Nico Hoppe, Gastautor / 28.07.2020 / 06:00 / Foto: Pixabay / 50 / Seite ausdrucken

Mehr Derbheit wagen!

Wo zu recht ein zunehmend illiberaler Umgang mit nonkonformen Ansichten beklagt wird, scheint zugleich kaum ein Wille vorhanden, sich mit den Ideologien, die dem Zensurwahn zugrundeliegen, auseinanderzusetzen. Stattdessen dominiert das Bedürfnis nach aufgeweichten, sedierten Debatten.

Es ist eine Entwicklung, die wenig überraschend ist: Angesichts einer immer wahlloseren Unnachgiebigkeit gegenüber Wortäußerungen, die nicht dem politisch korrekten Mehrheitsgeschmack entsprechen, melden sich nunmehr öfter weltweit bekannte Intellektuelle zu Wort. Jüngst geschah das durch den sogenannten „Open Letter on Justice and Open Debate“, der jene Tendenz zur moralisierenden Gesinnungsprüfung vor allem kritisierte, weil diese oft mit öffentlichkeitswirksamer Beschämung und Ausgrenzung bis hin zum Jobverlust einherginge. Unterschrieben war der Offene Brief neben einer Unmenge namhafter Professoren unter anderem auch von Salman Rushdie sowie J. K. Rowling. Letztere wurde in den vergangenen Monaten beispielsweise immer wieder als transphob diffamiert, weil sie in einigen Tweets auf der Existenz zweier biologischer Geschlechter beharrte.

Den 153 Unterzeichnern ging es also um Meinungsfreiheit und um gegenseitige Toleranz in Diskussionen, in denen sich fortan jene zu behaupten scheinen, die sich ihrer Sprecherposition, ihrer Privilegien und ihrer im Mittelpunkt jedes Denkakts stehenden Identität besonders bewusst sind und in denen Kritik längst durch das Führen autoritärer Kampagnen gegen Abweichler und in Ungnade gefallene Einzelpersonen ersetzt ist. Die Autoren sprechen von „schweren Vergeltungsmaßnahmen“ gegenüber denen, die die politisch korrekten Dogmen vermeintlich oder tatsächlich verletzen und so zur Strafe für die Konsensstörung unter Zensur, Repressalien und Entlassungen zu leiden hätten. Demokratische Teilhabe und ein „Raum für Experimente, für Wagemut und auch für Fehler“ sei dagegen wieder starkzumachen.

Worüber man lieber schweigt

Zwar scheint in Aussagen wie „Schlechte Ideen besiegt man, indem man sie entlarvt, durch Argumente und Überzeugungsarbeit, nicht durch den Versuch, sie zu verschweigen oder von sich zu weisen“ immer noch ein aufklärerischer Impetus durch, der den Vertretern der postmodernen Moralhoheit abgängig sein dürfte. Dennoch wird nirgendwo auch nur der Versuch unternommen, die Kritik zu konkretisieren oder zumindest zu fragen, wo all die zu recht bemängelten Entwicklungen ihren Ursprung haben. Dafür müsste sich mit einem Antirassismus auseinandergesetzt werden, der bei Black Lives Matter und anderswo drauf und dran ist, das kleinkarierte Bewerten von Menschen nach ihrer Hautfarbe – unter umgedrehten Vorzeichen – wieder salonfähig zu machen, indem das ehemals im Namen der westlichen Zivilisation zurückgedrängte Geburtsrecht nun erneut zum obersten Kriterium erhoben wird.

Aber auch der wild gewordene Moralismus, der sich im Bedürfnis des progressiven Milieus verdichtet, über den nicht zur integren Avantgarde gehörenden Pöbel zu richten und zu walten, müsste erst einmal klar benannt werden. Das heißt, dass unausgesprochene postmoderne Dogmen, wie der neoprotestantische Glaube, dass das Private deskriptiv immer politisch sei und deswegen normativ permanent durchleuchtet und nach Verwerflichem abgesucht werden müsse, auf den Prüfstand zu stellen sind.

