Zu den Stars, die uns die Medien in den vergangenen Coronamonaten geschenkt haben, gehört zweifellos die Virologin Melanie Brinkmann. Es vergeht kaum eine Woche, in der sie nicht in einer Talkshow oder in einem Interview ihre Sicht auf die Coronalage zum besten geben dürfte, und gerne wird sie dabei als "eine führende Virologin in diesem Land" (Maischberger) tituliert.
Diese führende Rolle hat sich Brinkmann nun allerdings nicht durch eine wissenschaftliche Befassung mit der großen weiten Welt der Viren verdient. Die virale Welt, in der sie sich wissenschaftlich bewegt, ist die viel kleinere Welt der Herpesviren, vor allem des von Herpesviren ausgelösten Kaposi-Sarkoms, und im Zusammenhang damit die Welt der „Toll-like-Rezeptoren", durch die unser Immunsystem zwischen viralen Freunden und Feinden unterscheidet, indem es bestimmte molekulare Signale empfängt und weitergibt.
Diese Welt wird gut sichtbar, wenn man die Liste ihrer 47 Publikationen durchgeht, die Frau Brinkmann auf der Website des Helmholtz Zentrums für Infektionsforschung (HZI) annonciert. Dort wird man finden, dass etwa die Hälfte ihrer Veröffentlichungen auf Herpesviren und das Kaposi-Sarkom fokussieren, ein Viertel behandelt Toll-like-Rezeptoren und der Rest die zellulären Signalprozesse, die mit alldem in Verbindung stehen.
Karrieretechnisch ausgemünzt hat sich diese Konzentration auf ein klar umrissenes Forschungsgebiet dadurch, dass Frau Brinkmann nach ihrer im Jahre 2004 an der Universität Hannover abgelegten Promotion mit dem Thema "Functional properties of proteins encoded by the K15 gene of the Kaposi’s sarcoma-associated herpesvirus (KSHV)" zunächst dank eines von 2005 bis 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewährten Forschungsstipendiums Untersuchungen zu dem Thema "Toll-like Rezeptoren: Ziele der herpesviralen Immun-Evasion?" weiterführen konnte. Diese Forschungen waren von 2004 bis 2010 offenbar kofinanziert durch Stellen als Postdoktorandin zunächst am Institut für Virologie an der Universität Hannover und kurz darauf am Whitehead Institute for Biomedical Research am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA).
Ihre Karriere hat durchaus noch Luft nach oben
Im Jahre 2010 übernahm sie die Leitung der Nachwuchsgruppe "Virale Immunmodulation" am HZI in Braunschweig, bis sie 2012 Juniorprofessorin am Institut für Virologie der Medizinischen Hochschule Hannover wurde. Das sollte zweifellos eine Anerkennung des von ihr bisher Geleisteten sein und ihr auch ohne Habilitation, wie sie sonst für Professuren gefordert wird, den Weg ins professorale Establishment ebnen. Dieser Weg war erfolgreich: 2018 wurde Brinkmann Professorin am Institut für Genetik an der Technischen Universität Braunschweig und hielt ein Jahr später ihre Antrittsvorlesung unter dem Titel „Die faszinierende Welt der Viren" über – wie sollte es anders sein – Herpesviren. Womit sie sich als Professorin seither schwerpunktmäßig beschäftigt, ist ebenfalls leicht zu raten: natürlich mit Toll-like-Rezeptoren und – Herpesviren. Dem HZ“, der es, na ja, wesentlich um Herpesviren geht.
Allerdings amtiert Frau Brinkmann in Braunschweig, wenn wir der Wikipedia glauben dürfen, nur als W2-Professorin. Das ist nun zwar durchaus eine waschechte Professur, aber sie rangiert in Prestige und Gehalt unterhalb der W3-Professur, die zu allererst das ist, was man einen “Lehrstuhl“ nennt, also eine mit Sekretärinnen, Assistenten und vielen Hilfskräften und Apparaten voll ausgestattete Professur. Einen Lehrstuhl hat Brinkmann also noch nicht, und ihre Karriere hat daher durchaus noch Luft nach oben.
