Sprechen über Unaussprechliches, lautete die Aufgabe, an der Moderator Markus Lanz spektakulär scheiterte. Was ein „Großer Schwarzer“, die Zukunft des Journalismus und eine Küchenrückwand damit zu tun haben, erfahren Sie hier.
Humoristisch Wertvolles geschieht nicht selten dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Nehmen Sie zum Beispiel mich bei der Hausarbeit. Falls Sie jetzt meinen, das passe nicht zusammen: weit gefehlt. Als moderner altweißer Mann und gefühlter Frauenbeauftragter bejahe ich Gleichstellung in Rechten und Pflichten. Uneingeschränkt, leidenschaftlich und aus vollem Herzen.
Meine Mitwirkung bei heimischer Instandhaltung erfolgt also aus freiem Willen und nicht etwa aus Furcht vor Vergeltungsschlägen der besten kleinen Frau von allen. Aber streiten wir nicht über Details. Entscheidend ist, ich putze. Ziemlich relativ sehr freiwillig, wie gesagt. Vor einigen Tagen durfte ich sogar zweimal hintereinander freiwillig die Küche reinigen. Der erste Durchgang war Routine, der zweite gestaltete sich aufwendiger.
Ich hatte nach Vollendung meines Werkes eine satte Mundladung Bohnenextrakt über die Arbeitsplatte versprüht. Kollateralschäden waren an Rückwand, Kaffeeautomat, Toaster, Kühlschranktür und diversen Kleingerätschaften zu verzeichnen. Wer jemals bei „Medical Detectives“ den Einsatz von Luminol nach einem Hammermord verfolgte, hat den Tatort vor Augen.
Eine Nation in Aufruhr
Tatwerkzeug war in meinem Fall ein doppelter Espresso oder – in österreichischer Fachterminologie – ein „Großer Schwarzer“. Womit wir mittig im Thema wären. Während der ersten Reinigungsrunde im Geschäftsfeld Küche verfolgte ich nämlich per iPhone und Mediathek eine leicht abgehangene „Markus Lanz“-Sprechstunde. Geladen war neben anderen ein gewisser Dennis Aogo.
Dieser Aogo war mir bis vor Kurzem unbekannt, was möglicherweise daran liegt, dass mich Fußball ungefähr so brennend interessiert wie Nageldesign oder Barockmusik. Zum Zeitpunkt der „lebendigen Talkrunde“ (© ZDF) hatte ich den Namen Aogo natürlich längst auf dem Schirm. Er stand im Zentrum einer Affäre, die die Nation letzte Woche stärker in Aufruhr versetzte als Impfneid, Baerbock und Hamas-Terror zusammen.
Die Details der Krise erspare ich uns, Sie kennen sie mit einiger Sicherheit. Falls Sie gerade von einer U-Boot-Fahrt im Kaspischen Meer zurückkehren, mögen Sie zum Beispiel hier nachlesen. Ausgangspunkt der Empörungswelle war eine offenkundig spaßig gemeinte Privatmitteilung, die ein Ex-Ballkünstler (Lehmann) irrtümlich an einen anderen Ex-Ballkünstler (Aogo) versandt hatte. Aogo machte den Vorgang öffentlich. Daraufhin explodierte das Internet.
Großer Weißer gegen großen Schwarzen
Kein Wunder, denn es ging um Rassismus. Der ist bekanntlich die schlimmste Seuche unserer Zeit, da können selbst Corona, Grüne und Islam nicht mithalten. Dass es sich um Rassismus handelte, schloss die versammelte Netz- und Mediengemeinde messerscharf aus dem Umstand, dass ein großer Weißer (Lehmann) und ein einigermaßen großer und einigermaßen Schwarzer (Aogo) involviert waren.
Die Fakten: Lehmann hatte (offenbar im Glauben, mit einem Mitarbeiter des TV-Senders Sky zu kommunizieren) getextet: „Ist Dennis eigentlich euer qotenschwarzer?“ Dass ein Ballarbeiter nicht weiß, wie man das Wort „Quote“ schreibt, war kein Aufreger. Die Wortkombi „Quotenschwarzer“ dafür umso mehr. Die „unfassbare“ („BZ“, „Sportbild“, „Bild“) WhatsApp-Nachricht klassifizierten Medien umgehend und durch die Bank („Spiegel“, „Stern“, „Zeit“, „Der Westen“, „Taz“ et al.) als „rassistisch“.
