Nathan Gelbart
Falsche und schlechte Urteile werden täglich verkündet. Trotz Anfällen von Erbrechen und Übelkeit ob des “Urteilstenors” im Kölner Beschneidungsprozess empfiehlt es sich dennoch, erst einmal durchzuatmen und die schriftliche Urteilsbegründung in Ruhe zu lesen. Zahllose Spezialisten und Schlaumeier in diesem Land haben in den letzten Wochen dazu betragen, die Debattenkultur zu beschneiden. Panikmacher aller Lager, die entweder nicht richtig lesen können oder von Beschneidungen nicht den Hauch einer Ahnung haben, tobten sich erstmal ordentlich aus.
Während europäische Rabbiner und andere Funktionäre bereits das Ende des deutschen Judentums und einen seit der Shoa so nicht mehr dagewesenen Angriff auf das deutsche Judentum feststellten, waren es auf der anderen Seite die altbekannten humanistischen Gutmenschen, die das Urteil zum Schutze unmündiger Knaben vor alttestamentarischer Verstümmelung feierten. Und dies, wie von der der Hummel gestochen und als ob ihnen die auch in diesem Land Jahrhunderte lang von Juden praktizierte Tradition gänzlich verborgen geblieben wäre.
Gutmenschen, die schon immer wussten, was für jüdische Jungs gut ist, besser, als deren Eltern es zu wissen meinten. Sie wissen es besser, ob jüdische Jungs in Israel den Wehrdienst verweigern und ob ihre Eltern doch bitte auch ohne einen Friedensvertrag umstrittene Gebiete an die Palästinensische Autonomiebehörde abtreten sollen. Sie wissen auch, dass jüdische Jungs mit der iranischen Atombombe viel besser leben können als ohne und dass militärische Antworten auf Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, nicht aber der Beschuss selbst Unrecht sind. Und sie wissen natürlich besser, was mit jüdischen Vorhäuten in Deutschland zu geschehen oder nicht zu geschehen hat.
Selten konnte man in einer Debatte derart geballte Inkompetenz, Unwissen und vor allem Unsensibilität zugleich erleben. Hierbei umschiffen die Experten gekonnt vor allem zwei elementar wichtige und voneinander strikt zu trennende Parameter: 1. Art und Intensität des Eingriffs und 2. dessen rechtliche Grundlage.
Die Entfernung der Vorhaut dauert bei einem Neugeborenen keine 15 Sekunden und führt weder zu einer „Verstümmelung“ noch zu ästhetischen oder medizinischen Einschränkungen. Manche meinen sogar, der beschnittene Schniedel des kleinen Schmocks käme erst nach Freilegung der Eichel zu seiner wohlverdienten Schönheit. Ein in Zusammenhang mit der Durchführung einer Beschneidung als gerichtlicher Sachverständiger angehörte Chirurg bezeichnete erst kürzlich die Entfernung der Vorhaut als weniger schmerzhaft als die Entfernung einer Fußwarze und verglich den Eingriff mit der Ablösung eines klebrigen Pflasters. Es geht also schlichtweg um einen Fetzen haut – nicht mehr und nicht weniger.
Die Rechtsgrundlage hierfür ist nicht etwa im Strafrecht, sondern im Familienrecht zu finden. Die §§ 1626 ff. BGB regeln, inwieweit Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorgepflicht und ihres Sorgerechtes auf das minderjährige Kind einwirken dürfen – ja, dazu gehören auch irreversible Maßnahmen: die kosmetisch begründete Anlegung abstehender Ohren, die ästhetische Richtung eines krummen Nasenbeines sowie auch rein profilaktische Maßnahmen ohne konkrete medizinische Indikation, wie z.B. die Entfernung der Mandeln oder Polypen. Alles Eingriffe, die langwieriger sind als eine Beschneidung, irreversibel und weitaus schmerzhafter.Aber sie sind eines nicht – die elementare Säule einer der drei großen Weltreligionen und Bestandteil unserer abendländischen Kultur.
Die drei übereifrigen Rechthaber aus Kölle haben sicherlich die Debatte um die Beschneidung eröffnet, diese zu verhindern wird ihnen jedoch nicht gelingen.