Nathan Gelbart, Gastautor / 05.02.2021 / 12:00 / Foto: Imago / 100 / Seite ausdrucken

Offener Brief an eine Berliner Richterin

Ein Fall aus Berlin: Bürger XY beantragt vorläufigen Rechtschutz gegen die an seinem Wohnort verhängte Maskenpflicht auf einer ehemals belebten Einkaufsstraße, obgleich dort aufgrund verfügter Schließungsanordnungen faktisch keine Einkaufsmöglichkeiten mehr bestehen und alle dort befindlichen Restaurants, Kinos und Theater ebenfalls schließen mussten. Die Maskenpflicht hingegen blieb aufrechterhalten, durchgehend Tag und Nacht sowie an Wochenenden.

Zudem wehrt sich der Antragsteller gegen das Verbot, sich privat mit nur einer Person aus einem anderen Haushalt treffen zu dürfen. Er geht ferner gegen die Pflicht vor, nach Rückkehr von einer Reise aus einem Land mit niedrigeren Infektionszahlen als an seinem Wohnort dennoch eine zehntätige häusliche Quarantäne absolvieren zu müssen. Das zuständige Verwaltungsgericht hat den Antrag als teilweise unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. 

Die Einzelrichterin stellte infrage, ob der Antragsteller die Kontaktbeschränkung angreifen konnte, da er nicht „glaubhaft machte“, hiervon überhaupt betroffen zu sein. Konkret geplante private Treffen mit mehr als einer weiteren haushaltsfremden Person seien nicht behauptet worden. Die Maskenpflicht auf einem menschenleeren Boulevard rechtfertigte die Richterin mit der Möglichkeit, dass auch Einkaufs- und Kulturmeilen ohne Handel und Kultur, sogar nachts zumindest zum „Flanieren“ einladen würden.

Die Pflicht zur Quarantäne bei der Rückkehr aus Ländern mit niedrigeren Infektionszahlen bestätigte das Gericht pauschal mit dem Schutz von „Leben und Gesundheit der Bevölkerung“. Auch sei der Antragsteller der Stellungnahme der betreffenden Landesregierung nicht entgegentreten. Nachweislich hat die Richterin diese Stellungnahme dem Antragsteller jedoch nicht übersandt, so dass eine Äußerung hierzu nicht erfolgen konnte. Mit dem folgendem persönlichen Schreiben wandte sich der Antragsteller an die Richterin:

Ihr Beschluss vom... 2021

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
irgendwann ist es immer das erste Mal. Und bei mir ist es nach 25 Jahren Anwaltstätigkeit das erste Mal, dass ich einer Richterin nach einer von ihr getroffenen Entscheidung persönlich schreibe. Es kommt nicht daher, dass Sie dem von mir beantragten Einstweiligen Rechtsschutz gegen aktuelle „Infektionsschutzmaßnahmen“ nicht nachgekommen sind. Nun, mal gewinnt man und mal verliert man. So ist das bei Gericht, wobei das Schicksal des Antragstellers und seiner Freiheitsrechte eben nicht wie auf „Hoher See in G“ttes Hand“, sondern in Ihrer lag. So war das Ergebnis Ihrer Entscheidung auch nicht sonderlich überraschend. 

Überraschend hingegen war die Erkenntnis, dass Passagen Ihres erkennbar aus Bausteinen anderer Entscheidungen zusammengeflickten Beschlusses noch peinlicher sind als das Make-up und die Eloquenz der prominentesten Gesundheitspolitikerin des für Ihr Gericht zuständigen Bundeslandes. Es stimmt, über Geschmack sollte man nicht streiten. Was aber nicht bedeutet, dass man es bei gebotenem Anlass nicht doch tun sollte. Vor allem angesichts der in Ihrer Beschlussbegründung enthaltenen Geschmacklosigkeiten, die das Maß des Erträglichen übersteigen. 

Sie begründen die Zurückweisung meines Antrages damit, dass ich der Stellungnahme der Landesregierung nicht entgegengetreten bin. Ich hätte es gerne getan, wären Sie so freundlich gewesen, mir diese Stellungnahme überhaupt zukommen zu lassen. Aber Sie haben es unterlassen. Ich vermute, Sie waren damit beschäftigt, die aktuellen „Infektionszahlen“ der Bundesbehörde der exklusiven Wahrheit, des Robert-Koch-Instituts, zu studieren und zeitgleich zur Beruhigung den nächsten Baldriantrunk anzurühren. Aber konsequent ist das allemal, und so hat sich in Ihrem Gerichtssaal eben auch das Grundrecht auf rechtliches Gehör hinten anzustellen, dort, wo die mit Ihrem Segen bereits beerdigten Grundrechte ruhen.

