Die Corona-Stars Alena Buyx und Melanie Brinkmann diskutierten auf der re:publica über Wissenschaftskommunikation. Demnach hätten sie die Medien gerne als Bestätigungsplattformen, nicht aber als kritische Instanzen.
Wir alle können nach zweieinhalb Jahren Pandemiepolitik ein langes Lied über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft singen. Bis zum Frühjahr 2020 gingen viele Menschen naiv davon aus, dass Wissenschaft einer Wahrheit verpflichtet sei, über die innerhalb der Wissenschaft in einem faktenbasierten argumentativen Überbietungswettbewerb gestritten werde, bis schließlich die am besten zu verantwortende Theorie und die besten praktischen Umsetzungen dieser Theorie gefunden seien. Seit dem Frühjahr 2020 wissen wir alle es besser. Denn seither erfahren wir Tag für Tag, wie sehr auch in der Wissenschaft mit einem politischen Wasser gekocht wird, das die Suppe der Wahrheit immer dünner macht und am Ende nur noch eine nach Politik schmeckende braune Brühe übriglässt.
Höchste Zeit also, an möglichst prominenter Stelle über die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft zu diskutieren und dabei nicht zu vergessen, dass es auch eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber der Wissenschaft gibt. So geschehen auf der diesjährigen re:publica in Berlin-Kreuzberg, wo am 9. Juni 2022 ein Gespräch aufgezeichnet wurde, das die Moderatorin Geraldine de Bastion mit Alena Buyx und Melanie Brinkmann führte.
Brinkmann und Buyx muss man nicht mehr vorstellen: Sie sind die wissenschaftlichen Vorzeigedamen, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Pandemiepolitik der Bundesregierung legitimiert haben, mit allerlei Statements und Talkshow-Auftritten auf der Basis der von ihnen reklamierten wissenschaftlichen Expertise. Sie tragen also einen erheblichen Teil der Verantwortung für die seit dem Frühjahr 2020 auf der Basis von Zero-Covid-Konzepten verfügten Lockdowns und für die als virales Allheilmittel durchgezogene Impfkampagne.
Hochgejazzte öffentliche Einlassungen
Wenn Sie nun glauben, auf der re:publica sei mit den zwei prominenten Wissenschaftlerinnen über das prekäre Verhältnis von wissenschaftlichem Wahrheitsanspruch und staatlicher Indienstnahme von Wissenschaft diskutiert worden, um die Untiefen ihrer Verantwortung auszuloten, dann muss ich Sie enttäuschen. Davon ist mit keinem Wort die Rede. Dafür ist mit sehr vielen Worten die Rede von etwas, was die Moderatorin so ausdrückt: „die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber Wissenschaftler:innen [mit glottal stop gesprochen], die sich Zeit nehmen für Wissenschaftskommunikation“ (ab Minute 1:05).
Hier wird also der dialektische Spannungsbogen von Verantwortung in Wissenschaft und Gesellschaft aufgelöst und verschoben zu einer Debatte über die gesellschaftliche Reaktion auf die von Brinkmann und Buyx betriebene Wissenschaftskommunikation. Aber auch dabei wird der Dialektik einer solchen Kommunikation nicht nachgegangen – etwa so, dass man fragt, wie sich das gesellschaftliche Wissen zum Sonderwissen der Wissenschaft verhält und wie beide aufeinander angewiesen sind. Vielmehr wird gleich zu Beginn von der Moderatorin der Akzent darauf gesetzt, dass Buyx und Brinkmann für ihren Versuch, die Gesellschaft über aktuelle Forschungsergebnisse zu informieren und aufzuklären, „viel Anfeindungen in Kauf genommen“ hätten (ab Minute 00:40).
Damit ist von Anfang an klar: Es geht nicht um die Verantwortung von Buyx und Brinkmann für die immer noch währenden Ausnahmezustände, sondern um ihre Rolle als Debattenopfer. Dass diese beanspruchte Opferrolle ein direktes Resultat der vom Mediensystem hochgejazzten öffentlichen Einlassungen von Buyx und Brinkmann ist und die Relevanz dieser Einlassungen wiederum direkt mit dem Status der beiden Damen in politiknahen Beratungsgremien korreliert, kommt weder der Moderatorin noch den beiden Wissenschaftlerinnen in den Sinn.
