Peter Grimm / 14.04.2023 / 13:00 / Foto: By photothek.net Link / 61 / Seite ausdrucken

Sind Ost-Beauftragte schon „in der Demokratie angekommen“?

Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (Foto), erklärt Springer-Verlagschef Mathias Döpfner für „nicht mehr tragbar“ wegen „der wichtigen Rolle der Medien für unsere Demokratie“. Was sagt das über die Rolle von Ost-Beauftragten in der Demokratie?

Die steigende Zahl der mehr oder minder sinnvollen Beauftragten-Ämter der Bundesregierung ist ja immer mal wieder Gegenstand journalistischer Betrachtungen. Zu den umstrittenen Ämtern zählt dabei das des sogenannten Ost-Beauftragten. Es zeugt schon von einer merkwürdigen Sicht der letzten Bundesregierungen auf ihr seit mehr als drei Jahrzehnten wiedervereinigtes Land, dass es dieses Amt überhaupt gibt. Krisenregionen, die besonderer Initiativen des Bundes bedürften, gibt es schließlich nicht nur im Osten, während der Osten nicht nur aus Krisenregionen mit stärkerem Fürsorgebedarf besteht. Mag die Einrichtung dieses Amtes 1998 auch gut gemeint gewesen sein, so riecht es doch mittlerweile stark nach institutioneller Herablassung, wenn mehrere Bundesländer samt und sonders pauschal zum Betreuungsfall erklärt werden.

Zum Kerngeschäft des Ostbeauftragten gehört es, sich immer dann zu äußern, wenn irgendetwas über die Bewohner der zu seinem Verantwortungsbereich erklärten Landstriche – gern Ossis genannt – öffentlich gesagt wird. Protestieren die Ossis gegen Regierungspolitik, dann kümmert sich der Beauftragte darum, zu attestieren, in welchen Bereichen sie noch belehrt werden müssen. Sagt aber jemand anders einmal etwas Despektierliches über Ossis, dann gibt der Beauftragte auch gern mal den verbalen Schutzherrn.

Zu Letzterem sah sich dieser Tage der gegenwärtige Amtsinhaber Carsten Schneider (SPD) berufen, als es darum ging, Mathias Döpfner, den Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Verlags, für geleakte private Mitteilungen zu kritisieren. Zu den zur Affäre hochgeschriebenen Zitaten Döpfners hat Joachim Steinhöfel hier auf Achgut schon das Nötige geschrieben. Unbestritten ist jeder Mensch in Amt und Würden schwer erträglich, der Sätze wie „Die ossis werden nie Demokraten“ oder „Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig“ in die Öffentlichkeit posaunt. Nur das tat Döpfner nicht. Diese Worte waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Wer entscheidet über die Tragbarkeit?

Wenn sie nun aber in der Öffentlichkeit sind, ist es natürlich jedem unbenommen, sie auch zu kommentieren. Und vom Genossen Schneider, dem hauptberuflichen Ost-Beauftragten, kam jetzt dies: „Die Gedanken von Herrn Döpfner zeigen nicht nur Verachtung für diese Perspektive und die Menschen, sondern auch für die Demokratie“. Das mag man so sehen, doch der folgende Satz ist eine ungeheuerliche Anmaßung, wenn er von einem Regierungsbeauftragten kommt: „Herr Döpfner ist nach dieser Veröffentlichung an der Spitze eines Verlages mit dieser publizistischen Macht und mit Blick auf die wichtige Rolle der Medien für unsere Demokratie endgültig nicht mehr tragbar.“

Genosse Schneider maßt sich als Regierungsvertreter an, darüber zu urteilen, wer an der Spitze eines Verlages nicht mehr tragbar ist? Das ist, höflich formuliert, doch etwas übergriffig. Vielleicht sollte Genosse Schneider sich erinnern, dass zwar eine freie Presse, wann immer ihr es beliebt, den Rücktritt einer Regierung, eines Regierungsmitglieds oder Regierungsbeauftragten fordern kann, aber es sich in einer freiheitlichen Gesellschaft eigentlich nicht gehört, wenn Regierungsmitglieder oder -beauftragte ihrerseits laut den Kopf eines wichtigen Verlagschefs fordern. Das lässt vielleicht an der Verwurzelung des Ost-Beauftragten in der Demokratie leichte Zweifel aufkommen.

