Felix Perrefort / 18.12.2021 / 06:15 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 93 / Seite ausdrucken

Reaktionäre Regeln für das Begehren

Ex Bild-Chef Julian Reichelt wurde offiziell wegen einer Beziehung zu einer Bild-Angestellten entlassen. Künftig soll der Arbeitgeber über das Intimleben der Mitarbeiter informiert werden.

Am Ende blieb nur der Vorwurf, er habe eine (Liebes-)Beziehung zu einer einzigen Bild-Angestellten nach dem ihn entlastenden Compliance-Verfahren weitergeführt, ohne sie den Chefetagen mitzuteilen. 

Im Interview in der „Zeit“ bestritt Reichelt, gelogen zu haben: „Die Beziehung, um die es geht, wurde im Abschlussbericht von Freshfields [der von Springer beauftragten Wirtschaftskanzlei], den Mathias Döpfner mir selber vorgelesen hat, sehr konkret thematisiert. Ich habe Mathias Döpfner da nicht angelogen. Deswegen hat es mich sehr überrascht, wie überrascht er gewesen sein will. Man hat mich unterm Strich wegen meiner Beziehung rausgeworfen. Dafür, dass ich einen Menschen liebe. So etwas sollte es nicht geben. Aber es ändert rein gar nichts an unserem Glück.“

Was trifft zu? Das vor allem vom SPIEGEL propagierte und medial dominante Bild von Reichelt als einem Macker-Boss, der nachts einmal durch die Betten der halben weiblichen Belegschaft gesprungen ist und tagsüber dann „Machtmissbrauch“ betrieben hat? Oder der verliebte Bild-Chef, der seine eigentlich ganz normale Beziehung mit einer mündigen Frau als seine Privatsache betrachtet? Man darf wohl annehmen, dass er über die Jahre hinweg die eine oder andere Beziehung oder Affäre hatte; nur was ginge uns das an? Woher kommt dieser reaktionäre Anspruch, darüber richten zu wollen?

Wenn in hierarchisch ungleichen Konstellationen die Vermischung von Beruflichem und Privatem nur noch in Fragen der Schuld verhandelt wird, klopft der Ungeist von #MeToo an die Tür, der die Unterschiede zwischen Justiziablem, Ablehnungswürdigem (aber Legalem) und dezidiert Harmlosem systematisch einebnet. Beziehungen, die sich über berufliche Hierarchien hinweg erstrecken, gelten inzwischen apriori als verwerflich, nämlich als Ausdruck eines Patriarchats, in dem sich ältere, potenziell übergriffige Männer machtlosen jungen Frauen gegenüber triebgesteuert versündigten. Hier die männliche Wollust, dort die weibliche Unschuld – Stereotypen, die nicht in die Wirklichkeit passen und schon gar nicht in die des 21. Jahrhunderts in Deutschland. Der Puritanismus feiert fröhliche Urständ.

Das Kopfkino der Moralapostel 

Bei der Spiegel-Redakteurin Sophie Garbe äußerten sich jene Klischees so:

Liebe Bild-Dudes, Reichelt kann noch so ein toller Journalist sein – Berufsanfängerinnen  nachzustellen, Sex gegen Beförderungen zu tauschen und eine Frau fast an dieser Situation zerbrechen zu lassen, ist nicht okay. Und dass keiner von euch das anerkennt, ist ein Armutszeugnis.“ 

Wirklich? „Ich habe Julian Reichelt als einen Menschen kennengelernt, der Talente gefördert hat – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Alter. Dass er jetzt als skrupelloser Sexist dargestellt wird, finde ich unerträglich“, twitterte die Bild-Redakteurin Judith Sevinc Basad. Es gibt bis dato keine belastbaren Belege für gegenteilige Verleumdungen. Wer ihnen Glauben schenkt, ist der Gerüchteküche auf den Leim gegangen. Ein paar anonyme „Opfer“ beschweren sich, nichts wird konkret, doch alle wissen Bescheid: Chef, Praktikantin, boulevardeske Schlagzeilen – und schon beginnt das (Porno-)Kino in den Köpfen der Moralapostel, als müssten sie damit die Trostlosigkeit ihres eigenen Liebeslebens kompensieren.

Ergebnis dieses albernen Theaters: Springer möchte seine Beschäftigten dazu verpflichten, „Beziehungen zwischen Managern oder Managerinnen und der Belegschaft intern“ offenzulegen. „Bis Jahresende soll ein Regelwerk mit Informationsstandards zu innerbetrieblichen privaten Beziehungen erstellt werden.“ Feminismus, der einmal auch für „sexuelle Befreiung“ einstand, schickt sich heutzutage an, sich gegen diese zu verkehren. Liebe und Sex sollen bürokratisiert und verreguliert werden, sobald sie in Machtgefällen stattfinden.