Stattdessen lesen sich vereinzelte Passagen des Briefes, als kämen sie aus einer x-beliebigen, für ein friedliches Miteinander werbenden Sonntagsrede. Dazu passt, dass der „Open Letter on Justice and Open Debate“ nicht ohne unangenehme Anbiederungen auskommt, wenn zu Beginn von rechten Demagogen und Donald Trump die Rede ist, von denen man sich selbstverständlich pflichtschuldig abgrenzt, als wäre das im Rahmen eines Briefes, welcher ganz direkt die auf Renegaten schielende Atmosphäre im linksliberal dominierten Kultur-, Medien- und Universitätsbetrieb thematisiert, nötig.

Polemische Debatten sind eben nicht das Problem

„Uns gilt eine kernige, mitunter bissige Gegenrede viel“, heißt es im „Open Letter on Justice and Open Debate“, und man möchte beinahe erleichtert aufatmen, denn: Ist es nicht ansonsten eines der zentralsten Merkmale gegenwärtiger Kritik an politisch korrekter Debattenbeschneidung, dass ein grundlegend fairer, auf Augenhöhe geführter und sachlicher Dialog gefordert wird?

Dabei sind aufgeheizte, polemische Debatten eben nicht das Problem. Gerade die Konfrontation des gegnerischen Arguments, sowie teils die absichtliche Provokation sind erst die Bedingung dafür, dass die Diskussion nicht zur versöhnlichen Aussprache oder zum einschläfernden Stuhlkreis schrumpft. Geschieht das doch, wird bewusst in Kauf genommen, dass ein Disput, in dem Doktrin und Standpunkte noch hinterfragt werden, von ich-schwachen Narzissten nur noch als grob verletzende Angelegenheit wahrgenommen wird.

Die Debatte über Intoleranz, Meinungsfreiheit und moralischen Absolutismus erweckt den Eindruck, es gäbe nur die Alternative zwischen einer verdorbenen Auseinandersetzung, die schließlich in Verleumdung und Anschwärzung endet, oder einem harmonischen Beisammensein, an dessen Ende Kompromisse und Heiterkeit stehen.

Ein toleranter Umgang dagegen schließt eine harte, kompromisslose und dadurch womöglich erst fruchtbare Diskussion nicht aus: Gerade der prüde, provinziell erscheinende Versuch, jede Debatte behutsam zu betreuen, schließt fehlenden Respekt für die Gegenseite zwangsläufig mit ein. Ihr wird schließlich nicht zugetraut, einstecken zu können oder eine spitze, harsche Aussage auszuhalten.

Auf den Sozialtypus der allzeit potenziell beleidigten, personifizierten Zartheit hat demnach leider nicht nur die linke Seite ein Patent. Denn einigen kann man sich augenscheinlich überall, dass die Kontroverse – egal, ob die vermeintlich diskriminierende Entgleisung oder eben die verbale Konfrontation – zu verschwinden hat. Solange die Kritik an der sich totalisierenden Postmoderne weiter auf der Stelle tritt und sich vor allem selbst bemitleidet, anstatt sich entsprechend derb an der ideologischen Borniertheit ihrer Gegner zu reiben, ist der Siegeszug der identitätspolitischen Gegenaufklärung wohl kaum aufzuhalten.

 

Alle Zitate im Text aus der deutschen Übersetzung des Offenen Briefes sind unter diesem Link zu finden.

Nico Hoppe ist freier Journalist und Autor und schrieb bisher u.a. für die NZZ, die Jungle World und den Standard.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

R. Kuth / 28.07.2020

Es soll doch gar nicht “debattiert” werden. Wir sollen doch alle die gleiche und richtige (!) Meinung haben, damit erledigt sich das von selbst - und alle sind ganz doll glücklich. Die nicht integrierten Immigranten sind da außen vor, umkreisen uns und machen komplett ihr eigenes Ding, die dürfen das aber.

