Joachim Nikolaus Steinhöfel / 20.05.2019 / 11:00 / 59 / Seite ausdrucken

Schäuble bereitet nächsten Angriff auf die Meinungsfreiheit vor

„Digitales Vermummungsverbot“. Schon dieser Teil der Überschrift in einem auf „Spiegel Online“ erschienenen Artikel deutet auf eine Bereitschaft des Magazins hin, die verfassungsgemäße Ausübung von Grundrechten zu kriminalisieren. Denn nach § 17a Versammlungsgesetz ist es verboten, „in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, an öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin, teilzunehmen“.

Die anonyme Meinungsäußerung hingegen ist von der Verfassung geschützt. Und so etwas liest man ausgerechnet in der Zeitschrift, deren wehrhafter Einsatz für die Meinungs- und Pressefreiheit („Spiegel-Affäre“) prägend für das Verständnis der Grundrechte in unserer Republik war. Der Artikel befasst sich mit dem Anliegen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), Klarnamen im Netz durchzusetzen.

„Wer seine Meinung äußert, sollte auch dazu stehen können”, sagte Bundestagspräsident Schäuble dem „Spiegel“. Und: „Für eine offene Gesellschaft ist es schwer erträglich, wenn sich die Menschen bei Debatten im Internet nicht offen gegenübertreten.“

Wieso eigentlich? Die Einlassungen von Schäuble erschöpfen sich in populistischen Floskeln, die zu nichts anderem führen sollen als zu einem weiteren eklatanten Grundrechtseingriff. Als treibende Kraft hinter dem NetzDG hat die Union schließlich einen Ruf zu verteidigen.

Dass die Anonymität kein Schutzschild für die Begehung von (strafbaren) Äußerungsdelikten sein darf, entspricht dem kleinen Einmaleins rechtsstaatlicher Selbstverständlichkeiten. Dass der Inhaber des zweithöchsten Staatsamtes aber derart mit der Verfassung auf Kriegsfuß steht, ist Grund genug für die Aufforderung an ihn, von weiteren Versuchen, an der Gestaltung unserer Rechtsordnung teilzunehmen, abzusehen.

Der Bundesgerichtshof hat schon 2009 (VI ZR 196/08) entschieden:

„Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde... die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegengewirkt werden.“

Die Gefahr der Selbstzensur

Der Ruf nach weiteren gesetzlichen Regelungen, die genau einen solchen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit darstellen würden und die Gefahr einer Selbstzensur begründeten, passt perfekt in das Bild der CDU/CSU von heute. Es ist ein weiterer Angriff auf die sozialen Medien.

Denn der dort herrschende, häufig raue, manchmal rechtswidrige, in jedem Fall aber freie Diskurs wird von der Union weiter bekämpft. Das ebenso verfassungswidrige wie in der Umsetzung komplett gescheiterte NetzDG war der größte Flop der letzten Legislaturperiode, siehe auch meine Stellungnahme an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages.

Das hielt den ansonsten eher unbekannten CDU-Abgeordneten Carsten Müller (sein Wikipedia-Eintrag ist eher von Ämternennungen als Leistungen geprägt) jedoch nicht davon ab, am 16.05.2019 im Bundestag wahre Lobpreisungen auf das NetzDG zu äußern („Die CDU/CSU will wirkliche Freiheit im Internet“), die man hören und sehen muss, da man es sonst kaum glauben kann. Ob Müller vielleicht einfach nur mal in die „heute-show“ wollte?

Nachtrag/PS: Bei Facebook findet sich gerade unter dem verlinkten Artikel dieser ebenso gelungene wie sarkastische Kommentar: “Verlangt ausgerechnet der saubere Herr, der sich bis heute nicht an den Klarnamen der Person erinnert, die einen Umschlag mit 100 000 DM auf seinem Schreibtisch vergessen hat.“

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Leserpost

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Günter Schaumburg / 20.05.2019

Als ehemaliger DDR-Bürger muss ich “erfreut” feststellen, daß es auch genügend Wessi- Politgeschäftsleute gibt, die man seinerzeit im Polit-Büro anstandslos hätte wirken las- sen. Besonders der Herr mit dem mangelndem Erinnerungsvermögen und der perfekt schwäbisch spricht, hätte im inneren Führungszirkel eine gute Figur abgegeben.

Albert Sommer / 20.05.2019

Als nächstes käme dann vermutlich auch die Wahl unter Angabe des Namens. Damit bloß keiner die bösen Populisten wählt.

