Deutsche Politiker und Medien sind empört, weil sich Elon Musk erdreistet, die deutsche Politik zu kommentieren, und dann noch ausgerechnet die staatliche Finanzierung deutscher Migranten-Hilfsschiffe im Mittelmeer. Aber was genau war falsch an seinen Worten? Und was war nicht legitim? Die Einmischung in deutsche Politik? Die mischt sich doch auch überall ein.
„Ist sich die deutsche Öffentlichkeit dessen bewusst?“ So Musk in einem Retweet (es gibt noch keinen besseren Begriff dafür) eines Posts des Users „RadioGenoa“, in dem es hieß: „Derzeit befinden sich acht deutsche NGO-Schiffe im Mittelmeer und sammeln illegale Einwanderer ein, die nach Italien gebracht werden sollen. Diese NGOs werden von der deutschen Regierung subventioniert. Hoffen wir, dass die AfD die Wahlen gewinnt, um diesen europäischen Selbstmord zu stoppen.“
In bester deutscher Tradition des „Bahnhof“ Hörens und „Koffer klauen“ Verstehens macht die dünnhäutige Medienmeute daraus prompt die Unterstützung Musks für die AfD. Ja, schlimmer noch, nicht weniger als ein Wahlaufruf für die deutschen Schwefelbuben sei das gewesen. Das muss man sich in etwa so vorstellen: In Texas laufen gerade die Vorbereitungen von SpaceX für den Start der Mission „Crew7“, als ein aufgeregter Raketenmann in den Kontrollraum stürmt und seinem Meister zuruft „Meister, aber was ist mit den Wahlen in Hessen und Bayern? Da müssen wir uns doch kümmern!“ Eine Regionalwahl im fernen Deutschland umzudrehen? So was erledigt der Chef natürlich selbst. Ein Wunder, dass der Start der Falcon9 nicht verschoben wurde!
Doch was genau hat er eigentlich geschrieben? Wessen genau ist sich die deutsche Öffentlichkeit womöglich nicht bewusst? Dass die AfD eine Hoffnung sei? Dass deutsche NGO-Schiffe für den Transport von Migranten zwischen Afrika und Italien als Verkehrsmittel dienen? Dass es sich dabei durchweg um illegale Einwanderer und nicht um Asylberechtigte handelt? Dass deutsche Kirchen, Legislative und Exekutive auf verschiedenste Weise an der Finanzierung der Transporte beteiligt sind? Dass die Italiener nicht gerade glücklich sind über das bunte Treiben an ihren Küsten oder dass all die eben genannten Fakten weder umstritten noch interpretationsbedürftig sind? Außer das mit der Hoffnung natürlich, darüber lässt sich streiten.
Aus all diesen Interpretationsmöglichkeiten sucht sich das intellektuell vernagelte und politisch panische Medienprekariat jedoch ausgerechnet eine ausdrückliche Wahlempfehlung für die AfD heraus. Ja, das muss es sein! Spiegel, Zeit und Co. brüllen in schöner Gleichzeitigkeit getroffen auf. „Die Regierung in Rom wirft deutschen Organisationen vor, die irreguläre Migration nach Italien zu fördern. Nun ätzt auch Elon Musk gegen die NGOs – das Auswärtige Amt reagiert prompt.“ Heißt es im Spiegel, der auch zu berichten weiß, dass die „Postfaschistin Meloni“ ihre Taktik geändert habe und nun die deutsche Seenotrettung beklage. Aus Baerbocks Ministerium hieß es als Antwort schnippisch „Ja, das nennt man Leben retten“.
Schuldig durch Abbildung der Wirklichkeit?
Es folgen die üblichen Abwehrreflexe, wie wir sie seit der wunderbunten Silvesternacht von Köln ad nauseam um die Ohren gehauen bekommen. Es gäbe gar keine Pullfaktoren (keine Aussage darüber im Post von Musk), die NGOs seien nur für einen kleinen Teil der afrikanischen Übersiedlungen verantwortlich (auch diesbezüglich keine quantitative Aussage im Post von Musk), es gäbe keine Abstimmung mit den Schleppern, Studien bewiesen dies und das und Experten für Migration wüssten sowieso alles besser. Auch dazu haben weder Musk noch „RadioGenoa“ etwas behauptet. Die hastig hingeworfenen Texte in Zeit und Spiegel beweisen nichts, widerlegen nichts, machen aber jede Menge Lärm. Musk verbreite Verschwörungstheorien und teile Inhalte eines Accounts, der regelmäßig „rechtsradikale Inhalte“ verbreite. Ein Blick in den Telegram-Kanal von „RadioGenoa“ zeigt, dass es sich bei den Inhalten um eine meist unkommentierte aber sehr umfangreiche Videosammlung von sagen wir „Episoden“ handelt, wie das vor dem Ertrinken gerettete Afrika seit Jahren dem postfaschistischen Italien mit Knüppel, Faust, Stein und Gemächt die verordnete Buntheit einbläut. Das muss er sein, der neue Faschismus: Wer die Wirklichkeit abbildet, macht sich schuldig!