beat schaller / 28.07.2020

@Sabine Schönfelder, Danke! wieder ein richtiger Treffer! b.schaller

beat schaller / 28.07.2020

<<< Dazu passt, dass der „Open Letter on Justice and Open Debate“ nicht ohne unangenehme Anbiederungen auskommt, wenn zu Beginn von rechten Demagogen und Donald Trump die Rede ist, von denen man sich selbstverständlich pflichtschuldig abgrenzt, als wäre das im Rahmen eines Briefes, welcher ganz direkt die auf Renegaten schielende Atmosphäre im linksliberal dominierten Kultur-, Medien- und Universitätsbetrieb thematisiert, nötig.<<< Der Brief scheint wohl von einigen gut gemeint zu sein, aber ich glaube, dass es genau diese Einschränkungen sind, die wir ja nicht nur hier immer und immer wieder um die Ohren gehauen bekommen, die eine echte Debatte und Meinungsfreiheit verhindern. Ist es nicht auch ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass es eben Intellektuelle sind, die gemeinsam aus der linken Ecke zu Vernunft aufrufen und keiner- oder nur einzelne von ihnen den Mut hätten, sich alleine kritisch zu solchen Themen zu äussern? Natürlich sind auch Professoren im System eigebettet und in vielen Beziehungen abhängig von eben diesem System. Der Mut nimmt jeweils mit dem Alter zu, das heisst, wenn die Abhängigkeit nicht mehr existentiellen Schaden hervorbringen kann. Es fehlt wie immer am Mut, an Zivilcourage und es ist eben auch eine ganz spezielle Art von Korruption, die da im Hintergrund wie ein Schatten wirkt. Abhängigkeit ist eben eine eigene Art von Korruption. Danke für die Gedanken Herr Hoppe. b.schaller

Rolf Lindner / 28.07.2020

Allein die Nachrichten heute Morgen zeigen allzu deutlich, in welchem Land wir leben müssen. Coronazwangstests für Urlaubsheimkehrer aus teilweise willkürlich festgelegten Risikoländern, die der oberste Schwanzeinzieher der Freiheitlichen auch noch von den Getesteten bezahlen lassen will, obwohl 80 % der positiv Getesteten aus Nichtrisikogebieten kommen. Ein Rentnerehepaar, das in seiner Ferienwohnung auf Rügen nach dem Start des Lockdowns wohnen blieb, soll 25 000 € Strafe zahlen, während ein betrunkener, führerscheinloser, mit einem wahrscheinlich gestohlenen SUV und überhöhter Geschwindigkeit um die Ecke brausender Kosovare, dabei drei Menschen schwer verletzend, auf freien Fuß gesetzt wird, weil es keine Haftgründe gibt. Ich war sehr froh, als das Kapitel DDR 1.0,  - wenn auch mit schweren, zukunftsbelastenden Fehlern - 1989 erst einmal abgeschlossen war. Man kann nicht wissen, was alles noch passiert wäre und ich möchte das Original keineswegs zurück haben, aber diejenigen, die den derzeitigen Zustand Deutschlands als DDR 2.0 bezeichnen, sollten sich überlegen, ob der z.Z. dominierende Irrsinn so eine Zuschreibung rechtfertigt. Der Autor des Artikels bezeichnet die Kreise, die diesem Irrsinn huldigen, als progressives Milieu und möchte mit denen argumentativ harte Debatten führen. Ich kann jedoch keine wie auch immer geartete Debatten mit Menschen führen, die keine Argumente haben und jedes wirkliche Argument mit ihren verlogenen Moralkeulen erschlagen und allein schon deshalb keine Debatte zulassen können. Wir brauchen einfach mehr mutige Menschen, die die Dinge beim Namen nennen, z.B. den politisch Korrekten: Ihr habt einen an der Klatsche.

Harald Unger / 28.07.2020

“Die Debatte ... erweckt den Eindruck, es gäbe nur die Alternative zwischen einer verdorbenen Auseinandersetzung, ..., oder einem harmonischen Beisammensein, an dessen Ende Kompromisse und Heiterkeit stehen.” Jetzt würde ich gerne Nico Hoppe fragen, ob er damit die Grundsatzrede des selbsternannten Führers der Global Governance, Xi ‘Covid’ Kingpin, vor genau zwei Jahren in Beijing, anspricht. Dort hatte Xi “das Zeitalter der Harmonie” verkündet und “Förderung der Harmonie in der Welt durch Chinas Belt and Road Infrastrukturprojekt” befohlen.