Dieser kleine Abstand zum akademischen Himmel hat, wie wir wissen, die öffentliche Wirkung von Frau Brinkmann keineswegs behindert. Und das sollte uns nun doch zu denken geben. Nicht, weil wir schnöde zu fragen hätten, ob nur W3-Professoren das Recht zu öffentlicher Rede und öffentlichem Expertentum zukomme, sondern weil wir uns fragen müssen, welche der öffentlich erkennbaren Qualifikationen Brinkmann aus der akademischen – pardon – zweiten W-Professorenreihe in die Rolle einer medial hoch gehandelten Corona-Expertin katapultiert haben. In eine Rolle mithin, in der sie Fernsehwoche für Fernsehwoche ihre akademisch höher gehandelten Kollegen abtrumpfen darf.
Schaut man, um eine Antwort auf diese Frage zu finden, noch einmal in Brinkmanns Publikationsliste, findet man nur eine einzige Untersuchung, die sich wissenschaflich mit SARS-CoV-2 beschäftigt, nämlich mit den Gründen für das "Ausbruch" (outbreak) genannte Infektionsgeschehen in einer Fleischfabrik der Tönnies-Gruppe. Eine irgendwie überragende Corona-Kompetenz durch anhaltende direkte Befassung mit dem Virus oder durch Wissenstransfer von Herpes auf Corona ist in der Publikationsliste nicht erkennbar. Wenn Brinkmann daher als Expertin in Sachen Corona gehandelt wird, dann wohl deshalb, weil sie als Virologin wie alle anderen Virologen auch über das allen Viren Gemeinsame orientiert sein wird und von diesem Virologisch-Allgemeinen her dann freilich auch etwas über Corona zu sagen weiß.
Unablässig ein „wir“ als Satzsubjekt
Dieses Allgemeine nimmt bei Frau Brinkmann unter der Hand allerdings die Gestalt des wissenschaftlich Allgemeingültigen an. Denn in ihren zahllosen Interviews und Stellungnahmen tritt sie stets als Repräsentatin "der Wissenschaft" auf, der nicht nur Sätze wie "die Wissenschaft warnt schon lange" über die Lippen kommen, sondern in deren Sätzen auch unablässig ein "wir" das Satzsubjekt bildet (am besten sicht- und hörbar in der Maischberger-Sendung vom 9. Dezember 2020).
Das ist nun aber deshalb durchaus kurios, weil Frau Brinkmann, wenn sie zu Corona spricht, ja lediglich als Herpesspezialistin ohne nennenswerte eigene Coronaforschung und damit auch ohne selbsterarbeitete Coronakompetenz spricht. Ihre Kompetenz liegt daher im Grunde nur darin, öffentlich in Kenntnis der zu Corona publizierten Studien zu sprechen und also öffentlich eine Wissenschaft aus zweiter Hand zu betreiben, die von den steuerfinanzierten Medien ohne kritische Nachfrage als „die Wissenschaft“ durchgewunken wird.
Noch kurioser ist freilich, dass Brinkmann wie so ziemlich alle anderen medial hochgehypten Corona-Experten ohne klinische und ärztliche Erfahrung ist. Ihr Wissen über das Virus kann sich daher nicht auf eigene am Krankenbett gewonnene Anschauung und langjährige praktische Erfahrung im Umgang mit Atemwegserkrankungen stützen, sondern muss praktische Erfahrung und erfahrungsgesättigtes Wissen der medizinischen und virologischen Fachliteratur entborgen. Zu dem Wissen aus zweiter Hand kommt also eine Erfahrung und Praxis aus zweiter Hand hinzu.
Am allerkuriosesten ist aber, dass dieses doppelte Manko an Eigenwissen und Eigenerfahrung in einen rein statistischen Zugriff auf die Wirklichkeit umschlägt: Offenbar glaubt Frau Brinkmann wie Drosten et al. allen Ernstes, dass die immer wieder in Umlauf gebrachten "Modellierungen" des Virusgeschehens nicht nur die Lücke zur fehlenden unmittelbaren Erfahrungswirklichkeit schließen, sondern obendrein noch Aussagen über das zukünftige "Infektionsgeschehen" zu treffen erlauben. Diese bei Brinkmann ("die Zahlen lügen nicht", hier bei Minute 03:00) nicht anders als bei Drosten zu findende Faszination durch Zahlen, die über die Viruslage Auskunft geben sollen, dürfte sich am ehesten wohl dadurch erklären, dass ihnen die Zahlen eine virale Wirklichkeit vertreten, von der sie keine eigene Anschauung haben.
