Manfred Haferburg / 02.07.2019 / 15:30 / 23 / Seite ausdrucken

Mit zweierlei Maas

Bergpredigt 7.5 „Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.“

In der Nacht zum 6. Dezember 2007 brach im Turiner Stahlwerk von ThyssenKrupp ein Brand aus. Es kam dabei zu einem Rohrbruch, und heißes Öl ergoss sich über die anwesenden Arbeiter. Nur einer überlebte, sieben seiner Kollegen erlagen ihren Verletzungen, manche erst Wochen später unter fürchterlichen Schmerzen. 

Was war geschehen? Das Turiner Werk von ThyssenKrupp stand 2007 kurz vor der Schließung. Nach Ansicht der Anklage waren deshalb Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt worden. Das Management hatte wohl angenommen, dass es sich nicht mehr lohnte, in die Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen zu investieren. Vorhergehende Ermahnungen durch die italienischen Sicherheitsorganisationen waren daher nicht umgesetzt worden. So sollen in der Nacht des Brandes Feuerlöscher leer gewesen sein, und das Nottelefon soll nicht funktioniert haben. 

Die italienische Staatsanwaltschaft warf zwei deutschen und vier italienischen Managern vor, das Risiko eines Brandes "bewusst in Kauf genommen zu haben". ThyssenKrupp widersprach dem und wies auf eine "Verkettung unglücklicher Umstände" hin. Mittlerweile hat der Konzern allerdings die Hinterbliebenen mit insgesamt rund 13 Millionen Euro entschädigt. Außerdem versicherte ThyssenKrupp, die Ausbildung der Kinder der toten Arbeiter zu bezahlen.

Der deutsche Werkschef Harald Espenhahn wurde in erster Instanz zu 16 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, fünf weitere Angeklagte zu Haftstrafen zwischen 10 und 13 Jahren. Das galt als ein hartes Urteil, mit dem ein Exempel für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz statuiert werden sollte. Das Kassationsgericht, die höchste Instanz im italienischen Strafsystem, befand im April 2014, das Urteil sei unverhältnismäßig hart und ordnete eine Neuauflage des Prozesses an.

Die deutschen Verurteilten sitzen bis heute nicht ein

Insgesamt neun Jahre mussten die Angehörigen der Opfer auf ein definitives Urteil warten. Im Mai 2016 war es dann so weit: Das Kassationsgericht bestätigte diesmal die Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung. Espenhahn, ehemaliger Chef des Werks wurde zu 9 Jahren und 8 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, Priegnitz, damaliger Finanzchef von ThyssenKrupp, zu 6 Jahren und 3 Monaten.

Die italienischen Verurteilten traten die Strafen am Tag nach der Urteilsverkündung an. Allerdings haben die zwei deutschen Verurteilten bis heute ihre Strafe noch immer nicht angetreten – und das, obwohl das Urteil seit über drei Jahren rechtskräftig ist. 

Ausgeliefert nach Italien werden sie auch nicht. Den geltenden bilateralen Abkommen zufolge könnten die beiden Manager die Haftstrafe in Deutschland verbüßen – allerdings in dem Umfang, der in der Bundesrepublik für die entsprechenden Straftaten vorgesehen ist. Für fahrlässige Tötung sind das hier höchstens fünf Jahre.

Vor zwei Jahren verlor der italienische Justizminister Andrea Orlando die Geduld. Die Vollstreckung seitens der Deutschen dauerte ihm zu lange, weswegen er seinem deutschen Kollegen, dem damaligen Justizminister Heiko Maas, ein Schreiben zukommen ließ. Zwar handele es sich nicht um einen "offiziellen Schritt", ließ Orlando wissen, er wolle aber schon einen gewissen politischen Druck ausüben. Reaktion aus dem Hause von Heiko Maas – proprio niente. Aber man trifft sich im Leben immer zweimal. Heute ist Heiko Maas Bundesaußenminister. Und er twittert gerne, das hat er mit dem US-Präsidenten gemein. 

