Mit den 10 Geboten die Schneeflöckchen retten

Monika Hausammann begegnet der Identitätspolitik mit einem Blick in die Bibel. Aber keine Angst: Ihr Buch ist keine bräsige Christenlektüre, sondern ein ganzer Atomschlag gegen die Moralisten des Gutmenschentums.

Wer zweifelt, glaubt bereits. Es hat ja immer etwas Spannendes, wenn zwei scheinbar unvereinbare Welten sich unerwartet in einer einzigen Person vereinen und so ist „Die große Verkehrung“ wie eine doppelte Hausammann: Libertär bis aufs Mark und dann doch einem unsichtbaren Gott wohlgefällig. Auf der einen Seite die bekannte freiheitliche Denkerin und Krimiautorin und doch bereit zur Unterwerfung unter jahrtausendealte Regeln eines Herrschers, dessen Existenz erst noch bewiesen werden müsste.

Mit großer Präzision, manchmal auch mit dem sprachlichen Hackmesser, zerlegt die Autorin nun aber die Phänomene der Gegenwart, ihre falschen Politiken, Wahrheiten und vor allem die nicht gehaltenen Versprechungen eines gottlosen Humanismus, der sich längst nicht nur zu einem Post-Humanismus, sondern wie sie es formuliert, zu einem In-Humanismus entwickelt hat. Was als Verheißung begann, prallt gerade auf den Trümmerhaufen.

Freiheit und Verantwortung – und zwar die ganz eigene. Es sind wiederkehrende Fundamente und die großen Thesen – aber auch die Rastlosigkeit – dieses Buches. Man möge sich vom Untertitel nicht abschrecken lassen, der als Instrument gegen den Zeitgeist das „biblische Denken“ formuliert und damit bei kirchlich Unbewanderten gedanklich auf die falsche Fährte einer verstaubten Bibelgruppe auf dem evangelischen Kirchentag führen könnte, dabei ist dieses Buch eher Hot Stuff.

Schonungsloser Faktencheck

Hausammann „begegnet“ niemandem, sie metzelt nieder, und zwar mit scharfem Gedankenschwert, all jene Schneeflocken und selbstmitleidigen Opfergruppen der aktuellen Identitätspolitik, dass es eine helle Freude ist. Und so wagt sie den schonungslosen Faktencheck einer Realität, die in neuen Opferkollektiven dem längst aufgegebenen „Ich“ der Neuzeit ein Heilsversprechen anbietet, das ein säkularer Staat, selbst wenn er wollte, nicht erfüllen kann. Schlimmer noch! Gar nicht erfüllen will. Eine gesellschaftliche Realität, in der Verwirrung und Krieg gegen die menschliche Würde und Person vom Mutterleib an bis zum Sterbebett hin nicht mehr nur Kollateralschaden, sondern längst Programm ist.

Wenn der Hirnforscher Gerald Hüther formuliert, viele Menschen würden deshalb krank, weil sie das, was sie krank macht, für etwas halten, das sie glücklich machen soll, trifft es aus anderer Perspektive recht gut die Analyse der Autorin über den gescheiterten Humanismus. Hausammann gibt nun auf die neuen Leiden des jungen Ichs die unmodernste Antwort, die man einem verweichlichten, sich selbst bemitleidenden, ständig verletzten, sich diskriminiert fühlenden, nach neuen Rechten und totaler Autonomie rufenden Gutmenschnachwuchs nur zurufen könnte: zurück zur Bibel und ihrer göttlich gestifteten Ordnung. Nicht, um sich zu unterwerfen, sondern um sich selbst zu retten. Die 10 Gebote als finaler Rettungsschirm. Da würden selbst die Griechen noch mal aufhorchen.

Und so ist dies Buch auch durchaus intellektuell anstrengend. Eines dieser Exemplare, die man aufrecht sitzend lesen muss, sind doch die Inhalte und Sätze derart komprimiert, dass es nichts zum Dahindämmern bei Nachttischlampenlicht ist. Eine Zumutung. Positiver formuliert, ein ernsthafter (An-)Stoß über die selbsterrichteten Gedankenbarrieren einer zunehmend ent-christlichten Gesellschaft, die einen Gott mit einer klar formulierten Gesellschaftsordnung längst in der Kategorie „hinderlich“, wenn nicht „unbrauchbar“ und wahrscheinlich auch toxisch-männlich einsortiert hat.

Bilanz zwischen zwei unterschiedlichen Heilsversprechen

Hausamman ruft also in diesem kleinen Buch in Erinnerung, welche (spirituelle) Ordnung die abendländische Kultur begründet und auch trotz allen Verfehlungen des mehr oder besser glaubenden Bodenpersonals über Jahrhunderte zusammengehalten hat. Aber auch, dass der Verfall auf allen Ebenen der Gesellschaft mit dem Vergessen dieser immerwährenden Ordnung durchaus im Gleichschritt marschiert. Nach wie vor gilt ja das alte Böckenförde-Diktum, wonach der freiheitlich-säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Es profitieren auch all jene, die mit unsichtbaren Göttern nichts anfangen können, davon, dass die Mehrheit des Abendlandes über Jahrhunderte hinweg glaubte, einer höheren Instanz als dem modernen Twitter-Tribunal einmal Rechenschaft ablegen zu müssen, und die Klügeren unter den Atheisten wissen das auch.

