Vera Lengsfeld / 26.07.2018 / 16:00 / 15 / Seite ausdrucken

Migration: Die Zurückgebliebenen werden vergessen

Wenn es Deutschland nicht gelingt, die chaotische Einwanderung zu stoppen und für eine Neuregelung zu sorgen, wird sich „die soziale Vielfalt so weit erhöhen, dass sie die gegenseitige Rücksichtnahme untergrübe“, sagt der britische Ökonom Paul Collier in seinem bereits 2016 erschienenen, hochgelobten Buch „Exodus – Warum wir die Einwanderung neu regeln müssen“. Er deutet damit in britischer Zurückhaltung auf die Möglichkeit von bürgerkriegsartigen Verwerfungen hin.

Collier hat sein Werk noch vor dem September 2015 geschrieben, in dem die Migration durch den einsamen Entschluss von Kanzlerin Merkel, auch Migranten ohne Papiere in Deutschland willkommen zu heißen, angefeuert wurde. Es beschäftigt sich eigentlich nur mit der regulären Einwanderung. Dennoch hat Collier eine Analyse und eine Alternative zu den politischen Fehlern, die Europa bei der Einwanderung macht, geliefert, die besonders auf Deutschland zutrifft.
 
„Eine Pflichtlektüre für jeden Politiker“, stellte der Deutschlandfunk fest. Aber so, wie es in Deutschland plan- und ziellos drunter und drüber geht, scheint kein einziger unserer politischen Entscheidungsträger Colliers Buch auch nur quer gelesen zu haben. Dabei würde es schon genügen, wenigstens die für die deutsche Ausgabe geschriebenen Schlussbemerkungen zur Kenntnis zu nehmen, in denen Collier auf die Merkelsche Grenzöffnung reagiert.

Deutschland habe mit einer „beispiellosen politischen Geste“ die „sonst üblichen rechtlichen Hindernisse beiseite geräumt“, konstatiert er. Und weiter: „Deutschland, so steht zu vermuten, hat die Konsequenzen seiner großzügigen Willkommensgeste nicht zu Ende gedacht. Als die Migration in Deutschland zunahm, hat die politische Reaktion darauf kaum der sorgfältigen Planung entsprochen, die man von einer gut verwalteten Gesellschaft wie der deutschen erwartet.“

Mit dem Türkei-Deal habe Merkel drei Milliarden Euro dafür geboten, dass die türkische Regierung die Weiterreise von Flüchtlingen verhindere. „Offenbar wollte Merkel erreichen „dass die Türkei auf einer frühen Etappe der Fluchtroute jene Hindernisse errichtet, die sie selbst auf der letzten Etappe niedergerissen hat. Nicht nur die ethischen Implikationen dieses Verhaltens sind, gelinde gesagt, verwirrend.“

Das Gros der Zurückgeblieben im Auge behalten

Das sagt ein linker Befürworter von Migration, kein rechter Flüchtlingsfeind. Collier spricht an keiner Stelle von einer „humanitären“ Aktion der Kanzlerin. Im Gegenteil. Er thematisiert ihre „zwiespältige Wirkung“ für die Syrer. Bei der Bewertung der Flüchtlingspolitik müsse man immer das Gros der Menschen im Auge haben, die im Land zurückgeblieben sind. 

Das internationale Prinzip, dass das Land, in dem die Flüchtlinge ankommen, für sie verantwortlich ist, existiert aus gutem Grund. Die Nachbarländer eines Krisenherdes sind nicht nur am schnellsten zu erreichen, von dort ist die Rückkehr, nachdem der Konflikt beseitigt ist, am leichtesten… Die Entscheidung Deutschlands, seine Grenzen für syrische Flüchtlinge zu öffnen, hat beide Grundsätze verletzt: Durch die Verkündung des neuen Prinzips, dass die Mitgliedstaaten der EU Flüchtlinge aus der Krisenregion aufnehmen müssen, hat Berlin unabsichtlich den Anreiz für die Nachbarländer Syriens verringert, Verantwortung für die Flüchtlinge zu übernehmen.“

Als noch verheerender sieht Collier,

„dass ein erheblicher Teil der syrischen Elite für immer nach Europa emigriert ist. Unabsichtlich hat die deutsche Regierung Syrien ausgerechnet jene Menschen entzogen, die es am meisten brauchen wird, um Wirtschaft und Gesellschaft wieder aufzubauen.“

Mehr noch:

„Ob die Syrer sich in die deutsche Gesellschaft integrieren oder eine unzufriedene Randgruppe bilden, hängt zu einem guten Teil von Entscheidungen der Bundesregierung ab. Auch in diesem Fall scheint … keine wirksame Strategie entwickelt worden zu sein.“

Diese Sätze sind Ende 2015 geschrieben worden. Heute, Mitte 2018, fehlt es immer noch an einer solchen Strategie. Es ist auch kein Bemühen zu erkennen, eine solche zu entwickeln. Alles, was wir bisher erlebt haben, sind Versuche nach dem Prinzip „trial and error“, deren Misserfolge konsequent totgeschwiegen werden. Von den „Nun-sind-sie-halt-da“-Menschen hat die Kanzlerin ihr freundliches Gesicht längst abgewandt.