Das Ganze sieht nach einer Machtprobe aus

Nun wurde eine deutsche Staatsbürgerin auf der Insel Lampedusa verhaftet. Die „Kapitänin“ Carola Rackete hatte vergangene Woche das NGO-Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ mit mehr als 40 Migranten an Bord unerlaubt in die italienischen Hoheitsgewässer gesteuert. In der Nacht auf Samstag fuhr sie – ebenfalls trotz eines Verbots – in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa. Die italienische Staatsanwaltschaft wirft Rackete nun Widerstand gegen ein Militärschiff und Vollstreckungsbeamte vor. Rackete hatte sich nicht nur über Anweisungen hinweggesetzt, das Schiff hatte beim Anlegen in Lampedusa sogar ein kleines Schnellboot der Finanzpolizei zwischen Pier und dem 650 Tonnen schweren Bootskörper der Sea-Watch eingeklemmt, wobei sich Polizisten durch Sprünge an Land retteten. 

Zudem wird gegen Rackete wegen Beihilfe zur illegalen Migration ermittelt. „Es gab keine Notlage“, sagte der Staatsanwalt Luigi Patronaggio am Montagabend. Sea-Watch habe auch außerhalb des Hafens ärztliche Hilfe bekommen. Das Schiff hätte ohne Weiteres eine anderes Land anlaufen können. Aber Rackete erzwang die Einfahrt in den italienischen Hafen, obwohl selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wenige Tage vor dem unerlaubten Einlaufen in Lampedusa einen Eilantrag abgelehnt hatte, mit dem Schiff in Italien anlegen zu dürfen. Das Ganze sieht eher nach einer Machtprobe aus.

Einhellig ist die deutsche Politik über die Italienische Regierung in höchstem Grade empört. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagt: „Wer Menschenleben rettet, kann kein Verbrecher sein“, von einem EU-Gründungsstaat wie Italien erwarte Deutschland einen anderen Umgang mit solchen Fällen. (Dass er sonst andere Saiten aufziehen wird, bleibt unausgesprochen.) Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte Racketes „sofortige Freilassung“ und ein Ende der „unhaltbaren Zustände“. Der Grünen-Chef Robert Habeck kritisierte die Festnahme der Kapitänin der „Sea Watch 3“, Carola Rackete, scharf: „Die Verhaftung von Kapitänin Rackete zeigt die Ruchlosigkeit der italienischen Regierung und offenbart das Dilemma der europäischen Flüchtlingspolitik“.

Und natürlich erwartet auch der Bundesaußenminister Heiko Maas eine schnelle Freilassung der in Italien festgenommene Kapitänin der "Sea-Watch 3". Maas twitterte: „Aus unserer Sicht kann am Ende eines rechtsstaatlichen Verfahrens nur die Freilassung von Carola Rackete stehen." Das werde er Italien nochmal deutlich machen. 

Hoffentlich fragt dann nicht der Italienische Außenminister höflich nach dem werten Befinden der Herren Espenhahn und Priegnitz.

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Leo Hohensee / 02.07.2019

Ein aufgeblasenes Volk unsere Regierungsrepräsentanten, überheblich und selbstgerecht! Von einem anderen Land die Missachtung von Gesetzen zu VERLANGEN, das ist schon “unverschämt, das ist die Höhe” - der Ausdruck ist zu schwach - besser vielleicht “ist Missachtung hoheitlicher Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten - ist der Aufruf zu verbrecherischem Handeln!” Ich sehe folgende Lösung: Salvini muss die Forderung stellen, dass das gesamte Schleppertum und die gesamten Abläufe der “Menschenrettung”  EU-weit überprüft, aufgeklärt und überwacht werden und vorher werden die “geretteten Ertrinkenden” auf dem Schiff weiter vermittelt an aufnahmewillige andere Länder! (vielleicht ihre Heimatländer) Und gar nichts anderes! Rackete bleibt Angeklagte und auch solche auf dem Schiff, die bei der gewaltmäßigen Anlandung mit Gefährdung mitgewirkt haben, müssen angeklagt werden!

A. Mack / 02.07.2019

Ich würde sagen allein für den gefährlichen Eingriff in den Schiffsverkehr - vorsätzlich - um damit eine andere Straftat zu ermöglichen sind wir nach deutschem Recht schon bei mindestens! 1 Jahr Gefängnis. Nix mehr mit Geldstrafe “oder” Gefängnis sondern mindestens… Allein deswegen.

