleranz lernen können, dass man die Grenzen nicht kontrollieren könne (Saudi-Arabien macht es vor), dass wir wegen der Exportlastigkeit unserer Industrie weltoffen sein müssten (Japan und China sind auch exportlastig jedoch nicht weltoffen),und dass die geschenkten Menschen schließlich unsere Renten bezahlen werden. Dieses unausgegorene Gequatsche von Politkern führt zu Frustrationen und dann auch mal zu deftigen Ausdrücken. Aber auch hier gilt, dass es aus dem Wald so heraus schalt wie man hineinruft.

Gabriele Klein / 04.10.2018

Mir scheint in diesem Lande darf man so ziemlich alles im Grunde sagen mit einer einzigen Ausnahme: der Wahrheit…..

U. Unger / 04.10.2018

Es soll ja mittlerweile Leute geben, die beim Anblick eines achtspeichigen Kutschrades zwei perfekt ineinander verwobene Hakenkreuze mit ästhetischer Anpassung an das 21. Jahrhundert sehen. Nur dass Ihre sonstigen Wahrnehmungen, neben all diesen verschrobenen Einzelwahrnehmungen möglicherweise genauso wertlos sind, steht in jedem Psychologie Ratgeber für den Alltag auch ziemlich weit vorne. Es gibt brauchbare und unbrauchbare Zeugen. Die SPD Frontkämpferriege erweist sich aber aus einem anderen Grund als unbrauchbar, sie können nicht rechnen, daher die Wahrheit niemals erfassen. Vergessen Sie den Haufen Herr Lommatzsch. Beim ersten Treffen ehemaliger SPDler, nach dem Zerfall dieser früher bedeutenden Partei, bin ich gerne bereit als Gastredner die Bundespräsidenten der SPD gebührend zu würdigen. Mein Arbeitstitel lautet: Sozialdemokratische Bundespräsidenten verglichen mit Ihrem Vorgänger Heinrich Lübke. Kostenlos, Kinder zahlen die Hälfte.

Klaus Reichert / 04.10.2018

Die SPD ist führend bei der Verrohung der Sprache. Seit die AfD im Bundestag ist, sind sie außer Rand und Band. Auch die Grünen halten gelegentlich ihre Schreitherapie dort ab (Hofreiter). Man hat vorausgesagt, dass es so kommt. wenn die AfD da ist. Man hat Recht behalten, nur anders als gedacht.

Klaus Demota / 04.10.2018

Nun, da diese Republik nicht mehr im alliierten Containment steckt, zeigen sich halt wieder die alten ur- und treudeutschen Eigenschaften, sodass mit Friedrich Engels erneut festzustellen ist: “Die Nationalversammlung erkannte, dass sie ein Reglement haben müsse, denn sie wusste, wo zwei oder drei Deutsche zusammen sind, da müssen sie ein Reglement haben, sonst entscheiden die Schemelbeine.” (Neue Rheinische Zeitung, Nr. 1, 1. Juni 1848)

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