Thilo Sarrazin / 27.06.2021 / 11:00 / Foto: Achgut.com / 42 / Seite ausdrucken

Politische Programme sind dazu da, um die Bürger zu betören

Pünktlich zum längsten Tag des Jahres, am 21. Juni, sind auch die Wahlprogramme der Linken und der CDU/CSU fertig geworden. 

Alle Programme der politischen Parteien in Deutschland – bis auf das der AfD – übertreffen sich darin, die negativen Folgen des menschengemachten Klimawandels zu beschwören und sich in starken Worten zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu bekennen. Kein Programm äußert sich konkret dazu, wie man die Umgestaltung zu einer CO2-freien Wirtschaft in nur wenigen Jahrzehnten hinbekommen will und was das in Deutschland für den Konsumenten, die Industrie, für den Lebensstandard und die Arbeitsplätze bedeutet.

Kein Programm äußert sich dazu, was es bedeutet, wenn große Teil der Welt dem deutschen Beispiel nicht folgen. Das ist ja die überwiegend wahrscheinliche Entwicklung. Dann wäre die deutsche Industriebasis durch die deutsche Politik zerstört oder stark beschädigt worden und die befürchtete Erderwärmung gäbe es trotzdem.

Hilflos wirken fast alle Aussagen zur künftigen Lastenteilung. Union, SPD und Linke wissen immerhin genau, dass der deutsche Konsument und Verbraucher die Zeche nicht zahlen soll. Linke und SPD wissen darüber hinaus, dass vor allem die Reichen zahlen sollen. Darum wollen sie eine höhere Einkommen- und Vermögensteuer.

Stufenweise Enteignung

Die Linke geht dabei aufs Ganze: Mit fünf Prozent jährlicher Vermögensteuer ab einem Vermögen von 50 Mio. Euro plant sie nicht weniger als die stufenweise Enteignung der deutschen Familienunternehmen. So sieht Politik aus, wenn man sich auf eine Existenz unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze einrichtet. Ganz so radikal ist die SPD nicht, dafür fordert sie für die Zukunft möglichst viele Schulden um nahezu jeden Preis. Sie scheint sich des Umstandes zu schämen, dass sie mal erfolgreiche und solide Finanzminister in ihren Reihen hatte.

Weitgehend verdrängt wird die Tatsache, dass die demografisch bedingte finanzielle Schieflage in der deutsche Renten- und Pflegeversicherung dramatisch wächst. Jetzt schon fließen 35 Prozent des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Sozialversicherung und für andere soziale Leistungen. Gleichzeitig bröckeln Straßen und sonstige Infrastruktur, die Bundeswehr ist kaum noch verteidigungsfähig. Auf Kritik von Experten am fehlenden Rentenkonzept der SPD antwortete Finanzminister Scholz kürzlich mit Beleidigungen, während sich CDU und CSU öffentlich über die Ausdehnung der sowieso unfinanzierbaren Mütterrente stritten.

Die großen Tabuthemen Asyl, Zuwanderung und Integration werden in den Programmen nicht angerührt. Grüne, Linke und SPD wollen im Ergebnis die Grenzen für alle öffnen und so die Zahl derer maximieren, die sich am Tisch des deutschen Sozialstaats versammeln. Alle Programme – außer jenem der AfD – legen intensive Bekenntnisse zu Europa ab, aber es fehlen konkrete Reformperspektiven.

Erst mal die Wahlen gewinnen!

Die FDP trifft in ihrem Programm die weittragende Festlegung, dass sie in keine Regierung eintreten wird, die Steuern und Abgaben erhöhen will. Daran wird sie sich messen lassen müssen, wenn sie nicht als Umfaller gelten will. Auch die Union hat in ihrem Programm den Verzicht auf höhere Steuer und Abgaben gelobt. Solche Festlegungen werden sich am Wahltag auszahlen. Der Union und der FDP kann man schon heute ein gutes Ergebnis prognostizieren. Die Grünen werden sich fügen müssen, wenn sie mitregieren wollen.

Das Problem ist nur: Die Einhaltung der Schuldenbremse, der Verzicht auf höhere Steuern und Abgaben und die absehbaren Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung zehren zusammen jeden Spielraum in den öffentlichen Finanzen auf. Gänzlich unklar ist, wie da noch der Umstieg auf CO2-freies Wirtschaften finanziert werden soll.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass das die Wahlkämpfer überhaupt nicht stört. Sie wollen erst einmal die Wahl gewinnen, und sie können sich jederzeit ein Beispiel an Angela Merkel nehmen: In der Atompolitik, in der Steuerpolitik, bei der Einwanderung und bei allen großen wichtigen Themen legte sie das eigene Wahlprogramm aus dem Jahr 2005 ungelesen beiseite und tat sechzehn Jahre lang das genaue Gegenteil. 