Andreas Rochow / 02.07.2019

Ein gutes (historisches) Gedächtnis zu haben und damit eine Erinnerung jenseits der politisch korrekt engen “Erinnerungskultur” zu pflegen, scheint den Herren Steinmeier, Maas und Habeck am A… vorbei zu gehen. Stattdessen flüchten sie sich in die gefährliche Inszenierung mit einer asymmetrischen Kriegerin, die meint, über dem Völkerrecht, dem Seerecht und dem deutschen Grundgesetz zu stehen. Insgesamt ein offizielles Verhalten deutscher Spitzenpolitiker, dessen Aggressivität etwas Kriegstreiberisches hat! Frau Rackete mit dem Habitus einer Möchtegern-Lara-Croft kann dieser Demonstration ihres Größenwahns die Gefährlichkeit nicht nehmen. In einer vernünftigen Realität müssten jetzt Ermittlungsverfahren, Gerichtsverfahren und gerechte Strafe folgen, allein schon deshalb, damit globalistische Menschenschlepper künftig nicht “gerettet” werden müssen. Was sagt eigentlich der UN-Sicherheitsrat dazu?

E Ekat / 02.07.2019

Völker, hört die Signale.  Die Mehrheit der Deutschen versteht unter Seenot-Rettung das Recht eines aus Seenot Aufgefischten, anschließend in einen Hafen seiner Wahl gebracht zu werden. Die Seenotrettung beinhaltet heutzutage eben weitere Komponenten der Fürsorge.  Das wird öffentlich so behauptet,  also wird es stimmen.  Eine Mehrheit der Deutschen, somit alle Parteien, die diese repräsentieren plädieren dafür, unsere Grenzen abzuschaffen.  Sofern Sie nicht über einen Flughafen ausreisen, stehen Kontrollen beim Grenzübergang schlicht der Würde des Menschen entgegen.  Die Mehrheit der Deutschen hat den Sozialstaat gründlich satt, sie will mit der restlichen Welt teilen und mit dieser vereinen. Deren in unserer Regierung, unserem Parlament sitzende Vertreter, NGOs, professionelle Lebensretter und Qualitäts-Medien markieren jeden, der sich dazu kontrovers aufstellt. Warten wir auf das letzte Gefecht.

Gebhard Blücher / 02.07.2019

Toller Artikel aber ein kleiner Fehler ist Ihnen unterlaufen. Sie erwähnen Präsident Steinmeier im Artikel. Der Link geht jedoch auf einen Artikel, der sich mit Peer Steinbrück und der Kavallerie-Attacke gegen die Schweiz beschäftigt.

H. Schmidt / 02.07.2019

Wenn ich M**s und Konsorten aktuell und auch vor Kurzem agieren sehe kommt mir mein Geschichtsunterricht bezgl. der NS Zeit wieder hoch. Da finde ich spontan parallelen zu Personen der damaligen Zeitgeschichte. Letzt Genannter u.a. erinnert mich ein bisschen an den damaligen Propaganda Minister. Der einzige Unterschied: Die aktuelle Person spricht leiser, während die Medien das leise Gesagte laut veröffentlichen. Es ist anders als früher aber nicht weniger ungefährlich. Langsam Zeit für den Widerstand, oder?

Heinrich Moser / 02.07.2019

Die “Friedensgemeinschaft” schlägt zu.

Michael Stoll / 02.07.2019

Es war und ist immer noch nichts anderes als eine Machtprobe zwischen einer fragwürdigen moralischen Überlegenheit und der Rechtsstaatlichkeit, ausgetragen von einer durch nichts legitimierten, aber durch die Medien mächtig gemachten NGO und dem italienischen Staat. Es geht nicht um die Flüchtlinge, es geht um die Frage, darf sich eine vermeintlich gute Sache über geltendes Recht hinwegsetzen? Ist dem wohlstandsverwahrlosten Mädchen reicher Eltern nicht bewusst oder egal, dass die leidgeplagte Bevölkerung Lampedusas die Konsequenzen der Schlepperaktionen ausbaden muss? Die Frage ist, erlebt diese Machtprobe jetzt eine Fortsetzung mit neuen Beteiligten, dem deutschen Staat (Herrschaft des Unrechts) und der italienischen Justiz? Diese “Rackete” könnte nach hinten losgehen, Schäuble zumindest hat sein Fähnchen schon in den sich drehenden Wind gehängt.

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