Der Vorwurf war und ist natürlich Schwachfug, wie in den meisten Fällen dieser Art. Wer jemanden als „Quotenschwarzen“ oder auch „Quotenfrau“ bezeichnet, greift die Person an, logisch. Der Angriff richtet sich jedoch objektiv nicht gegen deren Schwarzsein oder Frausein, sondern gegen eine – angebliche oder tatsächliche – mangelnde Qualifikation oder Eignung für eine bestimmte Position oder Tätigkeit.
Nicht schwarzenfeindlich, sondern quotenfeindlich
Kritisiert wird also die Einbeziehung sachfremder Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht bei der Personalauswahl und nicht das jeweilige Merkmal selbst. Kurz, die Wörter „Quotenschwarzer“ und „Quotenfrau“ sind bei nüchterner Exegese nicht schwarzenfeindlich oder frauenfeindlich, sondern quotenfeindlich. Ergo handelt es sich auch nicht um Rassismus oder Sexismus. Eigentlich ganz einfach – minimales Sprachverständnis und einen IQ über Raumtemperatur vorausgesetzt.
Ob Lehmann das Wort überhaupt im beschriebenen Sinn gebrauchte oder – wie er behauptet – auf den (Einschalt-)Quote bringenden Aogo anspielen wollte, kann dahinstehen. Rassismus lag und liegt so oder so nicht vor. Dass das Q-Wort trotzdem auf breiter Front reflexhaft so verortet wurde, zeigt, wie sehr der Verdacht auf irgendwas mit Diskriminierung mittlerweile Sinne vernebelt und Synapsen verklebt.
Bei „Markus Lanz“ war es nicht anders. Am immanenten Rassismus des „dümmlichen Kommentars“ hatte die Talkrunde nicht den geringsten Zweifel. Auch der Moderator erlitt einen intellektuellen Schwächeanfall, versuchte sich aber immerhin in Differenzierung: „Ich würde Jens Lehmann niemals Rassismus unterstellen. Trotzdem ist der Satz, so wie er da steht, natürlich rassistisch.“
Kernschmelze im Talker-Hirn
Derlei Geplapper vernichtete 24 Minuten Sende- und Lebenszeit. Just in dem Moment, als ich zugunsten von handfester „Medical Detectives“-Mordanleitung weiterwischen wollte, geschah Unverhofftes. Es wurde interessant. Mehr noch, spannend. Ein GAU fand statt. Live-on-tape war die Kernschmelze eines Moderatoren-Gehirns zu besichtigen.
Markus Lanz versuchte, Phase drei der nationalen Eskalation zu erklären, den Kriegseintritt eines Grünen in die epische Auseinandersetzung Weiß gegen Schwarz. Eigentlich ging es um nicht mehr als ein Wort. Ein einziges Wort. Aber ein toxisches Wort, eine Waffe, ein biologischer Kampfstoff, sozusagen. Beziehungsweise sonichtzusagen, denn es handelt sich um ein unsagbares Wort. Und im Anfang ist das Wort, und aus dem Wort wird die Tat, und plötzlich ist Weltuntergang, das ist bekannt. Der in langen TV-Jahren gestählte und mit allen Wässerchen gewaschene Gesprächsschaffende sah sich einer Aufgabe von herkulischer Dimension ausgesetzt: Wie über Unaussprechliches sprechen, ohne es auszusprechen?
Wohl nie zuvor in seiner Fernsehkarriere war der Südtiroler in größerer Not. Er presste, drückte, druckste, fuchtelte, stammelte, stotterte und stockte. Ein Gesicht wie nach zwei Wochen Darmverschluss, die Augen zusammengekniffen, dann wieder den Blick nach schräg oben in die Unendlichkeit gerichtet, göttlichen Beistand suchend. Satan war am Werk, und Lanz rang mit ihm. Er durchlitt Höllenqualen. Jeder merkte es, und Lanz merkte, dass es jeder merkte. Was es nicht leichter machte.
„N-Wort in sexualisiertem Zusammenhang“
Aber was rede ich, schauen Sie einfach selbst rein in diesen denkwürdigen Moment TV-Geschichte. Und raten Sie mit, um welches Killerwort mit Armageddon-Potenzial sich alles dreht (hier ab Min. 24:17). Für Klickmuffel sind im Folgenden die entscheidenden Passagen verschriftet.
