Liebe CSU, hier kommt ein kleiner, arg verspäteter Geburtstagsgruß, aber die Dinge sind ja ohnehin ein wenig untergegangen. Vielleicht freust Du Dich ja trotzdem. Und, keine Angst, singen werde ich nicht, das wäre für niemanden eine Freude. Zumal es im Moment ohnehin weitgehend verboten ist, spreading, super-spreading und so, Deine Chefs wissen da Bescheid.
Am 8. Januar bist Du 75 Jahre alt geworden. Das mit dem Gründungsdatum der Nachkriegsparteien in den westlichen Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg ist so eine Sache, vor allem bei dem Unionskram oder was später mal Union werden sollte. Du, liebe CSU, konntest auch im letzten Jahr schon feiern (ja, gut, das war auch in den locker-ungelockten Monaten nicht so richtig möglich, „digital“ ging da was), ein Alternativ-Entstehungsdatum (jaja, es gibt manchmal Alternativen, oder richtiger: andere Möglichkeiten) wäre da beispielsweise der 12. September 1945, hier gab es den Beschluss zur Gründung einer „Bayerischen Christlich-Sozialen Union“, oder der 11. Oktober 1945, an dem dieser Beschluss umgesetzt wurde. Der 8. Januar 1946 wiederum ist aus Deiner Geschichte aber auch nicht wegdenkbar. An diesem Tag erhielt Josef Müller von den Amerikanern die Lizensierung (Amerika musste sowas damals absegnen, glücklicherweise war da gerade kein Bös-Präsident im Amt), am selben Tag gab es auch eine gesamtbayerische Gründungsversammlung. Kleiner Tipp: Am 14./15. Dezember 1946 wurde das erste Grundsatzprogramm beschlossen, vielleicht hast Du hier einen weiteren Alternativgeburtstagstermin – und vielleicht ist ja Ende 2021 auch wieder eine so richtige Kracher-Party möglich.
Doch zurück zu Herrn Müller. Der wurde auch „Ochsensepp“ genannt, weil er als junger Mann Ochsengespanne gelenkt, also gearbeitet hat, mit den Händen. Studiert hat er allerdings auch, war Anwalt und wurde Dein erster Vorsitzender. So ganz fehlerfrei war er auch nicht, aber im Widerstand gegen die Nazis (wohlgemerkt: gegen richtige Nazis, und das erforderte tatsächlich sehr viel Mut). Das brachte ihn ins KZ und das Kriegsende hat er nur mit viel Glück überlebt. Um ein belastbares Rückgratkonto brauchte Müller sich demzufolge nicht zu sorgen.
Das Ende der Konkurrenz
Ein wenig kämpfen, liebe CSU, musstest Du am Anfang, in den ersten Jahren nach Deiner Gründung, mit Dir selbst. Die „Bayerische Heimat- und Königspartei“ (was es so alles gab!) war keine so richtige Konkurrenz, aber die „Bayernpartei“, das war dann eine längere Sache, Glücklicherweise kam es dann später zur „Spielbankenaffäre“, von der nur ganz böse Zungen behaupteten, Du hättest erstaunlich viel zu deren Aufklärung beigetragen. In dem Zusammenhang gab es auch eine Geschichte mit Deinem damaligen Generalsekretär Friedrich Zimmermann (der es unter Kohl dann bis zum Bundesinnenminister bringen sollte), den Zusatznamen „Old Schwurhand“ hatte er sich erarbeitet, irgendwas mit Meineid und einem anschließenden Freispruch, da er wegen Unterzuckerung zum Aussagezeitpunkt nur vermindert geistig leistungsfähig gewesen sei.
Gut, das war unschön, und Du hast Geburtstag, liebe CSU. Also erst einmal zurück zum Positiven: Du hast Dich zusammengerauft als Partei für beide christliche Konfessionen (das war am Anfang gar nicht so einfach, zum Beispiel der Herr Hundhammer, Alois mochte die Protestanten nicht so gern), konntest Dich zu einer richtigen Volkspartei entwickeln und hast, aber das war natürlich ein längerer Weg, es geschafft, Dich als modern und zugleich heimatverbunden, will heißen bayerisch-traditionalistisch aufzustellen. Irgendwie scheint das den Leuten gefallen zu haben. Nur zweimal gab es nach Kriegsende keinen CSU-Ministerpräsidenten, dies war jeweils der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner, der amtierte 1945/46 und 1954 bis 1957. In der Bundesregierung hattest Du – obwohl ja als Partei auf Bayern und Deine Bundestagsmandate beschränkt – unter Kanzler Kohl zeitweise bis zu sechs Ministerien. Und absolute Mehrheiten in Bayern von 1962 bis 2008, die Legislatur ab 2003 sogar mit – in der Bundesrepublik einmalig – zwei Dritteln der Sitze. Dann noch einmal von 2013 bis 2018… und dann gab es einen unschönen Fall. Bei der Bundestagswahl 2017 kamst Du auf Dein schlechtestes Ergebnis seit 1949… Mögen Dich die Leute jetzt nicht mehr?