Egoverstärker und Bestätigungsplattformen
Das Ergebnis eines solchen Gesprächs ist folglich in einem sehr präzisen Sinn völlig sinnfrei: Die beiden Damen möchten gerne, dass „Wissenschaftskommunikation“ – also die geschickte und möglichst reichweitenstarke Präsentation von Wissenschaft in den sozialen Medien – wertgeschätzt wird, dass sie bei Berufungsverhandlungen honoriert und nach der Erreichung einer Professur auch finanziell vom Rektorat einer Universität gefördert wird, aber sie möchten in den sozialen Medien nicht für ihr Tun kritisiert werden und schon gar keine Shitstorms auf sich ziehen.
Mit anderen Worten: Buyx und Brinkmann hätten die Medien gerne als Egoverstärker und Bestätigungsplattformen, nicht aber möchten sie sie als kritische Instanzen, in denen man die eigene Position argumentativ und mit dem Einsatz der eigenen Person auch während unschöner Konfrontationsphasen verteidigen muss. Es würde ihnen genügen, wenn sie ihre Wahrheiten über die Medien verkündigen dürften und dank ihrer Verkündigungsleistung dann auch einen entsprechenden Status hätten; aber es ist ihnen lästig, dass die Medien einen Rückkanal haben, in dem es hoch hergehen kann und Verkündigung und Status infrage gestellt werden.
Mit noch anderen Worten: Brinkmann und Buyx haben im Grunde keinen Begriff von „Kommunikation“, der über die Verkündigungsfunktion hinausgeht. Und weil das so ist, haben sie im Grunde auch keinen Begriff von „Wissenschaft“, der über die Verkündigung dogmatisch gesetzter Wahrheiten hinausgeht. Das wird in dem Gespräch auf der re:publica sehr deutlich in dem Moment, als Buyx darauf zu sprechen kommt, dass sie ein Opfer des „Silencing effects“ wurde (ab Minute 18:00).
Was Frau Buyx damit meint, ist dies: Sie habe als Vertreterin des Ethikrates „nach außen“ (sie meint damit, dass sie seit 2020 die Präsidentin des Ethikrates ist) „ätzende Dinge“ erlebt, „so dass man auch Angst hatte“, „und auch, dass es einem einfach den Tag versaut“, „das macht einem einfach keine gute Laune“, „das betrifft einen wirklich“ – bis sie nach zwei Jahren nicht mehr gekonnt habe, „und dann habe ich aufgehört, habe Twitter im Prinzip mehr oder weniger runtergefahren“, „und was dann passiert ist, dass die Stimme dann weg ist, das nennt man den 'Silencing effect'. Dieser Hass und dieses persönliche Angehen – und das erfolgt ja sehr konzertiert, das ist ja vereinbart, das ist geplant und intentional – das ist ja genau das, was damit bezweckt werden soll, dass die Leute die Klappe halten“.
„Hass“ als juristischer Tatbestand
Lesen Sie den vorstehenden Absatz bitte noch einmal durch. Sie lesen, wenn ich mich nicht sehr irre, nichts weiter als die Beschwerde einer öffentlichen Person darüber, dass in der Debatte um Corona und die Maßnahmen und die Ausgangssperren und die Impfpflicht – zu alldem und insbesondere zu letzterem hatten sich Frau Buyx und der Ethikrat weit aus dem Fenster gelehnt – die betroffenen Menschen in den Medien bisweilen nicht gerade freundlich reagierten und die Bedrohung von Leib und Leben durch die Belastungen der Lockdowns und erst recht durch eine Zwangsimpfung den dafür Verantwortlichen natürlich hart zurückgespiegelt haben.
Was, bitteschön, hat sich Frau Buyx denn gedacht? Offenbar wenig mehr, als dass es genügt, irgendeine von irgendwelchen Gremien dogmatisch gesetzte Wahrheit in das Mediensystem einzuspeisen und dann auf den Applaus zu warten. Als der ausblieb und heftiges Buh aus den hinteren Rängen und dem Olymp hörbar wurde, hat das Frau Buyx nicht nur die Stimme geraubt, sondern sie mutierte im harten Gegenwind von der zur Verantwortung ziehbaren Täterin zum bedauernswerten Opfer.