Normalerweise hasse ich es ja, wenn ein Autor sich nicht entscheiden kann, ob er ein Sachbuch, oder ein Missionswerk schreiben will, aber das Gute ist: Monika Hausammann ist gar nicht auf Mission, sondern stellt gegenüber. Eine Bilanz zwischen zwei unterschiedlichen Heilsversprechen, und das aktuelle hat jedenfalls ganz schlechte Karten. Nahezu nüchtern führt sie den Leser an das biblische Menschenbild heran, das im Vergleich zu jener politischen Dogmatik, die die It-Themen der Neuzeit dominieren (Klimagerechtigkeit, LGBT-Rechte, Corona-Freiheitsberaubung, BLM-Bewegung etc.), überraschend frei erscheint.

Der Gott der Christenheit stellt sein Volk vor eine Wahl und nicht an die Wand. Nicht jeder Corona-Impfgegner macht gerade mit seiner politischen Ordnung ähnlich tolerante Erfahrungen. Jeder ist bei diesem Gott frei, sich abzuwenden, zu gehen, sich zu verweigern. Trägt aber auch die Konsequenzen selbst. Diese Verantwortung für das eigene Handeln, die hier gefordert, aber auch gewährt wird, steht im Kontrast zu einem heutigen Politgeschehen, das dem Bürger allzu gerne im Namen einer „kollektiven Verantwortung“, einer „sozialen Gerechtigkeit“ oder gar im Namen einer Wohltat entrissen wird. Und nicht wenige geben sie inzwischen gar bereitwillig ab.

Freiwilliger Verzicht aufs Handeln

Im Ergebnis diagnostiziert Hausammann eine Welt, die an Sozialneid, Ohnmacht und selbstgewählter Unmündigkeit krankt und in der die neue Freiheit des ach so selbstbestimmten Bürgers nur noch darin besteht, keine Meinung zu besitzen, um auf keinen Fall falsch zu handeln.

Wenn man aber davon ausgeht, wie sie richtig seziert, dass jedes Denken bereits ein Handeln darstellt, wird der freiwillige Verzicht auf Handeln letztendlich auch zum Verzicht auf eigenes Denken. Und der Verdacht dieser Krankheit im Endstadium erhärtet sich ja bei nicht wenigen unserer tonangebenden Repräsentanten.

Dies Buch ist nichts für selbstgefällige Wohlstandskinder, auch wenn sie es am nötigsten hätten und nicht nur eine dieser neuen Mikroaggressionen, von denen man neuerdings so viel hört, sondern ein ganzer Atomschlag gegen die Moralisten des Gutmenschentums; riskiert es doch eine totale Provokation in einer auf ständigen Konsens ausgerichteten Welt. Das Angebot eines Lebens innerhalb der Ordnung eines liebenden Gottes bleibt aber genauso nüchtern stehen. Zwingt euch ja keiner. Just saying. Hausammann ist eine Radikale, darunter macht sie es nicht. Radikal kompromisslos und radikal ehrlich.

Die Triggerwarnung für ein Leben mit Gott-Option liefert sie am Ende gleich selbst mit: „Der Inhalt der Bibel ist nach heutigem Maßstab nichts Nettes, Angenehmes und schon gar nichts Verhandelbares. Wahrheit ist Wahrheit, Gott ist Gott. Punkt.“ Ja, Schwester, so ist es.

„Die große Verkehrung – Dem Humanismus mit biblischem Denken begegnen“ von Monika Hausammann, 2022, Fontis Verlag: Basel. Hier bestellbar.

Foto: Kerstin Pukall

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 08.04.2022

Herr Machan, Sie mutmaßen, dass das NT “sich Paulus ausgedacht hat, um bei den Griechen mehr Erfolg mit seiner Missionierung zu haben”. Was wäre denn Ihre Vorstellung von seiner tatsächlichen Mission? Bin gespannt.

Werner Arning / 08.04.2022

Wokes Gutmenschentum versus Christentum. Zeitgeist versus Fundament der westlichen Zivilisation. Oberflächlichkeit versus Tiefe. Verallgemeinschaftung versus Individuum. Überheblichkeit versus Demut. Selbstüberschätzung versus Einfachheit. Glaube an Menschenwerk versus Glaube an Gott. Aufklärung versus Mittelalter. Sozialismus versus Freiheit. Interessante Begegnungen allesamt.

