Wolfram Weimer / 16.05.2019 / 14:00 / Foto: Reto Klar / 44 / Seite ausdrucken

Nationalhymne: Ramelow hat einen Punkt

Seit Gründung der Bundesrepublik wird über die Nationalhymne gestritten. Schon der erste Bundespräsident Theodor Heuss mochte sie nicht. Der Bildungsbürger aus dem liberalen Baden wollte für das demokratische Deutschland lieber eine neue Hymne und nicht die dritte Strophe eines spätestens durch die Nazis kompromittierten Textes. Doch Adenauer setzte auf Tradition und sich durch. Heuss fügte sich in seinem berühmten Schreiben an Adenauer mit dem Minimal-Argument: “Hoffmann von Fallersleben war ein Schwarz-Rot-Goldener”, also ein aufrechter Demokrat. Immerhin.

Zur Wiedervereinigung wiederholte sich die Debatte. Wieder schrieb der Bundespräsident (diesmal Richard von Weizsäcker) an den Kanzler (nun Helmut Kohl), man solle auch im wiedervereinigten Deutschland beim alten Text bleiben, mit dem Argument: “Das Lied der Deutschen, von Hoffmann von Fallersleben vor 150 Jahren in lauteren Gedanken verfaßt.” Das Problem freilich ist: Beide Bundespräsidenten lagen falsch.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben war weder ein aufrechter Demokrat noch ein politisch untadeliger Mann. In Wahrheit hatte er zwei Gesichter. Das eine zeigt einen umtriebigen Intellektuellen und Freiheitskämpfer, der gegen die Adels-Obrigkeit aufstand (adelig war er selbst übrigens nicht, er nannte sich nur nach seinem Geburtsort von Fallersleben) und Deutschland wunderbare, sehr populäre Volksliedtexte hinterlassen hat wie “Alle Vögel sind schon da”, “Summ, summ, summ”, “Ein Männlein steht im Walde”, “Winter ade, scheiden tut weh”, “Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald” oder “Morgen kommt der Weihnachtsmann”.

Antisemit, Demokratieverächter, Nationalist

Auf der anderen Seite war er zugleich ein Antisemit, Demokratieverächter, Nationalist und Frankreich-Hasser. Dabei geht es weniger um den Hymnentext “Deutschland, Deutschland über alles”, denn der ist aus seinem Entstehungskontext zu verstehen und – bei gutem Willen – als ein Befreiungslied zu interpretieren, dass die Einigkeit des Vaterlands über allem stehen sollte, nicht nur Deutschland über anderen Völkern.

Doch wer andere Texte von ihm liest, dem schlägt zuweilen nackter Fremdenhass entgegen. 1871 schreibt Hoffmann von Fallersleben zum Beispiel über seinen “Hass, den Hass gegen dieses verworfene Franzosengeschlecht, diese Scheusale der Menschheit, diese tollen Hunde”. Hoffmann von Fallersleben ist ein geifernder Nationalist, selbst Fremdwörtern wünscht er “Fluch und Vernichtung”, ihrer Ausmerzung schreibt er eigens ein Gedicht.

Auch als Demokraten kann man ihm kaum bezeichnen. Er sehnt über Jahrzehnte die Rückkehr des Kaisers herbei, schreibt darüber glühende Gedichte, so 1837: “Wenn der Kaiser doch erstände! Ach! Er schläft zu lange Zeit. Unsre Knechtschaft hat kein Ende und kein End’ hat unser Leid.” Und so sehnt er das preußische Kaisertum auch 1861 schon herbei: “Der König von Preußen als deutscher Kaiser, Wofür jetzt alle Deutschen leben, Wonach sie sich sehnen und eifrig streben, Es wird dereinst auf Erden, Zur vollen Wahrheit werden. Der König, der sich eben jetzt, Die Königskron aufs Haupt gesetzt, Der muss die deutsche Kaiserkrone, Einst hinterlassen seinem Sohne. Drum lasst uns jetzt das Glas erheben: Der König als deutscher Kaiser soll leben.” Und auch als dichtender Militarist macht sich Hoffmann von Fallersleben einen unrühmlichen Namen: “Krieg ist Leben. Leben ist Krieg … Wir gewohnt zu jeder Zeit Krieg und Streit. Laß uns gewöhnen an Krieg, an Tod und Sieg! Lustig voran, Mann für Mann.”

Antisemitische Klischees in Reimen

Am übelsten aber ist sein Antisemitismus. Hoffmann von Fallersleben war von einem tief sitzenden Judenhass geprägt. Der entlud sich nicht bloß gegen jüdische Dichterkollegen wie Heine oder Börne. Er schrieb auch böse Gedichte wie “Emancipation”. Dort bringt er 1840 antisemitische Klischees in Reime: “Du raubtest unter unsern Füßen uns unser deutsches Vaterland … O Israel, von Gott gekehret, hast du dich selbst zum Gott gemacht und bist, durch diesen Gott belehret, auf Wucher, Lug und Trug bedacht. Willst du von diesem Gott nicht lassen, nie öffne Deutschland dir sein Ohr! Willst du nicht deine Knechtschaft hassen, nie ziehst du durch der Freiheit Thor.”

Wenn Fallersleben also von Einigkeit und Recht und Freiheit schrieb, meinte er in Wahrheit eine judenfreie Einigkeit. 1842 verfasste er ein ebenso perfides Judenschmähgedicht mit dem Titel “Das Lied von Sandomir”. Zeitlich genau zwischen diesen beiden Hetzschriften entstand sein Text der deutschen Hymne “Deutschland, Deutschland über alles”.

