Jörg Urban ist Landesvorsitzender der AfD in Sachsen. Er hat in dieser Funktion Anfang 2018 Frauke Petry beerbt und tritt als Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl am 1. September an. Recht viel mehr wusste ich bis vor Kurzem nicht über Herrn Urban. Man kann sich ja nicht um alles kümmern. Ein paar schnell gegoogelte Leitmedienartikel und einen Wikipedia-Eintrag später bin ich umfassend informiert. Und zu einhundertelf Prozent überzeugt, dass Urban täglich ein frischgeborenes Menschenkind zum Frühstück verzehrt – ohne Inanspruchnahme von Kulturwerkzeugen wie Messer, Gabel oder Toaster.
Urban ist nämlich ein „deutscher Politiker (AfD) mit rechtsextremen Positionen“. Er ist nicht etwa „konservativ“, wie Ihnen Ihre Filterblase möglicherweise eingebläut beziehungsweise eingebräunt hat. Er ist auch nicht „rechts“, „rechtspopulistisch“ oder „rechtsradikal“. Nein, dieser humane Sondermüll, in einer mondlosen Nacht gekrochen aus schwefelschwangerem Sachsensumpf, ist viel schlimmer. Er ist „rechtsextrem“, womit er den offiziellen Maximalausschlag auf dem politischen Geigerzähler erreicht. Wie kaum ein anderer verkörpert der Wiedergänger offenbar das Tausendjährige Reich 2.0, das zu errichten die AfD sich anschickt.
Das Wikipedia-Urteil ist mit starken Beweisen unterfüttert. Unerbittlich werden die „rechtsextremen Positionen“ aufgelistet: Urban ist nämlich „für eine Stärkung der Direkten Demokratie und für eine Verbesserung der Finanzausstattung der Städte und Gemeinden“. Er lehnt „den Ausbau der Windkraft und den Energiepflanzenanbau“ ab. Und – als wäre das nicht genug – Urban hat sich im Bürgermeisterwahlkampf in Bautzen 2015 „vorrangig mit Asylthemen“ beschäftigt.
Bin ich aus Versehen rechtsextrem?
Außerdem wird Urban eine Nähe zum AfD-Flügel „Der Flügel“ und zu Pegida nachgesagt, zwei Gruppierungen, für die Wikipedia eine breite Palette übelriechender Adjektive anbietet. Nicht zuletzt kursieren Fotos im Netz, die Urban – mit braunem (!) Regenmantel – beim Chemnitzer „Trauermarsch“ im direkten Schulterschluss mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz zeigen, den AfD-Führerkräften von Thüringen und Brandenburg.
Zugegeben, dieser Umgang macht den gelernten Wasserbau-Ingenieur und Naturschützer Urban nicht unbedingt sympathischer. Trotzdem bin ich hin- und hergerissen. Es ist nämlich so: Was die Forderung nach mehr direkter Demokratie, die Ablehnung von Windkraftausbau und die Beschäftigung mit Asylthemen angeht, empfinde ich eine gewisse Verbundenheit. Aber vielleicht bin ich einfach nur schlecht im Erkennen von Rechtsextremisten, weil ich aus Versehen selbst einer bin. Man weiß das ja heutzutage alles nicht mehr so genau.
Um so gespannter war ich, als sich „Frontal 21“, das „investigative ZDF-Politmagazin“, in Kooperation mit dem „Spiegel“ des Sachsen-Satans annahm. Das ließ einiges erwarten. Der „Spiegel“ hatte sich bereits nach Chemnitz mit differenzierter Berichterstattung hervorgetan, als er den Sachsen per Titelbild bescheinigte, ihr Shithole-Bundesland bestehe zur Hälfte aus braunem Gesocks.
Und „investigativ“ kenne ich, das habe ich vor Jahrzehnten von einem großen Journalisten (und nahen Verwandten) gelernt: „Jemand wirft dir was in den Briefkasten und behauptet, es sei eine Sensation. Zu 99 Prozent will der Jemand Geld oder Rache oder beides. Manchmal ist die Information brauchbar. Dann setzt du sie ins Blatt und nennst es Recherche.“
Der große Coup der Urbans
Wie gesagt, ich war also einigermaßen gespannt, welche sensationelle Enthüllung über den ziegenhufigen AfD-Granden im Gemeinschaftsbriefkasten von ZDF und „Spiegel“ gelandet war. Als Redaktionsleiterin Ilka Brecht anmoderierte (hier ab 28:39), „Recherchen“ hätten ergeben, dass Sachens AfD-Chef „persönlich“ von der Energiewende „profitiert“ habe, saß ich bereits nägelkauend auf der Stuhlkante. Gut, ich will ehrlich sein, eine Stuhlkante war nicht involviert. Und Nägel konnte ich schon deshalb nicht kauen, weil ich bei „Recherchen“ laut lachen musste. Sie wissen, warum.