Damit aber nicht genug. Denn Frau Buyx ist natürlich nicht irgendein Opfer, sondern dank ihres Ehrenamtes (sie betont das sehr) im Ethikrat ein besonderes Opfer. Will sagen: Indem sie als Repräsentantin des Ethikrates in den sozialen Medien öffentlich angegriffen wird, wird in ihrer Person der Ethikrat angegriffen und mit ihm natürlich der Staat. Und weil das, wie sie sagt, „eine echte Gefahr ist“, muss man „aus allen Rohren schießen“ (ab Minute 20:10): „Man muss bei den Plattformen ansetzen“, die durch ihre Klicklogik Polarisierungen fördern, „man muss da, glaube ich, regulatorisch was machen“, also die strafrechtlichen Instrumente im Netz anwenden und umsetzen, und es müsse dann eben auch eine nennenswerte Zahl von Leuten „eingreifen“, um Shitstorms nach unten zu bringen: „Zivilcourage“ sei also gefragt. Das Publikum dankt es Frau Buyx mit Beifall. Und Frau Brinkmann darf danach ins selbe Horn stoßen.
Gegenseitig mit Applaus gefeiert
Zweifellos ist „das Netz“ voll von Beleidigungen, und niemand findet es vergnüglich, einen Shitstorm auf sich zu ziehen. Und sicherlich hat Frau Buyx recht, wenn sie fordert, dass geltendes Recht auch „im Netz“ angewendet und durchgesetzt werden soll. Was Frau Buyx’ Redebeitrag aber so zeittypisch-interessant macht, ist die Identifizierung von mühsamer Kontroverse, die am Rande immer aggressiv auszufransen droht, mit „Hass“, der eben als solcher kein juristischer Tatbestand ist. Und wenn sie diesen „Hass“ dann über die Verwechslung von Person und Amt zu einer „echten Gefahr“ hochspielt – für wen? Für Alena Buyx? Den Ethikrat? Die Bundesregierung? Gar den Staat insgesamt? –, schlägt die implizite Dogmatik, die Buyxens und Brinkmanns Beiträge in schöner Kontinuität durchziehen, so durch, dass man zur Verteidigung der dogmatischen Position „aus allen Rohren schießen“ darf.
Was es heißt, wenn der Staat „aus allen Rohren schießt“, um unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen, scheint Frau Buyx erfolgreich verdrängen zu können. Denn es dürfte ausgeschlossen sein, dass sie in den vergangenen Monaten nicht mitbekommen hat, wie die staatlichen Medienanstalten maßnahmenkritische Radio- und Fernsehsender (und Podcasts) um ihre Existenz gebracht haben, dass vielen Akteuren, die sich öffentlich gegen die von Buyx und Brinkmann repräsentierte Staatswissenschaft stellen, die Bankkonten gekündigt wurden, dass Richter, die die „falschen“ Urteile fällten, mit Hausdurchsuchungen und Anklagen konfrontiert sind, die dem Recht Hohn sprechen, und dass bei Maßnahmenkritikern gerne auch mal zur Unzeit in den frühen Morgenstunden uniformierter Besuch auftauchte, der die Wohnungstüre mit amtlicher Erlaubnis eintrat und nicht nur in der Wohnung der Betroffenen ein Chaos zurückließ.
Das sind die echten Opfer, die wirklich „ätzende Dinge“ erlebt haben und denen es nicht nur „den Tag versaut“ hat. Von ihnen wollen Brinkmann, Buyx, die Moderatorin und das re:publica-Publikum nichts wissen. Ihre Zivilcourage beschränkt sich darauf, die Treue zur staatlich verkündeten Corona-Dogmatik und die Zustimmung zum Abbau von Demokratie und Rechtsstaat für solidarischen Widerstand zu halten. Dafür hat man sich in Berlin-Kreuzberg gegenseitig mit Applaus gefeiert.