Chaim Noll / 26.10.2020 / 10:00 / Foto: Freud / 61 / Seite ausdrucken

Rückgang der jüdischen Bevölkerung Europas um 60 Prozent

Eine ausführliche Studie des Londoner Institute for Jewish Policy Research, vorgenommen von den bekannten jüdischen Demographen Daniel Staetsky und Sergio DellaPergola, kommt zu dem erschreckenden Ergebnis, dass die Zahl der Juden in Europa seit dem Jahr 1970 um 60 Prozent abgenommen hat.

In die Studie einbezogen wurden die derzeit etwa 1,3 Millionen Europäer (in Ost- und Westeuropa, der Türkei und dem europäischen Teil Russlands), „die sich selbst als jüdisch bezeichnen.“ Weitere 2,8 Millionen Menschen können jüdische Vorfahren aufweisen, auf Grund derer ihnen die israelische Staatsbürgerschaft zuerkannt würde (dazu genügt ein jüdischer Großelternteil), gelten aber im rabbinisch-halachischen Sinn nicht als jüdisch oder wollen sich selbst nicht so sehen.

Im Jahre 1970 gab es in Europa noch 3,2 Millionen Juden. Der zahlenmäßig größte Verlust seither resultiere aus dem Abwandern von 1,5 Millionen aus der ehemaligen Sowjetunion und Staaten Osteuropas (hauptsächlich nach Israel, in die Vereinigten Staaten und Kanada), doch auch die jüdische Population Westeuropas sei seither um 8,5 Prozent geschrumpft.

Insbesondere die jüdische Bevölkerung Deutschlands erweist sich als im Rückgang begriffen. Über vierzig Prozent der deutschen Juden seien älter als 65 Jahre, betont die Studie, wogegen nur zehn Prozent der zur Zeit etwa 118.000 auf deutschem Staatsgebiet lebenden Juden jünger als 15 sei. Diese Situation, die auch auf Russland und die Ukraine zutrifft, „kündigt hohe Todesraten an und einen unvermeidlichen Niedergang des jüdischen Bevölkerungsanteils“ in Deutschland, schreiben Staetsky und DellaPergola.

Die gründlichste und umfassendste bisher ausgeführte Studie

Der Rückgang der jüdischen Bevölkerung Deutschlands ist nach ihrer Ansicht umso auffälliger, als Deutschland eigentlich einen Zustrom von 200.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zu verzeichnen hatte und die versuchsweise Einwanderung von etwa 10.000 Israelis. Doch diese Zugänge hätten den negativen Trend der jüdischen Demographie Deutschlands nicht aufhalten können, da sich viele dieser Juden, vor allem jüngere, von den – in Deutschland vom Staat vereinnahmten – jüdischen Gemeinden abwandten, ihre jüdische Identität verleugneten oder in andere Länder auswanderten.

Die Untersuchung der Demographen Staetsky (Institute for Jewish Policy Research, London) und DellaPergola (Hebrew University, Jerusalem) gilt als die gründlichste und umfassendste bisher ausgeführte. Sie ist umfassender als eine Studie der EU aus dem Jahre 2018, die zu weniger deprimierenden Ergebnissen kam. Ihre Zahlen divergieren zum Teil auffallend von den offiziellen Angaben jüdischer Organisationen wie des European Jewish Congress oder des Jewish World Congess. Die Unterschiede beginnen bereits in der Zahl der derzeit in Europa lebenden Juden: Während der European Jewish Congress auf seiner Website immer noch 1,94 Millionen derzeit in Europe lebende Juden angibt (und der Jewish World Congess 1,43), sind es nach der Erhebung von Staetsky und DellaPergola nur noch 1,3 Millionen, also rund ein Drittel weniger.

Die Juden in Europa hätten um das Jahr 1900 etwa 83 Prozent der jüdischen Weltbevölkerung ausgemacht, teilt die Studie mit, während es heute nur noch 9 Prozent sind. Natürlich wäre die Demographie der Juden Europas „totally different“ ohne die Auswirkungen des Holocaust, erklärte Professor DellaPergola in einem Interview über die Studie, das er dieser Tage der Jewish Telegraphic Agency gab, einer Presse-Agentur mit Sitz im New York. „Doch das ist inzwischen 75 Jahre her“, fügte er hinzu, „und einige der für den Niedergang verantwortlichen Trends, die wir heute sehen, haben wenig mit dem Holocaust zu tun.“

So sei Frankreich für einen großen Teil des Schrumpfens der europäisch-jüdischen Bevölkerung verantwortlich: dort lebten nur noch 449.000 Juden, verglichen mit den 530.000 im Jahre 1970. Allein in den letzten zwei Dekaden wären 51.455 französische Juden nach Israel ausgewandert. Auch Kanada würde vom Exodus der französischen Juden profitieren, das Land sei mit seiner stark wachsenden, derzeit etwa 391.000 Menschen zählenden jüdischen Bevölkerung im Begriff, Frankreich zu überholen und die zweitgrößte jüdische Diaspora-Gemeinde nach den Vereinigten Staaten zu werden. Der größte Teil der Juden weltweit lebt heute in Israel, dessen Bevölkerung stark wächst und sich 9 Millionen nähert.

