Thilo Schneider / 14.01.2021 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 27 / Seite ausdrucken

Sonneboln, Semslott und die Tschinesen

Kennen Sie den? Eine Polizeiwache bekommt einen aufgeregten Anruf: „Kommen Sie schnell, da liegt ein Gleis auf den Bahnschienen!“ Der Polizeibeamte lächelt müde: „Das ist doch vollkommen in Ordnung und passt, kein Grund zur Sorge.“ Dann legt er auf. Fünf Minuten später klingelt das Telefon erneut und der gleiche Anrufer ist dran: „So, das haben wil jetzt davon. Eben kam Zug und hat Gleis übelfahlen.“ Vielleicht braucht dieser blöde, aber harmlose Witz ein paar Sekunden, bis der Zuhörer und Leser erkennt, dass der Anrufer offenbar ein Asiate war, die angeblich oder tatsächlich ein „r“ als „l“ aussprechen. Daraus bezieht der Witz seine etwas seichte, halbwitzige Pointe. So etwas erzählt man mal im intimen Kleis nach zwei Gläsern Wein (ich vertrag nix) und gut ist's. Zumindest war das einst so.

Jetzt hat Martin Sonneborn, Chefwitzeerzähler der ungemein witzigen PARTEI es gewagt, sich ein T-Shirt mit der Aufschrift „AU WIEDELSEHERN, AMLERIKA! abem Sie Guter FrLug runtel! Printed in China für Die PARTEI“ zuzulegen und öffentlich zu zeigen. Hintergrund des ille witzigen Shilts ist natürlich der Trump-Umzug und die Tatsache, dass die überwiegende Anzahl der Merchandise-Artikel der Trump-Kampagne in China produziert wird und chinesische Kopien westlicher Waren in der Regel nicht so ganz perfekt ausfallen. Kann man lustig finden oder auch nicht.

Was zu den Glanzzeiten von Sonneborn als Chefredakteur der Titanic von 2000 bis 2005 zu einem müden Lächeln am Kiosk geführt hätte (siehe dieses Cover von 2002), führt im sensibel fühlenden Jahr 2021 zu einem riesigen Shitstorm und damit zum Rücktritt seines Adlatus im Europaparlament, Nico Semsrott, der das T-Shirt im Tenor mit vielen Followern als „rassistisch“ interpretiert und wirklich mächtig sauer ist, dass Sonneborn die Kritik mit einem lapidaren „gut, ich ziehe ein Jacket drüber“ weggelächelt hat. „Smiley“, wie Sonneborn endet.

Funfact: Während Sonneborn konsequent an seiner Fraktionslosigkeit im Europaparlament festhält, hat sich Semsrott der Europafraktion „Die Grünen/Europäische freie Allianz“ angeschlossen und will natürlich, wie es die Kämpfer für eine bessere Welt und höhere Moral immer tun, trotz seines Austritts an seinem Brüsseler Posten und den damit verbundenen angenehmen Apanagen festhalten. Für seine Verhältnisse wird er auch nie wieder besser für seine Leistungen entlohnt werden. Ein Schelm …

Fokus auf überparteiliche Satire

In Abwandlung von Kurt Tucholskys „Was darf Satire? Alles!“ könnte man heute statt „Alles“ besser „Etwas“ schreiben. Und wo früher das Motto „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ lautete, heißt es heute bei den hummerverwöhnten Salonsozialisten: „Moral mit Fressen verbinden.“ Semsrott mag durchaus recht haben, wenn er Sonneborn, Jahrgang 1965, als „aus der Zeit gefallen“ bezeichnet; ihm aber wegen eines mehr oder eher weniger witzigen Shirts „Rassismus“ zu unterstellen, ist genau das, was ich heute als satirisches Beckenrandschwimmen bezeichnen würde.

Nun wäre es natürlich von einem Club wie der PARTEI zu viel erwartet, würde sie einen Friedrich Merz oder eine FDP in irgendeiner Weise unterstützen, dazu sind die vielen Jungs und wenig Mädels viel zu sehr auf links gedreht, nur ist es nun einmal keine Satire mehr, wenn sie nur noch einseitig einer Ideologie folgt. Jan Böhmermann und die „heute-show“ (deren Mitarbeiter ausgerechnet Semsrott von 2017 bis 2019 einst war) könnten ein Lied davon singen, wenn sie denn mehr als Loblieder auf die Regierung anstimmen könnten. 

Sonneborn hat immer großen Wert auf überparteiliche Satire gelegt und ist auch schon mal in einem roten Bus mit der Aufschrift „SPD – Mit Anstand verlieren“ im Wahlkampf durch die Aschaffenburger Innenstadt gefahren (Zur Wiedergutmachung der empfindsamen Sozialistenseelen: Sonneborn hat mehr als einmal die FDP durch seine satirische Kreissäge geschickt) und so für Gelächter – außer bei den örtlichen SPD-Granden – gesorgt. Man mag all diese Aktionen gut, schlecht, grottig oder unterirdisch finden, je nach Standpunkt und Humor, aber wer Satire nicht aushalten kann, der darf sich auch nicht mit ihr beschäftigen.