Hannes Schmidt / 20.05.2019

Klarnamen im Internet? JaNee ist klar… Ich schreibe unter einem Pseudonym, weil es meinen Namen 1 mal (!) in Deutschland gibt! Und bei der heutigen (nennen wir es einmal) angespannten Lage in Deutschland, könnten einige meiner Kommentare (die von der freien Meinungsäußerung gedeckt sind und nicht gegen irgendein Gesetz verstoßen) schon für ungewollten “Besuch” von netten Antifa-Sympatisanten sorgen… Gegenvorschlag: Wie wäre es, wenn unsere Spitzenpolitiker (wenn auch nur für einige Monate) auf den Personenschutz verzichten würden und gleichzeitig ihre Privatadressen veröffentlichen würden? Geht nicht? Zu viel Angst, das etwas passieren könnte? Tja, aber das hätte aber den gleichen Effekt wie Klarnamen im Internet für “Normalsterbliche”, vor allem in heutigen Zeiten bei Regierungskritikern.

E.Höfler / 20.05.2019

Es sollte eine Altersgrenze für desorientierte Politiker geben. Die Welt umgarnt mich mit disarrangierten Musikern, die völlig leere Texte singen und gewinnen, mit Youtubern wie Rezzo, der völlig gehirnfrei Wahlempfehlungen erbricht und Politikern, deren Rezeptionsfähigkeit ihnen in der 80ern bereits abhanden gekommen ist. Schöne neue Welt. Mir scheint sie alle begehren nach der großen Reinigung.

Benn Jürgens / 20.05.2019

Der eigentliche Grund: Die staatlich bezahlten Linksfaschisten sollen für ihren intensivierten Personenkampf mit den Adressen ihrer Opfer, die anderer Meinung sind,  ausgerüstet werden. Schon heute drangsalieren, brandschatzen und verletzen die grünroten Khmer von SPD, Grünen, Linkspartei, Gewerkschaften und Kirchen in Deutschland die politischen Gegner. Die AfD kann Hunderte Überfallener und Drangsalierter benennen.

Nina Herten / 20.05.2019

Die ‘schwarze’ (?) Doppelnull (war das jetzt rassistisch?) schon wieder. Sein Glück, dass es (noch) kein Verdummungsverbot gibt, sonst wäre er schon längst ‘weg vom Fenster’ (aber was noch nicht ist, kann ja durchaus noch werden!).

Heiko Stadler / 20.05.2019

Ein wichtiger Teil der freien Meinungsäußerung sind Wahlen. Mit Schäubles Forderung müsste auf jedem Wahlzettel Name und Anschrift stehen. Ein eigenartiges Demokratieverständnis hat Schäuble.

Jörg Noa / 20.05.2019

Auch anonyme Meinungsäußerungen fallen unter den Schutz der Meinungsfreiheit (darum ging es in dem genannten BGH-Fall). Ob aber Art. 5 GG ein “Grundrecht auf anonymisierte Kommunikation” gewährt und damit dem Staat untersagt, die Verwendung von Klarnamen zu gebieten (darum geht es bei dem Vorschlag von Schäuble), ist durchaus umstritten.  Wie sollen die mit Massenkommunikationsmitteln - auch - einhergehenden Gefahren künftig abgewehrt werden? Was passiert, wenn jemand Ehrenrühriges über mich behauptet? Diensteanbieter selbst für Inhalte verantwortlich zu machen, wie dies in Deutschland jedenfalls seit 2001 der Fall ist, führt dazu, dass Diensteanbieter eher zuviel als zu wenig löschen, solange ihnen die Nutzerbasis deshalb nicht wegläuft. Das funktionierte bei uns erst nicht, weil die Risiken den Diensteanbietern wohl nicht groß genug schienen. Als dieses Manko mit dem NetzDG beseitigt wurde, wurde zurecht darauf hingewiesen, dass der Weg, Diensteanbieter selbst für Inhalte verantwortlich zu machen, letztlich auf Kosten der Meinungsfreiheit geht. Wenn man diesen Weg nicht gehen möchte, muss man (a) Kommunikationswege wie die über Facebook & Co abschaffen oder (b) Möglichkeiten zur praktikablen Inanspruchnahme der Nutzer selbst schaffen. Ausreichend dafür wäre wohl, dass beim Posten ein registrierter Code angegeben wird, der eindeutig auf eine Person verweist, die unter diesem Code und einer mit diesem zusammen registrierten Adresse gerichtlich in Anspruch genommen werden kann; es muss ja nicht der Klarname im Sinne des bürgerlichen Namens einer Person sein. So etwas in der Richtung.

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