Dabei warst Du immer so durchsetzungsstark, auch gegenüber der mitunter recht wenig geliebten großen Schwester CDU, mit der Du Dich partout – im Gegensatz zu allen anderen politischen Unions-Störungen im Nachkriegsdeutschland – nicht vereinigen wolltest. Waffenstillstand, Du in Bayern, die anderen überall sonst. Das Grundgesetz war Dir 1949 zu wenig föderal, der Landtag stimmte nicht zu, versprach aber, es anzuerkennen, wenn zwei Drittel der anderen Bundesländer zustimmen würden. Das nennt man Politik.
Ausbrechen aus Bayern wolltest Du bislang ernsthaft nur einmal (unernsthaft unzählige Male). Im Herbst 1976 machte sich Franz Josef Strauß in Wildbad Kreuth (übrigens: traumhaft gelegen!) für den Trennungsbeschluss stark, will heißen für die Auflösung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und den Einmarsch in die anderen Bundesländer. Die Drohung der CDU, sich dann in Deinem geliebten Bayern auszubreiten, tat allerdings Wirkung. Es blieb alles, wie es war.
Der Über-Übervater
Der Name deines zumindest bis zu seinem Tod prägenden und danach als Legende fortlebenden Über-Übervaters Franz Josef Strauß ist schon gefallen. Der war bekanntlich Minister im Bund, Landesvater (in dem Fall trifft das für andere Gestalten oft fälschlich verwendete Wort den Punkt) und über mehr als 25 Jahre Dein Vorsitzender. Bei seinem Tod 1988 wurden in Bayern echte Tränen vergossen. Strauß war nicht ganz frei von Affären, um es vorsichtig zu formulieren. Aber immerhin hatte er niemanden promillebeschwert „fahrlässig“ ins Jenseits befördert, war dafür verurteilt worden und ist danach noch Minister im Freistaat geworden, zuständig unter anderem für Verkehr. Wie so etwas geht, kann Otto Wiesheu erklären.
Etwas schwieriges Personal ist auch eine Frage, liebe CSU, die sich in der Gegenwart stellt. Ein so richtig gutes Bild geben Deine Minister nicht alle ab. Etwa die Herren Scheuer (bei dem die „Lösung Giffey“ übrigens funktioniert hat, seinen tschechischen Doktor-Titel, der nicht wegen Plagiats, aber wegen des Niveaus der Arbeit in der Diskussion stand, führt er einfach nicht mehr und niemand fragt mehr danach) oder Seehofer (bekannt für klare Ansagen und deren weniger klare konsequente Umsetzung in der Asylpolitik).
Bei der letzten Landtagswahl, es wurde oben schon einmal erwähnt, bist Du, liebe CSU, leider ganz heftig abgestürzt, unter Deinem Spitzenkandidaten Söder. Das ist der Mann, der zur Zeit sehr klar ansagt und sehr konsequent umsetzt, allerdings mehr gegenüber den schon länger hier Lebenden. Ob das ein guter Ansatz ist, um zu den von ihm erstrebten höheren Weihen zu kommen?
Zwei vergebliche Anläufe, liebe CSU, hast Du in Deiner Geschichte in Richtung Kanzleramt unternommen, einmal unter Strauß 1980, einmal unter einem Herrn Stoiber 2002, ein ganz anderer Typ als der barocke Franz Josef, nichtdestotrotz wird gemunkelt (und mehr geht da auch bei seriösen Forschern letztendlich nicht): Beide Mal wäre die Wahl gewonnen worden, gäbe es nicht außerhalb Bayerns zu viele Menschen, die grundsätzlich zur Union neigten, aber sich eben nicht dazu durchringen könnten, einen von Deinen Leuten zu unterstützen. Ein unlösbares Problem? Nicht unbedingt, auch wenn das Gesamtvolk nicht die Mehrheiten bringt, könnte der Herr Söder es zum Kanzler schaffen. Beispielsweise, wenn sich eine bekannte Frau nach langem Bitten doch noch einmal bereitfindet, ihr seit über anderthalb Jahrzenten andauerndes Werk noch ein ganz klein wenig fortzusetzen und dann etwa in der Mitte der laufenden Legislatur die Macht in jüngere Hände legen lässt. Da braucht man dann nicht mehr das Volk (das macht sowieso immer so viel falsch) zur Abstimmung, sondern lediglich den Bundestag. Und was man als Kanzler alles so veranlassen kann, Herr Söder, ein Traum! Dagegen sind FFP-irgendwas-Gesichtslappen nur Kindergeburtstag.
Aber das ist Zukunftsmusik, wenn auch nahe. Abschließend: Alles Gute, liebe CSU. Und Du siehst: Man muss es vielleicht nur etwas geschickt anstellen, die Kanzlerschaft ist aber drin.
P.S.: Liebe CSU, das aktuelle Buch des „Süddeutsche“-Reporters Roman Deininger über Dich („Die CSU. Bildnis einer speziellen Partei“, München: Verlag C.H. Beck 2020), kennst Du sicher. Es müsste Dir im Großen und Ganzen gefallen, Du kommst nämlich ziemlich gut weg.