Anabel Schunke / 16.01.2020 / 12:00 / Foto: Achgut.com / 89 / Seite ausdrucken

“Passdeutscher” – das nächste böse Wort?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als mich Hasnain Kazim einmal im Rahmen einer Diskussion auf Facebook für die Verwendung des Begriffes „Passdeutsche“ kritisierte. Der Autor und Filmemacher Mario Sixtus ereiferte sich daraufhin und unterstellte mir auf Twitter, dass ich wohl noch lieber von „Volksschädling“ gesprochen hätte. Diese Art von Klientel, die sonst so auf Differenzierung in der Debatte pocht, zeigte sich in Bezug auf dieses Thema plötzlich erstaunlich differenzierungs-unwillig. Wer zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund – egal aus welchen Gründen – unterscheidet, ist ein Rassist. So weit, so gewöhnlich.

Wahrscheinlich ist aber auch, dass ich von meinen Freunden mit Migrationshintergrund öfter als Deutsche spreche als sie selbst. Dass ich nicht sie oder viele andere Deutsche mit ausländischen Wurzeln mit dem Begriff meine, muss deshalb eigentlich nicht extra erwähnt werden. Dass man jemanden dafür kritisiert, dass er die Bezeichnung „Passdeutscher“ überhaupt verwendet, ist nichts weiter als ein weiterer kläglicher Versuch, eine dringend notwendige Debatte über Integrations- und Einbürgerungsanforderungen in Deutschland mittels des Rassismus-Vorwurfs im Keim zu ersticken.

Wer behauptet, es dürfe nur eine Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne deutschem Pass geben, der verlangt mitunter, dass ich Personen als meine Landsleute und quasi kulturelle Verwandten ansehe, die nichts mit meinen Werten und Überzeugungen zu tun haben – und das Wichtigste: auch nichts damit zu tun haben wollen. Und das sehe ich nicht ein.

Die Bezeichnung „Passdeutscher“ ist kein Mittel für Rassisten, Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund zu unterscheiden. Die Sprache des stumpfen Neonazis ist deutlich simpler. Für ihn gibt es nur Deutsche oder „Ausländer“. Würde die Politik gänzlich nach den Regeln einbürgern, die sie selbst auf der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge angibt, wäre die Bezeichnung sogar gänzlich obsolet.

Denn dann gäbe es nur integrierte Deutsche mit Migrationshintergrund, die damit ohnehin nicht gemeint sind. Aber so ist es nun einmal nicht. Es handelt sich letztlich um eine Politik, die willkürlich unter völliger Ignoranz der selbst aufgestellten Anforderungen einbürgert, die dafür sorgt, dass Menschen anfangen zu differenzieren und sich nicht mehr darauf einlassen, jeden als Deutschen zu bezeichnen, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Der junge Afghane mit dem Baseballschläger

Aber warum diese Einleitung? Weil es Fälle wie den eines jungen Afghanen gibt, der aktuell wegen versuchten Mordes in Stuttgart vor Gericht steht, weil er an einer Bushaltestelle mit einem Baseballschläger auf den Kopf seiner Schwester eingeschlagen hatte. Zuvor hatte er sie angesprochen, damit sie weiß, wer sie schlägt, so der Staatsanwalt. Der Grund: Die junge Frau weigerte sich, an einen entfernten Verwandten aus den USA verheiratet zu werden. Die Familie hatte sie zuvor verlassen. Der Prozess weckt Erinnerungen an einen Fall aus dem Jahre 2005. Damals hatte ein 21-jähriger Afghane aus dem Großraum Stuttgart seine damals 18-jährige Schwester mit einem Billardstock zu Tode geprügelt. Das Mädchen war zeitlebens von der Familie streng kontrolliert und unter anderem immer wieder mit Kabeln geschlagen worden. Das Urteil damals: Sechs Jahre Jugendhaft wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Verlässliche, aktuelle Zahlen zum Thema „Ehrenmord“ gibt es indes nicht. Die letzten stammen aus einer vom Bundeskriminalamt in Auftrag gegebenen Studie aus dem Jahr 2011, die sich auf den Zeitraum 1996 bis 2005 bezieht. Damals wurden insgesamt 78 Fälle mit 109 Opfern und 122 Tätern erfasst. 43 Prozent der Opfer sind männlich, was den Mythos begräbt, es würden ausschließlich Frauen Opfer von Ehrenmorden. In 92 Prozent der Fälle waren die Täter nicht in Deutschland geboren. Die Seite Ehrenmord.de listet seit einigen Jahren Fälle von Ehrenmorden nach Jahren sortiert auf. Die Zahlen übersteigen die Angaben aus der Studie bei Weitem. Allerdings gibt es keine offizielle, einheitliche Definition von „Ehrenmorden“, sodass eine Abweichung nur logisch ist.