Weil das Begehren allerdings nicht den biederen Regelwerken politischer Korrektheit gehorcht, Hierarchien für beide Geschlechter ja gerade verführerisch reizvoll erscheinen können, dürfte unterm Strich für niemanden etwas besser werden – auch wenn diejenigen, die ohnehin keine solchen Beziehungen am Arbeitsplatz eingehen würden, nun naiverweise glauben, so nicht mehr übervorteilt zu werden. 

Die Welt zieht sich zu, wird enger, moralisierter, unfreier. Wer sich von diesem Leben mehr verspricht als eine Art Durchgang durch einen Flughafen, an dessen Ende der Abflug in den Tod wartet, der müsste vehement für Arbeits- und damit Lebensbedingungen einstehen, unter denen man sich gänzlich ohne schlechtes Gewissen auch als begehrende und begehrte Subjekte erfahren darf – intimes Glück also nicht von einem Komplex aus Normen und Regeln versperrt wird.

Davon schien man bei Springer auf der Arbeitnehmerseite durchaus zu wissen. Wollte Mathias Döpfner schon vor vier Jahren unter „dem Eindruck der MeToo-Bewegung“ in den USA auf seine „persönliche Initiative hin, eine Regel verabschieden, die Mitarbeiter verpflichtet, Liebesbeziehungen in einer Hierarchie offenzulegen“, wurde dies vom „damaligen Betriebsrat vehement abgelehnt. Unsere Arbeitnehmervertreterinnen zögern bis heute, eine solche Regel einzuführen“, bedauert er. Nun haben sie offenbar nachgegeben, dabei hatten sie recht. Denn eine solche Regel ist ein reaktionärer Mist. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Franz Klar / 18.12.2021

“Am Ende blieb nur der Vorwurf, er habe eine (Liebes-)Beziehung zu einer einzigen Bild-Angestellten nach dem ihn entlastenden Compliance-Verfahren weitergeführt, ohne sie den Chefetagen mitzuteilen. ” Dazu steht auf der Springer Website folgendes : “Fast alle damaligen Hinweisgeber bestanden auf Anonymität. Deshalb konnten die konkreten Vorwürfe und Protokolle der durch die Kanzlei Freshfields durchgeführten Befragungen dem Beschuldigten gegenüber nicht offengelegt werden. ” Mangel an justiziablen Aussagen ist nach meinem Rechtsverständnis nicht gleichbedeutend mit ” Entlastung ” . Dazu müßten die Aussagen eindeutig widerlegt werden . Somit ist der Artikel einseitig .

Uschi Sexauer / 18.12.2021

Nachdem die gesellschaftliche und die kulturelle „Befreiung“ in der Sackgasse der PC (ver)endeten, wird jetzt immer öfter der „sexuellen Befreiung“ anno domini 1968 das gleiche qualvolle Ableben beschieden. Zum Offenlegen des Impfstatus per Impfausweis beim AG (vorerst?) kommt jetzt das Offenlegen des F***status per F***dukumentation dazu ?? Ebenso alle sechs Monate zu erneuern??

Ilona Grimm / 18.12.2021

Herr Perrefort, Sie stellen völlig zu recht fest: »Die Welt zieht sich zu, wird enger, moralisierter, unfreier. [...]« - - - Dies ist die eine Seite. Und die andere? Völlig enthemmte Sexualität in allen Perversionen nicht nur innerhalb der LSBTQ*-Gemeinde (oder wie sie sich auch immer nennen mag). Eine Widerwärtigkeit schlimmer als die vorherige. Zu beobachten auch bei Gottesdienststörungen in Bremen St. Martini. Außerdem frühkindliche „Sexualerziehung“, die aus Kindern Sexmonster machen soll und kann! Mein Abscheu kennt keine Grenzen. Und da ich Christ bin, fällt mir automatisch ein, was der Gott der Bibel dazu gesagt hat. Ich beschränke mich auf Matth. 18,6: →Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.← Ich denke, dieses Wort darf man auch ausdehnen auf Kinder die (noch) nicht an Jesus glauben. „Erziehung“ von kleinen Kindern zu allen möglichen Perversionen ist Programm von SPDGRÜNBUNT! - - - Aber erotische Beziehungen unter Erwachsenen sind vom Moralministerium untersagt. Geht’s noch bescheuerter?

Thomas Brox / 18.12.2021

“Die Welt zieht sich zu, wird enger, moralisierter, unfreier.”  Es gibt zwei fundamentale Rechtsgrundsätze, die jahrhundertelang gut funktioniert haben: (1) Im Zweifelsfall für den Angeklagten. (2) Vor dem Gesetz sind alle gleich. ++ Für den fetten, post-logischen Schmarotzerstaat ist das viel zu schlank, viel zu einfach. Die aufgedunsene Staatsmacht greift in alles ein, jeder Pups wird reguliert und verwaltet. Es wird gegendert, es wird quotiert (glatt verfassungswidrig), bestimmte Gruppen erhalten Sonderrechte, die Beweislast wird in allen möglichen Bereichen kurzerhand umgedreht, die Justiz zieht Hexenprozesse ab, das bürgerliche Recht wird gebrochen und gebeugt, dass es nur so knallt. Es werden Megatonnen von dümmlichen, schwammigen, inkonsistenten “Gesetzen” verabschiedet - logische Monstrositäten, die nicht mehr zu handhaben sind. Die Folge ist das genaue Gegenteil eines Rechtsstaates: Willkür, Nepotismus, Günstlingswirtschaft, Korruption, Schmarotzertum. ++ In diesem kranken Klima kommt es dann auch noch zum vorauseilenden Gehorsam von privaten Organisationen, wie z.B. Unternehmen. Aus Feigheit legt man sich auf die vermeintlich sichere Seite. Dadurch werden die Inquisitoren auch noch bestärkt.