Sonneborn beschießt einfach alles und jeden

Sich als Stauffenberg zu verkleiden und auf der Frankfurter Buchmesse zu einer Lesung von Höcke kommen – da ärgert mich nur, dass das nicht meine Idee war … Umgekehrt muss ein Satiriker auch das Echo seines Tuns abkönnen. Und da ist Sonneborn um Meilen weiter als der „in der Zeit gebliebene“ Böhmermann, der auf Twitter konsequent alles wegsperrt, was nicht seine unmaßgebliche Meinung teilt.

Sonneborn ist, so gesehen, tatsächlich „aus der Zeit gefallen“. Er kann Widerspruch ab und akzeptiert diesen auch – und macht trotzdem sein Ding. Wie es ein freier bundesrepublikanischer Geist eigentlich tun sollte. Man kann Sonneborn sicher viele geschmackliche Entgleisungen und Grenzüberschreitungen vorwerfen – ein Rassist ist er definitiv nicht, wenngleich er mit Rassismen gerne herumspielt. Sonneborn beschießt einfach alles und jeden und ist damit für die selbstverzwergten Schlümpfe von Wokeistan eine „loose Cannon“. Wer sich darüber aufgeregt, echauffiert, sollte definitiv selbst einmal seine Koordinaten neu justieren.   

Deswegen bin und bleibe ich „Team Sonneborn“, aber ich bin auch einer der wenigen, der sagen kann, dass er als FDPler schon für die PARTEI aus Joke am Stand stand und Wahlkampf gemacht hat. Gekriegt habe ich dafür immerhin kostenlosen Äppelwoi und ein paar fesche Aufkleber mit vögelnden Einhörnern. Das war mehr, als ich bei meiner eigenen damaligen Partei bekam (das Feuerzeug war schon am nächsten Tag kaputt).

Also Martin – hau weiter ins Mett. Und was Du bei der verkrampften Titanic nicht unterkriegst – die dunkle Website der Achse hat gelegentlich noch Plätzchen (und Cookies) (angst-)frei. Knuddelsmeili.

(Weitere „aus der Zeit gefallene“ Artikel des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

netiquette:

Jörg Themlitz / 14.01.2021

Satire ist immer Satire der Andersdenkenden.

Wolf Hagen / 14.01.2021

“Hat mal jemand Ketchup?!”, um es mit Patrick Star zu sagen. Sonnenborn ist mainstream-witzig, bzw. eben nicht und Semsrott ist irgend so eine woke Erscheinung, die nichts drauf hat, weder als Kabarettist, noch als Politiker. Das er trotzdem im EU-Parlament bleibt, zeigt deutlich, dass er eben nur auf Kohle aus ist, sonst nix. Nicht weiter verwunderlich.

Jürgen Fischer / 14.01.2021

Semslott ... ist das nicht auch einel von denen, die nie was gelelnt haben und jetzt nul dem Steuelzahlel auf del Tasche liegen? Dann passt er ja prima in die Fraktion, der er sich angedient hat. Keine Satire, leider.

Karsten Dörre / 14.01.2021

Nico Semsrott war vor seinem Europa-Ausflug Satiriker und Kabarettist. Mit Europaparlamentsalär ist wohl eher bei ihm im Kopf was durcheinander geraten.

Jason King / 14.01.2021

Die PARTEI waren und sind schon immer humorlose Anarchisten, die vorgeblich “witzig” das politische System konterkarieren wollen, insgeheim aber die Annehmlichkeiten durchaus zu schätzen wissen.

Karl Eduard / 14.01.2021

„AU WIEDELSEHERN, AMLERIKA! abem Sie Guter FrLug runtel! Printed in China für Die PARTEI“  Traurig, diese Spaßbefreitheit. Ich fand den früher mal witzig. Geschmäcker ändern sich eben. Heutzutage wird Alles und Jeder, der nicht ganz politisch korrekt ist, vom Mob gejagt. Ich glaube, das fing damals mit dem Brüderle an und dieser Journalistin, die sich darüber aufgeregt hat, daß sie auch ein Dirndl gut füllen würde. Die Frauen haben am Opferbonus Wettlauf teilgenommen und inzwischen melden sich haufenweise Moralisten, die anderen vorwerfen, gegen Regeln zu verstoßen. Das sagt man nicht, Rassist! Na, eigentlich ist es ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Zuwendung. Ich glaube mich zu erinnern, daß Petzen früher nach der Schule verhauen wurden. Es war nicht Alles schlecht. Damals.

Paul Siemons / 14.01.2021

Sonneboln ist auch nul ein linksladikalel Systemknecht, fül den alle diejenigen Nazis sind, die der westlich-abendländischen Kultul nicht zu Gunsten von neuen Kultulbeleichelungen abschwölen wollen. Soll er doch mal in einem islamisch dominierten Land etwas publizieren oder dort mit seiner Partei auftreten, zum Beispiel in Frankreich. Wie wäre es als Wahlplakat mit dem Bild eines Ajatollah, der sich in die Pluderhose gemacht hat? “Hier könnte Waschmittelwerbung hängen!” Dann würde ihm ganz schnell klar gemacht, auf welcher Seite er besser nicht gestanden hätte. Wenn einem solchen Kumpanen der Linken die politische Korrektheit auf die eigenen Füße fällt, überkommt mich nur eine ganz und gar nicht klammheimliche Freude. Und sollte er jemals bei Achgut als Autor erscheinen… aber nein, da seien die Intelligenten unter den Autoren vor.

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