Merke: Politische Programme sind dazu da, um die Bürger zu betören. Mit der gelebten Wirklichkeit von Politik haben sie wenig bis nichts zu tun. Darum gilt stets des Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke: Trau, schau, wem.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

Foto: Achgut.com

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Werner Lange / 27.06.2021

Hallo Herr Sarrazin, wenn ich Sie richtig verstanden habe sollten wir doch eine neue Partei gründen und für den Bundestag kandidieren - denn die Nach-Merkel-CDU wird Jahre damit verbringen müssen die bösartigen Hinterlassenschaften der Merkelei zu überwinden, die CSU hat zwar durchaus einige “ordentliche” Kandidaten (ich war versucht das Wort “vielversprechend” zu verwenden - das war mir aber doch zuuu zweideutig) aber Söderlinge sind nun mal nicht wählbar; bleiben noch die FDP, die SPD, die “Grünen” und die AfD. Nun, die FDP kann man durchaus wählen, die SPD weiß selber nicht was sie wollen soll, die “Grünen” wollen die wenigen selbständig denkenden Mitglieder so schnell als möglich aus der Partei werfen und die AfD hat es prächtig verstanden das durchaus passable 2003er CDU-Programm zur Unkenntlichkeit zu verbiegen… Also, was bleibt uns denn übrig als die mit Verstand gesegneten Menschen in diesem unserem Lande zusammenzubringen und vielleicht mit einigen davon zur Wahl anzutreten? Wer opfert sich? Teuer wird es auch noch werden….

Franz Klar / 27.06.2021

Brilliante Kurzanalyse mit prägnanter Wahlempfehlung .Wird leider wirkungslos verpuffen .

Frank Holdergrün / 27.06.2021

Programme sind also Lügenbettelbriefe, um an der Macht bzw. dem Geldhahn sitzen bleiben zu dürfen. Wir werden belogen nach Strich und Faden, und sie schämen sich nicht. Es wird Zeit für echte Volksentscheide, aber das meiden Großfürsten a la Schäuble wie der Teufel das Weihwasser. Die einzige Sprache, die sie begreifen: AfD wählen. Wenn die Schwefelpartei wenigstens einen Heribert Kickl hätten, dann ginge es dramatisch nach oben. So aber, beleidigte Gartenzwerge, über die gelacht werden darf. Und Söder/Hermann können ungestraft islamische Attentäter in die Klapse schicken, ohne dasselbe mit der Islamideologie zu tun. Sie wissen, wie wir darüber denken, tun es aber trotzdem.

Hans-Peter Dollhopf / 27.06.2021

Herr Dr. Sarrazin, Sie schreiben: “Die Einhaltung der Schuldenbremse, der Verzicht auf höhere Steuern und Abgaben und die absehbaren Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung zehren zusammen jeden Spielraum in den öffentlichen Finanzen auf.” Okay, Sie sind seit der Veröffentlichung von “Deutschland schafft sich ab” - auch durch meinen Kauf - finanziell unabhängig und haben sich so praktisch selbst entkoppelt von Gedeih und Verderb DER Pensionskasse, welche “Staatsdiener”, wie Sie ja auf unsere Kosten im Alter versorgt. Dafür Chapeau! Wenn eine AfD an die Macht käme, die alle vom “Staat” - den hurenden “L’état c’est moi” - schmarotzenden Bonzen auf eine gemeinwohlwollende Existenzberechtigung überprüfte, wären Sie damit tatsächlich von vorneherein ganz aus dem Schneider, Herr Dr. Sarrazin! Ganz im Gegensatz zu diesem Millionenheer von Schmarotzern. Wie sagte schon Otto Kölbl? Er sagte: “Dann schickte Mao die Intellektuellen Kloputzen.”