Müssen private Abendessen angemeldet und genehmigt werden?

Sie stellen ferner fest, der Antragsteller habe „nichts Konkretes dazu vorgetragen und glaubhaft gemacht, inwiefern er persönlich von den … Obergrenzen für private Zusammenkünfte …. tangiert ist“. 

Offenbar haben Sie bereits die nächsten Entscheidungen Ihrer Landesregierung vorweggenommen. Müssen private Abendessen vorher behördlich angemeldet und genehmigt werden? Oder ist es in Ihrer neuen Covid-Welt mittlerweile selbstverständlich, dass Familien ihre Abende ausschließlich alleine zu verbringen haben?

Ebenso wenig stören Sie sich daran, dass die allerletzten Fußgänger auf einer fast menschenleeren und extrem breiten Straße trotz zwangsgeschlossener Gastronomie, stillgelegter Kultur und verbotenem Einzelhandel sogar nachts Mund und Nase zwangsbedecken müssen. Allen Hindernissen zum Trotz könnten ja Leute zum Flanieren angezogen werden. 

Würden Sie auch rechtswidrige Kontenpfändungen rechtlich absegnen, so der Betroffene nicht „glaubhaft gemacht“ hat, den gepfändeten Betrag dringender zu benötigen als der Staat?

Der Staat greift gegenwärtig nachhaltig in die Freiheitsrechte seiner Bürger ein. Getrieben von willkürlich erhobenen „Infektionszahlen“ die nicht annähernd dazu geeignet sind, zwischen Infektionsverdacht, tatsächlicher Infektion, ausgebrochener Krankheit und schwerem Krankheitsverlauf mit Todesfolge zu differenzieren. Es sind nicht „Infektionszahlen“, die Gefahr für Leben und Gesundheit der Menschen begründen, sondern lebensgefährliche Krankheiten für besonders gefährdete Patienten. 

Wie eine Fliege an der Decke

Seit fast einem Jahr werden den Menschen elementare Grundrechte verwehrt, Existenzen vernichtet, Kinder aus Schulen und Studenten aus Universitäten ausgesperrt, unser wirtschaftlicher Wohlstand zerstört. Dies aufgrund der viralen Atemwegserkrankung Covid-19, die weltweit in Ländern mit angemessenem Behandlungsniveau weder evident noch signifikant eine höhere Gefahr für Leben und Gesundheit bedeutet, als dies bei anderen viralen Atemwegserkrankungen in den Vorjahren der Fall war.

Sie kleben bei Ihrer Beschlussbegründung wie eine Fliege an der Decke an der magischen, von der Politik erfundenen, auf keiner wissenschaftlichen Erkenntnis beruhenden Inzidenzzahl 50 und ignorieren hierbei, dass selbst bei Erreichen dieser Zahl aufgrund der Dunkelziffer, also der nicht bekannten Infektionen, die Gesundheitsämter keine Nachverfolgung aller Fälle leisten können. 

Willige Helfer bei der Perpetuierung dieser Pandemie der Entrechtung sind nicht nur die nach immer strengeren Grundrechtseingriffen schreienden Berater der Bundesregierung. Dazu gehören auch ergebene Wissenschaftler, die noch nicht mal gewillt sind, die ihrer eigenen Fachrichtung unterliegenden, durch die ständigen „Lockdowns“ verursachten Kollateralschäden für Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu reflektieren. Depressionen, Psychosen, häusliche Gewalt, Alkoholismus, Suizide, vernachlässigte Schwerkranke, die an anderen Krankheiten sterben müssen, weil Corona vorrangig behandelt wird.

Die Justiz versagt

Es ist vor allem die Justiz, die bei ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe, die Menschen vor staatlich-hygienischer Willkür und Freiheitsberaubung zu schützen, kläglich versagt. Der Gastbeitrag des Staats- und Medizinrechtlers Prof. Dr. Josef Franz Lindner in der „Zeit“ vom 28.01.2021 wurde vor allem für Verfassungshüter wie Sie geschrieben. Die Lektüre lohnt sich

Frau Vorsitzende, kennen Sie den US-amerikanischen Autor und Wirtschaftswissenschaftler Thomas Sowell? Wie auch immer, offenbar kennt er Sie: „Es gibt kaum etwas Dümmeres und Gefährlicheres, als wichtige Entscheidungen in die Hände von Leuten zu legen, die keinen Preis dafür bezahlen müssen, wenn sie sich geirrt haben.“

In diesem Sinne, Frau Vorsitzende, bis demnächst in diesem Theater. So es nicht vorher geschlossen wird.

 

Nathan Gelbart ist Rechtsanwalt in Berlin. 