Der junge Afghane mit dem Baseballschläger ist jedenfalls, genau wie der junge Afghane mit dem Billardstock, offiziell eigentlich kein Afghane, sondern Deutscher mit afghanischen Wurzeln, was nicht zuletzt für die Kriminalitätsstatistik ein entscheidender Faktor ist. Diese Männer, die aufgrund eines ominösen Ehrgefühls ohne jedwede menschliche Emotion auf ihre Schwestern einprügeln und ihren Tod dabei mindestens billigend in Kauf nehmen, müssen, wenn es nach dem linken Juste Milieu geht, genauso als Deutsche bezeichnet werden wie jene Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund, die ihre Familienstreitigkeiten nicht mit einem Schlaggegenstand oder Messer lösen oder gar der Meinung sind, dass ihre Familienangehörigen frei entscheiden dürfen, wen sie heiraten wollen.

Für mich ist das vermutlich – aufgrund der unterschiedlichen Optik und den mitunter aus solchen Fällen resultierenden Ressentiments gegenüber Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund – noch ein deutlich geringeres Problem als für jene Deutschen mit Migrationshintergrund, die mit solchen Leuten in einen Topf geworfen werden, aber das sei nur am Rande erwähnt.

Das deutsche Büßerhemd ablegen

Ich denke, wir tun uns deshalb so schwer, zu differenzieren und überhaupt Anforderungen an jene zu stellen, denen wir die deutsche Staatsbürgerschaft verleihen, weil wir dann definieren müssten, was die deutsche Kultur eigentlich ausmacht und was folglich damit nicht zu vereinbaren ist. Weil wir uns bewusst machen müssten, wer wir sind und vor allem, wer wir künftig sein wollen, was zugleich mit dem Bewusstsein einhergeht, gewisse Werte und Prinzipien gegen ihre Antagonisten zu verteidigen. Liberalismus würde so wieder zu einem Maßstab werden, der an konkrete Überzeugungen, die es zu erhalten gilt, geknüpft ist und eben nicht meint, dass man selbst sinnentleert alles so lange toleriert, bis die Toleranz von jenen, denen man sie gewährt hat, einfach abgeschafft wird.

Wie schwer wir Deutschen uns damit tun, eine eigene Identität zu definieren, zeigt sich unter anderem daran, dass wir unser Deutsch-Sein, wenn überhaupt, nur mittels ironisch-lächerlicher Attribute auf den Punkt bringen können. Ich bin gegen allzu ideologisch aufgeladene, hysterische Debatten – egal aus welcher Richtung. Ich habe mich nicht sonderlich an der „Sooo Deutsch“-Kampagne der Bundesregierung gestört, die auf ironische Art und Weise mit deutschen Spießer-Klischees spielt. Mich stört vielmehr, dass das ironische, tendenziell immer leicht selbstabwertende Narrativ des spießigen „Almans“ mit Gartenzwerg und Fetisch für überbordende staatliche Bürokratie offenbar die einzige Möglichkeit für uns Deutsche ist, uns überhaupt an einer eigenen Identität zu versuchen. Einer Identität, die durchaus in Teilen einer selbstironischen Realität entspricht, die jedoch noch nichts mit Werten und Prinzipien zu tun hat, die eine liberale Demokratie auf Dauer aufrechterhalten.

Vielleicht sollten wir uns also für diejenigen, die sich so schwer damit tun, das deutsche Büßerhemd abzulegen und immer noch dabei sind, den Holocaust nachträglich zu verhindern, in dem sie auch jene bedingungslos tolerieren, die in Bezug auf die eigenen Werte Hitler vermutlich näher stehen als ihnen selbst, zunächst einmal an einer Definition per Ausschluss versuchen.