“Frankreich ist heute ein Land, in dem ein Geschichtslehrer auf offener Straße enthauptet werden kann“, sagte DellaPergola, auf den vor einigen Tagen verübten islamischen Terrorakt nahe Paris anspielend. “Natürlich empfinden dann viele Juden, auch französische, Kanada als einen besser geeigneten Ort.”

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Silvia Orlandi / 26.10.2020

Junge, gut ausgebildete Juden wandern nach Israel, Kanada, USA aus weil sie dort bessere Lebensbedingungen erwarten. Sie müssen nicht mehr um Anerkennung betteln, sie stimmen mit den Füßen ab.Gut, dass es den Nationalstaat Israel und die doppelte Staatsbürgerschaft gibt — so bleibt ein Fluchtweg immer offen. P.S. Der Antisemitismus war nie verschwunden in Europa, er wurde und wird von rechts/links geschürt wie es gerade pol. opportun erscheint.Auch die offiziellen Tränen sind nicht echt, schöne Worte— keine Taten.

Karla Kuhn / 26.10.2020

” Der größte Teil der Juden weltweit lebt heute in Israel, dessen Bevölkerung stark wächst und sich 9 Millionen nähert.”  Das ist sehr gut, vor allem wenn viele junge Menschen sich ansiedeln. Arne Busch,  unterschreibe ich, bis auf des bitter bereuen. Das kann m. E.  erst geschehen, mit VÖLLIG NEUEN POLITIKERN, solange RRGLCDU regieren, bzw, die Richtung vorgeben und immer mehr Menschen ins Land lassen (am 24. 10.  bei PI, ein toller Artikel über Zuwanderung, eigentlich erschreckend) wird sich m.M. n. gar nichts ändern.  K. Bucher,  genau “WER wählt…..”  SO ist es, WIE gewählt, SO erhalten. WIR ALLE hatten die Möglichkeit uns vorher zu informieren, jetzt zu jammern ist in meinen Augen heuchlerisch. 2005 konnte ich gerade noch tolerieren aber 2017, obwohl die cdu verloren hatte, hat die SPD ihr wieder in den Sattel geholfen und darum hoffe ich auf den absoluten Untergang dieser Partei !

Dov Nesher / 26.10.2020

Gut für die jüdischen Auswander - schlecht für Europa

Michael Fasse / 26.10.2020

@Ilona Grimm u.S. Marek: Wir sind heute Zeitzeugen der Erfüllung uralter biblischer Prophezeiungen: Israel wird nach zwei Jahrtausenden endlich wieder im Land seiner Väter gesammelt. Schön, Frau Grimm, dass Sie darauf hinwiesen, und sogar mit dem Jahr 1882 den korrekten Beginn dieser Sammlung nannten, als erstmals tausende Juden aus Russland nach Israel flüchteten. Bis heute vollzieht sich, was Hesekiel schrieb: „So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Ich will über euch (Israel) herrschen mit starker Hand und ausgestrecktem Arm und mit ausgeschüttetem Grimm und will euch aus den Völkern herausführen und aus den Ländern, in die ihr zerstreut worden seid, sammeln mit starker Hand, mit ausgestrecktem Arm und mit ausgeschüttetem Grimm.“ Hesekiel 20,33. Israel DARF und MUSS ins Land zurück. Da lässt der Höchste offenbar nicht mit sich spaßen. Und @S.Marek: Ja, auch bezüglich der existenziellen Bedrohung Israels durch den Iran etc, (biblisch gesehen die „Völker des Nordens“) gibt es eindeutige biblische Voraussagen, die leider nichts Gutes erwarten lassen. Israel wird einen schmerzhaften Weg gehen müssen bis es endlich seinen Maschiach erkennt „den sie durchbohrt haben, und sie werden um Ihn klagen, wie man klagt um ein einziges Kind“ (Sacharja 12,10). Dann wird Israel eine fantastische Zukunft haben! Wer noch eines „Gottesbeweises“ bedarf, der schaue sich dieses Volk an und die aktuelle, exakte Verwirklichung biblischer Prophetie mit ihm.