Lanz: „Äh, drittes Kapitel, äh, dieser ganzen Entwicklung, Boris Palmer meldet sich zu Wort, der Tübinger Oberbürgermeister, der sich schon öfter gegen, ähm, Vorwürfe wehren musste, äh, äh, äh, er hätte rassistische Dinge gesagt oder gepostet, was auch immer, der dann, wie formulier ich das am Besten, das N-Wort benutzt und es sozusagen in einen sexualisierten Zusammenhang stellt, ich sag’s einfach mal so, auf übelste Art und Weise, und wie sich dann rausstellt eine vermeintliche, oder der, der, der Versuch einer, aah, einer Satire, er hat also irgendwo einen Kommentar gefunden, äh, in dem, äh, irgendjemand, wie sich hinterher rausstellt, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fake Account, alles frei erfunden, das hat alles so nicht stattgefunden, aber irgendeine Frau machte Ihnen irgendwelche Vorwürfe, da fällt dann dieses N-Wort, äh, und es geht um diesen sexualisierten Zusammenhang, lassen wir’s vielleicht einfach mal so, äh, und plötzlich steht etwas im Raum, das noch mal ’ne ganz andere Dimension hat, und im Grunde passiert etwas völlig Bizarres, nämlich Sie und Boris Palmer erleben binnen weniger Stunden das Gleiche, müssen sich wehren, sozusagen, gegen Rassismusvorwürfe und so weiter, wie haben Sie das wahrgenommen, Herr von Schirach, äh, vielleicht Sie als Erster.“
„Sie sehen meine Not“
Ferdinand von Schirach: „Wenn ich das zuerst sagen darf, ich glaube, ein Zuschauer, der das nicht nachverfolgt hat, …“ – Lanz unterbricht aufgeregt: „Ja, der versteht das jetzt gerade nicht.“ – Schirach: „… weiß überhaupt nicht, …“ – Lanz: „Ich weiß!“ – Schirach: „… was Sie gerade gesagt haben.“ – Lanz: „Erklären Sie’s! Aber, äh, ich, ich, ich …“ – Schirach lacht: „Ich versuch es …“
Lanz unterbricht erneut: „Ich lege, ehrlich gesagt, darf ich Ihnen was sagen dazu, ich hab da gerade ein Problem an dem Punkt, weil ich auch schlicht und ergreifend, also a) aus, aus, rassistischen Gründen. Ich mag dieses Wort nicht, ich mag das N-Wort nicht, ich hasse es, weil ich so häufig Interviews geführt hab auch mit Menschen in Afrika, in Amerika und so weiter, und weiß, dass es sie verletzt. Und wenn mir die Leute sagen, es verletzt mich, dann will ich das nicht benutzen, Punkt!“ – Schirach: „Ja, das würd ich auch nicht benutzen.“
Lanz: „Das Zweite ist, das Zweite ist, das Zweite ist, es gibt, es gibt Wörter, die man einfach nicht benutzt, das sag ich auch als Vater, der ich bin, ich möchte einfach nicht, dass so gesprochen wird.“ – Schirach: „Sie haben völlig recht, aber Sie müssen’s den Zuschauern trotzdem erklären.“ – Lanz: „Vielleicht, vielleicht zeigen wir einmal den, den, den …“ – Schirach: „Ja, genau.“ – Lanz: „… den, den Post, aber ich glaube, wir haben’s, äh, entsprechend vorbereitet, dass es nicht so, äh, äh, über die Bühne geht, weil ansonsten, ansonsten, äh, verbreiten wir auch das wieder weiter. Sie sehen meine Not, ja, wie würden Sie’s denn ausdrücken?“
Sagt es einfach, ihr Pussies!
Eingeblendet wurde ein Facebook-Kommentar von Boris Erasmus Palmer, der ironisch auf den Beitrag eines Parteikollegen reagiert hatte: „der aogo ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen xxxxxschwanz angeboten.“ Das „xxxxx“ steht hier für die vom ZDF vorgenommene Unkenntlichmachung der Originalbuchstaben. Ob die ZDF-Zuschauer nach dieser Einblendung schlauer waren, bleibt offen. Alle Rückkehrer aus dem Kaspischen Meer finden das unzensierte Palmer-Posting hier.