Dirk Jungnickel / 08.04.2022

@ Frau Dr. Henker - Ch. Noll Man muß Selenskyj nicht lieben, aber wie Sie ihn hier abqualifizieren ist nur peinlich. Meinen Sie etwa, er hat sich diese Rolle ausgesucht ???  Wer sich einem Hitler- Stalin - Verschnitt gegenüber sieht, dem bleibt keine große Wahl. Diesem Verbrecher muß man widerstehen oder sich ausliefern. Er hat sich gottlob für Ersteres entschieden . Und vielleicht werden eines Tages Ihre Meinung auch Ukrainer lesen, die ihre Lieben und ihr Hab und Gut verloren haben.  Hoffentlich schämen Sie sich wenigstens dann !!!

Joerg Machan / 08.04.2022

@rne Ausländer. In der jüdischen Bibel (AT) gibt es zwei verschiedene Bezeichnungen für das, was die einfachen Christen “Gott” nennen: Elohim und JHWH (ha schem = der Name). Schon vor ca. 1000 Jahren hat der damals größte jüdische Kommentator, Raschi, darauf verwiesen, dass man Elohim als Richter oder Gericht verstehen muss. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zum “Gesetz”. Wenn Sie, wie viele Juden, dem folgen wollen, dann liest sich der erste Satz der Bibel sinngemäß so: Im Anfang schufen Naturgesetze die Welt/Erde ... JHWH gab dann dem Volk Israel die ethisch-moralischen Gesetze, wie die 10 Gebote etc. Dass der Messias von einer Jungfrau geboren wird ist übrigens ein Übersetzungsfehler vom hebräischen Original in die Septuaginta (LXX). Das lernt jeder (!) Theologe im ersten Semester ...

Marc Smeets, Ph. D. / 08.04.2022

Difficile est saturam non scribere.

Oliver König / 08.04.2022

Bibel? fragt das Schneeglöckchen, das war doch son Buch? Hat Greta das zugelassen? Was sagt Annalena dazu? Ist es vorschriftsmäßig gegendert?

Harald Unger / 08.04.2022

” -Als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn- heißt es in der Bibel. Das heißt nichts andres als: das Selbstbewußtsein hatte sich zu denjenigen Momenten erhoben, welche zum Begriff des Geistes gehören, und zum Bedürfnis, diese Momente auf eine absolute Weise zu fassen. - Gott wird nur so als Geist erkannt, indem er als der Dreieinige gewußt wird. Dieses neue Prinzip ist die Angel, um welche sich die Weltgeschichte dreht. Bis hierher und von daher geht die Geschichte.” Hegel · Philosophie der Geschichte

Jörg Nestler / 08.04.2022

Der Mensch nimmt eine Realität wahr, in der er lebt, denkt darüber nach, handelt entsprechend gedanklicher Schlussfolgerungen oder nach dem Gefühl. Die Wirklichkeit liefert Rückmeldungen, ob das Handeln erfolgreich war oder nicht. Das Ergebnis, was funktioniert oder nicht, kann man als Weisheit verbuchen. Damit hat man eine Basis, wie das Leben erfolgreich geführt werden kann. Das Problem ist: So könnte man als Heiliger oder Verbrecher leben. Was ist nun ethisch richtig? Wonach soll man sich richten? Man benötigt eine Grundorientierung, die einem Werte vermittelt. Doch warum sollen das die 10 Gebote sein? Es sind starre Regeln, die für das Leben nicht taugen. Wer daran glaubt, nur weil sie mit einem angeblich heiligen Buch und göttlicher Weisheit verbunden sein sollen, ist schon am Leben gescheitert, weil er vor sich selbst davonläuft, vor seiner Unwissenheit, seinem Unvermögen das Leben zu verstehen. Wenn Frau Hausammann die Gläubigen der Identitätspolitik zu Gläubigen der Bibel oder der 10 Gebote machen möchte, sehe ich den geistigen Fortschritt nicht. Gläubig zu sein, ist immer ein Fehler. Es führt kein Weg daran vorbei: Man muss das Leben verstehen. Man muss es selbst tun, niemand kann einem dabei helfen. Beim Verständnis des Lebens geht es nicht darum, Hand oder Fuß zu verstehen, sondern den menschlichen Geist, der das Leben wahrnimmt. Man mache sich einmal klar, was man jeden Tag geistig tut. Das geistige Leben besteht aus Denken und Gefühle haben. Eine wichtige Frage ist, ob Denken und Fühlen das Leben sind. Wie ist das Denken und Fühlen nach der Evolutionsbiologie zum Leben gekommen? Waren sie von Anfang an vorhanden oder sind sie später hinzugekommen? Was ist, wenn es etwas ohne Denken und Fühlen gibt, das immer vorhanden ist? Selbst ohne Informationen kann es etwas sein, was den Menschen eine Ordnung gibt, indem es ihn über das Erleben prägt. Man muss nur aufhören, es zu ignorieren, indem man Denken und Fühlen zur Ruhe kommen lässt.

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