Egal, der folgende Dreieinhalbminüter hatte alles, was eine echte Enthüllungsstory braucht. Da gab es erstens einen Tatort (ein dramaturgisch wertvoll durch Blattwerk gefilmtes Satteldach), zweitens einen investigativ aufgespürten und zur Rede gestellten Täter (Urban am Rande einer AfD-Wahlveranstaltung), drittens einen anonymen Informanten („Originaltext nachgesprochen“) und viertens schließlich unwiderlegbare schriftliche Beweise („Steuerunterlagen zeigen …“). Besser geht nicht.
Die Tat des ruchlosen AfD-Mannes ist schnell erzählt: Er hatte vor über einem Jahrzehnt (also lange, bevor es eine AfD gab) zusammen mit drei Mitstreitern eine Solaranlage auf ein Dach bauen lassen. In der Folge erhielt die eigens gegründete GbR die staatlich garantierte Einspeisevergütung (Schnitt auf die „Steuerunterlagen“: „Mal sind es 146, mal 459, mal 467 Euro“). Schließlich der große Coup der Urban-Sippe: „Am 6. Januar 2017 lässt sich Frau Urban die anteiligen Gewinne auszahlen: für 2015 1.000 Euro – und für 2016 sind es 1.895 Euro.“
Urban, der Lügenbaron
Hammer. Allerdings bis dahin offensichtlich komplett legal und steuerlich einwandfrei, also nicht direkt ein kapitales Wirtschaftsverbrechen. Aber da ist ja noch viel, viel mehr. Es geht in der Hauptsache um Täuschung – Wählertäuschung, Landtagstäuschung, ZDF-Täuschung.
Urban ist nämlich, so „Frontal 21“, „ein erklärter Gegner der – wie er betont – ,irrsinnigen‘ Energiewende. Er meckert öffentlich über Solarstrom und die ganzen Fördergelder. Was kaum einer weiß – und was wohl auch niemand wissen soll: Urban betreibt selbst eine Solaranlage, profitiert also persönlich von der ach-so-,irrsinnigen‘ Energiewende.“
Außerdem hat Urban seinen „Geschäftsführerposten“ heimtückisch dem sächsischen Landtag verschwiegen. Dazu ein Ulrich Müller von LobbyControl im O-Ton: „Wenn Herr Urban Geschäftsführer einer GbR war, dann muss er das nach den Verhaltensregeln des sächsischen Landtages … hätte er das angeben müssen und verstößt damit gegen die Geschäftsordnung des Landtages.“
Wegen seines „Geschäftsführerpostens“ zur Rede gestellt, streitet Urban rotzfrech alles ab: „Ne, ich hab keinen Geschäftsführerposten gehabt, da haben Sie sich falsch informiert.“ Schnitt auf ein Dokument, eine Stimme aus dem Off liest vor: „Das Protokoll der Gesellschafterversammlung von 2016: ,mit der Geschäftsführung beauftragter Gesellschafter Jörg Urban’.“ Na also, da haben wir’s. Urban ist als Lügner überführt.
GbR-Geschäftsführer? Wie bitte?
Beziehungsweise nicht. Gönnen wir uns einen kurzen Ausflug ins Gesellschaftsrecht. Was die öffentlich-rechtlichen Edeljournalisten geflissentlich verschweigen: Eine GbR hat überhaupt keinen „Geschäftsführer“, jedenfalls nicht im Sinne des landläufig bekannten GmbH-Geschäftsführers. Letzterer ist eine gesetzlich zwingend erforderliche Institution, ein selbstständiges Organ der Gesellschaft und zahlreichen Rechten und Pflichten unterworfen.
Bei einer GbR, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sieht das völlig anders aus. Eine GbR ist ein vergleichsweise formloser Zusammenschluss von Personen, die einen gemeinsamen (normalerweise geschäftlichen) Zweck verfolgen. Alle diese Personen haften persönlich bis zum letzten Hemd, alle diese Personen können für die GbR wirksam Geschäfte abschließen und Verpflichtungen eingehen – für die auch alle anderen GbR-Gesellschafter im Außenverhältnis einstehen müssen, selbst wenn sie nicht damit einverstanden waren. Kurz: Die Gründung einer GbR ist mit ähnlichen Risiken und Abgründen verbunden wie die Übernahme einer Bürgschaft.