Messerattacken sind nicht deutsch

Es ist nicht deutsch, aus Gründen der „Ehre“ mit einem Baseballschläger auf den Kopf seiner Schwester einzuschlagen. Es ist ferner nicht deutsch, sich als Familie und Freunde mit dem Täter im Gerichtssaal zu solidarisieren und ihm ein „Wir lieben dich“ zuzurufen. Es ist nicht deutsch, seine Verwandten zeitlebens zu kontrollieren, sie an andere Verwandte unter Zwang verheiraten zu wollen und ihnen jede Selbstbestimmung und Freiheit damit zu nehmen. Was im Übrigen auch für Männer gilt. Einer davon ist ein Freund von mir.

Es ist nicht deutsch, Ehepartner abzulehnen, weil sie nicht aus dem gleichen Land oder der gleichen Familie stammen. Es ist nicht deutsch, die eigenen religiösen und kulturellen Gesetze über das Grundgesetz zu stellen. Es ist nicht deutsch, seine Konflikte mit Waffen auf offener Straße zu lösen. Messerattacken sind nicht deutsch. Die Ungleichbehandlung von Mann und Frau, unter anderem durch die (unfreiwillige) Verhüllung der Frau, ist nicht deutsch. Vielehen sind es nicht und Clan-Kriminalität auch nicht.

Die Liste ließe sich noch durch viele Punkte fortführen. Bestimmt auch durch vieles, worüber man sich vortrefflich streiten könnte. Aber es geht nicht um eine allzu enge Fassung des Begriffes nach eigenem Geschmäckle, die viele ausschließt. Als Liberale geht es mir immer stets um einen Minimalkonsens, an den wir uns alle halten, der im wesentlichen durch Artikel 1-19 des Grundgesetzes definiert ist und durch dessen Einhaltung wir garantieren, dass Frieden, Freiheit und Sicherheit in diesem Land auch künftig Bestand haben. Dass man solche vermeintlichen Selbstverständlichkeiten mittlerweile extra erwähnen muss, zeigt, wie weit wir uns in unserem Zusammenleben, durch unsere Einbürgerungspraxis und Migrationspolitik davon bereits entfernt haben.

„Everybody’s depp“

„Everybody’s darling is everybody’s depp“, sagte Franz-Josef Strauss einmal. „If you don’t stand for something. You’ll fall for anything“, lautet ein anderes bekanntes Zitat. Niemand verkörpert diese sinnentleerte Beliebigkeit mehr als Angela Merkel, die sich jedoch ebenso auf einen Großteil der Deutschen übertragen lässt, deren einziges Ziel zu sein scheint, von aller Welt gemocht zu werden. Am Ende passiert genau das Gleiche wie in jeder Beziehung: Niemand respektiert einen und nimmt Rücksicht auf seine Regeln, wenn er sich alles gefallen lässt, um gemocht zu werden.

Wenn wir nicht irgendwann definieren, wer wir sind und künftig sein wollen, wenn wir uns nur mündlich zu unserem freiheitlichen Minimalkonsens bekennen und ihn nicht aktiv verteidigen, wozu schlussendlich auch die Ablehnung und Nichteinbürgerung jener gehört, die sich nicht auf diesen Konsens verständigen können, werden irgendwann genau diejenigen über uns bestimmen, die ihre Werte und Prinzipien selbstbewusster leben, als wir es tun. Die sich nicht anbiedern wie wir. Denen es egal ist, ob sie dafür von uns gemocht werden.

Eines steht jedenfalls fest: Solange auf der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge steht, dass Voraussetzung für eine Einbürgerung in Deutschland das „Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland“ ist und solange sich bei Einbürgerungen nicht daran gehalten wird und Männer wie die beiden Afghanen als deutsche Täter in die Statistik einfließen, solange werde ich zwischen „Passdeutschen“ und Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden.

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Marcel Seiler / 16.01.2020

Das Ermöglichen der illegale Einwanderung hat die Ablehnung von Menschen mit nicht-deutschem kulturellen Hintergrund erhöht und wird sie weiter erhöhen. Die völlig berechtigte deutsche Feindseligkeit gegenüber Eingewanderten, die das deutsche Sozialsystem ausbeuten und/oder kriminell werden, färbt leider auf die produktiven, integrierten Menschen “mit Migrationshintergund” ab. Das ist gar nicht zu vermeiden. Die Bezeichnung “Passdeutscher” ist der hilfreiche Versuch, die Integrierten und die Nichtintegrierten auch verbal zu unterscheiden. Das ist völlig berechtigt. Ich selbst fühle keinerlei Verbindung zu jemandem mit deutschen Pass, der in Deutschland nur wegen der sozialen Wohltaten lebt. Warum sollte ich?

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