Wäre das vielleicht das passende Zitat dazu? „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind.“ Das ist nicht von Döpfner, auch wenn es so ähnlich klingt, wie obige Döpfner-Zitate, sondern von Schneiders CDU-Amtsvorgänger Marco Wanderwitz. Und es stammt auch nicht aus einem privaten Chat, sondern wurde öffentlich geäußert. Es soll hier jetzt nicht darum gehen, ob Genosse Schneider seinen Amtsvorgänger Wanderwitz auch für „nicht mehr tragbar“ hielt. Vielleicht sind eben auch Ostbeauftragte manchmal noch nicht richtig „in der Demokratie angekommen“. 

Foto: By photothek.net - Auftragsarbeit/ spdfraktion.de/abgeordnete Creative Commons Attribution 4.0">CC BY 4.0, Link

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Volker Kleinophorst / 14.04.2023

@ D. Grimm Schon richtig, was sie schreiben. Dass es hier in der besetzten BRD eine Scheindemkratie, eine Schaufensterdemokratie war, war für Sie sicher nicht direkt zu erkennen. War auch für Sie früh zu erkennen. nach dem schmutzigen Wahlkampf um die “DDR” und wie man mit “1 zu 1” die Bürger kaufte, als die im GG gebotene Verfassung 1990 nicht kam, die Verbrechen der Stasi in Westdeutschland (Unterstützung der RAF, Finanzierung der sogenannten Friedensbewegung,, wesentlich bei den Grünen drin von Anfang an, Berliner AL-Senat) kein Thema waren und dann der Klops schlechthin die SED im Bundestag saß (heute Teil von “Unsere Demokratie). Wenn damals rausgekommen wär, wie viele Abgeordnete bereits IMs waren (einige sind ja aufgeflogen, gerne nach dem Tod), wäre die BRD gleich mitgecrashed. Die Stasi hat nicht wie von vielen vermutet 1990 und dann mit dem Merkel-Turbo die BRD unterwandert. Sie war schon da und hatte sich bereits der CIA an den Hals geworfen wie es viele NationalSOZIALISTEN nach der Niederlage 1945 ja auch getan haben. Und: Olaf fuhr seit den späten 70ern zu seinen Genossen. Hat er natürlich längst vergessen. Ich aber nicht. Ohnesorg-Mörder Kurras war auch ein Stasimann. Auch da hatte schon nix mit nix zu tun. PS.: Ost durfte wählen, ob man zu West will. West hat man lieber nicht gefragt. Ich hätte sogar dafür gestimmt. Im Gegensatz zu Lafontaine SPD.

Tobias Kramer / 14.04.2023

Wir “Ossis” brauchen keine Schnösel wie Schneider oder Wanderwitz, um uns zu erklären, wie wir zu leben haben. Das mussten viele ganze 40 Jahre lang ertragen und auch ich durfte das viele Jahre erfahren. Wir brauchen auch keine Beauftragten als demokratische Kindermädchen. Es hatte gereicht, dass man uns 16 Jahre ein trojanisches SED-Pferd in den Stall gestellt hatte. Viele haben das zu spät begriffen. Aber wer den Osten für doof hält, wird sein böses Erwachen noch erleben. Ich liebe das digitale Zeitalter, wo nichts so einfach in Stasimanier geschreddert werden kann ;)

Uwe Heinz / 14.04.2023

@Dieter Grimm: Sie sprechen mir (gebürtiger Wessi und Franke) aus der Seele.  Ich bin froh, daß es Euch gibt. Denn, wie Uwe Steimle es zu formulieren pflegt: Die Ossis kommen aus der Zukunft!

Klaus Schmid / 14.04.2023

Wenn der Döpfner als Medien-Chef nicht tragbar ist - wie tragbar sind denn dann die ganzen ÖRR-Fürsten die eine 15 Prozent-Partei in allen talk-Runden ignorieren und streng Grün ausgerichtet sind?