Sirius Bellt / 18.12.2021

Ich habe Arbeit und Privates immer strikt getrennt. Trotzdem kann man die Tatsache nicht ignorieren, dass sich viele Paare am Arbeitsplatz kennenlernen. So ist das Leben nun einmal und so wird es auch bleiben. Ich denke, der Unterschied wie das ausgeht hängt maßgeblich davon ab, wie ernst die Beziehung ist und wie offen damit am Arbeitsplatz umgegangen wird.  Heimliche Affären (die letztlich doch in der Firma als Gerücht kursieren) werden sicher anders beurteilt als wenn man klar verkündet, dass man ab jetzt ein Paar ist. Im Fall Julian Reichelt maße ich mir kein Urteil an.

Christoph Schrief / 18.12.2021

Hat Herr Reichelt nicht auch dem Vorstand die Unwahrheit gesagt? Ich glaube, dass das auch eine nicht unwichtige Rolle für den Rauswurf gespielt hat.

E. Albert / 18.12.2021

In den USA ist das seit Jahrzehnten ein Thema. Diese verlogene Pseudo-Prüderie kommt jetzt also endlich auch zu uns. (Springer gehört übrigens seit längerem zu - wie könnte es anders sein - BlackRock…)

Ralf.Michael / 18.12.2021

Herr Perrefort, ich muss hier mal was klarstellen : “Jeder hat das verbriefte Recht auf seine eigene Praktikantin”. Auch ein Hr. Döpfner !  !ch hoffe, Sie sehen dies auch so…...;o))

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Felix Perrefort / 26.11.2023 / 11:00 / 66

Ich gehe in Dankbarkeit

Nach fünf wunderbaren Jahren verlasse ich Achgut.com in tiefer Dankbarkeit. Ich bin nun Redakteur bei NIUS, wo ein Journalismus gepflegt wird, der die Welt größer,…/ mehr

Felix Perrefort / 02.11.2023 / 08:28 / 0

Morgenlage: Abschiebungen und Araber

Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 2. November, und dies ist die Morgenlage: Es gab 37 Todesopfer bei wohl islamischen Anschlägen in Nigeria, der Thüringer Verfassungsschutz…/ mehr

Felix Perrefort / 27.10.2023 / 06:15 / 52

Erste Schritte zur Klimapolitik-Wende?

Mit Großbritannien und Schweden scheren gleich zwei europäische Länder aus der EU-Klimapolitik aus. Gut so. Doch nun muss auch grundsätzlich gefragt werden, was die Argumente…/ mehr

Felix Perrefort / 26.10.2023 / 08:55 / 0

Morgenlage: Existenz und Erdogan

Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 26. Oktober, und dies ist die Morgenlage. Ein Amokschütze erschießt mindestens sechzehn Menschen im US-Bundesstaat Maine, Netanjahu sagt, Israel…/ mehr

Felix Perrefort / 25.10.2023 / 08:55 / 0

Morgenlage: Anschlagspläne und Abschiebungen

Guten Morgen, heute ist der 25. Oktober und dies ist die Morgenlage. Die Zusammenfassung: Ein erneuter Versuch der Hamas, nach Israel einzudringen, wurde vereitelt, ein…/ mehr

Felix Perrefort / 24.10.2023 / 14:00 / 57

Zum Tode von Gunnar Kaiser

Der Schriftsteller und Philosoph Gunnar Kaiser ist aus dem Leben geschieden.  Als die Welt im Frühjahr 2020 mit einem Schlag Kopf stand und die gewaltigen…/ mehr

Felix Perrefort / 19.10.2023 / 09:05 / 0

Morgenlage: Partei-Verbot und Palästinenser

Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 19. Oktober 2023, und dies ist die Morgenlage. Die Zusammenfassung: Faeser lehnt ein AfD-Verbotsverfahren ab. Es gab heftige Pro-Palästina-Ausschreitungen…/ mehr

Felix Perrefort / 09.10.2023 / 09:00 / 0

Morgenlage: Rache und Rechtsruck

Guten Morgen, heute ist Montag, der 9. Oktober 2023, und dies ist die Morgenlage. Die Zusammenfassung: Die Hamas Angriffe auf Israel forderten mehr als 700…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com