Schluss mit dem Gerede von der "Lügenpresse". Wer mit dem Wort angreift, schießt mit Kanonen auf Spatzen. Denn um eine Lüge glaubhaft unter die Leute zu bringen, muss man die Wahrheit kennen, wissen, was es zu verfälschen gilt. Das zu ermitteln würde aber journalistische Professionalität verlangen, Zeit und Geld kosten. In jedem Fall mehr, als sich die meisten Medien derzeit noch leisten können oder wollen. Allemal billiger lassen sich Sendezeit und Zeilen mit aufgeschnappten Verdächtigungen füllen, mit Gerüchten, die dann wiederum einer vom anderen übernimmt.
Selbst renommierte Blätter wie die "Washington Post" verfahren unterdessen noch dieser Methode. Den Vogel schoss die Zeitung ab, als sie jetzt vermeldete, Donald Trump werde von "Putin bezahlt". Gesagt haben soll das der Republikaner Kevin McCarthy in einer Herrenrunde vor einem Jahr, wobei der Fraktionschef seiner Partei vorausschickte, dass er das "glaube" und diesen Glauben "bei Gott" beschwöre.
Der Mann, der aus der Kälte kam
Erkennbar die metaphorische Zuspitzung einer politischen Kritik. Der deutsche Qualitätsjournalismus indes wollte sich die Kolportage der boshaft witzigen Vermutung nicht entgehen lassen. Begierig nahm er für bare Münze, was McCarthy selbst als "den missglückten Versuch eines Scherzes" bezeichnet hat. Dramatisch schlug SPIEGELONLINE auf die Pauke. "Brisante Aufzeichnungen" seien der Washington Post "zugespielt" worden. Nichts, erfahren wir, hätte davon "durchsickern" und alles "in der Familie" bleiben sollen. "Putin bezahlt Trump" titelte der FOCUS Online noch etwas mutiger.
Wenig anders tönte es aus den öffentlich rechtlichen Anstalten, wo sie im Grunde schon immer ahnten, dass es sich bei Donald Trump nur um den Mann handeln kann, der aus der Kälte kam. Ein wohlfeiler Verdacht, so wohlfeil wie die Annahme, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der inzwischen zum Bundespräsidenten mutierte Frank-Walter Steinmeier würden ebenfalls von Putin geschmiert. Immerhin hat der einstige Außenminister noch versucht, Wiktor Janukowitsch, dem russischen Statthalter in der Ukraine, die Haut zu retten, als die Demonstranten auf dem Kiewer Maidan bereits wie die Hasen abgeknallt wurden. Als es darum ging, Putins Expansionsdrang, den weiteren Zugriff auf das Nachbarland durch eine Demonstration westlicher Stärke zu stoppen, musste Angela Merkel (fast schon wieder vergessen) von den Verbündeten zum Jagen getragen werden.
Der Vermutungsjournalismus läuft zur Höchstform auf
Zum Glück sind weiterreichende Vermutungen damals unterblieben. Gerüchte werden nicht wahllos gestreut. Erst wenn es in der Politik gegen einen geht, der stört, ohne dass man so recht weiß, was man ihm noch anhängen könnte, erst dann schlägt die Stunde der Verschwörungstheoretiker. Nicht der Lügen-, sondern der Vermutungsjournalismus läuft zur Höchstform auf. Dieser will plötzlich von jenem gehört haben, dass einer etwas gesagt hat, was ihm wiederum aus gut informierten Kreisen zugetragen wurde. Dass die einmal geäußerte Vermutung unversehens als Wahrheit weiter verbreitet wird, wird in der Gerüchteküche gern als Kollateralschaden in Kauf genommen - und sei es nur, um sich die Mühe journalistischer Recherche zu ersparen.
Der Fall Franco A. hat das eben wieder gezeigt. Nachdem der Offizier Merkels Staat der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, indem er die Beamten als falscher Flüchtling strammstehen ließ, wurde schnell eine andere Geschichte über den Skandal gelegt. In Umlauf kamen fragmentarische Informationen über einen geplanten Terroranschlag. Von Opferlisten war die Rede. Zu Gesicht bekommen haben wir sie bis heute nicht. Allein, die Story schrieb sich wie von selber fort, von Annahme zu Annahme. Keine Kaserne, die seither wegen des Verdachtes "rechtsradikaler" Umtriebe noch nicht auf den Kopf gestellt worden wäre. Sogar ein Bild des Altkanzlers und einstigen Wehrmachtssoldaten Helmut Schmidt musste dran glauben. Es wurde abgehängt.
Aber, aber, raunt es da aus dem Off, man wird doch noch etwas vermuten dürfen, die Gefahr aus dem Bauch heraus erspüren. Ja, das darf man. Dann sollte man aber auch den Journalismus an den Nagel hängen und zu den Wahrsagern überwechseln. Im politischen Betrieb lässt sich damit sicher ein schneller Euro machen, vermuten wir mal.