Chaim Noll / 11.10.2023 / 06:15 / Foto: Fabian Nicolay / 164 / Seite ausdrucken

Ohnmacht. Oder?

Seit drei Tagen sitze ich fest: Gestrandet in Berlin, ich bekomme keinen Flug nach Israel. Und immer diese Gedanken. Wie konnte es geschehen? Was hätte man tun müssen, um das Desaster zu verhindern? Warum haben Geheimdienste, Regierung, Armeeführung offensichtlich geschlafen? Und warum schläft Deutschland noch viel tiefer und will nicht aufwachen?

Seit drei Tagen sitze ich fest: Gestrandet in Berlin. Mein voraus gebuchter Rückflug mit EasyJet wurde zweimal verschoben. Der nächste Flug von Berlin ist für Freitag angesetzt, das hieße fünf Tage Verspätung. Die El Al fliegt zwar israelische Staatsbürger aus, die nach Hause wollen, doch dort herrscht solcher Andrang, dass ich erst nächste Woche mitkäme. Also sitze ich in Berlin und warte. Gut, ich habe zu tun. Schon allein die Flut mitfühlender E-Mails und WhatsApp-Nachrichten… Und alle beschreiben das gleiche, was auch mich quält: das Gefühl der Ohnmacht.

Bei mir noch verstärkt dadurch, dass ich fern von zu Hause, von meiner Familie in Europa sitze, zwar glücklicherweise in der Stadt meiner Geburt, im Studio meines alten Freundes A., von ihm und seiner Frau rührend umsorgt, auch von meinen Verwandten, aber doch vollkommen sinnlos und nutzlos. Während bei uns zu Hause die Hölle los ist. Drei unserer Enkel sind inzwischen zum aktiven oder Reservedienst einberufen, „unter Waffen“, schlicht gesagt: im Krieg.

Ohnmacht auch angesichts der Unverständlichkeit und Undurchschaubarkeit der Vorgänge. Was ist zu Hause geschehen, wie ist das Versagen – oder was immer es war – der Geheimdienste zu erklären, die – verglichen mit der Westbank – dürftigen Grenzanlagen, die langsame Reaktion auf den Überfall? Richtige Israelis gehen jetzt in den Kampf, um ihr bedrohtes Land zu verteidigen und verschieben die Schulddebatte auf später, nur Fernseh-Schwätzer und andere Besserwisser wie Richard C. Schneider auf Spiegel Online spekulieren bereits über „die strategischen Fehler des Benjamin Netanyahu“. Dabei hat der flinke Richard nicht mehr Einblick in das, was geschehen ist, als ich und jeder Israeli im In- oder Ausland. Die Debatte wird in einem so diskussionsfreudigen Land wie Israel todsicher stattfinden, in der üblichen gnadenlosen Schärfe – wenn der Krieg vorbei ist. Auch Golda Meir trat erst einige Monate nach dem Yom-Kippur-Krieg zurück, nicht während der laufenden Kampfhandlungen.

Trotzdem „macht man sich seine Gedanken“, wie es so schön heißt, denn unserem unermüdlich grübelnden Gehirn können wir nicht befehlen. Wie konnte es geschehen? Was hätte man tun müssen, um das Desaster zu verhindern? Warum haben Geheimdienste, Regierung, Armeeführung offensichtlich geschlafen? Warum versagte das Hightechsystem, das die Grenze sichern sollte? Was von dem, was in offiziellen und alternativen Medien, in den tausend Kapillaren des Internets an Information, Spekulation und Desinformation verbreitet wird, können wir glauben? Welche Zahlen stimmen? Welche Videos sind echt, welche nicht? Das wird zunehmend zum Problem.

Die Großmeisterin der Heuchelei

Und dann die Ohnmacht, nichts Wirksames tun zu können. Ich habe seit dem Überfall der Hamas sicher hundert Solidaritätserklärungen von Bekannten und Unbekannten erhalten, und fast alle betonten, dass sie gern „etwas tun“ oder „helfen“ würden, nur nicht wüssten, wie. „Schick ihnen den link zur Organisation FIDF, Friends of the IDF“, riet mir ein junger israelischer Freund, der mich gestern zum Tee besuchte. Er war Soldat in unserer Armee und will jetzt möglichst schnell „nach Hause“, um mitzukämpfen. FIDF ist eine Hilfsorganisation zur Versorgung und Ausrüstung der israelischen Soldaten. Da kann man kugelsichere Westen spenden oder Teile eines Panzerwagens. Wenn man will, einen ganzen. Und dann sind da die chajalim bodedim, die „einsamen Soldaten“, Jungen und Mädchen, die allein, ohne Familie zum Armeedienst nach Israel kommen, weil die Eltern noch in Australien, Frankreich, Uruguay oder Kalifornien Geld verdienen müssen. Es gibt ihrer Tausende, sie werden vom Staat unterstützt und umsorgt, und das alles kostet Geld.

