Schilda lässt grüßen: Der Lockdown-Brief von Berlin

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller verschickte einen Brief an alle Berliner, um sie auf den Lockdown-November als „Monat der Eigenverantwortung“ einzuschwören. Eigentlich hatte Müller alles richtig gemacht – bis auf diese eine Kleinigkeit.

Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, hatte eine Idee. Um den November-Lockdown zu einem vollen Erfolg zu machen, schrieb er an alle 2,2 Millionen Berliner Haushalte und bat um „Solidarität und Unterstützung“. Damit klar ist, worum es geht, ist ein besonders wichtiger Satz fett gedruckt: „Der November ist der Monat der Eigenverantwortung.“

In dem freundlich gehaltenen Bürgerbrief erläutert Müller die beschlossenen Einschränkungen und appelliert an die Bevölkerung: „Jede und jeder sollte mittlerweile wissen: Masken-, Abstands- und Hygieneregeln retten Leben. Das zu ignorieren gefährdet uns alle. Bitte helfen Sie deshalb bei der Einhaltung dieser Regeln mit, seien Sie Vorbild. […] Sie, liebe Berlinerinnen und Berliner, bleiben unsere wichtigsten Verbündeten.“

Um die Sache rund zu machen, gibt es das Schreiben auch zum Download auf der Website der Stadt Berlin. Dort findet sich der Text nicht nur auf Standarddeutsch, sondern in sieben weiteren Fassungen: Leichte Sprache, DGS (Deutsche Gebärdensprache), Englisch, Türkisch, Arabisch, Polnisch und Russisch. Berlin ist schließlich sehr international. Und inklusiv sowieso.

Gewisse kulturelle Unterschiede

Ein bisschen irritierend ist die Reihenfolge. Dass „Leichte Sprache“ ganz oben steht, mag mancher als Indiz dafür sehen, wie der Regierende die kognitiven Fähigkeiten seiner Schäfchen einschätzt. Sei’s drum. Auf jeden Fall ist es ein lobenswertes Ansinnen, die Botschaft so vielen Mitbürgernden wie möglich zugänglich zu machen.

Es gibt es da nämlich gewisse kulturelle Unterschiede, wie jeder beobachten kann, der sich in diesen Tagen durch die Corona-Hotspots Kreuzberg oder Neukölln bewegt. Türkischstämmige zum Beispiel scheinen weit überwiegend maskentreu zu sein. Viele Ältere waren sogar bereits im Sommer unter freiem Himmel nur mit Mund-Nasen-Bedeckung anzutreffen, nicht selten von der Sorte FFP2.

Speziell bei jüngeren Herren arabischer Überzeugung sieht es anders aus. Die betreten U-Bahn oder Supermarkt gerne mal demonstrativ unmaskiert. Es gibt also gute Gründe, gezielt in der Muttersprache auch an Gruppen mit, sagen wir mal, „internationalen Bezügen“ heranzutreten.

Alles wunderbärchen – bis auf eine Kleinigkeit

So gesehen, hatte Bürgermeister Müller mit seinem Corona-Brief alles richtig gemacht. Verbindliche Ansprache, multilingual und flächendeckend bis in die letzte Berliner Butze – alles wunderbärchen. Wenn da nicht diese eine Kleinigkeit wäre.

Die Botschaft, die die Bürger auf den Lockdown-November als „Monat der Eigenverantwortung“ einschwören sollte, erreicht ihre Zielgruppe erst Ende des Monats November oder Anfang Dezember. Am 25. November nämlich berichtete dpa über das Schreiben, das „nach Angaben der Senatskanzlei innerhalb von rund zwei Wochen“ verschickt wird. Immerhin, so dpa: „Ein Teil der Berliner Haushalte hat den Bürgerbrief bereits erhalten.“

Mit ihrem Schildbürgerstreich hat die Berliner Verwaltung kein Problem. Sie stellte die dpa-Meldung sogar auf die eigene Website. Wer einen Flughafen mit neun Jahren Verzögerung eröffnet, verbucht eine um vier Wochen verspätete Briefzustellung offenbar als Erfolg. Und im Vergleich zu den BER-Kosten sind die 492.000 Euro für das Müller-Mailing ja tatsächlich kaum der Rede wert.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Karl Mistelberger / 27.11.2020

Es ist eben kein Schildbürgerstreich, sondern ein Berlinbürgerstreich. De facto gibt es die schon lange.  In den Sprachgebrauch werden sie es auch noch schaffen.

Jo Waschl / 27.11.2020

...wurst ob´s sinnvoll ist oder nicht -> Hauptsache wieder mal den regierungstreuen Propagandisten 500.000 Öre in den A…. geblasen. Wenn die Regierenden schon mal selber gearbeitet hätten und spüren würden, wie es ist, wenn Ottonormal mittlerweile bis 9. Juli nur für diesen Staat & seine Gäste buckelt, wär damit ganz schnell Schluss.

Anke Müller / 27.11.2020

@Albert Pflüger. In der Animalfarm hat es sich auch relativ schnell heraus kristallisiert, dass es da welche gab, die gleicher waren als die anderen. Und auch da wurden solche “Kleinigkeiten” erst gar nicht besprochen - man “erhob” sich schweigend. Sollte man solchen Schreiben nicht die Annahme verweigern und “return to sender”? Alleine wegen “unsere” und “Verbündete”. Zumal sie solche, die “sie” nicht mehr als zugehörig erachten, per Wasserwerfer von der Straße spritzen.

Rainer Hanisch / 27.11.2020

Ach, die paar Tage Verzögerung. Peanuts! Dann ist eben der Dezember dran. Oder der November 2021. Mit “Eigenverantwortung” ist bei den Deutschen eh nichts zu holen. Hier herrscht purer, rücksichtsloser Egoismus, auch die “Querdenker” liefern da ein gutes Beispiel. Jeder will hierzulande tun und lassen, was er will. An Gesetze und Verordnungen halten müssen sich nur deren Mitmenschen!

giesemann gerhard / 27.11.2020

Ein etwas verspätet-lauer Versuch, alle Verantwortung auf die “Verbündeten” ab zu schieben. Falls die Maßnahmen doch nicht klappen. Konsequent wäre, den lockdown auf zu heben, wer dann stirbt, der stirbt wohl - nach einem schönen letzten Besuch in seinem Lieblingsrestaurant. Stirbt er/sie/es nicht, dann zweite Chance. Und zum Dritten, und .... . War im Sommer sehr oft in guten Restaurants, sind keine Klagen gekommen, ganz im Gegenteil. Auch Puff* ist nicht schlecht - ich wollte immer mal so sterben, und ich will es noch. Museum muss nicht sein. Amen. *Muss Schluss machen, meine Frau kömmt.

Uwe Schäfer / 27.11.2020

Ich habe, wenn ich unsere politischen Beherrscher sehe nur noch Tinnitus im Auge, ich sehe überall nur Pfeifen.

Gert Köppe / 27.11.2020

@Wolfgang Nirada: Keine Spenden!!! Ganz meine Meinung, außer für die Achse. Ist doch klar!

Wollfgang Draeger / 27.11.2020

Ist die “leichte Sprache” nicht auch das, was die Mutter Kanzlerin immer von sich gibt, wenn sie zum doofen Volk spricht ?

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