Erik Lommatzsch, Gastautor / 31.01.2020 / 15:00 / 34 / Seite ausdrucken

Schornstein des Anstoßes

Große Leipziger Aufregung am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, den die UNO 2005 zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt hat.

Just an diesem Tag hatten „Unbekannte“ auf einem Firmengelände in der sächsischen Metropole eine Israel-Flagge gehisst – und zwar auf einem 30 Meter hohen Schornstein. Reaktionen erfolgten stante pede überregional, auch in bewegten Bildern. Der Eigentümer der Fabrik zeigte sich entsetzt, „dass solche Provokationen hier stattfinden“. Der Verdacht, es könnte sich um „Volksverhetzung“ handeln, wurde laut geäußert, die Polizei prüfte eine entsprechende „Straftat“. Polizeisprecherin Katharina Geyer: „Mit Blick auf den Tag und den Schornstein könnte eine Relevanz vorliegen.“ Die Feuerwehr entfernte die Flagge. „Bild“ verkündete, die Kriminalpolizei werde „die Flagge nun auf DNA-Spuren“ untersuchen.

Gleich zu Wort meldete sich Bodo Löttgen. Dieser Herr ist CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Das liegt zwar ein Stück weit entfernt von Leipzig, aber manchmal muss man einfach gesamtdeutsch besorgt sein und sich vor allem schnell und dezidiert äußern. Zitat Löttgen: „Ja, es ist eine widerliche Tat! Aber es ist mehr als nur eine Provokation: Es ist eine zutiefst verabscheuungswürdige antisemitische und antiisraelische Straftat!“

Die am 27. Januar auf einem Schornstein gehisste Israel-Flagge ist eine Tatsache. Mit Erkenntnissen vom 29. Januar wird das Ganze allerdings plötzlich von einem warmen, milden Licht beschienen, dem Licht der aktivistischen Völkerfreundschaft. Und zwar stehe dahinter „möglicherweise keine antisemitische Aktion“. Der „Beauftrage der Sächsischen Staatsregierung für das jüdische Leben“, Thomas Feist, einst CDU-Bundestagsabgeordneter, der eher im Stillen gewirkt hat, ließ wissen: „Es waren linke Aktivisten, die ein Zeichen für Israel setzen wollten.“ Feist selbst habe am 27. Januar auf einer Kundgebung gesprochen, und den besagten Zusammenhang wisse er von „dort“. Über „die Wahl eines Schornsteins“, so wird Feist wiedergegeben, „könne man streiten, allerdings habe es schlicht keinen höheren Ort in der Umgebung gegeben“. Klar, oder?

Man bleibt etwas ratlos zurück. Was sagt es denn nun aus, wenn man in Zukunft eine Israel-Flagge an einem Schornstein sieht? „Volksverhetzung“ und „verabscheuungswürdige antisemitische und antiisraelische Straftat“ oder ein „Zeichen für Israel“ von „linken Aktivisten“?

Weitere Fragen schließen sich an: Sind Herrn Löttgen seine Äußerungen jetzt peinlich? Immerhin hat er eine nach Lesart des sächsischen „Beauftragten für das jüdische Leben“ proisraelische Aktion in den Dreck gezogen. Sind „linke Aktivisten“ neuerdings Vorkämpfer für den Staat Israel? Wird der DNA-Test noch durchgeführt? Denkt Herr Feist sonst nach, bevor er spricht? Sind die Antworten auf diese vier Fragen möglicherweise gleichlautend?

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Leserpost

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Ludvik Medved / 01.02.2020

Die Reaktionen von Medien und Politikern sind recht aufschlußreich. Rechte können also einen Zusammenhang zwischen einem Schornstein und einer Israelflagge erkennen. Linke Aktivisten scheinen dagegen zu blöde dafür zu sein. So sehen diese Leute also ihre eigene Klientel. Rechte scheinen demnach die klügeren zu sein. Ist das vielleicht ein Grund für den “Kampf gegen Rechts”?

Wolf-Dietrich Staebe / 01.02.2020

Das ist keine Freundschaftsbekundung, sondern eine Kriegserklärung. Die wollen Israel durch den Schornstein jagen - gab´s ja schon mal, irgendwie…

S. Marek / 31.01.2020

Hängen etwa Israel Flaggen an Gebäuden wo die vielen staatlichen Antisemitismusbeauftragten residieren?  Und warum nicht? Hat man etwa hier zu aller erst eine mögliche “Provokation” und Beleidigung unserer islamischen Ankommlinger hineininterpretiert bevor das Hirn zu arbeiten begann? Fragen ohne Ende, aber “linker Aktivist” seltsam.