Stellt sich die Frage, ob Musk irgendeiner Lüge aufgesessen ist, als er den Beitrag teilte. Stimmt die Anzahl der NGO-Schiffe vielleicht nicht? Sind die Migranten gar nicht illegal? Sitzt ein Komma falsch oder gibt die Bundesregierung gar kein Geld an die Schlepper? Was sagt der faktencheckende Spiegel dazu, nachdem er seiner Empörung über die Einmischung Musks die Zügel schießen ließ und erklärt hat, die meisten Migranten schafften es heute ohnehin ganz ohne die Hilfe der Seenotretter an die Küsten Italiens? Wozu also die Aufregung über die paar Schlepperschiffe! Im letzten Absatz schließlich bestätigt man letztlich doch das Treiben der deutschen NGOs: „Die Bundesregierung vergibt durchaus Mittel an Seenotrettungsorganisationen. Es gibt dazu unter anderem einen Bundestagsbeschluss. Allerdings hatte Berlin bisher immer wieder versucht, auf die Befindlichkeiten in Italien Rücksicht zu nehmen.“
Also liegen Musk und der zitierte Post richtig. Und der Beschluss des Bundestages ist auch nicht gerade neu. Wo liegt also das Problem, der Welt stolz davon zu berichten, wo das deutsche Geld in fremden Vorgärten doch so viel Gutes tut? Man nähme sogar Rücksicht auf „italienische Befindlichkeiten“! Soll heißen, diese Italiener sollen sich mal nicht anstellen, aber man will auch nicht gerade die halbe Welt mit der Nase drauf stoßen, dass die Moralweltmeister in fremden Leben und Ländern herumquacksalbern. Und außerdem steht sicher irgendwo geschrieben, dass Seenotrettung immer und prinzipiell von Süd nach Nord stattzufinden hat. Was erlaube Postfaschisten!
Gespielte Demokratie
All das ist unseren Qualitätsmedien selbstredend völlig schnuppe, denn weil die Zensur bei X nicht mehr so narrativfest ist wie früher bei Twitter, hat man sich mehr oder weniger damit abgefunden, dass die überall entstehenden Bilder von der kulturellen Bereicherung Europas ihr entsetztes Publikum finden. Die meisten Europäer schaffen es zudem auch ohne Hilfe der Medien, die neue Diversität in den richtigen Kontext zum eigenen Leben und dem sozialen Zusammenhalt ihrer Länder einzuordnen. Das Problem ist, dass der Reichweitenkönig Musk einen Beitrag teilte, in dem die Worte „AfD“ und „Hoffnung“ im Sinnzusammenhang vorkommen, und das darf einfach nicht sein. Ist das nicht Wahlbeeinflussung und deshalb völlig unzulässig? Dagegen gibt es doch sicher ein Gesetz! Knecht Ruprecht der Eilfertige ruft gleich höhere Mächte zu Hilfe und fragt: „Was sagt eigentlich die EU dazu?“
Die Eignung von Kandidaten für politische Mandate festzustellen und Wahlempfehlungen abzugeben oder zumindest diesen Eindruck zu vermitteln, ist nämlich nicht die Aufgabe von amerikanischen Multimilliardären. Das erledigen moralisch saubere deutsche Politiker für den Rest der Welt. Ich würde ja meine amerikanische Flagge darauf wetten, dass deutsche Experten in Politik und Medien es kaum erwarten können, den US-Bürgern, den Polen, den Ungarn, den Österreichern oder den Brasilianern bei nächster Gelegenheit Anleitung zu geben und beim Ausfüllen von Wahlunterlagen behilflich zu sein. Nur bei den eigenen Demokratiespielen möchte man nicht so gerne Kommentare aus dem Ausland hören.
Dieser Text erschien zuerst auf Roger Letschs Blog unbesorgt.de
Roger Letsch, Baujahr 1967, aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog unbesorgt.de