lutzgerke / 27.06.2021

Verehrter Herr Sarrazin, ich denke, das sind weltanschauliche Programme. / Woher kommt der erhobene rechte Arm? Scheinbar ist die Antwort leicht: aus dem römischen Reich. Irrtum. / In einem Geheimgespräch mit dem Chefredakteur der „Leipziger Neueste Nachrichten“ im Mai und Juni 1931 beschwor Hitler den Tag, „wenn die konservativen Kräfte Deutschlands einsehen werden, daß ich nur und nur ich mit meiner Partei das deutsche Arbeiterproletariat für den Staat gewinnen kann“. Um diese Aufgabe zu erfüllen, wurde die Arbeiterbewegung selbst zum Vorbild. Während er für die bürgerlichen Versammlungen (wie achgut und KenFM) nur Spott übrig hatte, zeigte er sich von einer “Massenkundgebung des Marxismus“ beeindruckt. „Ein Meer von roten Fahnen, roten Binden und roten Blumen gab dieser Kundgebung, an der schätzungsweise hundertzwanzigtausend Personen teilnahmen, ein schon äußerlich gewaltiges Ansehen. Ich konnte selbst fühlen und verstehen, wie leicht der Mann aus dem Volke dem suggestiven Zauber eines solchen grandios wirkenden Schauspiels unterliegt.“ / Ebenfalls in „Mein Kampf“ schreibt Hitler: „Wir haben hier aus dem Studium marxistischer und bürgerlicher Versammlungstechnik zu lernen versucht und haben auch gelernt. Von der Bezeichnung als „sozialistische Arbeiterpartei“ bis hin zu den äußeren Symbolformen wurde der ärgste Feind nachgeahmt, um von ihm wegzulocken.“ / Die Dekorateure des Faschismus griffen zu Requisiten kleinbürgerlicher und bäuerlicher Rückwärtsbezogenheit. Die Nazis setzen eine Massenbewegung in Szene, die der Arbeiterbewegung täuschend ähnlich war. „Wir haben die rote Farbe unserer Plakate nach genauem und gründlichem Überlegen gewählt. Das normale Bürgertum war ganz entsetzt, gerade, daß man sich auf den Versammlungen mit “Volksgenossen- und -genossinen” begrüßte. / Man stelle Plakate gegenüber. Die Ähnlichkeit der erhobenen linken gestreckten Faust und der erhobenen Hand ist schwer von der Hand zu weisen.

Frank Stricker / 27.06.2021

“Die Bundeswehr ist kaum noch verteidigungsfähig” !  Oder um es mit ihren Worten zu sagen, werter Herr Sarrazin, “Die Bundeswehr schafft sich ab”. Nach “Panzer-Uschi” wird bald “Pannegret Kramp Karrenbauer”  ihr Hütchen nehmen müssen und das Sturmgewehr trifft immer noch keinen Möbelwagen auf 20 Meter….....

Andreas Mertens / 27.06.2021

Nun gut, ich weiß das ich von (=>allen<=) Politikern belogen werde. Das ist mir ca. seit meinem 15.Lebensjahr bewusst. Das zu ertragen gehört zum Erwachsenwerden dazu. Was am Ende den Ausschlag gibt, ist das Ausmaß in dem man belogen wird. Es darf die Schwelle des Ertragbaren nicht überschreiten. Selbst der größte politische Haderlump muss seiner unappetitlichen Lügenmelange hin und wieder ein Mindestmenge Wahrheit beigeben. Das Problem vor dem wir stehen ist, die politische Suppe die man uns auftischt ... ist nur noch Lüge. Was uns seit Jahr und Tag (mit zunehmender Staatsgewalt) eingetrichtert wird ist purer Schwedentrunk! Reine aufgekochte zutiefst toxische Propaganda-Gülle. Und wie die marodierenden Soldateska des 30.jährigen Krieges recht es unseren Herrschern nicht uns aller Güter & Rechte zu berauben, sie springen uns auch noch solange auf dem aufgedunsenen Leib umher bis sie den letzten Groschen erbeutet haben. Wie schreobe s einst Andreas Gryphius: Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr den ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat auf gezehret. ..... Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot, Dass nun der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

Günter H. Probst / 27.06.2021

Sie erklären sehr richtig, warum man Wahlprogramme gar nicht erst lesen sollte. Auch die sog. Wahlkämpfe kann man sich sparen. Es gibt die Parteien der Nationalen Front, mit der Unterteilung Sozialisten, Maoisten, Stalinisten, und der Unterteilung Christen und Opportunisten. Dann gibt es noch die AfD. Und Andere, die vermutlich nicht über 5% kommen, und von denen man nicht weiß, ob sie zur Nationalen Front zählen. Wenn es stimmt, was man so hört, werden Christen und Maoisten, also die Nationale Front, wieder die nächste Bundesregierung bilden. Es sei denn, die Wähler wählen etwas Anderes.

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