Andreas Rochow / 31.01.2020

Die UNO-Weltregierung hat es versäumt, mit klaren Beflaggungsanweisungen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust für für Beflaggungssicherheit zu sorgen. Immerhin wird in Merkel-D Schwarzrotgold schon mal wutschnaubend von einer CDU-Parteitagsbühne entfernt oder eine Israelflagge geht öffentlich in Flammen auf, ohne dass die Welt aufschreit. Seit die deutsche Fussball-Nationalmannschaft nicht mehr Weltmeister ist, gilt das schwarzrotgoldene Flaggezeigen außerhalb eindeutiger Gebote als Provokation von Rechtspopulisten und Nationalisten. Eine ambivalente Nation wie Merkel-Deutschland muss generell ein gestörtes Verhältnis zu Flaggen haben. Mit der EU-Flagge (goldene Dornenkrone auf blauem Grund) liegt man im Zweifel immer richtig, nicht nur am britischen Independence Day. Aber die Israel-Flagge am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und ohne UNO-Beflaggungsregel? Da kann man nur alles falsch machen. Das ist Merkel-Deutschland, stupid! Fazit: Mit klaren Beflaggungsregeln der UN hätte niemand mit der Israelflagge auf einen Schornstein ausweichen müssen. Die Relevanz-Fachkräfte vom ö.-r. Funk muss man nicht bedauern. Sie werden die einzig gültige Legende (er)finden.

E. Albert / 31.01.2020

Erinnert mich irgendwie an die Nummer mit dem “Verschissmus”. So schnell, wie das wieder aus den “Schlagzeilen” verschwunden ist, ging das wahrscheinlich in die gleiche Richtung…- Aber ob von “links” oder “rechts”: so oder so ist der Vorgang in meinen Augen geschmacklos! Ob gäbe es in Leipzig keine anderen, höheren Gebäude! (Aber die Linken sind, wie wir sehen, völlig geschichtsvergessen. Sonst hätten sie diesem “Kult” längst abgeschworen bzw. hätten sich erst gar nicht dafür begeistert. Hunderte Millionen Toter und gescheiterte Staaten im Namen des Kommunismus sprechen schließlich für sich.)

Robert Busch / 31.01.2020

Vor vier Tagen blies auch WELT in das gleiche Horn von widerlicher Tat, noch zu lesen unter der Rubrik “Panorama” mit nur 37 veröffentlichten Leserzuschriften. Vor zwei Tagen liest es sich nun anders in WELT. Jetzt wurde von (pro) israelischen linken Aktivisten geschrieben. Versteckt in “Regionales”. Keine veröffentlichten Leserzuschriften. Das nenne ich ausgewogene Berichterstattung.

Karla Kuhn / 31.01.2020

“Zitat Löttgen: „Ja, es ist eine widerliche Tat! Aber es ist mehr als nur eine Provokation: Es ist eine zutiefst verabscheuungswürdige antisemitische und antiisraelische Straftat!“  HEEERLICH, wie der Typ sich vergaloppiert hat,  recherchieren ist eben wesentlich schwerer und nicht jedermanns Sache ! Vorauseilender GEHORSAM bringt wahrscheinlich einen Pluspunkt auf der Karriereleiter !  Abgesehen davon finde ich ASCHE der ermordeten Juden in den Stelen abgrundtief verächtlich diesen Opfern gegenüber, die sich für so eine HERABSETZUNG ihrer WÜRDE nicht mal mehr wehren können ! Pfui Teufel !  Genau so Pfui Teufel, „Es waren linke Aktivisten, die ein Zeichen für Israel setzen wollten.“ AUF einmal NICHT mehr ANTISEMITISCH ?? WEM JETZT nicht ENDLICH die AUGEN aufgehen, dem ist absolut nicht mehr zu helfen. Das messen mit ZWEIERLEI MAß ist nur noch zum KO…. !!  WIDERLICH ! Und dann wird vonseiten vieler Politiker tatsächlich gefragt, warum “Haß und Hetze ” entstehen ??

Marc Greiner / 31.01.2020

Zuerst einmal verstehe ich nicht, wieso das Hissen der Nationalflagge von Israel eine Provokation sein soll. Eigentlich sollten gerade in Deutschland viel mehr Flaggen von Israel zu sehen sein, man ist ja schliesslich “befreundet”, theoretisch. Das Fazit sieht dann so aus: Hisst die Linke die Israel-Flagge ist es freundlich gemeint, tut die Rechte das Gleiche ist es eine Provokation und Volksverhetzung. Besser konnte man sich nicht entlarven, egal wer die Flagge gehisst hat.

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