Ohnmacht empfinden viele auch angesichts der doppelzüngigen deutschen Politik. Die Großmeisterin der Heuchelei war Angela Merkel, die in der Knesset erklärte, die Sicherheit Israels sei „deutsche Staatsräson“, und hintenrum die Zahlungen für Terror-fördernde NGOs und Hilfswerke erhöhen ließ. Das Gefühl der Ohnmacht auch heute, angesichts der unbelehrbaren SPD-Granden oder Grünen-Funktionäre wie Jürgen Trittin und Claudia Roth, die in sturer Heuchelei behaupten, die Fortsetzung der deutschen Zahlungen an Hamas-nahe Fonds sei notwendig und eine gute Tat, man diene damit „den Palästinensern“. Zum hundertsten Mal: Man dient damit eben nicht „den Palästinensern“, sondern schadet ihnen und ihrer Zukunft, indem man ihre übelsten Bedrücker, die vom Iran aufgestellte Terror-Organisation Hamas bezahlt, die ihnen das Leben im Gazastreifen zur Hölle macht und sie immer wieder in hoffnungslose Kriege stürzt. Gaza war schon vor Beginn der neuesten Runde sinnloser Gewalt ein Trümmerfeld – wie wird es dort in wenigen Wochen aussehen?

„Die deutschen Zahlungen an die Palästinenser-Organisationen müssen aufhören“, erklärte mir eine aufgebrachte evangelische Theologin dieser Tage am Telefon. Es wäre schon genug, wenn die deutsche Regierung sie deutlich verringerte und zugleich kontrollierte, wozu das Geld verwendet wird. Das kann man Trittin und Claudia Roth nicht beibringen, das passt nicht in ihre vernebelten Köpfe. Für sie sind die Schlächter vom siebenten Oktober auf ewig die Opfer. Die organisierten Mordkommandos der Hamas: um ihre Befreiung ringende Unterdrückte. Ihre Mordlust ist nicht Ergebnis islamischer Indoktrination und jahrhundertelanger Tradition grausamer Wüstenstämme, sondern Schuld des Westens, des Kolonialismus inklusive Zionismus. Da schlagen ihre Herzen im gleichen Takt wie die ihrer iranischen Freunde, der Mullahs, mit denen sie immer ausgedehntere Geschäfte machen, deren abscheuliches, vom Volk gehasstes Regime sie massiv unterstützen.

Das ist der Gipfel der Ohnmacht meiner deutschen Freunde, dass sie für diese Politik ihre Steuern zahlen müssen, dass inkompetente, abenteuerliche Figuren wie Steinmeier, Habeck, Frau Faeser, Trittin und Claudia Roth das deutsche Nationalvermögen verwalten und vergeuden. Denn da gibt es einen Zusammenhang: zwischen dieser Art Verschwendung und Misswirtschaft und der schrumpfenden deutschen Wirtschaft. Ich schlafe nicht gut in diesen Tagen, aber wäre ich jetzt deutscher Steuerzahler – was ich zum Glück seit vielen Jahren nicht mehr bin –, ich könnte überhaupt nicht mehr schlafen. Ich würde die ganze Nacht darüber nachsinnen, ob es nicht doch eine Alternative gibt, eine Möglichkeit, die heimliche deutsche Unterstützung des islamischen Terrors zu beenden. Wir sind entmutigt, weil alle unsere Mahnungen und Hoffnungen bisher vergebens waren. So, wie die Verhältnisse sind, bleibt uns nichts als das Gefühl der Ohnmacht. Oder? 

 

Chaim Noll war in der vergangenen Woche auf Lesereise in Deutschland mit seinen neu veröffentlichten Büchern Höre auf ihre Stimme. Die Bibel als Buch der Frauen (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2023, 330 Seiten, 22 Euro) und Scharia und Smartphone. Texte zum zeitgenössischen Islam (Hess Verlag Stuttgart, 2023, 381 Seiten, 22,80 Euro)  

In der Achgut-Edition ist von Chaim Noll erschienen: Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel.

Foto: Fabian Nicolay

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Sybille Weisser / 11.10.2023

Geschätzter Herr Moll, meine Familie und sind schon seit Jahren entsetzt darüber wie die Politik unser Steuergeld an islamistische Terrorbanden verschleudert. Sind die wirklich so naiv und glauben, dass Geld käme der palästinensischen Zivilbevölkerung zugute? Aber, by the way, es gab genug verschleierte Frauen zu sehen und zu hören, die das jüngste Massaker in Israel gefeiert haben. Ich habe kein Mitleid mehr mit diesen unmenschlichen Leuten. Nichts rechtfertigt ein solches Massaker an Unschuldigen.

Heinrich Moser / 11.10.2023

Es ist eine Schande, wie sich die EU verhält. Aber wie sich Deutschland verhält, ist unsagbar kläglich. In allen Belangen. Dieses Volk braucht wirklich jedes Jahrhundert eins aufs Haupt. Unerträglich ist besonders, dass sich dieses klägliche Volk erdreistet, anderen Ratschläge zu geben, wie sie leben sollen.

Gunter Zimmemann / 11.10.2023

Es ist angesichts der unvorstellbaren Gräuel sicherlich zweitrangig, aber ich will doch daran erinnern, dass es eine Partei, die nach entsprechenden Wahlerfolgen dubiosen und finsteren Gestalten wie Steinmeier, Habeck, Faeser, Roth, Trittin usw. keine Chance auf ein öffentliches Amt mehr lassen wird.

Hans Marner / 11.10.2023

Shalom und Mut für den neuen Tag! Ich habe Imre Kertez kennengelernt und er sagte mir, daß ihn das Schreiben und das Aussprechen gerettet hat. Beste Grüße aus Schöneberg!

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