Einen formellen „Geschäftsführer“ hat eine GbR nach außen hin nicht. Einzig für das Innenverhältnis ist relevant, was die Beteiligten untereinander im Gesellschaftsvertrag vereinbaren.
Upps, er hat gar nicht gelogen
Im Innenverhältnis können die GbR-Gesellschafter eine bestimmte Arbeitsverteilung vorsehen, zum Beispiel, dass einer die „Führung der Geschäfte“ übernimmt, während sich andere darauf beschränken, Kapital einzubringen. Dieser „Geschäftsführer“ muss nicht einmal so genannt werden. Ob Gesellschafter Urban im Gesellschaftsvertrag als „Geschäftsführer“, „Unser Führer“, „Der Bestimmer“, „Operating Thetan“ oder „Bussibär“ bezeichnet wird, ist völlig wumpe, solange erkennbar ist, welche Aufgaben er hat.
Aus all diesen Gründen spricht im Außenverhältnis normalerweise niemand vom „Geschäftsführer einer GbR“ – außer natürlich ein ahnungsloser NGO-Fuzzi und ZDF-Journalisten, die eine Mücke zum Mammut aufblasen wollen. Und so ist es auch kaum zu beanstanden, wenn Urban auf die Frage nach einem „Geschäftsführerposten“ verneint, einen solchen „Posten“ innegehabt zu haben.
Ob Urban seine Beteiligung an der GbR dem sächsischen Landtagspräsidenten mitteilen musste, ist eine andere Sache. In jedem Fall erreichen die Mini-Einkünfte aus der Beteiligung nicht einmal die anzeigepflichtige Jahreshöhe (Geschäftsordnung des Landtags, S. 36). So oder so: Falls hier überhaupt ein Verstoß vorliegen sollte, dürfte er als „minderschwerer Fall“ zu klassifizieren sein, der als schlimmste Sanktion eine Ermahnung nach sich zieht.
Investigative Luftnummer
Aber um diesen Pillepalle-Kram geht es im Kern gar nicht. Der zentrale Vorwurf der Möchtegern-Enthüller von ZDF und „Spiegel“ ist irgendwas mit Glaubwürdigkeit. Urban wettert öffentlich gegen die Energiewende und profitiert privat von deren Subventionen. Ergo ist er „doppelzüngig“ (ZDF-Unterzeile), möglicherweise liegt gar ein „Interessenkonflikt“ vor („Spiegel“).
Diese Anwürfe sind ungefähr so gehaltvoll wie Cola Zero. Urban fordert „Experiment Energiewende sofort beenden“, wie das ZDF selbst in seinem Bericht vermeldet. Einen eventuellen Interessenkonflikt hat Urban also eindeutig gegen seine persönlichen Geschäftsinteressen entschieden. Genau dieser Umstand macht Urban nach allgemeinem Ethik-Einmaleins bei seiner politischen Forderung eher glaubwürdiger.
Anders verhält es sich, wenn jemand ein bestimmtes Verhalten anprangert und dies seinerseits praktiziert. Wenn also die Bayern-Grüne Katharina Schulze die Vermeidung unnötiger Flugreisen fordert und selbst zum Eisessen nach Kalifornien jettet, dann darf man sie mit Fug und Recht unglaubwürdig nennen. Im Fall Schulze liegt klassisches „Wasser predigen, Wein trinken“ vor. Das kann man Urban nicht vorwerfen. Er hat von seinen Landsleuten schließlich nicht verlangt, ihre Solarpanels zu schrotten.
Fazit: Das investigative Gesamtkunstwerk von ZDF und „Spiegel“ ist eine Luftnummer – und ich bin garantiert nicht der Einzige, der es durchschaut hat. War ja nicht allzu schwer. Was ich mich nun frage: Was dachte wohl Otto Normalsachse beim Betrachten des billigen Anschmierversuchs? Dem hatte man den AfD-Kandidaten bisher als Fürsten der Finsternis verkauft. Wenn aber die geballte Anstrengung der Toprechercheure kurz vor der Wahl nicht mehr hervorbringt als einen dünnen Enthüllungs-Furz – ist es möglich, dass Sachsen-Otto plötzlich auf die Idee kommt, der Herr Urban könnte vielleicht doch nicht die Ausgeburt der Hölle sein?
Dann allerdings hätte die Public Private Partnership von ZDF und „Spiegel“ etwas erreicht, was sie bestimmt nicht wollte: Wahlhilfe für die AfD.