Ich für meinen Teil war zu diesem Zeitpunkt nicht nur interessiert, sondern über die Maßen amüsiert und konzentriert. Die persönliche Schlussetappe „Ceranfeld“ hatte ich mit großem Erfolg gemeistert. Ich hatte also die Muße, mich mit einem kolonialhistorisch möglicherweise zweifelhaften, aber auf jeden Fall schmackhaften Bohnenmix dem Fortgang der Dinge zu widmen.
Das ominöse, das unaussprechliche, das toxische Wort, die Massenvernichtungswaffe, um die sich alles drehte, kannte ich natürlich. Spannend war die Spannung, ob jemand im Gebühren-TV die N-Bombe zünden würde. Und so stand ich in der blitzblanken Küche und kicherte ins iPhone: „Sagt es! Los! Sagt es doch einfach, ihr Pussies! Negerschwanz, Negerschwanz, Negerschwanz!“
Den Schwanz eingezogen
Natürlich sagten sie es nicht. Und natürlich hatte ich nicht ernsthaft erwartet, dass Lanz den „Negerschwanz“ in den Mund nehmen würde. Beziehungsweise – Sie wissen, was ich meine. Selbst die „Welt“ hatte nur kurzzeitig Eier gezeigt und den Schwanz schnell wieder eingezogen. Man setzte eine „Anmerkung der Redaktion“ unter den Artikel: „Wir aktualisieren diesen Text fortlaufend. Im Zuge dessen haben wir uns auch dazu entschieden, den in Palmers Posting verwendeten Begriff nicht mehr auszuschreiben, da er als beleidigend und anstößig empfunden werden könnte. Der Sachverhalt der Debatte dürfte auch so klar sein.“
Ich bin versucht, bei der „Welt“ zwecks Faktencheck Name und Adresse des Mannes zu erfragen, der sich beleidigt fühlen könnte, wenn ihm ein „Negerschwanz“ angedichtet wird. Aber lassen wir das, bleiben wir bei Lanz und seinem Schwanzproblem. Während in der „lebendigen Talkrunde“ langsam der Hirntod einsetzte, begann es in meinem Kopf immer schneller zu kreisen. Fragen über Fragen taten sich auf, philosophische, erkenntnistheoretische und überhaupt.
Wie sagen, was man nicht mehr sagen darf? Wenn man nicht mehr sagen darf, was man nicht mehr sagen darf, woher soll man wissen, was man nicht mehr sagen darf? Kurz: Ist das Unsagbare doch sagbar? Und was ist das überhaupt? Paradoxon, Oxymoron, Antinomie, Dilemma? Auf jeden Fall irgendwas mit Schrödingers Katze?
Versagen, was ist
Und was sagt das Nichtsagen des Unsagbaren über den Journalismus? Dessen prägnantester Anspruch ist nach wie vor das Diktum von Augstein senior: „Sagen, was ist.“ Wenn man sich jedoch versagt, das Unsagbare zu sagen, obwohl das Unsagbare ist, wie es ist, wie lautet die treffende Beschreibung des neuen Journalismus? Versagen, was ist?
Auch Detailprobleme plagten mich. Was zum Beispiel geschieht mit den Einwohnern von 57462 Neger an der Neger, unterteilt in Oberneger, Mittelneger und Unterneger? Wie sollen diese bedauernswerten Menschen künftig eine behördliche Anfrage nach ihrem Wohnsitz beantworten? Etwa mit „Darf ich nicht sagen“ oder mit „Ich lebe in N-Wort am N-Wort“? Oder müssen die Sauerländer einfach umziehen? Zum Beispiel nach 24392 Mohrkirch oder 95199 Schwarzenhammer?
Apropos. Kurz, bevor mein Gehirn explodierte, sorgte ausgerechnet der Inhaber des N-Gliedes für die auflösende Entspannung – und den Hochdruckausstoß meines frisch zubereiteten „Großen Schwarzen“. Dennis Aogo äußerte sich nämlich zu dem „völlig aus der Luft gegriffenen Post“: „Der wird tausendfach geteilt in den Medien, und am Ende der Kette wird das für viele als die Realität angesehen. Das ist schon mal ein, ein, für mich ein Riesending!“ Riesending! Er hat RIESENDING gesagt! Da hat’s mich zerrissen.
Gut, muss man vielleicht dabeigewesen sein.
PS, kennen Sie eigentlich den mit der Kontaktanzeige? Den perfekten Witz ohne ein Gramm Fett? Nicht? Jetzt aber: „Suche Mann mit Pferdeschwanz. Frisur egal.“