Dem Virus „einen auf den Deckel geben“
Das erklärt dann freilich auch, warum für unsere Medienvirologen die Beurteilung der Gefahr, die von dem Virus ausgeht, zu einem Urteil über die schiere Höhe von Kennzahlen wird. So hält Brinkmann eine Inzidenz von über 50 für schlecht, eine von 35 für besser, eine von 10 für noch besser und eine von 0 für das Optimum, weil es dann den Gesundheitsämtern noch gelingen könne, Infektionsketten zu entdecken und durch Quarantänemaßnahmen zu unterbrechen („No-Covid-Strategie").
Was dabei unreflektiert bleibt, ist natürlich die Frage, ob es überhaupt einen Sinn macht, einem Virus, das wie andere saisonale Viren auch zu Atemwegserkrankungen führen kann, durch eine Eradikationsstrategie auf den Leib zu rücken und dabei in Kauf zu nehmen, dass unsere Gesellschaft politisch, ökonomisch und kulturell kollabiert. Nur unter Ausblendung dieses entscheidenden Punktes kann man die Auffassung vertreten, dass eine Beherrschung des Virus über eine maßnahmengetriebene Senkung von Kennzahlen dazu führt, dass wir uns zu Herren des Geschehens aufschwingen und dem Virus, wie Brinkmann sagt, "einen auf den Deckel geben" können (siehe hier).
Die lockere Diktion verdeckt den Machtwillen, der dahintersteckt. Es ist ein doppelter Machtwille: Zum einen beansprucht er, das Virus zum Besten der Gesellschaft eliminieren zu müssen, und zum andern maßt er sich an, die gesamte Gesellschaft als Akteur der viralen Elimination in Anspruch nehmen zu dürfen. Dieser Wille, Natur und Gesellschaft gleichmaßen zu bezwingen, wird deutlich sichtbar, wenn Brinkmann sich bei Maischberger und Illner darüber beklagt, dass die Politik im Hinblick auf das Virus einfach nicht blank umsetzt, was "die Wissenschaft" oder das Brinkmann’sche "wir" ihr vorschlagen; und er wird erst recht sichtbar, wenn Brinkmann in einer Bundespressekonferenz im November 2020 sich öffentlich darüber ärgert, dass soviel über PCR-Tests und anderes diskutiert werde, man doch aber bitteschön einem Automechaniker auch nicht erzähle, "wo der Motor ist an dem Auto, das er reparieren soll" (hier ab Minute 01:20). Wissenschaft ist, so soll das wohl heißen, wenn die unberufenen Laien nicht dreinreden.
Mit Wissenschaft hat das, was Frau Brinkmann hier sagt, natürlich gar nichts zu tun. Denn Wissenschaft besteht keineswegs in der experimentellen und laborgestützten Erhebung und Verarbeitung irgendwelcher empirischer Daten, deren Bedeutung sich aus Excel-Tabellen unmittelbar ablesen ließe. Vielmehr besteht Wissenschaft dort, wo sie zu allererst anfängt, Wissenschaft zu werden, in der strittigen Interpretation von Daten, Erfahrungswerten, Ereignissen und Theorien. Wissenschaft gibt es daher nur im Vollzug des Streits um die Fakten – oder es gibt sie eben nicht.
Über wahr und falsch vorab bereits entschieden
Wenn Brinkmann daher meint, dass Zahlen nicht lügen; wenn sie meint, dass es wissenschaftlich erwiesen sei, dass härtere Lockdowns besser weil kürzer sind; wenn sie meint, dass die Entwicklung der neuen Corona-Impfstoffe eine Erfolgsgeschichte sei (siehe die Maischberger-Sendung ab den Minuten 03:00, 05:00 und 10:40), dann sind das nichts weiter als Meinungen, über deren Realgehalt in Wort und Widerwort gestritten werden müsste. Wenn aber Brinkmann sich öffentlich über ebensolche Debatten ärgert und dann auch noch zusammen mit Drosten und anderen die Internetplattformen und Technologieunternehmen dazu aufruft, die Zirkulation von "Fehlinformationen, die sich in den sozialen Medien viral verbreiten", zu unterbinden, um dadurch die mit der "Pandemie" verbundene "Infodemie" zu stoppen – dann ist das ein Schritt aus der wissenschaftlichen Debatte, die über wahr und falsch vorab gar nicht entscheiden kann, zu einer Lenkung der Debatte, in der über wahr und falsch vorab bereits entschieden ist.