Dieter Grimm / 14.04.2023

Ich bin selbst Ossi. Mit erlebten Repressalien der Stasi wegen Ausreiseantrag und letztendlich bei Nacht und Nebel als einer der Ersten mit der Familie in der Prager Botschaft gelandet. Was wir uns damals als Neubundesbürger unter dem Begriff Demokratie vorgestellt hatten, traf zu 99% zu. Der Unterschied von einer bestialischen Diktatur zu einer Demokratie war umwerfend für uns. Der Nachteil oder Vorteil eines Ossis ist, er weiß wie es ist unter einer Diktatur, ohne Freiheit jedweder Art zu leben. Die Ära Hellmut Kohl hat mich stark geprägt. Als ich erfuhr das eine FDJ-Sekretärin mit Studium an der Moskauer Universität die neue Kanzlerin wird, sagte ich bereits damals zu meinen Arbeitskollegen in Franken das dies das Ende der Demokratie bedeutet. Ein Wessi, mir graut vor diesen Begriffen!!!!, hatte keine Ahnung was es bedeutet wenn die Demokratie schleichend aber kontinuierlich durch eine Diktatur der FDJ Sekretärin abgeschafft wird. Beispiele, was eine Diktatur ist haben wir zu Hunderten. Von der angewiesen Neuwahl eines Ministerpräsidenten Thüringens, über das an die Macht bringen einer in kriminelle Korruption verwickelte extrem Inkompetente Verteidigungsministerin ins höchste Amt der EU obwohl diese geballte Unfähigkeit nie zur Wahl stand, bis zum brutalen Niederschlagen friedlicher Demonstranten, Frauen, Alte und Kinder. Ganz zu schweigen von Menschen dieses Landes die durch die Regimepropaganda diffamiert, beleidigt und lächerlich gemacht wurden bis zum Verlust ihrer Arbeitsplätze ja sogar bis zum Freitod. Herr Ballweg ist ein leuchtendes Beispiel einer widerlichen Diktatur die selbst die Justiz fest in ihrer Hand hat. Wer heute sich anmaßt in diesem Land von Demokratie zu reden ist entweder arrogant und krankhaft selbstgerecht oder aber auf Grund seiner niederen Bildung bzw einer Geisteskrankeit nicht mehr in der Lage zu begreifen was echte Demokratie für die Bürger bedeutet.

S.Bahr / 14.04.2023

Erst wenn wir nur noch eine einzige Partei in Deutschland haben, ist Deutschland ein lupenreines demokratisches Land. Bis dahin muss sich die Bevölkerung eben noch belehren lassen.

Thomas Holzer, Österreich / 14.04.2023

Ich befürchte ja, daß Herr Schneider jeden, der nicht seine Meinung teilt, für “nicht mehr tragbar” erachtet. So scheint er sich Demokratie vorzustellen.

Fritz Dieterlein / 14.04.2023

Da gab es mal den J.Reichelt bei der BILD-ZEITUNG, den hat sein jetziger Chef Döpfner in einer vertraulichen Meldung als einen der wenigen aufrechten Journalist en in Deutschland bezeichnet. Seit dem war mir klar, Döpfner muss auch weg, er passt nicht mehr in diesen faschistischen Staat.  Gruß

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 18.05.2024 / 11:00 / 17

Dendi und Dinka für Deutschland

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mag mit seinen eigentlichen Aufgaben zuweilen überfordert sein, aber um weltweite Sprachpflege scheint es sich engagiert zu kümmern. „Den Menschen…/ mehr

Peter Grimm / 14.05.2024 / 11:00 / 132

Demokratie gefährdendes Irrlicht nach dem AfD-Urteil

Was bedeutet es, wenn ein CDU-Politiker wie Marco Wanderwitz (Foto) erklärt, eine „bedrohliche“ Partei nicht mehr „auf politischem Weg kleinbekommen“ zu können und deshalb nach…/ mehr

Peter Grimm / 09.05.2024 / 06:15 / 122

Sind normale Bürger Gewaltopfer minderer Güte?

Wer „demokratischen“ Politikern Gewalt antut, soll härter bestraft werden, als wenn er den gemeinen Bürger angreift? Welch undemokratische Idee. Selbst als es für Politiker der…/ mehr

Peter Grimm / 08.05.2024 / 06:15 / 61

Die CDU feiert Parteitag

In Berlin sollen ein neues Grundsatzprogramm und schöne Reden den einen zeigen, dass die Merkel-CDU Geschichte ist und den Merkelianern das Gegenteil beweisen. Und alle…/ mehr

Peter Grimm / 06.05.2024 / 10:00 / 103

Politik für ausgewählte Gewalttaten?

Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Europaparlamentarier in Dresden rufen die Regierenden wieder zum „Kampf gegen rechts“, und die Innenministerin will mit „Maßnahmen“ reagieren. Die…/ mehr

Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 29

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com