Es sind deutsche Soldaten des Ersten Weltkrieges, die dem Lied schließlich zum Durchbruch verhelfen. Am 10. November 1914 hatte ein Heeresbericht vermeldet: “Westlich von Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ‘Deutschland, Deutschland über alles’ gegen die ersten Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie!” Langemarck wird zum Mythos und dient später den Nazis als Liedmagie zur Rechtfertigung eines blutigen Angriffskrieges.

Hoffmann von Fallersleben ist damit für die Nationalsozialisten, für ihren Nationalismus, Militarismus und Antisemitismus ein perfekter geistiger Wegbereiter geworden. Sie propagierten ihn, seine Gedichte und sein Lied. Nach der Machtübernahme 1933 verschmolzen sie die erste Strophe seines Deutschlandliedes mit dem Horst-Wessel-Lied, dem Kampfgesang der SA. Hitler selbst beschrieb die Hymne als “das Lied, das uns Deutschen am heiligsten erscheint”.

Die Traditionslinie der Hymne hat damit gewaltige Untiefen. Bodo Ramelow mag die Debatte nur deshalb losgetreten haben, weil er eine Wahlniederlage fürchtet und über Effekthascherei wieder ins Gespräch kommen will. Doch er hat den Finger in eine historische Wunde gelegt.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Sebastian Weber / 16.05.2019

ALLE sind Nazis - die “achgut”-Autoren und -Leser sowieso. Also, ehrlich, allmählich geht es mir auf den ...

Wilfried Cremer / 16.05.2019

Die Hymne war schon immer wie das Singen für die Note in der Schule. Als dann auch noch Merkel sie geknödelt hatte, hat ihr das den Rest gegeben.

Frank Dieckmann / 16.05.2019

Ach Herr Weimer, nach Ihrer Lesart war sogar Schiller ein Nazi und Th. Körner sowieso. Und Angesichts der Geschichte, war der Franzosenhass absolut rational und war spiegelbildlich für die Deutschenverachtung der Franzosen. Nach der brutalen Besatzungszeit von 1806 bis 1813 durch die Franzosen war das glaube ich moralisch nicht verwerflich. Die Rückkehr von Barbarossa herbeizusehnen, ebenso. Nach 1848 war klar, daß die Reichseinheit nur über ein Kaisertum des preußischen Königs machbar war. Was Sie hier hingegen machen, ist das typisch Deutsche Problem: Selbsthass und Selbstverachtung auf die Historie projezieren.

B.Klingemann / 16.05.2019

Ich empfand es immer schon als dubios, dass man nur die dritte Strophe eines dreistrophigen Liedes zur Nationalhymne auserkort. Es ist entweder halbherzig oder inhaltlich aus dem Zusammenhang gerissen.

joachim Willert / 16.05.2019

Noch eine historische Wunde.  Das Lied der Franzosen endet mit ;  Quùn sang impure abreuve nos sillons,  ( auf daß das unreine Blut unsere Ackerfurchen tränke. Und die Engländer wollen gleich alle Meereswellen beherrschen. Der liebe Herr von Fallersleben hat wohl nur eine kleine Priese seiner Dichterkollegen entnommen. Eine martialere Strophe ist also längst überfällig. Munter bleiben.

Manni Meier / 16.05.2019

Nach Nolde ist jetzt eben Hoffmann von Fallersleben dran, Bin schon gespannt, wer als nächster “enttarnt” wird. All zuviele bleiben ja bald nicht mehr.

Jürgen Keil / 16.05.2019

Nur weil die Nazis dieses Lied kompromittiert haben, wie Franz Liszts Lés Preludes als Wochenschau- Erkennungsmusik übrigens auch, nun erneut nach einer neuen Hymne zu rufen, zeugt nur vom fehlenden Willen, Ereignisse und Personen im historischen Zusammenhang zu verstehen, historisch zu denken und Traditionen zu bewahren. Passt aber in die, bei Linken und Grünen aktuell übliche Moralisiererei.

Karl-Heinz Vonderstein / 16.05.2019

Ich glaub, alle Hymnen in Europa und wohl auch in Nord- und Südamerika und woanders sind mehr oder weniger von glühenden Nationalisten oder auch Freiheitskämpfern geschrieben worden und dass einer in Deutschland (und nicht nur hier) im 19.Jhr. auch ein richtiger Antisemit war und ein Franzosenhasser, ist (leider) nicht so ungewöhnlich gewesen für diese Zeit. Richard Wagner war auch ein Nationalist und fanatischer Antisemit.Trotzdem gibt es immer noch Bayreuth und seine Richard Wagner-Festspiele auf dem grünen Hügel, auch obwohl die Wagner Familie (Wagner Clan) im Dritten Reich Hitler herzlich willkommen hieß und ihn praktisch zu einem Familienmitglied machte.  Martin Luther wurde auch zum Antisemiten, weil er jüdische Geistliche nicht davon überzeugen konnte, zum christlichen Glauben überzutreten.Die lutherischen Kirchen gibt es immer noch in Deutschland und in der Welt. Ich glaub, Herr Ramelow stößt sich in erster Linie daran, dass in der Strophe vom deutschem Vaterland und der Einigkeit und dem Recht und der Freiheit und dem Glück nur der Deutschen gesprochen wird, was man ja aus seiner Zeit heraus auch gut verstehen kann. Damals gabs noch kein Multi Kulti, zumindest nicht in dem Ausmaß wie heute und die Gesellschaft hier war weitgehend noch homogen und seitdem hatten wir zwei Weltkriege und das Dritte Reich, von dem Herr Fallersleben noch nichts ahnen konnte. Eigentlich haben vorallem Nationalisten die modernen Staaten gegründet und aufgebaut und heute ist Nationalismus was böses und inakzeptabel, zumindest in einem Land wie das bunte, vielfältige, offene und tolerante Deutschland heute.

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