Andreas Rochow / 26.10.2020

“Der Islam gehört zu Deutschland” - dieser Ausspruch einer umstrittenen Gestalt, die einer christlichen Partei angehört und lebenslang unserem Volk mit einem bedingungslosen Ehrengehalt von ~200.000 Euro plus Büro plus Limousine auf der Tasche liegt, fördert fahrlässig einen neuen Antisemitismus und hat verheerend falsche Zeichen gesetzt. Noch sind Pegida und AfD relativ schwache Gegenbewegungen und die Intellektuellen kaum hörbar. Den islamischen Bürgerkrieg mit allen Konsequenzen will aber niemand wirklich hier in EU-ropa haben! Das Wehret-den-Anfängen gilt hier erkennbar nicht. Die Antifanten haben es sich angeeignet für ihren bolschewistischen Kampf gegen alles, was nicht radikal links ist. Gnade uns Gott, wenn Islam und Antifa zusammengehen. Sie beschnuppern sich bereits…

Arne Busch / 26.10.2020

Der stark sinkende Anteil der in der Regel sehr hoch gebildeten jüdischen Gemeinde resultiert meiner Meinung nach durch den politisch gewollten und geförderten starken Anstieg der (*gelöscht* - mehr darf man ja längst nicht sagen) muslimischen Gemeinde.  Beide sind nicht kompatibel. Qualität und Kultur wird durch schiere Masse kulturinkompatibler Einwanderung ersetzt. Das wird Deutschland noch sehr bitter bereuen.

Lenzie Amhart / 26.10.2020

@ Jesko Matthes Sie missverstehen mich; ich bestreite nicht, dass religiöse/politische/etc. Bekenntnisse Einfluss auf das haben, was in der Wissenschaft an Ergebnissen abgeliefert wird. Es hat nur im Idealfall da nichts verloren. Ich würde mir nur den Schuh nicht anziehen, “jüdischer ” Irgendwas zu sein. Ich käme schließlich auch nicht auf die Idee, mich als “christliches” Irgendwas einstufen zu lassen.  Ich halte derartige Einteilungen für etwas, was wir uns in der Folge dieser uferlosen Zuwanderung islamischer Problemfälle aufnötigen haben lassen. Und es ist schlicht sehr wohl Wurscht, ob jemand sich selbst als Moslem, Atheist, etc. einstuft. Die Frage hat nicht zu lauten, wer welcher Religion anhängt oder eben nicht. Die Frage ist vielmehr, ist das eigene Bekenntnis mit dem kompatibel, was in unserer heutigen Gesellschaft zu akzeptieren ist und genau deshalb rechtlich verbürgt ist: Die Gleichheit von Mann und Frau, die Religionsfreiheit, die einschließt, von Religion verschont zu bleiben, wenn man es nicht möchte, die Meinungsfreiheit, die für jede fruchtbare Religionskritik erst möglich macht, usw. usw….Nochmals: Hier geht es nicht um Religion (darum ging es übrigens 1933 beim Großteil der deutschen Bevölkerung auch schon nicht) Wir reden genau über eine Gruppe, die sich wie keine zweite als unfähig erweist, nach modernen Regeln zu leben. Die Lebenssituation der Juden ist der Indikator dafür, wie desolat der Zustand Europas tatsächlich ist.

Andreas Rochow / 26.10.2020

@ Lenzie Amhart - Der Hinweis des Autors auf die abweichenden Ergebnisse nichtjüdischer Demographen berechtigt sehr wohl die Hervorhebung ihres religiösen (Nicht-)Bekenntnisses! Ihr “solchen Quatsch” erinnert mich an die öffentliche Beschimpfung des israelischen Wissenschaftlers Shir Naviv bei einer Anhörung zu den Ursachen des Klimawandels im Fraktionsgebäude des Bundestages durch einen “nichtjüdischen” Aktivisten vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Dieser Umgangston scheint sich einzubürgern, politisch korrekt ist er gottlob noch nicht. Kann ja noch werden. Auch in der Sache selbst scheint Ihnen die Emotion (“Sündenbock”) Ihnen den Blick eingetrübt zu haben. Schade, denn der jüdische Schriftsteller und Publizist Chaim Noll belegt anhand von Zahlen konkret einen Aspekt der erschreckenden Politikfolgen, der in der deutschen und EU-Öffentlichkeit nicht diskutiert werden soll. Diese Stimmung ist eine üble Politikfolge. Selbst der Ton Ihres Kommentars fällt darunter, sorry.

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