Jens Frisch / 28.07.2020

Der US-amerikanische Kabarettist George Carlin hat das ganze Problem bereits in den 1990´er Jahren benannt: “Political correctness is fascism pretending to be manners.”

Peter Holschke / 28.07.2020

Mit Kommunisten, Ideologen und Faschisten läßt sich nicht debattieren, weil diese per se nicht daran interessiert sind. Sie sind auf Ver-nicht-ung aus. Ein Jude könnte in Auschwitz nicht mit dem SS-Mann diskutieren, weil der das nicht gewollt hat. Die Liste ist lang. Lenin, Stalin, Hilter, Himmler, Freisler, Hilde Benjamin, Wischinsky, Mao, Pol-Pot und die 100.000 kleineren Ausgaben, mit denen konnte man nicht debatieren.

Frances Johnson / 28.07.2020

Muss nicht derb sein, aber geradlinig. Heute ein prima Interview mit Dr. Jonas Schmidt.Chanasit, Bernhard Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg. Geradlinig, logisch, aufrecht, aufgeklärt, intelligent. Unpolitisch im Grunde. Wissenschaftlich ruhig. Das brauchen wir. Souveränität, Ruhe, Sachlichkeit.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Nico Hoppe, Gastautor / 10.12.2021 / 16:00 / 19

Faszination Totalitarismus

Von rechts bis links mehren sich die Stimmen, die die Stärke und Rigorosität Chinas preisen und als Vorbild für den dekadenten, im Niedergang begriffenen Westen…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 04.11.2021 / 06:14 / 72

Eine feine Linke: Klassenkampf gegen die Arbeiter

Wie die an grünen, postmodernen und identitätspolitischen Ideen orientierte linke Hipster-Mittelschicht immer mehr zum Feind der kleinen Leute wird. Während es als Binsenweisheit gilt, dass…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 15.11.2020 / 10:00 / 29

Journalistische Teufelsaustreibungen: Sie werden Trump vermissen

Am 13. November, 10 Tage nach dem eigentlichen Wahltag, beendeten auch die letzten US-Staaten die Stimmenauszählung zur US-Präsidentschaftswahl. Damit wurde das bestätigt, was schon seit…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 07.10.2020 / 17:00 / 8

Wie Topf und Deckel: Antirassismus und islamische Propaganda

Dass Pascal Bruckners Buch „Der eingebildete Rassismus – Islamophobie und Schuld“ nun auch in deutscher Sprache erscheint, dürfte für die hiesige Journaille kein Grund zur…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 30.03.2020 / 16:00 / 11

„Worüber man als Jude nicht schreiben sollte“

Der von Sigmund Freud geprägten Psychoanalyse haftet heute zumeist der Ruf an, veraltet, unwissenschaftlich und empirisch nicht haltbar zu sein. In „Worüber man als Jude…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 09.02.2020 / 11:00 / 13

Hollywood: Stoppt die Volkspädagogen!

Bei allen in den vergangenen Monaten geführten Diskussionen um Verbote von Dingen, über deren Kauf und Benutzung normalerweise der Einzelne selbst unabhängig zu bestimmen hätte,…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 18.01.2020 / 15:00 / 17

So sein oder nicht so sein? Das große Identitätsgehubere

Identität ist ein Begriff, den man überall bereitwillig adaptiert. Berufen sich Rechte auf eine imaginierte nationale oder – im ethnopluralistischen Neusprech – kulturelle Identität, die…/ mehr

Nico Hoppe, Gastautor / 30.11.2019 / 06:25 / 104

Alter als Schuld

Von Nico Hoppe. Wer im Internet das letzte Wort hat, geht meist als Gewinner aus dem Ring. Doch dabei geht es weniger um überzeugende Argumente…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com