Meine E-Mail an die Anti-Diskriminierungsstelle:
Sehr geehrter Herr Franke,
ich bin seit längerem einigermaßen entsetzt über die regelrechte Stigmatisierungswut, die insbesondere von den etablierten Medien betrieben wird. Sie unterscheidet sich von der sogenannten „Hatespeech“, die auch in Teilen des Internet zu finden ist, dadurch, dass die Begriffe auf den ersten Blick eher beschreibend als emotionalisierend daherkommen, im Effekt aber stets ein erhebliches Maß an Stigmatisierung zurücklassen.
Ein Beispiel sei hier genannt und zwar aus dem Merkur vom 17. Mai: Zu den Demos gegen die Corona-Maßnahmen wird gleich im Titel die Frage gestellt: „Verschwörungstheorien ‚bis in die Mitte‘?“ Nebenbei: Das erinnert schon wieder an den Gastkommentar des Politikwissenschaftlers Klaus Schroeder im Tagesspiegel: „Überall Chauvinisten – Die Mitte des Landes wird als rechtsextrem diffamiert“ – ist erschienen vor zehn Jahren (!), so lange schon lässt man dieser Stigmata-Impfung der Gesellschaft freien Lauf.
Der Merkur erwähnt in seinem Artikel zwar auch „Menschen, die einfach nur ihre Sorge um Grundrechte artikulieren wollen“. Gleich im Anschluss wird dann postuliert: „Politiker vieler Parteien warnen eindringlich, krude Theorien könnten nun bis in die Mitte der Gesellschaft vordringen.“ Im Weiteren sind dann nur die rechtslastigen Gruppierungen wie „Widerstand 2020“ oder „Pegida“ fett gedruckt. Warum sind stattdessen nicht die „Menschen, die einfach nur ihre Sorge um Grundrechte artikulieren wollen“ fett gedruckt? Die Redaktion hat hierfür eine Entscheidung treffen müssen – was wohl war ihre Motivation? Weiter unten lässt der Merkur dann einen Soziologen zu Wort kommen: „Denkbar sei aber, dass das populistische Projekt demnächst von rechten Strukturen ‚übernommen‘ werde.“ Im ZDF erklärte er: „Wissenschaftsfeinde treffen auf Verschwörungstheoretiker, Rechtspopulisten und linksesoterische Impfgegner.“ Die „Wissenschaftsfeinde“ und „Rechtspopulisten“ sind wieder fett gedruckt. Dann wird die Berliner Innenverwaltung zitiert: Es fänden sich auch „vereinzelte Rechtsextremisten, NPD-Mitglieder, Verschwörungtheoretiker, Impfgegner und Esoteriker“ (alle fett gedruckt). So ähnlich geht es dann weiter, auch anderswo.
Es ist Ihnen sicherlich bekannt, dass die Stigmaforschung aus den 1970er Jahren Hand in Hand lief mit dem Aufbau der Antidiskriminierungsarbeit. Den Begriff „Stigma“ hat Erving Goffman (1967) in die soziologische Debatte eingeführt. Er beschrieb damit „eine Eigenschaft einer Person, ‚die zutiefst diskreditierend ist‘.“ Ein Individuum „besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, dass wir uns bei der Begegnung ... von ihm abwenden.“ Es gehe zuvorderst um die negative Definition des Merkmals oder dessen Zuschreibung, die den Ausschluss eines Individuums von sozialer Akzeptierung und gesellschaftlicher Teilhabe bewirkt. Aus der Stigmaforschung weiß man auch: Stigmata können, falls sie zu eigen gemacht werden, das diskreditierte Verhalten geradezu hervorrufen – sie leisten also Vorschub. Weiter heißt es in der Fachliteratur: „Auf der Grundlage eines Stigma tendieren die ‚Normalen‘ dazu, weitere Unvollkommenheiten und negative Eigenschaften als Generalisierungen zu unterstellen.“
Es ist also nicht neu, was hier passiert. Man hätte dennoch meinen können, inzwischen weiter zu sein angesichts der Summen, die für Antidiskriminierungsarbeit ausgegeben werden. Meiner Ansicht nach ist der größte Fehler gewesen, dass man erstens die Antidiskriminierungspolitik der parteipolitischen Vereinnahmung ausgeliefert hat und zweitens, dass man von der Herausforderung, Überzeugungsarbeit im direkten Kontakt mit den Menschen zu leisten, abgewichen und stattdessen dazu übergegangen ist, zwischenmenschlich zu leistende Arbeit von der Jurisprudenz erledigen zu lassen. Strafen statt überzeugen – geradezu eine Umkehrung der ursprünglichen Antidiskriminierungsidee. Man sieht jetzt, wohin das führt: zu einem stigmatisierungswütigen Klima, das (häufig sehr viel differenzierter denkende) Individuen provoziert sowie die Gesellschaft einerseits aufwiegelt und andererseits über das sozialverträgliche Maß hinaus spaltet.
Ich finde, es läge an Ihnen als kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, hier endlich mal ein Stoppschild zu setzen und jenseits politischer Präferenzen zur Versöhnlichkeit beizutragen – da das ja sonst niemand tut. Über eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit Ihrerseits würde ich mich ebenso freuen wie über eine Antwort.
20.5.2020
Antwort des Pressesprechers
Sehr geehrte Frau Baumstark, Herr Franke hat mich gebeten, Ihnen für Ihre E-Mail zu danken und Ihnen zu antworten. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine Beratungsstelle für Menschen, die im Arbeitsleben oder bei Alltagsgeschäften benachteiligt werden. Sie verfügt aus grundsätzlicher Erwägung des Gesetzgebers heraus – dem Schutz der Medien vor staatlichen Eingriffen – über keinerlei Kompetenzen und Befugnisse, Meinungsäußerungen oder Nachrichten in den Medien zu bewerten. Dafür sind in Deutschland bei Zeitungen und Zeitschriften die Selbstkontrollorgane (Deutscher Presserat), beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Gremien und beim privaten Rundfunk die Medienaufsicht der Länder zuständig. Darf ich Sie bitten, sich mit Ihrem Anliegen dorthin zu wenden?
21.5.2020
Meine Rückantwort
... ich danke für die schnelle Antwort, möchte aber noch anmerken, dass auf Ihrer Website zum Punkt „Öffentlichkeitsarbeit“ steht:
„Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes setzt sich dafür ein, eine diskriminierungsfreie Gesellschaft zu schaffen ... sowie das Wissen über verschiedene Formen von Benachteiligungen zu erweitern ... das Bewusstsein für Gleichberechtigung als Menschenrecht fördern, die Vorteile einer diskriminierungsfreien Gesellschaft herausstellen.“
Schade, dass Sie sich nur auf die Klein-Klein-Aspekte fokussieren. Es geht mir ja nicht in erster Linie darum, dass Sie die Medien bewerten, sondern im oben zitierten Sinne agieren und dabei herausstellen, dass die Berichterstattung eine stigmatisierungsfreie Sprache zu verwenden hat, sofern man eine möglichst diskriminierungsfreie Gesellschaft haben möchte. Vielleicht möchte sich Herr Franke vor diesem Hintergrund überlegen, ob er sich doch noch diesbezüglich einbringt?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.