Merkel und ihr Anhang tun immer noch so, als würde die möglichst unbegrenzte Aufnahme von „Flüchtlingen“ einen substanziellen Beitrag zur Lösung des eigentlichen Weltkonflikts bedeuten. Das ist ein schwerer Irrtum, der fatale Folgen für die aufnehmenden Länder haben kann.

„Migration der glücklichen Wenigen" 

Bei diesem Konflikt handelt es sich um den dramatischen Einkommensunterschied zwischen dem Westen und den Ländern der „untersten Milliarde“, wie Collier sie bezeichnet. Das wichtigste Ziel, dass die Länder aus denen die Menschen fliehen, wirtschaftlich zu uns aufholen, wird so nicht erreicht, sondern eher konterkariert. „Migration der glücklichen Wenigen ist kein Ersatz für die Konvergenz der Vielen“.

Billiger und effektiver wäre es gewesen, wenn man Ländern „wie Jordanien dabei geholfen hätte, die enorme finanzielle Last zu schultern“, die durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstanden ist. Man hätte in den Aufnahmeländern dafür sorgen können, dass sich den Flüchtlingen ökonomische Perspektiven eröffnen, die sie befähigen, mit optimaler Startposition in ihr Heimatland zurückkehren zu können.

„Finanzielle Hilfen, die man intelligent mit Handelserleichterungen kombiniert und mit sozial verantwortungsvollen internationalen Unternehmen umgesetzt hätte, hätten den Flüchtlingen an sichern Zufluchtsorten Arbeit und Hoffnung gebracht. Zugleich wäre eine Art syrische Nachkriegswirtschaft im Wartestand entstanden.“

Merkel-Deutschland hat sich stattdessen für ein rein humanitäres Modell entschieden, das sich darauf beschränkt, Flüchtlingen Unterkunft zu bieten und sie zu verpflegen, sie also zur Passivität zu verurteilen. Collier bezeichnet dieses Modell als „zutiefst unangemessen“. Auch das ist wieder sehr zurückhaltend ausgedrückt.

Europa moralisiert im Angesicht der Toten im Mittelmeer, die es, insbesondere Deutschland, indirekt selbst verursacht hat, indem es, Anreize bietet, in die europäischen Sozialsysteme einzuwandern, statt wirksam am Abbau der Einkommensunterschiede und der damit verbundenen ökonomischen Ertüchtigung der Länder der unteren Milliarde zu arbeiten.

Collier sagte bereits 2015 voraus, dass die europäische Politik auf Grund zahlloser in der Einwanderungspolitik getroffener Fehlentscheidungen in eine Phase der Panik eintreten wird. Er schließt: „Dies, fürchte ich, ist eine treffende Beschreibung dessen, was wir gegenwärtig erleben.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Paul Collier: Exodus

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Dirk Jungnickel / 26.07.2018

Sicher ein kluges Buch, das der Ökonom Paul Collier verfasst hat.  Abgesehen davon, dass der Anreiz zur Migration mit möglichst einleuchtenden Argumenten in den Herkunftsländern verringert werden muss, sollte man doch nicht vorwiegend ökonomische Überlegungen anstellen.  Der Bevölkerungsexplosion in Afrika und Vorderasien - eine der Ursachen für die wirtschaftliche Stagnation - kann nur mit Bildung und Aufklärung begegnet werden.  Zumeist gelten noch zahlreiche Kinder als wohlhabend und als Altersversicherung.  Nicht nur ein besseres Sozialsystem könnte Abhilfe schaffen, auch in den Köpfen- vor allem der Männer - muss ein Umdenken erfolgen. Promiskuität z. B.  sollte nicht mehr als Normalität empfunden werden. Auch das gehört zur Bildung, die auch andere Vorurteile abbauen könnte. Das alle braucht Zeit, aber mit Massenmigration sind die Probleme wahrlich nicht zu lösen.

