Peter Grimm / 03.09.2023 / 13:00 / Foto: Imago / 73 / Seite ausdrucken

Söders sonntägliches Zurückrudern

Hubert Aiwanger wird nicht entlassen. Das meldeten die Medien bereits vor dem dazu anberaumten Presseauftritt. Etwas anderes blieb Markus Söder auch kaum übrig. Nun sollte es wenigstens nach Gnade des Landesvaters aussehen und Aiwanger dabei noch etwas demütigen.

Die bayerische Regierungskoalition bleibt für die letzten Wochen vor der Wahl erhalten, verkündet Markus Söder als bayerischer Regent am Sonntagvormittag. Der christsoziale Ministerpräsident trat zu einer Uhrzeit auf, da so manche Christenmenschen noch beim Sonntagsgottesdienst saßen, und die Erklärung, die er vor der Presse verlas, hörte sich auch ein wenig wie eine Predigt an. Er sprach von notwendiger Reue und Demut, der dann die Vergebung folgen könne. Das war natürlich nicht auf ihn selbst gemünzt, sondern Reue und Demut erwartet er von seinem Vize Hubert Aiwanger. Denn er erweist ihm die Gnade, ihn nicht aus dem Amt zu entlassen. So schien der Auftritt zumindest gedacht.

Söder selbst ist nun einmal nicht der Mann für Demut, sondern eher für das Demütigen Anderer. Im Stile eines Großinquisitors hatte er ja kürzlich von Hubert Aiwanger öffentlich schriftliche Antworten auf 25 Fragen gefordert, um dann urteilen zu können, wie es mit dem Stellvertreter weitergeht. Und heute kam nun die Urteilsverkündung.

Zu Söders letztem Auftritt hatte ich geschrieben, dass er im Stil irgendwo zwischen Großinquisitor und Oberlehrer schwankte. Dieser Art blieb er sich treu. Als wäre der Missetäter Aiwanger immer noch Schüler, wie damals vor 35 Jahren, als man in seiner Schultasche das inzwischen vielfach besprochene Nazi-Flugblatt fand, wurde er zunächst vom Lehrer Söder gerügt. Aiwangers Krisenmanagement sei „nicht glücklich“ gewesen, und von den Antworten auf die 25 Fragen waren auch „nicht alle befriedigend“. Es fehlte eigentlich nur noch, dass Söder dafür eine Schulnote vergeben hätte. Doch das dürfen die bayerischen und nichtbayerischen Bürger selbst tun, denn Fragen und Antworten wurden jetzt veröffentlicht.

Dann berichtete der Ministerpräsident von einem langen persönlichen Gespräch mit seinem Stellvertreter, wonach er zu dem Schluss gekommen wäre, dass eine Entlassung aus dem Amte „nicht verhältnismäßig“ sei. Es gäbe schließlich auch keinen Beweis dafür, dass der minderjährige Aiwanger das Flugblatt vor 35 Jahren selbst verfasst hätte und er selbst streite das ab. Außerdem sei das Ganze – so Söder weiter – wirklich 35 Jahre her, und später wäre der Aiwanger nicht mehr einschlägig aufgefallen. All das entlaste ihn ja. 

Herablassend gnädig

Das sind wirklich bahnbrechende Erkenntnisse, zu denen andere Beobachter zwar schon ohne Kenntnis von Aiwangers 25 Antworten und ein langes Gespräch mit ihm gelangt sind, aber die haben sich wahrscheinlich nicht so intensiv wie Markus Söder darum bemüht, "„neutral, fair und nachhaltig“ zu urteilen.

Aber, so der Inquisitor, man dürfe jetzt dennoch nicht so tun, als sei nichts vorgefallen. Ein „weiter so“ ginge nicht, auch wenn Aiwanger von Söders Gnaden im Amt bleiben darf. Wichtiger als die Taten von damals sei es, wie Aiwanger heute damit umgehe. Der stellvertretende Ministerpräsident solle daran arbeiten, wieder persönliches Vertrauen aufzubauen. 

Söder gab sich mal herablassend gnädig, wie ein Vertreter höherer moralischer Instanzen, und mal urteilend wie ein Lehrer über einen widerspenstigen Schüler. Das war nicht anders zu erwarten. Interessanter waren vielleicht noch die wenigen Worte, die nicht aus diesen Textbausteinkästen kamen. Als er noch einmal betonte, dass die bestehende Regierung und Koalition weitergeführt werde, sagte er auch, dass es „definitiv“ keine Regierung mit den Grünen geben werde. 

Ob diese Zusage auch nach der Wahl gilt, ließ er offen, wollte es aber garantiert so verstanden wissen. Denn genaugenommen hatte er keine andere Wahl, als an Aiwanger festzuhalten. Viele bayerische Wähler sind offenbar davon überzeugt, dass Söder durchaus mit einer schwarz-grünen Koalition liebäugelt. Doch die Grünen sind derzeit alles andere als populär, deshalb mag er sich dazu nicht bekennen. Hätte er sich nun von Aiwanger getrennt und die Koalition im Wahlkampf platzen lassen, müsste er noch stärkere Verluste bei den Wählern fürchten, die nach den Erfahrungen mit der Ampel-Bundesregierung partout keine Grünen in bayerischen Regierungsämtern sehen wollen. Eine Entlassung Aiwangers war also von vornherein undenkbar oder hatte Söder noch auf die Entdeckung einer beweisbaren weiteren Verfehlung seines Stellvertreters gehofft? 