An diesem Punkt spätestens zeigt sich, dass das, was Brinkmann für Wissenschaft hält und öffentlich in persona darstellt, nichts anderes als eine wissenschaftlich verbrämte Machtpolitik ist. Diese Machtpolitik betreibt zunächst einen Abbruch der innerhalb und außerhalb der Wissenschaft geführten Debatte um das Virus und seine Folgen, indem das Gegenargument als "Fake News" lächerlich gemacht und der dissentierende Wissenschaftler als "Pseudoexperte" denunziert wird, wie das Drosten vor kurzem getan hat. Zurück im Wissenschaftsring soll offenbar nur jene Gruppe virologischer Automechaniker bleiben, die weiß und unablässig ruft, dass der Corona-Antimotor aus FFP2-Masken, einem Lockdownvergaser und Einspritzimpfungen besteht.
Von hier aus ist es machtpolitisch dann nur noch ein kleiner Schritt zur direkten politischen Aktion. Diesen hat Brinkmann spätestens Anfang des Jahres 2021 vollzogen, als sie als Ko-Autorin zweier von der Physikerin und Modelliererin Priesemann initiierten Papiere auftrat, die in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet" veröffentlicht wurden und als Legitimationspapiere der "No-Covid-Strategie" dienten.
Beide Artikel (hier und hier) klären keineswegs über unbekannte Eigenschaften des Virus auf, sondern sind nichts weiter als Aufrufe zur Implementation eines europäischen Aktionsplans, der die Ausbreitung des Virus unterbinden soll. Home-Office, digitaler Heimunterricht, soziale Distanzmaßnahmen, FFP2-Masken, ausgiebiges präventives Testen, Reisebeschränkungen und Beschleunigung der Impfkampagne werden in diesen Publikationen als Maßnahmen genannt, die unbedingt nötig seien, weil die britische und die südafrikanische Variante des Virus wegen ihrer angenommenen hohen Infektiosität den R-Wert über eins heben würden, so dass viele Länder mit steigenden Fallzahlen und erhöhten Krankenhauseinweisungen konfrontiert wären und das Gesundheitssystem zusammenbrechen könnte.
Verlautbarungsmedien einer Wissenschaftsdogmatik
Als das geschrieben wurde, lagen längst Studien vor, die die angenommene Gefährlichkeit der Virusmutationen infrage stellten und den Nutzen von Masken und Lockdowns umfangreich widerlegten. Davon ist in den beiden Artikeln kein Wort zu finden, wohl aber stehen dort tabellenartige Übersichten über die angeblich notwendigen Maßnahmen, die von den Beamten der einschlägigen Ministerien nur noch abgeschrieben zu werden brauchten, um kurz danach öffentlich angeordnet zu werden.
Wissenschaft, so lernen wir, ist offen in Wissenschaftspolitik umgeschlagen, bei der die Frage, ob die Wissenschaftler die Getriebenen oder die Treiber sind, keine sinnvolle Frage mehr ist. Fachzeitschriften, so lernen wir ebenfalls, sind zu Verlautbarungsmedien einer Wissenschaftsdogmatik geworden, die sich zur Katechese der steuerfinanzierten Medien bedient, die von den Abweichlern öffentliche Sündenbekenntnisse verlangen. Absolute Herrschaft über das Virus, so lernen wir zuletzt, ist nur als absolute Herrschaft über die Menschen zu haben.
Wenn die Zeichen nicht trügen, liegt dieser Wissenschaftsabsolutismus in seinen letzten Zügen, zusammen mit der Politik, mit der er sich gemein gemacht hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die im Medienhype zu Stars gewordenen Politvirologen und Virologenpolitiker davon überrascht wurden, dass eine Gruppe von Stars, die diesen Status schon länger hatte und beim Publikum auf größere Sympathien zählen durfte, ihnen den argumentativen Boden unter den Füßen weggezogen hat. Nicht durch Argumente, mit denen man Dogmatiker eh nicht erreichen würde. Sondern durch eine einfache Spiegelungstechnik, die die hohle Nacktheit der seit über einem Jahr politvirologisch in Umlauf gebrachten Phrasen entlarvte.