Andreas Geisenheiner / 26.07.2018

Paul Colliers “Exodus” haben wir in der AfD bereits Ende 2014 gelesen und seine Erkenntnisse flossen in unser Grundsatzprogramm. Besser als bei Sarrazins “Deutschland schafft sich ab” gelang es den herrschenden Kräften mittels Schweigespirale Colliers Fakten- er ist geradezu faktenversessen- unter dem Tisch zu halten. Insbesondere die Moralinstitutionen -vornehmlich auch die Amtskirchen - verschwiegen es bislang komplett. Vorzuwerfen ist das aber auch den noch Lesefähigen unter den Gebildeten. Wer von denen, die das Thema gerne strapazieren, bitte, hat es im Regal stehen oder gar studiert? Es erschien 2013. Von gleichrangigem Wert ist übrigens auch   Konrad Ott’s “Zuwanderung und Moral”.

Frank Box / 26.07.2018

“Die Zurückgebliebenen” wollen wir uns jetzt mal genauer anschauen. Beginnen wir zunächst mit einem Experiment, was Forscher im 20.Jahrhundert durchführten. Sie setzten auf einer Insel, auf der es bisher keine pflanzenfressenenden Säugetiere gab, Rehwild aus. Die vermehrten sich solange, bis die Insel vollständig kahlgefressen war. Dann brach die Population zusammen, fast alle verhungerten. Nur die Allerstärksten überlebten. Da nun nicht mehr sofort alles abgefressen wurde, konnte sich die Vegetation erholen. Und auch das Rehwild vermehrte sich wieder. Nun - werte Leser - sie ahnen es schon: Das ganze Spiel begann von neuem! Nun ist es leider so, dass wir Menschen uns genauso verhalten, obwohl Menschen - im Gegensatz zu Tieren - über den notwendigen Verstand verfügen, um die Folgen ihres Handelns zu erkennen. TUN SIE ABER NICHT !!! Auch Menschen vermehren sich unkontrolliert, und kommt dann eine schlechte Ernte, dann sterben jedesmal die Schwächsten. Die Stärksten verlassen das Land und versuchen woanders ihr Glück. Es ist ein Irrglaube, zu denken, dadurch den Daheimgebliebenen zu helfen, indem wir diese Leute alle aufnehmen. Liefern wir Nahrungsmittel in Gebiete, wo schon mehr Menschen leben, als das Land ernähren kann, verkürzen wir nur den Zeitraum bis zur nächsten Hungerkatastrophe mit dem darauffolgenden Exodus der Überlebenden. Nur Zwang könnte diese Menschen dazu bringen, ihre Geburtenrate dauerhaft zu senken. Wer wollte den ausübern? Wer ihn verantworten? Dankbarkeit wäre jedenfalls keine zu erwarten!

Sabine Schönfelder / 26.07.2018

Herr Karim aüßerte sich in ganz ähnlicher Art und Weise und wies darauf hin, daß die Unterhaltszahlungen für einen Flüchtling den deutschen Staat in einem Monat soviel kosteten,  wie eine syrische Großfamilie in einem syrischen Anrainerstaat innerhalb des gleichen Zeitraums zum Überleben bräuchte. Praktische Intelligenz und logische Zusammenhänge zeichneten noch nie Merkelsche Politik aus. Sie läßt die Dinge auf sich zukommen und entscheidet dann, wie sie am aussichtsreichsten an der Macht bleiben kann , und dazu ist der linke Agitprop-Apparat unerläßlich. Sie äußert sich ausschließlich im Sinne grün-linker Politik( Özil,klasse Spieler), dafür schreibt Ulrich von der ‘Zeit’ eine Ode an die Kanzlerin. Für Argumente und eine vernünftige Einwanderungspolitik ist sie ebenso wenig empfänglich, wie ihre gläubige Anhängerschaft.  Hinsichtlich der Zurückgebliebenen hat Merkel mit ihrem Türkeideal dafür gesorgt, daß auch wir noch jede Menge ‘Zurückgebliebene’ von dort bekommen.

Marcel Seiler / 26.07.2018

Paul Colliers Buch Exodus kann ich ebenfalls nur empfehlen. // Die Idee, die Merkel’sche Politik der Immigration derer, die den Darwinismus der Migrationsrouten überstehen, sei irgendwie “human”, ist lachhaft. Diese Politik nützt weder den Auswanderer- noch den Zielländern; sie ist nicht einmal gut für die meisten Migranten. Man muss sich von den auf das Gemüt zielenden Bildern einzelner Migranten lösen und sich die Gesamtsituation mit Vernunft ansehen, um das zu erkennen. Die herrschende Klasse in Deutschland will das nicht.

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