Foto: Imago

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Leserpost

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Karl Schmidt / 05.02.2021

Die Verwaltungsgerichte schützen die Politik und nicht die Bürger. Aus unserem Recht auf Leben wird plötzlich eine Pflicht zu leben und der Normadressat der Grundrechte wechselt: vom Staat zu den Bürgern. Daher sind es auch plötzlich die Bürger, die beweisen müssen, dass die Maßnahmen ganz sicher Stuss sind und unverhältnismäßig. Für die Politik spricht die (angebliche) Gefahr des Virus, das Massensterben, das sich hinterhältigerweise ohne signifikante Übersterblichkeit ausbreitet. Ich hatte mal einen Staatsrechtsprofessor, der in der Vorlesung darüber nachdachte, wie die Republik wohl ins Autoritäre abgleiten könnte, wie sich deutsche Geschichte im nächsten Durchgang wiederholen würde. Er war sich sicher, dass die Gefahrenabwehr das Einfallstor wäre. Und hier stehen wir. Von Juristen Hilfe und Schutz zu erwarten ist naiv: Weder haben wir eine von der Politik (insbesondere der Regierung) unabhängige Justiz, denn sie verwaltet sich nicht selbst und ist - siehe Staatsanwälte - sogar weisungsgebunden. Beides ist ein Unding. Selbst die Deutschen Rentenversicherung hat da mehr Handlungsfreiheit. Doch Juristen sind von jeher Huren der Mächtigen und verdingen sich für jeden, der sie bezahlt. Natürlich gibt es auch andere, doch würden die an den Verwaltungsgerichten Karriere machen? Die Justiz gehört endlich in die Hände der Bürger und ihre Führung muss direkt gewählt werden - ohne eine Möglichkeit zur Wiederwahl. Das wird nicht schon jedes Problem beseitigen - aber es wäre ein Anfang. Denkbar ist auch, immer einen gewisse Anzahl an Richterstellen durch Rechtsanwälte zu besetzen, damit die Quälgeister Einzug in die Gerichte halten. Nichts fürchten Richter nämlich mehr.

Werner Lederer / 05.02.2021

Herrlich zu lesen. Apropos: Darf das Wort “herrlich” überhaupt noch benutzt werden? Und wie ist es mit dem Gegenteil, dem Adjektiv zu Dame, welches möglicherweise auf die Adressatin des Briefes zutrifft? Daumen hoch für achgut.

Lutz Herzer / 05.02.2021

“Konkret geplante private Treffen mit mehr als einer weiteren haushaltsfremden Person seien nicht behauptet worden.”  Diese Formulierung muss der Richterin doch zusammen mit der Rechtspflegerin ein Piccolöchen wert gewesen sein. Schnell noch vorher die Bürotür zu, damit das Gelächter nicht so laut in den Gängen zu hören ist. Ich hoffe ja bloß, dass es so war, und dass das nicht der Ernst der Richterin ist.

M. Friedland / 05.02.2021

Vielen Dank für den wunderbaren Satz von Thomas Sowell!  Dieses Prinzip würde uns 99% der aktuellen Politiker und ebensoviele Probleme ersparen.

Andreas Braumüller / 05.02.2021

Chapeau! Auf den Punkt und mit erweiterter Eloquenz.

Agnes Desse / 05.02.2021

Sie sprechen mir aus dem Herzen. Doch wird Frau Richterin sich dies auch zu Herzen nehmen? Ich fürchte nein.

Werner Lange / 05.02.2021

Mutig mutig, dieses Schreiben. Wird sich in dieser tollen “Gerechtigkeits-Republik” leider für den Verfasser mit “leichten” beruflichen Nachteilen zurück melden…. Die Dame Richterin fühlt sich nicht nur auf den Schlips getreten sondern auch in ihrer völlig berechtigten Rechtsaufassung derart beleidigt dass der Verfasser bzw. der von ihm vertretene Delinquent selbst bei völlig unzweifelhaften Tatbeständen verurteilt werden wird - einfach “weil Sie’ kann”. Merkel-Deutschland halt!

Alexander Buchholz / 05.02.2021

Inhaltlich gebe ich dem Anwalt recht. Das Schreiben ist aber viel zu emotional und ausschweifend verfasst. Scharfe, rechtlich begründete Sätze ohne Emotionen wären der Situation angemessen gewesen. Was hat das “Make-up und die Eloquenz der prominentesten Gesundheitspolitikerin des für Ihr Gericht zuständigen Bundeslandes” mit dem Sachverhalt zu tun? Aus meiner Sicht nichts. Hier wurde einer guten Sache nicht vorteilhaft gedient.

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