Man könnte auch unterstellen, dass es ihm nur um die kleine Demütigung seines Konkurrenten durch das ganze Verfahren gegangen sei. Immerhin gab es ja unter Aiwangers Anhängern tatsächlich Stimmen, dass dieser sich das nicht gefallen lassen dürfe. Aber dass das „Verfahren“ den Freie-Wähler-Chef wirklich beschädigt, ist ziemlich zweifelhaft. Eher verstärkt es das Bild vom Opfer einer Kampagne. Doch selbst wenn Aiwanger Schaden nähme, so dürfte das Söder nur wenig nützen. Diese Erkenntnis hat er in den letzten Tagen bestimmt gewonnen. Also sollte dieser Auftritt vielleicht nicht mehr sein als ein möglichst gesichtswahrendes sonntägliches Zurückrudern? Dann könnte man diese „Affäre“ um die alten Missetaten des minderjährigen Schülers Aiwanger jetzt ad acta legen und sich Wichtigerem widmen. Beispielsweise, dass am Freitagnachmittag nach tagelanger Haushaltsdebatte das umstrittene und für viele Hausbesitzer ruinöse Heizungsgesetz vom Bundestag beschlossen werden soll. Das müsste die Bürger eigentlich viel mehr aufregen. 

Foto: Imago

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 03.09.2023

Sehr passend, daß in diesen Artikel bezüglich Söder eine Werbung zum neuen politischen Anscheißerportel “Hinweisgebergesetz” eingepaßt ist.

Sebastian Laubinger / 03.09.2023

Ein Wort: Widerlich. Immerhin: Jetzt müsste langsam auch dem Dümmsten klar geworden sein, wer hier totalitäres Denken vertritt.

Horst Jungsbluth / 03.09.2023

Angesichts der dramatischen Zustände in unserem Staat ist das Verhalten der “Spitzenfunktionäre” der Union verstörend und das nicht erst jetzt, sondern seit Jahrzehnten. Man kann ja zu den “Freien Wähler” und Herrn Aiwanger stehen, wie man will, aber dem damals Minderjährigen nach 36 Jahren dieses widerwärtige Flugblatt vorzuwerfen, ist im dopppelten Sinne heuchlerisch, da gerade, wenn es um Antisemitismus und Israelfeindlichkeit geht,  Grüne und Linke wohl an erster Stelle stehen. Ganz abgesehen von allgemeiner, schwerer gegen ganz normale Bürger gerichtete Gewaltkriminalität, wo übrigens die Täter fast alle volljährig waren.  Man muss da u. a.  an den ehemaligen Außenminister Fischer von den Grünen denken, der zwar keine!!! abgeschlossene Ausbildung, aber so einiges auf em Kerbholz hatte und dazu offen drohte, dass er den Deutschen das erarbeitete Geld wegnehmen wolle. Als Bettina Röhl einige Details davon veröffenlichte, trat der nicht etwa zurück, sondern Frau Röhl wurde der Buchvertrag gekündigt. Ich weiß, wie in der DDR den Menschen das Gehirn gewaschen wurde, aber ich wusste bisher nicht, dass das ansteckend ist. Und wenn es nicht ansteckend ist, was ist es dann?

Hans Kloss / 03.09.2023

Nazi-Flugblatt? Ich bin mir nicht sicher was das genau war aber bestimmt nicht Nazi-Flugblatt. Schön wegen der Zeit des Geschehens, gab es Nazis umher nicht mehr. Ob es Neonazis gab? Vlt gab es die. Nur selbst dann war das Schriftstück nicht Mal annähernd Neonazi. Das schlimmste was es war: geschmacklos. Angesichts der Entgleisungen der Gutmenschen letzte paar Jahre, nicht wirklich die Rede wert und dann noch ein echter Einzelfall wie es scheint - ich denke es gab nichts anderes, weil sie nic finden konnten. Also wenn überhaupt dann bitte: “angebliches Nazi-Flugblatt”

Jürgen Fischer / 03.09.2023

Ist eigentlich was bekannt geworden, dass gegen den Lehrer rechtliche Schritte eingeleitet worden sind? Oder verzichten da alle, weil es eh keine Aussicht auf Erfolg hat, wie man das bei unserer abhängigen Justiz erwarten kann?

Klaus Biskaborn / 03.09.2023

Das Thema ist noch längst nicht abgeschlossen. Jetzt geht die Links-Grüne Empörungsmaschinerie erst richtig los. Was wird passieren? Merz und Söder werden umfallen, Aiwanger fallen lassen um sich selbst zu retten! Wetten?

Karlheinz Patek / 03.09.2023

Er hätte ihn gar nicht so ohne weiteres entlassen können. Dazu wäre die Zustimmung des Landtages nötig gewesen. In Bayern ist es anders als beim Bund. Das wäre der Bruch der Koalition gewesen. Damit hätte die Staatsregierung keine eigene parlamentarische Mehrheit mehr. Dann muss Söder zurücktreten, so will es die Verfassung (Artikel 44, Abs. 3, Satz 2). Lösung wäre eine Minderheitsregierung, aber dafür müsste er den Idioten der Opposition was anbieten.

John Sheridan / 03.09.2023

Wer wählt sowas (CSU)?

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